Ich selber empfinde die auktoriale Erzählperspektive übrigens als sehr anspruchsvoll, wenn man’s gut hinkriegen will. In meinem Ideenordner schlummert mindestens eine Romanidee, die man komplett auktorial erzählen müsste, aber bislang traue ich mir das nicht zu.
Du kannst das, Andreas. Du kannst das.
Du stehst ja auch noch am Anfang Deiner Karriere.
Wenn nicht Du, wer dann?
Jetzt macht doch mal dem Jungen etwas Mut
Sag ich mir auch immer.
Und man muss ja noch Ziele haben …
Mir ist die Erzählperspektive als Leser vollkommen egal.
Ob der erste Absatz eine Wetterstimmung beinhaltet, ist mir als Leser vollkommen egal.
Der Stoff muss es bringen. Alles andere sind Befindlichkeiten, Trends, teilweise auch die Krankheit, alles sezieren und vergleichen zu müssen (als Autor).
(Und natürlich sollte man als Autor wissen was man tut. Theorie ist immer gut)
Mich würde sehr interessieren, wieso das ein “No go” sein soll.
Ein guter Roman sollte auch gut beginnen. Ein außergewöhnlich guter Roman zumindest außergewöhnlich.
Gewöhnlich sind:
:: Wetter
:: Aufwachen
:: Spiegel (Protabeschreibung)
sagt man zumindest. Und wenn ich zu zurückschaue auf meine Anfänge, beginnen die meisten davon mit mindestens einer dieser Varianten. Heute mache ich mir mehr Gedanken über den Anfang und den ersten Satz.
Ein guter erster Satz könnte aus der Geschichte entstehen und in diese hineinführen. Schon deshalb braucht es vielleicht zwei Sätze - aber nicht unbedingt einen Absatz. Nicht selten entwickele ich deshalb den ersten Satz ganz am Ende.
Damit hast du genau jene Anfänge dargestellt, die von vielen Literaten geächtet sind. Am schlimmsten finde ich Spiegelszenen zur Ich-Protabeschreibung. Egal, wo sie auftauchen.
Dann habe ich wohl nur außergewöhnliche Bücher gelesen
Im Ernst: Ich kann mich nicht erinnern, dass ein Buch so begonnen hat. Und ich habe sehr viel gelesen.
Vielleicht hat jemand ein paar Beispiele?
Es würde mich interessieren.
Dieses Klammern an eine Checkliste mit formalen Kriterien, statt sich um einen starken Inhalt zu bemühen, zeigt doch nur die Unsicherheit eines Autors. Ich nehme mich da nicht aus.
Wenn erzählt würde, dass ein Mann beim Rasieren etwas so ungewöhnliches an seinem Gesicht entdeckt, dass er fortan die Wohnung nicht mehr verlässt, dann hätte ich mit diesem Anfang kein Problem. Ein Aussschlusskriterium für eine Spiegelszene wäre für mich nur, wenn dadurch das alltägliche Aussehen der Figur beschrieben würde.
Auch wenn das Wetter, die Tages- oder Jahreszeit eine wichtige Funktion in einer Geschichte hätte, dann dürfte sie meinentwegen damit beginnen. Es muss halt nur eine starke Wirkung entfalten, sprich, gut geschrieben sein.
Aus dem Kopf fiel mir auch kein Beispiel ein. Deshalb habe ich mal rasch gegoogelt. Sind keine schlechen Bücher, die ich fand.
Es war ein strahlender, kalter Tag im April und die Uhren schlugen Dreizehn.
(George Orwell: 1984)
Es war ein verrückter schwüler Sommer, dieser Sommer, in dem die Rosenbergs auf den elektrischen Stuhl kamen und ich nicht wusste, was ich in New York eigentlich wollte.
(Sylvia Plath: Die Glasglocke)
Als ich aufwache, ist die andere Seite des Bettes kalt.
(Suzanne Collins: Die Tribute von Panem)
Für mehr Beispiele: Selbst googleln
Ok, Aufwachen und Spiegel kann ich nachvollziehen. Mit Wetter bin ich aber nicht einverstanden. Dafür bestimmt es unseren Alltag und unser Wohlbefinden zu stark. Wenn einem nichts Besseres einfällt, liest es sich mit Sicherheit langweilig. Als Mittel, aber um den Leser in eine bestimmte Stimmung zu bringen, finde ich es u.a. essentiell. Allerdings sollte der Autor aufpassen, dass Handlung und Wetter eine Synergie bilden.
darf man alles nicht überbewerten, aber auch nicht einfach wegwischen. Die Unsicherheit, die du angesprochen hast, ist - zusammen mit Unzufriedenheit - meine wichtigste Quelle für die Selbstkritik.
Oder diese vielen altbackenen Autobiographien, die so oder ähnlich beginnen:* … An einem frostigen, nebeligen Novembertag des Jahres 1926 erblickte ich in einem Armenkrankenhaus Londons das Licht der Welt. Meine erste Wahrnehmung war die Kälte im ungeheizten Wöchnerinnensaal, die mich losschreien ließ, noch bevor mich ein Klaps der Hebamme dazu ermunterte …*
Wenn ich so etwas oder Ähnliches lese, fällt mir der Tipp eines deutschen Erfolgsautors ein, den ersten Absatz einer Geschichte, wenn immer möglich, zu streichen. Er ist meist überflüssig, dient primär dem Aufwärmen, dem Warmlaufen der Schreibmotorik.
Um wieder auf das Thema zurückzukommen: Wenn die Szene der auktoriale Erzähler erzählen würde, fände ich es garnicht mal so schlecht
Dem stimme ich zu. Aber es gibt so apodiktischen Aussagen, wie die, man dürfe Adjektive nur sehr sparsam verwenden. Völliger Kokolores. Man muss da schon präziser argumentieren. Adjektive, die irgendwelche Allerweltseigenschaften bezeichen oder nur aus Bequemlichkeit benutzt werden, weil man zu faul ist, etwas ausfürlich zu beschreiben, die würde ich auch vermeiden. Aber gezielt eingesetzt können Adjektive einen sehr starken Stil ausmachen. Ich habe ja auch nur Probleme damit, wenn jemand ganz platt sagt, dieses oder jenes ginge überhaupt nicht, ohne es in einen Kontext zu stellen.
Solche Aussagen kann man nur mit schlechten Beispielen rechtfertigen … wie so oft.
Zum Thema erster Satz. Meine letzten drei noch unfertigen Geschichten fangen so an:
1: Heute wollte mich jemand sterben sehen.
2: »Können sie mir sagen, wie sie heißen?«
3: Der Nachmittag ließ sich nicht gut an. ( (Eine Hommage an meinen Lielingsautor))
Ich mach mir da nicht soviele Gedanken…