Passt vielleicht nicht so ganz zum Thema. Ich weiß aber nicht wohin damit. Egal. Beim Einkaufen habe ich die Schwarte von Prinz Harry gesehen. Nun interessiert mich Klatsch und Tratsch von Wer-Sonst-Wem überhaupt nicht, dennoch war ich neugierig, was bei einem solchen Buch wohl auf dem Klappentext steht. Das Buch war eingeschweißt. Vorne drauf: er. Hinten drauf: nix. Leer. Da stand nicht mal was von Biografie oder Autobiografie oder was auch immer.
Kenne das Buch nicht, weiß auch nicht wer dieser Harry wirklich ist (ich kenne nur Dirty Harry), vllt. jemand der NICHTS von einem ANDEREN schreiben ließ.
Vermutlich handelt es sich um einen Prinzen, der in ein fernes, fremdes Land zog, um seine Anvertraute vor der bissigen Verwandtschaft zu schützen. Dort wollte er nett und flix ein wenig Kleingeld verdienen, klappte aber nicht, weshalb er sein Leben von einem Bibliothekar zwischen zwei Buchdeckel pressen ließ. So ungefähr hab ich’s gehört, kann ansonsten aber leider auch nicht weiterhelfen.
Mir kam gerade der Gedanke, einfach so, diese Triggerwarnungen könnten in Wirklichkeit dass sein, was in den frühen 80ern das angebotene Glas Schnaps im Kino war, wenn man Filme wie zB „Die Gesichter des Todes“ schaute: „Sie werden ihn brauchen“, hauchte einem ein Faktotum des Kinos ins Ohr, wenn man die Karte kaufte. Sah selbst aus wie ein Gesicht des Todes.
Und gerade dort, wo sehr inbrünstig die Triggerwarnung verteidigt wird, kommt sie mir vor wie ein Marketing-Gag: Kauft mein Buch, kauft es, denn da gibt es ausgeweidete Kinder, Serienvergewaltigungen, Sex mit Tieren, Steinigungen, Betrug, Suff und böse Blicke!
Kauuuufen!
Damit kann man natürlich Talentlosigkeit zukleistern und in der Bedeutung maßlos überhöhen - machen in der Musik die Tastenstreichler wie zB Olafur Arnalds mit dem Hallpedal. Oder wie Rapstars, die sich selbst ankündigen: Inhaltsleer, schwachbrüstig, bedeutungslos, die Pose gut ausgeleuchtet - aber korrekt getriggert.
Lesen bedeutet immer auch Risiko, so wie Leben. Es gibt mehr Fettnäpfchen, mehr Phobien, mehr Stolperfallen, mehr zu verletzende Gefühle als Sandkörner in der Mohave! Ich selbst habe Lesesperren (zu ‚saftige‘ Thriller und Krimis bspw.), kann aber schon am Klappentext, am Cover oder beim Blick ins Buch erahnen, was mich erwartet. Dennoch hatte ich schon unzählige Fehlgriff-Erlebnisse und habe die Bücher vorzeitig beenden müssen.
Es ist eine faktische Unmöglichkeit, alle möglichen Trigger zu berücksichtigen. Es dürfte nicht einmal mehr ein Bonbon gelutscht werden, weil vielleicht ein Leser ein traumatisches Erstickungserlebnis mit ebensolchem Süßkram hatte. Die teils übertriebene Selfcare- und Achtsamkeitsbewegung hat überdies viele ‚Lenor‘-Leser hervorgebracht, die mit Nesselausschlag auf eine Szene reagieren, in der ein Hund gegen den Strich gestreichelt wird.
Generell trifft das auf sämtliche Medien zu, denn was Plattform-Filter oft an wirklich brutalem Video-Dreck durchlassen, ist ohne Beispiel!
Ja, ich zum Beispiel. Wäre als Kind fast an einem Lutschbonbon erstickt. Zum Glück gibt es keine Lutschbonbongeschichten, oder? Ich kriege jedes Mal einen weiteren Erstickungsanfall mentaler Art, wenn ich über dieses Warnzeugs stolpere.
Wie war das damals in der Kindersendung? „Achtung, jetzt kommt ein Karton!“
Wieder merke ich, wie alt ich bin. Das war der Cartoon-Opener einer Kindersendung, für die ich damals geschätzte zwanzig Jahre zu alt war.
Ich glaube, nicht die Warnhinweise sind wichtig, sondern eine gewisse Selbstkritik, Eigenkontrolle und Sensibilität von Selfpub-Schreibenden, die ohne Lektorat und Testleser veröffentlichen. Manchmal wäre es doch gut, wenn zuvor eine (besser mehrere) neutrale Meinungen eingeholt würden. Nicht alles, was man sagen kann, muss auch gesagt werden. Weniger ist oft mehr – insbesondere dann, wenn es der Story nicht dient.
Doch. Bald. In meinem Kinderabenteuer gibt es ein stark autobiografisch geprägtes Kapitel „Das Lutschbonbon des Todes“. Eine bestimmte Sorte Bonbons spielt während der gesamten Geschichte eine Rolle. Ich habe vorsorgtlich eine schriftliche Genehmigung des Herstellers, die Marke auch im Buch zu erwähnen und zu benennen. Bis zum Frühjahr musst du dich aber noch gedulden.
Es gibt da für mich zwei Fälle, einmal der Genrebruch und einmal die explizite Sprache.
Genrebruch:
Wenn ich Romantik kaufe, möchte ich gewisse Themen nicht lesen. Im SP Bereich kann man ja die Genres brechen, wie man will und könnte eine Romantik andeuten und bei sexueller Gewalt enden. Wohlfühl-Dorfroman endet in sadistischer Tierquälerei? Wer hält einen auf? Das fände ich ohne Warnung tatsächlich daneben. Lesen ist für viele auch ein Rückzugsort und sie suchen sich absichtlich butterweichen Lesestoff. Da sollte aus meiner Sicht der Bruch angedeutet werden (Cover, Titel, Klappentext, Genrewahl).
Explizite Sprache:
Das Problem (scheint mir) ist weniger die Erwähnung gewisser Themen, sondern die Ausarbeitung. Wenn ein Kommissar nüchtern erwähnt, dass das Pony gequält wurde, hier ist Blut, da sind Spuren, alle nicken… dann kommt einem das nicht nahe. Wenn aus der Ich-Perspektive die Quälerei anschaulich und konkret beschrieben wird, hat das eine ganz andere Wirkung. Da könnte man schon einen Hinweis bringen, dass es bisschen härter wird.
Ich könnte ja Thriller und Ponys mögen und zufällig in eine verstörende Leseerfahrung geraten.
Bei Streamingdiensten ist das ja längst Usus, da steht am Anfang oft: explizite Sprache, Alkohol, Drogen, sexuelle Gewalt etc., zusammen mit einer Altersempfehlung. Bringt niemanden um. Es sind vermutlich 5 bis 10 Begriffe und die Aufregung nicht wert. Das sind alles Einzelfallentscheidungen und die werden dann relevant, wenn ich einen Text schreibe von dem ich selbst sage: OK, der ist vielleicht etwas krass. Dieser Hype, alles zu markieren, wird schnell abflachen und ist nur zum Aufregen ganz nett.
Das liest sich jetzt schon so, als ob das Für und Wider Triggerwarnungen wirklich mehr bei SP verortet ist, wo es keine Qualitätskontrolle gibt und wo, wie sie selbst vollmundig auf Threads behaupten, so manche:r Autor:In mehr als zehn Bücher pro Jahr schreiben, setzen, auf die Plattformen hochladen, bewerben und verkaufen.
Das ist - im weitesten Sinne - thematische Einhandliteratur, die ständig, ununterbrochen um Aufmerksamkeit heischt, aufgeregt hochhüpft wie ein Kind in der Menge, um wahrgenommen zu werden.
Da schließt sich für mich auch der Kreis zum Beitrag von Andreas E., der sinngemäß meinte, es sei früher, so wie das Leben selbst, in der Eigenverantwortung des Käufers gelegen, ein Buch zu er- und überleben.
Bei SP auf zB Amazon weiß man grundsätzlich ja schon bei der Leseprobe, dass das nur sprachlich und stilistisch und thematisch ungelenker Stuss kommen kann, dass das Lektorat, die Qualitätskontrolle vollkommen fehlen - und es ist eben wie die berühmte Schachtel Pralinen: Man weiß nie, was man bekommt.
Hier auf Triggerwarnungen zu pochen, ist wie Rufen in der Wüste. Die Autoren triggerwarnen und das sieht immer so ein bisschen wie ein von Teenagern hingegrinstes „Das wir schmutzig, Alter, ur versaut!“
Und als Leser wühlt man sich, wen man dort nach Büchern sucht, durch den literarischen Morast und tastet sich von Triggerwarnung zu Triggerwarnung.
Verlage sind meist professionell genug, diese Infos in den Klappentext oder im Text „Über den Autor“ unterzubringen (… ist bekannt für…) und da greift das mit der Eigenverantwortung der Leserschaft natürlich auch. Der SP Bereich ist allerdings sehr gemischt. Wenn jemand merkt, dass sein Text nicht für jeden geeignet ist und das verantwortungsvoll kenntlich macht, dann finde ich das gut. Wen das nicht interessiert, kann es ja überlesen.
Es wird niemand gezwungen, seine eigenen Werke zu markieren, also warum über andere aufregen, die es tun…
Als Teenager mit ~ 13 Jahren bekam ich eine wunderschöne Ausgabe von Edgar Allen Poes Erzählungen geschenkt, ein Hardcover mit Illustrationen, Goldschnitt, in Fraktur geschrieben. Kein Umschlag, das Cover war einfarbig dunkelbraun, hatte keinen Klappentext und nix.
Ich kannte Poe bis dato noch nicht, die Geschichten trafen mich völlig unvorbereitet, und einige davon waren heftig genug, um mich bis in meine Träume zu verfolgen. (‚Das Fass Amontillado‘ finde ich bis heute echt schauerlich).
Triggerwarnungen für darin enthaltenen Wahnsinn, Morde und vielfältige Grausamkeiten gabs natürlich nicht, meine Mutter meinte nur, wenn mir eine Geschichte zu schlimm wäre, müsste ich sie ja nicht zuende lesen.
Ich habe deswegen kein Trauma davongetragen und finde Poe zwar mittlerweile etwas angestaubt, aber noch immer irgendwie faszinierend.
Soll heißen, noch vor ein paar Jahrzehnten wäre niemand auch nur auf die Idee gekommen, entsprechende Bücher derart zu kennzeichnen. Demzufolge war es sehr oft eine Überraschung, was sich zwischen den Buchdeckeln befand, nicht immer eine angenehme, aber auch das gehörte zum Reiz des Lesens dazu. Man hat ein Buch aufgeklappt, oft ohne zu wissen, wohin die Reise gehen wird. Und genau das möchte ich noch immer vorfinden, wenn ich heute ein Buch öffne.
Wenn ich mir vorstelle, dass man heute ein Buch vor dem Kauf möglichst genau ausdefiniert haben möchte, es sich haargenau an die Vorgaben des Genres halten muss und man wissen will, wie es endet, noch bevor man es auch nur aufgeschlagen hat, finde ich das zutiefst schade und immens langweilig.
Noch wird niemand gezwungen, aber indem man diesem Trend blindwütig folgt und für jedes ‚verdammte Scheiße‘ bereits eine Triggerwarnung voranstellt, wird genau der Boden bereitet, der dann irgendwann zum Zwang führen kann.
Es ist so schön, dass es noch Menschen gibt, die sich nicht in einer lila Sitzgruppe umbringen (in memoriam: Loriot). Danke, liebe @Yoro für diesen Beitrag.
Ich finde, das Thema wird sehr viel heißer gekocht, als es serviert wird.
Einige missbrauchen Trigger, um sich zu promoten? Wenn man sich eh nicht für die Warnungen interessiert kann es einem doch egal sein.
Diese Dystopie, dass wir bald alle gezwungen sein werden, alle Inhalte bis ins Detail zu markieren, kann ich nicht verstehen. Gerade im SP Bereich werden viele Freiheiten bleiben. Die Leserschaft, die ohne Kennzeichnungen die Bücher nicht anliest, verliert man dann halt. Na und? Das kann doch jeder für sich entscheiden.
Ich kann anerkennen, das Personen explizite Inhalte vermeiden möchten. Sexuelle Gewalt, Sadismus, Missbrauch… wenn jemand über sowas schreibt und es nicht schafft, das im Klappentext anzudeuten, habe ich dafür wenig Verständnis.
Ist ja eine freie Kunst. Und wen interessiert, ob ICH dafür Verständnis habe? Das muss jeder mit sich selbst klären… und gleichzeitig andere in Ruhe lassen, die ihre expliziten Texte lieber markieren.