Erstes Kapitel meines Wikingerromans. Keine Sorge vor Thors Hammer, ich freue mich über Kritik!

Wenige Tage nach seinem fünfzehnten Geburtstag erfuhr Horik Gunnarsson von der Blutnacht, die das Schicksal seiner Sippe seit vielen Jahren beherrschte. Und das, was er über die Vergangenheit lernte, bestätigte ihn in dem Wunsch, ein besseres Leben an einem anderen Ort zu suchen.
Horiks Mutter Gudrun hatte nach dem Abendessen das Haus verlassen, um gemeinsam mit Horiks Geschwistern Uta und Svein am Webstuhl der Nachbarn zu arbeiten.
Gunnar winkte Horik zu sich an die Feuergrube in der Mitte des Wohnraums. Draußen rüttelte ein Schneesturm an Türen und Fensterverschlägen. Dicke Flocken taumelten durch den Rauchabzug. Gunnars Blick ruhte auf dem Schwert an der Wand. In den Furchen, die ihm Jahre voller Mühen ins Gesicht gegraben hatten, lagen Schatten. Gunnar kniff seine Augen unter den buschigen Brauen zu Schlitzen zusammen.
Horik starrte auf die Lippen seines Vaters.
„Es war eine heiße Nacht im Spätsommer vor jetzt mehr als fünfzehn Jahren. Der vorangegangene Winter war der schlimmste, den dieses Dorf je erlebt hatte. Unsere Vorräte schmolzen. Und nachdem sich das Eis endlich vom Meer verzogen hatte, hinderte uns Sturm wochenlang daran, mit den Booten zum Fischen hinauszufahren. Die wenigen Männer, die es doch versuchten, führte ihr Mut nach Ran auf den Meeresgrund! Noch im März lag der Schnee hüfthoch auf allen Wegen. Wir litten Hunger, der uns zwang, so viele Tiere schlachten, dass von Rindern und Schweinen nur je ein männliches und ein weibliches Vieh auf jedem Hof übrig blieb. So bestand die Hoffnung, nach überstandenem Winter wieder Kälber und Ferkel zu ziehen.“ Gunnar lauschte auf das Grunzen aus dem Stall.
„Bis dahin hatten wir Thor in jedem Frühling Rinderbullen und Eber geopfert. So verlangt er es seit Menschengedenken. Doch zur Sicherung unsere kleinen Herde entschied sich die Dorfgemeinschaft in jenem Frühjahr dagegen. Wir Männer sagten, Thor werde auf seinen Hammer und seinen Kraftgürtel vertrauen und uns ohne Opfergaben schützen. Wir vertrauten zur Abwehr des Bösen unseren Schwertern, Speeren und Äxten. Versprachen uns, spätestens im Herbst den Göttern durch umfangreiche Opfer zu gefallen.“ Gunnar wiegte seinen Kopf und senkte den Blick. Im Feuer brach ein Holzscheit und sprühte Funken.
„Dem Winter folgten ein trockener Frühling, dann ein heißer Sommer. Eines Abends ruhte ich erschöpft auf meinem Lager. Tagsüber hatte der Kiefernwald hinter dem Dorf gebrannt. Die Sonne hatte die verdörrten Nadeln entzündet. Ich hatte gemeinsam mit allen anderen Männern den Tag damit verbracht, die Flammen zu erschlagen. Wir hätten den Brand besser als ein Signal verstanden. Eine Warnung, die Thor uns geschickt hatte. Aber ich deutete keine Zeichen, sehnte mich nach Schlaf. Wie Gudrun und dein Bruder, den du nie kennengelernt hast. Gunnar. Ein halbes Jahr hatte er bis dahin erlebt. Das Licht des Mittsommers sickerte durch die Balken unseres Hauses. Das Schwert, das vor langer Zeit Drachenglut benannt wurde, lag neben meinem Bett. Ich war jung und verehrte die Waffe, den blanken Stahl, den kühlen Griff.“
Horik löste seine Augen vom Gesicht des Vaters. Die Schwertklinge blitzte.
„Drachenglut! Du hast mir bis heute seinen Namen nicht genannt. Warum Drachenglut?“
„Der Schmied, der das Schwert für meinen Vater schuf, hat es so benannt. Er schlug den glühenden Stahl in seiner Esse, da fauchte das Schmiedefeuer so laut und wild, als habe ihm ein Drache Leben eingehaucht. Dein Großvater hat das Schwert geliebt. Er umklammerte es auf dem Sterbebett mit seiner versiegenden Kraft. Ich hatte Mühe, es aus seinen toten Händen zu winden. In meinem Besitz behielt Drachenglut seinen Namen, den es seit zwei Menschenaltern trägt. Und so bleibt es, selbst, wenn es jetzt seinen Platz an der Wand hat.“
Drachenglut fesselte Horiks Blick. Die Klinge glühte im Widerschein des Feuers. Sie war armlang, handbreit und zweiseitig geschärft, verjüngte sich zu einer kurzen Spitze. Der Schmied hatte den Griff zu einer eisernen Kordel geformt und ihn an seinem Ende mit einem Bronzeknauf versehen. Die Parierstange trug über und unter der Klinge jeweils drei Verzierungen. Thorshammer, die ebenfalls aus Bronze gearbeitet waren. In Horiks Bauch kribbelte es. Drachenglut berührte sein Herz. Es pochte in seinem Hals.
„Die Alarmglocke schlug.“ Gunnars Stimme drang wie durch einen Nebel. „Es war Thoralf, der Großvater von deinem Freund Knut, der den Alarm auslöste. Wir fanden ihn später über dem Glockengerüst hängend. Der Kopf war ihm abgeschlagen worden und verschwunden. Knuts Vater entdeckte ihn nach einigen Tagen. Thyrig holte sein Netz in unserer Bucht ein. Da barg er den Schädel. Zumindest das, was die Fische davon übrig gelassen hatten.“ Gunnar seufzte. Er stocherte mit einem Ast in der Glut und schob einen verkohlten Holzscheit beiseite. Funken tanzten über der Feuergrube.
„Drachenglut lag in meiner Hand, bevor der erste Glockenschlag verklungen war. Mit dem zweiten Schlag barst die Haustür. Ich sprang auf.“
Horik löschte Glutspritzer auf seiner Hose, ohne den Blick von Gunnars Lippen zu lösen.
„Vielleicht läutete die Glocke ein drittes Mal. Ich hörte nur das Wimmern deines Bruders, das Kreischen deiner Mutter, das Grunzen, Schnaufen und Brüllen der vier Riesen. Das Poltern ihrer Stiefel. Sie stürmten in unser Haus.“
Aus Gunnars Mine schrie Panik. Wie in jener Nacht, als die flimmernden Bilder auf ihn zurasten. Gudruns aufgerissene Augen und ihr offener Mund. Die rosafarbene Haut des kleinen Gunnar. Die kalkbleichen Gesichter der Männer, die ihn um zwei Köpfe überragten. Deren Blicke, schwarz wie Kohle. Ihre Rachen, die sich hinter spitz zugefeilten Zähnen zu Schlünden ausdehnten.
Eine Welle aus altem Schweiß, faulem Atem und Verwesung brach damals über ihn. Und diese Welle trug den Tod mit sich. Mit Streitäxten, geführt von blutverschmierten Pranken, die aus Pelzumhängen herauswuchsen.
Horik glühte. Er forderte seinen Vater zum Weitersprechen auf.
„Ekel und Angst liefen mir in Wogen über den Körper. Ich brüllte. Stürmte mit erhobenem Schwert auf die Riesen zu. Zwei verharrten nebeneinander in der Mitte des Raumes, einer von ihnen schief, als würde er an einem Hang stehen. Sie warteten breitbeinig mit geifernden Lefzen auf mich. Die anderen beiden pirschten auf deine Mutter zu. Sie drückte den kleinen Gunnar fest an sich, seinen Bauch an ihre Brüste gepresst. Gudrun schrie mit einer Stimme, die nicht von dieser Welt schien. Ich nahm sie im Augenwinkel wahr, wirbelte im Kreis herum, streckte Drachenglut weit und waagerecht von mir, um in der Drehung den beiden Riesen vor mir gleichzeitig die Bäuche aufzuschlitzen. Die Klinge traf auf Widerstand, der nachgab, wie du es vom Hals eines Ochsen bei der Schlachtung kennst. Und wie Schlachtvieh knickte eine der Bestien ein, brüllte, sank auf die Knie. Mit vorgebeugtem Oberkörper. Der Kopf klappte auf die Brust. Er krachte auf den Boden, das Gesicht landete mit seinem stöhnenden Maul in einem Morast aus Blut.“
Gunnars biss die Zähne zusammen. Sein Atem zischte. Er ballte die Fäuste. „Ich wollte den zweiten Riesen, den schiefen, über der Hüfte spalten. Holte seitlich Schwung. Aber er fing den Streich mit seiner Axt auf. Der Aufprall der Klinge an seiner Waffe ließ mich straucheln. Halb kniend würgte ich Drachenbluts Schneide aus dem Schaft der zuckenden Axt, raffte mich auf, um mit dem Schwert voraus auf den Feind zuzustürzen. Da traf mich sein schwarzer Blick. Höhnisch traurig. Er lenkte mich zu Gudrun und Gunnar. Einer der weiteren Riesen hatte Gudrun von hinten mit seinem Pelzarm umfasst. Ihre Beine strampelten in der Luft. Er krallte seine Tatze in ihre Brust, seine Mähne hing in Strähnen über ihrem Gesicht. Mit der anderen Pranke hielt er ihr ein langes Messer unter die Kehle. Sie hatte unser Kind nicht mehr in den Armen. Das letzte Ungeheuer hatte es Gudrun entrissen, schaukelte den kleinen Gunnar im Arm, drückte die Spitze der Klinge in das Hemdchen über dem Babybauch. Er fauchte und schrie mich an. Ich hörte die einzelnen Worte nicht. Zu laut rauschte das Blut in meinen Ohren. Aber ich verstand die Aufforderung, mir den Jungen zu holen!“
Horik leckte sich mit der Zunge über die Oberlippe und starrte Gunnar mit offenem Mund an. Der fuhr fort, von den Gräueln zu berichten.
Von der tödlichen Wahl, den Angriff fortzusetzen und Sohn und Frau im Griff der Gegner zu wissen oder sich ihnen zuzuwenden, den schiefen Riesen im Rücken spürend. Von seiner Entscheidung. Von dem Sprung in Richtung des gefangenen Sohnes. Von dem Messer, das in das Bäuchlein getrieben wurde, von dem blutnassen Babyhemd, von der Lautlosigkeit des erschlaffenden zarten Körpers. Von seiner ohnmächtigen Wut. Von dem bis zum Griff in die Kehle des Kindesmörders gerammten Schwert.
„Ich zerrte Drachenglut aus dem fetten Hals. Ein dunkler Strahl rauschte mir aus der klaffenden Gurgel ins Gesicht. Die Gestalt stürzte wie ein gefällter Baum auf mich zu, umklammerte den blutverschmierten Gunnar. Ich sprang zur Seite, da traf ein Schlag meinen Kopf. Der Schädel schien zu bersten. Blitze fegten durch unser Haus. Dann herrschte Stille und tiefste Nacht!“
Rinnsale brannten auf Horiks Lippen. Er trocknete das Gesicht mit dem Unterarm und schluckte die Tränen.
„Auch ich habe geweint, Horik, als ich am nächsten Tag die Augen öffnete und deine Mutter erblickte. Sie hatte keine Stimme, flüsterte nur. Und was sie mir berichtete, ließ mich verstummen. Alle männlichen Kinder im Dorf waren von den Riesen ermordet worden, achtzehn Jungen und Jungmänner zwischen Babyalter und siebzehn Jahren. Der alte Thoralf. Fünf weitere Männer. Fygga, die Schwester deiner Mutter, die mit einem Sax einen Feind angegriffen hatte, um ihr Kind zu retten. Alle tot.“ Gunnar legte die Faust um den Thorshammer an seiner Halskette.
„Eine Axt hatte mich mit der stumpfen Seite getroffen und gefällt. Der schiefe Riese hatte sie geschleudert. Sofort danach, so berichtete deine Mutter, dröhnten Hornsignale durch die Nacht. Der Schiefe und Mutters Peiniger griffen daraufhin ihre Äxte. Sie verließen unser Haus und schleiften ihre Toten mit sich. Sie raubten nichts, sie brandschatzten nicht, sie nahmen keine Gefangenen. Sie verschwanden geisterhaft, wie sie gekommen waren. Zurück blieben zerstörte Familien, ermordete und verletzte Männer, Kinder und Frauen.“
Gunnar verstummte. Horik hörte sich schlucken. Er suchte nach Worten, aber fand nichts, was sein Grauen beschrieb. Ein Balken ächzte und zog Gunnar zurück in die Gegenwart. Er verengte die Augen und heftete den Blick auf Horik.
„Jene Nacht hat die Dorfgemeinschaft etwas gelehrt. Und ich fordere von dir, das zu begreifen. Unser Heil besteht in der Arbeit auf dem Hof und auf dem Feld. Durch den Pflug und den Stall sichern wir die Opfer für Thor. Er bekämpft mit seinem Hammer die Riesen. Er hält sie fern, nicht das Schwert! Hätten wir das früher schon erkannt, lebten Klein-Gunnar und all die anderen heute unter uns. Eine ganze Generation von Männern. Uns wäre Schreckliches erspart geblieben!“

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WOW!

Ich bin ganz sicher kein Profi, nur ein kleiner Hobbyschreiberling. Daher erwarte keine Kritik von mir.
Aber ich möchte, nein ich muss sagen! Es hat mich gepackt! Da möchte ich glatt mehr von lesen.

Liebe Grüße

der Tobi aka Dr_Schnippel

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In den ersten vier Sätzen stellst du fünf Figuren namentlich vor. Aber nur Gunnar und Horik werden zu diesem Zeitpunkt gebraucht.
Mutter und Geschwister können auch später noch vorgestellt werden, wenn sie eine Szene betreten oder, wie in der Rede des Vaters, in einem relevanten Kontext gezeigt werden.

Ansonsten konnte ich es gut runterlesen, doch einmal blieb ich länger hängen. Hier:

Mir ist schon klar, dass das eine Abfolge seien soll, aber ich habe da nen Blödmann im Kopf, der sich bei offen stehendem Munde zusätzlich über die Lippe leckt. Sieht nicht schön aus. Zweiter Satz gefällt mir dann gar nicht, das könnte nur noch schlimmere Berichtserstattung werden, wenn statt „Der fuhr…“ ein „Dieser fuhr…“ stehen würde.
Du willst damit den Folgeabsatz einleiten. Aber ich glaube, das bekommst du schöner gelöst.

Abschliessend zu Kapitel 1:
Es ist so kurz, dass ich danach noch nicht sagen könnte, ob ich es weiterlesen würde oder nicht. Vielleicht magst du ja auch mal Kapitel 2 einstellen, falls es ähnlich kurz ist.

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Danke sehr! Ich habe den Text bereits x mal gelesen und nie ist mir die „offener Mund“-Mimik so erschienen. Horik soll nicht blöd aussehen. Ich arbeite noch einmal daran, dass er maximal betroffen wirkt.

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was für eine Freude! You made my day!

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Ich musste erst einmal über deinen Text nachdenken.
Ab " Gunnar winkte Horik zu sich…" hat es mir gut gefallen. Das Tempo und die sich aufbauende Spannung mochte ich. Ich würde auf jeden Fall weiter lesen. Mit der Einleitung hadere ich, habe aber keinerlei gewinnbringende Vorschläge . Daher habe ich erst gezögert, zu antworten .
" Irgendwie lahm" ist sicher keine hilfreiche Kritik. Ich bin neugierig, wie es mit Horik weitergeht, Scheinbar möchte er sein Leben ja nicht in diesem Dorf verbringen.

Lieber Joachim,

ich würde dir empfehlen, etwas später einzusteigen. Der erste Absatz nimmt vorweg, was du eh erzählen willst. Die Spannung rankt sich um den Begriff „Blutnacht“, das macht neugierig.
Um also diesen Auslöser zu behalten, aber trotzdem später einzusteigen, könntest du z.B. so einsteigen:

  • Ich will dir von der Blutnacht erzählen.
  • Ich denke, du bist bereit, endlich von der Blutnacht zu erfahren.
  • Es wird Zeit, dass du von der Blutnacht erfährst.

Und das dann als nächstes anschließen:

Gunnar winkte Horik zu sich an die Feuergrube in der Mitte des Wohnraums. Draußen rüttelte ein Schneesturm an Türen und Fensterverschlägen. Dicke Flocken taumelten durch den Rauchabzug. Gunnars Blick ruhte auf dem Schwert an der Wand. In den Furchen, die ihm Jahre voller Mühen ins Gesicht gegraben hatten, lagen Schatten. Gunnar kniff seine Augen unter den buschigen Brauen zu Schlitzen zusammen.
Horik starrte auf die Lippen seines Vaters.

Die restliche Verwandten führst du dann ein, wenn sie relevant sind, z.b. wieder heimkommen.

Das Alter des Jungen könntest du geschickt hier erwähnen:

Es war eine heiße Nacht im Spätsommer vor jetzt mehr als fünfzehn Jahren.

„… kurz bevor du geboren wurdest/als du gerade auf die Welt gekommen bist/als du noch in die Windeln gemacht hast“ :grin: … was auch immer dir gefällt.

Ansonsten würde ich noch empfehlen, die Erzählung des Vaters (? - dachte wegen Gunnarson, er sei der Sohn von Gunnar) nochmal zu straffen auf das Wesentliche. Das ist etwas, was mir öfters aufgefallen ist: Da wir den Erklärbären :bear: ja immer loswerden wollen, tarnt er sich manchmal als Romanfigur und labert dort hemmungslos.
Würde gut abwägenn, welche Info einer Geschichte notwendig ist (Verständnis, Emotion) und welche man weglassen kann.

Hier mal eine gekürzte Version, erstellt aus deinem Text:

„Es war eine heiße Nacht im Spätsommer vor jetzt mehr als fünfzehn Jahren. Der vorangegangene Winter war der schlimmste, den dieses Dorf je erlebt hatte. Unsere Vorräte schmolzen. Und nachdem sich das Eis endlich vom Meer verzogen hatte, hinderte uns Sturm wochenlang daran, mit den Booten zum Fischen hinauszufahren. Wir litten Hunger, der uns zwang, viele Tiere zu schlachten.“ Gunnar lauschte auf das Grunzen aus dem Stall.
„Bis dahin hatten wir Thor in jedem Frühling Rinderbullen und Eber geopfert. Doch zur Sicherung unsere kleinen Herde entschied sich die Dorfgemeinschaft in jenem Frühjahr dagegen. Wir Männer sagten, Thor werde auf seinen Hammer und seinen Kraftgürtel vertrauen und uns ohne Opfergaben schützen. Wir versprachen uns, spätestens im Herbst den Göttern durch umfangreiche Opfer zu gefallen.“ Gunnar wiegte seinen Kopf und senkte den Blick. Im Feuer brach ein Holzscheit und sprühte Funken.
„Dem Winter folgten ein trockener Frühling, dann ein heißer Sommer. Eines Abends ruhte ich erschöpft auf meinem Lager. Tagsüber hatte der Kiefernwald hinter dem Dorf gebrannt. Ich hatte gemeinsam mit allen anderen Männern den Tag damit verbracht, die Flammen zu erschlagen. Wir hätten den Brand besser als eine Warnung verstanden, die Thor uns geschickt hatte. Aber ich deutete keine Zeichen, sehnte mich nach Schlaf. Das Schwert, das vor langer Zeit Drachenglut benannt wurde, lag neben meinem Bett. Ich war jung und verehrte die Waffe, den blanken Stahl, den kühlen Griff.“
Horik löste seine Augen vom Gesicht des Vaters. Die Schwertklinge blitzte.
„Drachenglut! Du hast mir bis heute seinen Namen nicht genannt. Warum Drachenglut?“
„Der Schmied, der das Schwert für meinen Vater schuf, hat es so benannt. Er schlug den glühenden Stahl in seiner Esse, da fauchte das Schmiedefeuer so laut und wild, als habe ihm ein Drache Leben eingehaucht. Dein Großvater hat das Schwert geliebt. In meinem Besitz behielt Drachenglut seinen Namen, den es seit zwei Menschenaltern trägt.“
Drachenglut fesselte Horiks Blick. Die Klinge glühte im Widerschein des Feuers. Sie war armlang, handbreit und zweiseitig geschärft, verjüngte sich zu einer kurzen Spitze. Der Schmied hatte den Griff zu einer eisernen Kordel geformt und ihn an seinem Ende mit einem Bronzeknauf versehen. Die Parierstange trug über und unter der Klinge jeweils drei Verzierungen. Thorshammer, die ebenfalls aus Bronze gearbeitet waren. In Horiks Bauch kribbelte es. Drachenglut berührte sein Herz. Es pochte in seinem Hals.
„Die Alarmglocke schlug.“ Gunnars Stimme drang wie durch einen Nebel. „Es war Thoralf. Wir fanden ihn über dem Glockengerüst hängend. Der Kopf war ihm abgeschlagen worden und verschwunden. Knuts Vater entdeckte ihn nach einigen Tagen in der Bucht. Zumindest das, was die Fische davon übrig gelassen hatten.“ Gunnar seufzte. Er stocherte mit einem Ast in der Glut und schob einen verkohlten Holzscheit beiseite. Funken tanzten über der Feuergrube.
„Drachenglut lag in meiner Hand, bevor der erste Glockenschlag verklungen war. Mit dem zweiten Schlag barst die Haustür. Ich sprang auf.“
Horik löschte Glutspritzer auf seiner Hose, ohne den Blick von Gunnars Lippen zu lösen.
„Vielleicht läutete die Glocke ein drittes Mal. Ich hörte nur das Wimmern deines Bruders, das Kreischen deiner Mutter, das Brüllen der vier Riesen. Sie stürmten in unser Haus. Ich brüllte. Stürmte mit erhobenem Schwert auf die Riesen zu. Zwei pirschten auf deine Mutter zu. Sie drückte den kleinen Gunnar fest an sich und schrie mit einer Stimme, die nicht von dieser Welt schien. Ich wirbelte im Kreis herum und schlitzte den beiden Riesen die Bäuche auf.“
Gunnars biss die Zähne zusammen. Sein Atem zischte. Er ballte die Fäuste. „Ich wollte den anderen über der Hüfte spalten. Holte seitlich Schwung. Aber er fing den Streich mit seiner Axt auf. Der Aufprall der Klinge an seiner Waffe ließ mich straucheln. Halb kniend würgte ich Drachenbluts Schneide aus dem Schaft der zuckenden Axt, raffte mich auf, um mit dem Schwert voraus auf den Feind zuzustürzen. Da traf mich sein schwarzer Blick. Er lenkte mich zu Gudrun und Gunnar. Einer der weiteren Riesen hatte Gudrun von hinten mit seinem Pelzarm umfasst. Ihre Beine strampelten in der Luft. Mit der anderen Pranke hielt er ihr ein langes Messer unter die Kehle. Sie hatte unser Kind nicht mehr in den Armen. Das letzte Ungeheuer hatte es Gudrun entrissen, schaukelte den kleinen Gunnar im Arm, drückte die Spitze der Klinge in das Hemdchen über dem Babybauch. Er fauchte und schrie mich an. Ich hörte die einzelnen Worte nicht. Zu laut rauschte das Blut in meinen Ohren. Aber ich verstand die Aufforderung, mir den Jungen zu holen!“
Horik leckte sich mit der Zunge über die Oberlippe und starrte Gunnar mit offenem Mund an.
Hier habe ich den Abschnitt ganz gelöscht, du hast ausgrechnet die entscheidende Stelle nicht im Dialog gezeigt, da würde ich dringend 2 oder 3 Sätze empfehlen!
„Ich zerrte Drachenglut aus dem fetten Hals. Die Gestalt stürzte wie ein gefällter Baum auf mich zu, umklammerte Gunnar. Ich sprang zur Seite, da traf ein Schlag meinen Kopf. Dann herrschte Stille und tiefste Nacht!“
Rinnsale brannten auf Horiks Lippen. Er trocknete das Gesicht mit dem Unterarm und schluckte die Tränen.
„Auch ich habe geweint, Horik, als ich am nächsten Tag die Augen öffnete und deine Mutter erblickte. Sie hatte keine Stimme, flüsterte nur. Und was sie mir berichtete, ließ mich verstummen. Alle männlichen Kinder im Dorf waren von den Riesen ermordet worden, der alte Thoralf und fünf weitere Männer. Fygga, die Schwester deiner Mutter. Alle tot.“ Gunnar legte die Faust um den Thorshammer an seiner Halskette.
„Sie raubten nichts, sie brandschatzten nicht, sie nahmen keine Gefangenen. Sie verschwanden geisterhaft, wie sie gekommen waren. Zurück blieben zerstörte Familien, ermordete und verletzte Männer, Kinder und Frauen.“
Gunnar verstummte. Horik hörte sich schlucken. Er suchte nach Worten, aber fand nichts, was sein Grauen beschrieb. Ein Balken ächzte und zog Gunnar zurück in die Gegenwart. Er verengte die Augen und heftete den Blick auf Horik.
„Jene Nacht hat die Dorfgemeinschaft etwas gelehrt. Unser Heil besteht in der Arbeit auf dem Hof und auf dem Feld. Durch den Pflug und den Stall sichern wir die Opfer für Thor. Er bekämpft mit seinem Hammer die Riesen. Er hält sie fern, nicht das Schwert! Hätten wir das früher schon erkannt, lebten Klein-Gunnar und all die anderen heute unter uns. Uns wäre Schreckliches erspart geblieben!“

Soweit reicht das inhaltlich. Die Emotionen des Erlebten kommen durch die Erzählung und das Beiwerk scharf genug an, weswegen ich Details, wie Haare, die iwo hingen etc. mit gestrichen habe.
Schreiben kannst du gut, du baust schön die Umgebung (Funken des Feuers z.B.) und Mimik usw. mit ein, ich war richtig mit dabei am Feuer. Nur die Geschichte ist etwas zu ausführlich gewesen.
Wichtig ist ja, was vor allem im Hier und Jetzt mit deinem Prota passiert. Eine längst vergangene Geschichte zu erzählen als Einstieg ist damit nicht gerade das spannendste. Dir gelingt es aber, das sehr lebendig und glaubwürdig rüberzubringen, dennoch gewinnt es eher, wenn man es noch strafft - nach meiner Ansicht.

Der Prota (POV) ist vermutlich der Junge.
Dazu noch etwas: Am Anfang gehst du wie ein allwissender Erzähler rein. Man nimmt an, der Vater seit die Hauptfigur, später gehst du in den Jungen.
Da würde ich dir empfehlen, von Anfang an den Jungen zu wählen.

Dein Satz: Gunnar winkte Horik zu sich an die Feuergrube in der Mitte des Wohnraums.
Vorschlag: Horik wurde von seinem Vater Gunnar an die Feuergrube in der Mitte des Wohnraums gewunken.
[Ja, hier ist der Passiv angebracht, weil er die Perspektive richtig kennzeichnet. „Er ging hin (Prota).“ „Er kam auf ihn zu. (Nicht-POV)“.

Ansonsten habe ich das gern gelesen. :wave:t2:

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Ich schließe mich Gwendy hier an. Besonders der Punkt, dass der Vater vorher lang und breit Details aus der Vergangenheit berichtet, die zwar für Stimmung und Setting sorgen, doch nach meinem Empfinden in der Häufung etwas too much sind und dann der eigentliche dramatische und emotionale Höhepunkt der Geschichte, nämlich die Ratlosigkeit, was zu tun ist, der Kampf und schließlich der Tod des Sohnes zu einem lapidaren Infodump-Absatz zusammengedampft ist. Hier läge so viel dramatisches Potenzial, Gelegenheiten zur Charakterisierung des Vaters, doch es ist eine emotionslose Beschreibung wie ein Polizeiprotokoll.
Das habe ich nicht verstanden, ob da eine bestimmte Absicht dahintersteckt oder du vielleicht dir eine genaue Beschreibung der grausamen Kindsmordszene ersparen wolltest.

Zwei Ungereimtheiten sind mir noch aufgefallen:

  • 4 Riesen stürmten das Haus. 2 davon schlitzte er den Bauch auf. Mit dem schiefen Riesen kämpft er, der auf zwei weitere Riesen zeigt, die Mutter und Kind in ihrer Gewalt haben. Da komme ich auf summa summarum 5 Riesen, oder ich habe irgendwas falsch verstanden.
  • Vom beschriebenen Zeitablauf her, müsste Horiks Mutter unmittelbar nach Gunnars Geburt wieder schwanger geworden sein und in der Blutnacht etwa so im 6. Monat mit Horik gewesen sein. Das wird aber nie thematisiert. Böte ja auch einen neuen Zwiespalt in der Entscheidung Gunnar zu retten oder Frau und Ungeborenes. Ist das mit Absicht erfolgt?
  • Die wechselnden Perspektiven hat @Gwendy ja schon angesprochen. Ich würde auch den ersten Absatz umformulieren, im Moment ist er eher so meh und man hat keine zweiten Chancen für einen ersten Eindruck. Vielleicht eher so (Horik als Prota und Ich-Perspektive):
    Über die Blutnacht wurde im Dorf nicht gesprochen.
    Wir Jungen tuschelten darüber, doch die Alten wurden verdrießlich und schwiegen eisern, wenn davon die Rede war. Ich hatte meine Mutter gefragt, doch sie schüttelte nur den Kopf, brach in Tränen aus und drehte sich zu ihrem Essen auf der Kochstelle. Vater wurde zornig und schlug mir mit dem Handrücken ins Gesicht.
    „Wage es nicht, noch einmal davon zu reden“, brüllte er.

Soweit meine Anmerkungen - und der übliche Disclaimer: Nimm dir davon, was du brauchst und ignoriere, was nicht passt. :slightly_smiling_face:

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Danke Silla, Dein Kommentar und weitere sagen mir: Es muss anders starten, um dem Drama gerecht zu werden!

Liebe Gwendy, oh, Du bist ganz tief eingestiegen. Ich weiß das und die Ratschläge sehr zu schätzen. Du wirst die Anmerkungen hoffentlich einmal in gedruckter Form umgesetzt vorfinden!
Und: Ja, viele Gunnars sind da unterwegs, da es üblich war, den Erstgeborenen nach dem Vater benennen. Aber ihre Anzahl reduziert sich dann recht schnell, was ich beim Schreiben recht traurig fand…

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Hallo RalfG, ich danke Dir! Einem Riesen wird der Bauch aufgeschlitzt, dem Kindesmörder fährt „Drachenglut“ in den Hals. Einer ist der „Schiefe“, der den Streich mit seiner Axt abfängt, einer lässt dann von Horiks Mutter ab. Es sind also zunächst vier, zwei verlassen lebend das Haus der Familie. Der Hinweis auf die Schwangerschaft ist sehr angebracht. Tatsächlich ist das so, was ja die Dramatik verstärkt, wenn ich es ausführe. Werde ich. Horik erlebt also seinen ersten Kampf bereits im Mutterleib. Er wird noch viele Kämpfe auf seiner Heldenreise bestehen, ich noch viele mit meinem Text, daher: Danke noch einmal für die Unterstützung!

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Ach so, er wollte zwei Riesen den Bauch aufschlitzen, aber es ist ihm nur bei dem einen gelungen! Das habe ich falsch verstanden.
Wäre ja sonst auch seltsam gewesen. Wenn 4 Riesen reingehen, aber 5 rauskommen, müsste ja ein Riese wieder reingehen, damit das Haus dann leer ist. :partying_face:

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:joy:

Tut mir leid aber mir ist die Geschichte zu blutig. Ich weiß aber, dass das Geschmackssache ist.
trotzdem abgesehen vom Anfang, nicht schlecht.
Lyrikfan11

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Durch den Rauchabzug werden es keine Schneeflocken nach unten schaffen. Die schmelzen vorher.

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na ja, durch den Abzug können die Flocken schon taumeln. Der Rauchabzug in einem Haus der frühen Wikingerzeit war ja im Prinzip nur ein Loch im Dach, kein Schornstein oder Kamin. Die Frage ist, wie weit sie es Richtung Boden schaffen.

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Oh, es ist ein Jahr her, dass ich euch um Feedback gebeten habe. Ich habe die Kommentare sehr ernst genommen und sie sind in viele weitere Arbeitsschritte eingeflossen. Meine Entscheidung heute, nach Jahren der Entwicklung des Romans und jetzt rund 500 Normseiten: Fertig! Sobald meine berufliche Situation es zulässt, werde ich auf Verlagssuche gehen. Im zweiten Schritt bleibt ja das „Selbstverlegen“, für das die Mitglieder dieses schönen Forums viele hilfreiche Infos platziert haben. Jetzt bin ich erst einmal sehr zufrieden mit mir und dem Ergebnis. Danke nach so langer Zeit noch einmal, ich werde euch gern weiter informieren, ob und wie mein Wikinger-Roman in die Öffentlichkeit gelangt.

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:clinking_glasses::champagne: Glückwunsch. Ich freue mich für dich.

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Auch ich gratuliere zum fertigen Werk!

Es gäbe auch noch die Möglichkeit einer Literaturagentur, die für dich auf Verlagssuche geht.

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ja, das ist wohl richtig. Schritt 3 wäre das Selbstverlegen. Es ist mir auf jeden Fall ein Bedürfnis, den Roman zu veröffentlichen. Es steckt so viel Arbeit, Freude, Hilfe darin.