Kapitel 1
Ein Signal?
Lara Jensen starrte auf die blinkende Anzeige, das Summen der Geräte schien plötzlich lauter. Mit zitternden Fingern rief sie die Daten auf den Monitor. Eine Wellenform erschien – präzise, gleichmäßig. Nicht die chaotischen Muster, die sie gewohnt war.
Ihr Herz pochte, während sie die Frequenz überprüfte: ein enger Bereich, fast frei von Hintergrundrauschen. Das ist kein Zufall, dachte sie. Die Amplituden waren zu regelmäßig, der Takt schien fast absichtlich gewählt. Ihre Hand schwebte kurz über der Tastatur, bevor sie die Dekodierungssoftware aktivierte. „Mal sehen, was du bist“, murmelte sie leise.
Die Software begann zu arbeiten. Zuerst analysierte sie, ob die Signatur auf bekannte astrophysikalische Phänomene passte – Pulsare, Magnetar-Eruptionen, quasiperiodische Röntgenstrahlung. Nichts passte. Lara fügte zusätzliche Filter hinzu, ließ die Daten durch einen Algorithmus laufen, der interstellare Störquellen wie Sonnenwinde und kosmische Mikrowellenstrahlung ausschloss.
Langsam entstand ein Bild – Symmetrien, die zu geordnet wirkten. Eine Reihenfolge aus Spitzen und Tälern, die fast wie eine Frequenzmodulation anmutete. Lara spürte, wie sich die Härchen auf ihren Armen aufstellten. Das war anders. Bewusst.
Ein Klopfen riss sie aus ihrer Konzentration. Die Tür öffnete sich, und Frau Kowalski trat mit ihrem Putzwagen ein. „Guten Morgen, Dr. Jensen. Alles in Ordnung?“
Lara atmete kurz durch, um ihre Fassung wiederzufinden. „Ich bin mitten in etwas Wichtigem. Könnten Sie später noch mal kommen?“
Frau Kowalski musterte sie kurz und nickte dann. „Natürlich, ich störe nicht länger.“
Die Tür schloss sich wieder, und die Stille kehrte zurück. Lara starrte erneut auf die Wellenform. Das Signal pulsierte weiter. Sie setzte eine Analyse auf, die modulare Strukturen und mögliche Wiederholungen prüfen sollte.
Dabei huschte ihr Blick zu dem alten UKW-Radioempfänger. Das Gerät hatte einst ihrem Vater gehört. Sie hatte es behalten, nicht weil es technisch überlegen war – es war altmodisch und schwerfällig –, sondern aus Nostalgie. Oft hatte sie als Kind neben ihm gesessen, während er das Radio reparierte, und seine Stimme war wie das Rauschen aus den Lautsprechern in ihr Gedächtnis eingeprägt.
Sie drehte den Knopf, und die Nachrichten unterbrachen die Stille.
„Bewahrt die Umwelt!“
Die Rufe der Demonstranten drangen aus dem Radio. Transparente mit Slogans wie „Mensch vor Maschine!“ und „Bewahrt die Umwelt!“ wurden auf einem Bildschirm in ihrer Erinnerung lebendig. Eine Rednerin sprach eindringlich: „Wir müssen uns bewusst sein, dass Technologien, die uns helfen sollen, auch zu Werkzeugen der Kontrolle werden können.“
Lara zog die Stirn in Falten, als die vertraute Stimme des Radiomoderators mit ruhigem Ton die Berichte begleitete. Diese Ängste – für sie schienen sie unbegründet. Technologie war ein Mittel zur Erkenntnis, keine Bedrohung. Doch irgendwo in ihr regte sich ein Gedanke: Was, wenn diese Menschen mehr wussten? Was, wenn sie Recht hatten? Sie schob den Gedanken beiseite. Sie hatte jetzt keine Zeit für philosophische Überlegungen.
Das Signal ließ sie nicht los. War es möglich, dass eine fremde Intelligenz etwas an sie richtete? Ein scharfes Piepen zog ihre Aufmerksamkeit zurück. Die ersten Ergebnisse waren da. Ihr Atem stockte, als sie das regelmäßige, komplexe Muster erkannte. Keine Spur von Zufall – die Wellenform wirkte wie eine Botschaft. Sie startete die nächste Analyse, ihre Finger bewegten sich fast mechanisch über die Tastatur. Es würde Stunden dauern, die Daten vollständig zu entschlüsseln. Mit einem Blick auf die Uhr bemerkte sie, dass der Morgen längst angebrochen war. Widerwillig stand sie auf und machte sich auf den Heimweg.
Die Wohnungstür schlug hinter Lara zu, das dumpfe Geräusch hallte in der Stille der frühen Morgenstunden nach. Ihr Atem ging stoßweise, und sie klammerte das Notizbuch an ihre Brust, als hielte sie darin das Geheimnis der Welt verborgen. Das matte Licht der Dunstabzugshaube tauchte die Küche in blasse Schatten, während der abgestandene Kaffeeduft die stickige Luft durchzog. Am Tisch saß David, die Ellbogen abgestützt, eine Hand um die kalte Kaffeetasse gelegt. Neben seinem Stuhl lehnte eine halb gepackte Reisetasche.
„David!“ Laras Stimme zitterte vor Aufregung. „Ich habe etwas Unglaubliches entdeckt!“ Mit fahrigen Bewegungen schlug sie das Notizbuch auf, blätterte hektisch durch die Seiten. „Ein Signal – es ist kein Zufall, ich weiß es! Schau dir das an!“
David hob den Blick, seine müden Augen suchten ihren Gesichtsausdruck, doch seine Schultern blieben angespannt. Ein gequältes Lächeln zuckte über seine Lippen. „Das klingt beeindruckend, Lara. Du bist… voller Energie, wenn du von deiner Arbeit erzählst.“
„Es geht nicht nur um meine Arbeit!“ Ihr Finger glitt über eine wilde Skizze, die sie in der Eile gezeichnet hatte, Linien, die Wellen eines Signals nachahmten. „Das hier – es könnte eine Botschaft sein. Vielleicht ein Kontakt.“ Sie hielt inne, wartete auf ein Aufleuchten in seinen Augen, doch er rührte sich nicht.
„Und was bedeutet das für uns?“ Seine Stimme klang erschöpft, fast tonlos.
„Für uns?“ Laras Stirn legte sich in Falten. „David, das ist ein Durchbruch! Verstehst du? Es bedeutet, dass wir… dass wir vielleicht nicht allein sind! Es ist größer als alles andere!“
Er lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und rieb sich über die Schläfen. „Ich stelle mir eher vor, dass es bedeutet, du verbringst noch mehr Nächte im Labor. Dass ich morgens weiter allein frühstücke. Und irgendwann… bist du so weit weg, dass ich dich nicht mehr erreiche.“
Lara spürte, wie sich ihr Brustkorb zusammenzog. „Das ist nicht fair.“ Ihre Stimme war scharf, bevor sie leiser wurde. „Du weißt, wie wichtig meine Arbeit ist. Das hier… könnte die Welt verändern.“
David schüttelte langsam den Kopf, sein Gesichtsausdruck blieb weich, aber endgültig. „Ja, Lara, das weiß ich. Deine Arbeit war immer wichtiger. Wichtiger als alles andere.“ Er griff nach der Reisetasche, hob sie hoch. „Ich habe dir Raum gegeben. So viel ich konnte. Aber irgendwann braucht auch eine Beziehung Platz. Und den gibt es nicht mehr.“
Ihre Kehle schnürte sich zu. „David, warte… bitte.“ Ihre Stimme brach, als sie einen Schritt auf ihn zuging. „Ich brauche dich.“
Er hielt inne, drehte sich zu ihr um. Sein Blick war voller Sanftmut, aber auch von Entschlossenheit geprägt. „Ich weiß, Lara. Aber ich kann nicht immer der sein, der wartet. Du liebst deine Arbeit. Und ich… bin nur hier.“
Ohne ein weiteres Wort ging er zur Tür, zögerte einen Moment, als wolle er etwas hinzufügen. Doch dann schüttelte er leicht den Kopf. „Ich hoffe, du findest, wonach du suchst.“ Die Tür fiel leise hinter ihm ins Schloss. Lara blieb zurück. Die Stille der Wohnung drückte auf ihre Schultern wie eine Last. Langsam ließ sie das Notizbuch auf den Tisch sinken, zwischen Kaffeeflecken und verstreuten Krümeln. Die Zeilen ihrer Entdeckung verschwammen vor ihren Augen. Was eben noch wie der Schlüssel zu etwas Großem gewirkt hatte, erschien plötzlich hohl. Ihre Finger umklammerten die Tischkante, während sich die Leere des Raumes um sie legte wie ein Schatten. Ihr Blick fiel auf die Kaffeetasse, die er stehen gelassen hatte. Für einen Moment stand sie einfach da, dann drehte sie sich langsam um und ging ins Badezimmer.
Im Spiegel begegnete ihr ein müdes Gesicht. Dunkle Ringe zeichneten sich unter ihren Augen ab, und die Narbe an ihrer Wange wirkte in dem blassen Licht noch schärfer. Sie fuhr mit den Fingern über die dünne Linie – eine Erinnerung an einen Kletterunfall, der sie fast das Leben gekostet hätte. Damals hatte sie überlebt, weil sie kämpfen wollte. Jetzt war nur noch die Arbeit geblieben.
Sie griff nach einem Handtuch, um ihr Gesicht zu waschen, und zwang sich, nicht an David zu denken. Er würde zurückkommen. Oder nicht. Aber das Signal – das war anders. Das war nicht verhandelbar.
Lara ließ sich auf die Couch im Wohnzimmer fallen, zog eine Decke über sich und starrte ins Leere. Ihre Gedanken kehrten immer wieder zu dem Bildschirm zurück. Was, wenn es wirklich eine Botschaft war? Was, wenn es der Moment war, der alles verändern würde?
Ein Funke Hoffnung verdrängte die Leere in ihr. Sie wusste, dass sie in diesen Tagen und Nächten alles geben würde. Was auch immer dieses Signal bedeutete, es würde nicht ignoriert werden.