Da sich die Kommentare zu meinem letzten Post sich größtenteils um die Erzählperspektive drehen, habe ich mir ein paar Gedanken zu dem Thema gemacht, das ja gerade unter angehenden Autoren gerne diskutiert wird.
Die folgende Betrachtung ist komplett subjektiv, unvollständig und soll nur als Diskussionsanreiz dienen. Vielleicht hilft sie auch dem einen oder anderen, sich mit den unbewussten Vorgängen während des Schreibprozesses auseinanderzusetzen.
Meiner Ansicht nach wird die Frage nach der Erzählperspektive überbewertet. Als Leser interessiert mich die Erzählerstimme nicht die Bohne, solange deutlich wird, welche der in der Geschichte vorkommenden Figuren gerade spricht oder denkt oder handelt. Aus welcher Perspektive das mitgeteilt wird, ist mir eigentlich völlig wurscht. Wenn ein auktorialer Erzähler quasi aus dem Off einen Kommentar abgibt, muss ich natürlich erschließen können, dass da gerade keine der Figuren etwas zum Besten gibt.
Es existiert meiner Meinung nach auch die irrige Annahme, der Ich- oder personale Erzähler schaffe allein durch die Erzählperspektive einen intensiveren Bezug zur entsprechenden Figur. Das stimmt in meinen Augen nur auf der rein formalen Ebene. Ein Ich-Erzähler kann sich dermaßen dröge, flach und emotionslos mitteilen, dass mir der Protagonist komplett am Arsch vorbeigeht. Während ein auktorialer Erzähler bisweilen aufgrund des mitreißenden Schreibstils des Autors eine viel intensivere Nähe zu den Figuren hervorzurufen vermag.
Das soll natürlich nicht heißen, dass man sich als Autor nicht um die Erzählperspektive scheren muss – ganz im Gegenteil. Wer willkürlich alle Erzählperspektiven durcheinandermixt, wird wohl nur Verwirrung ernten. Es sei denn, es handelt es sich um ein Genie – aber die dürfen sich eh alles herausnehmen.
Eigentlich wollte ich sagen, dass die Entscheidung für eine Erzählperspektive weder automatisch für mehr oder weniger Empathie sorgt noch für die problemlose Nachvollziehbarkeit der Handlungen oder Gedankenvorgänge der Figuren. Viel relevanter ist für mich die Fähigkeit des Autors zu strukturiertem Denken. Die Kernkompetenz besteht für mich darin, sich einem Leser verständlich mitzuteilen, der keine Vorkenntnisse über die Personen und den Gegenstand einer Story hat. Und das auch noch, indem man den Leser nicht mit Infodumpd langweilt, sondern ihm alles Wissenswerte parallel zur oder bestenfalls durch die Handlung vermittelt.
Mir ist nicht ganz klar, was du hier zum Ausdruck bringen willst. Die Erzählperspektive einzuhalten, ist m.A.n. enorm wichtig. Ich kann nicht aus Sicht von Susi die innere Befindlichkeit von Karli erzählen. Auch wenn sie stimmt. Und es ist nicht egal, wer mir was erzählt, auch wenn er es gut erzählt.
Das hat aber nichts mit der Perspektive zu tun, sondern mit der Schreibe des Autors.
Am unmittelbarsten und authentischesten wirkt wohl die 1. Person in Präsens. Aus der jedoch nur erzählt werden kann, was dieser Erzähler selbst unmittelbar wahrnimmt. Im extremsten Fall wird daraus ein Bewusstseinsstrom. Ein gutes Beispiel dafür ist z.B. “Der Leutnant Gustl” von Arthur Schnitzler.
Früher war der auktoriale Erzähler groß in Mode, das ist längst vorbei, derzeit wird primär aus wechselnder 3. Person erzählt.
Die richtige Perspektive hängt immer von der Art der Geschichte ab. Nicht jeder Stoff eignet sich für die 1. Person, schon aufgrund der eingeschränkten Wahrnehmung. Das gilt für alle anderen ebenso. Es ist also immer vorher zu bedenken, was will ich erzählen. Ich habe nicht erst eine Geschichte perspektivisch umgeschrieben.
Selbstverständlich nicht. Aber ich kann aus Susis Sicht erzählen, wie Karli handelt und auch das, was und wie er redet. Ich muss nicht jedes Mal im Wechsel Personen über die Schulter blicken, wenn ich ihre Handlungen schildern möchte.
Da bin ich eben anderer Ansicht. Ich kann genauso unmittelbar und eindringlich die Befindlichkeit einer Figur als auktorialer Erzähler schildern. Das ist eher eine Frage des Stils als der Perspektive.
Auktorialer Erzähler: Marie stützte sich mit einer Hand an der Wand ab. Sie ging in die Hocke. Dort wo ihre Finger über die lackierte Raufasertapete glitten, zeichneten sie glänzende Schweißspuren auf den Belag. Sie wollte um Hilfe rufen, aber ihre Zunge klebte trocken am Gaumen.
Kann ich. Kein Problem. Aber* show, don’t tell* ist keine Frage der Erzählperspektive. Das gelingt mir in jeder beliebigen Intensität sowohl als Ich-Erzähler als auch aus einer auktorialen Perspektive.
Meine Ansicht ist, dass die Intensität des Erlebens einer Geschichte nicht von der Erzählperspektive abhängt, sondern ausschließlich vom Schreibstil. Viel mehr wollte ich eigentlich gar nicht sagen.
Der Vorteil des auktorialen Erzählers liegt darin, dass er in jede Figur, in jede Perspektive kriechen kann. Selbst Dinge erzählt, die er nicht sieht, weil sie irgendwo anders auf der Welt passieren. Aber er ist heute nicht mehr gefragt. Bis auf Texte, die speziell darauf abgestimmt sind, anders nicht funktionieren würden. 3. Person, wechselnde Perspektive, halte ich für die beste Wahl, wenn es um Genre-Literatur geht. Ich selbst schreibe gerne im Präsens, sowohl 1. als auch 3. Person. Kann gut sein, dass ich überhaupt nichts anderes mehr schreibe.
Damit hast du sicher recht. Aber es gibt beim personalen Erzähler durchaus eine Grauzone. Gerade am Anfang eines Kapitels wird gerne eine Übersicht beispielsweise von Zeit, Ort oder Atmosphäre gegeben, um sich schließlich dem Protagonisten zu nähern.
Die untergehende Sonne hüllte Gotham City in blutrotes Licht. Mit der Dämmerung kroch das Unheil herauf. Daumen fuhren prüfend über Messerklingen usw.
Hank wachte schweißgebadet auf. Die Serie von Alpträumen wollte einfach nicht abreißen. (Alles Weitere ausschließlich aus Hanks Sicht.)
Genau so sollte kein (guter) Roman beginnen. Unzählige, besonders ältere Werke fangen mit Wetterbeschreibungen an. Mittlerweile fast schon ein No go im Verlagswesen.
Wieso eigentlich nicht? Mir gefällt das, je nachdem wie lang es sich hinzieht und um welche Art von Geschichte es sich handelt.
Ich gehöre aber auch ebenso zu den Leuten, die nicht verstehen, wieso Adjektive schlecht sein sollen oder “als”. Für mich kommt es in allen Fällen auf die Häufung und damit den “Missbrauch” an.
Gezielt eingesetzt geht alles. Das ist jedenfalls meine Meinung.
»Die Wölfe kamen aus den Hügeln und holten die Kinder von Keelut. Zuerst verschwand ein Junge, der seinen Schlitten am Dorfrand entlangzog, in der Woche darauf ein Mädchen als es um die Hütten am zugefrorenen Teich lief.«
So geht es noch eine Weile weiter, bis wir schließlich beim Protagonisten landen.
Ist aus dem Roman »Wolfsnächte« von William Giraldi. Ich halte das nicht für ein schlechtes Buch. Aber wenn es deiner Checkliste nicht entspricht, taugt es vermutlich nicht für dich.
Ich denke, es soll jeder schreiben, wie und was er will. Wenn jemand gerne einen Wetterbericht schreibt, bevor er zur eigentlichen Sache kommt, meinetwegen. Ich hab nix dagegen.
Natürlich bieten Ich- oder personaler Erzähler keine Garantie dafür, dass der Leser “näher an der Figur” dran ist, aber sie erhöht m. E. die Chancen. Natürlich kann das ein schlechter Autor immer noch verhunzen.
Aber personale oder Ich-Perspektive bieten m. M. n. mehr Möglichkeiten für falsche Fährten, Missverständnisse und Plottwists. Als Autor darf man seine Leser nicht anlügen, das würden sie übelnehmen. Was aber ein auktorialer Erzähler von sich gibt, ist die alleinige Wahrheit. Ein personaler oder Ich-Erzähler gibt nur die Meinung einer Figur wieder, die richtig oder falsch sein kann, die sie sich aufgrund ihrer Erfahrungen, Eindrücke, Vorurteile, etc. gebildet hat. Da lässt sich mehr daraus entwickeln.
Aktuell schreibe ich zum ersten Mal aus der Ich-Perspektive und finde, das schränkt sehr ein. Ich muss mir ziemlich den Kopf verbiegen. Konkret habe ich super lange an einer Verfolgungsjagd gebastelt.