Tödliches Geheimnis Überarbeitete Version
Am Stadtrand von Nürnberg, im Knoblauchsland, nahe dem Flughafen, lag ein heruntergekommener Bauernhof, der leicht übersehen werden konnte. Zwei große Geräteschuppen und ein paar rostige Stahlcontainer standen verstreut auf dem Gelände, umgeben von einem hohen Maschendrahtzaun. Der erste Eindruck: Hier wurde eher Müll als wertvolle Gegenstände gelagert. Am Eingang hing ein verwittertes, handbemaltes Schild:
„Antiquitätenhändler Werner Vogt & Franz Hohlfeld. Ankauf von Einrichtungsgegenständen und Wohnungsauflösungen.“
Michael und Jon wechselten einen skeptischen Blick. „Das sah nicht besonders vertrauenerweckend aus“, murmelte Jon, während er den Wagen durch die Einfahrt lenkte. Die Reifen knirschten auf dem unbefestigten Boden, bis das Auto inmitten des chaotischen Hofes zum Stehen kam. Kein Mensch war in Sicht, nur die weit geöffneten Scheunentore, hinter denen Berge von Gerümpel lagen. Jon öffnete die Wagentür und stieg aus. Kaum hatte er den Boden berührt, stürmte ein Schäferhund um die Ecke des Hauses, der an einem Laufseil hing, das über den ganzen Hof gespannt war.
Ein scharfer Pfiff stoppte ihn sofort. Der Hund setzte sich vor Jon und musterte ihn mit wachsamen Augen. „Gute Entscheidung“, flüsterte Jon ihm zu, „sonst wärst du jetzt tot gewesen.“
Aus einem der Container trat Werner Vogt, ein grobschädliger Mann mit fettigem Haar und einem Bart, der weit über die Drei-Tage-Grenze hinaus wucherte. Seine abgetragene Arbeitskleidung schien seit Wochen keine Waschmaschine mehr gesehen zu haben, und er verströmte einen beißenden Geruch von Zigarettenrauch, Bierdunst, gewürzt mit Knoblauch und altem Schweiß.
„Da hatten Sie wohl Glück“, knurrte er. Seine Stimme klang rau und abweisend.
„Knapp“, erwiderte Jon kühl, während Michael langsam aus dem Wagen stieg. Werner musterte die beiden Männer misstrauisch, bevor er in übertrieben freundlichem Tonfall fragte: „Was kann ich für Sie tun?“
„Ich suchte ein Gemälde“, begann Michael. „Etwas Rustikales für meinen Vater, der in die USA ausgewandert ist. Er stand auf bäuerliche Szenen – Berge, Kühe, sowas in der Art.“
„Das dürfte kein Problem sein“, sagte Werner und deutete auf eine der überquellenden Scheunen. „Dort hinten an der Wand lehnt ein Haufen alter Bilder. Schauen Sie sich in Ruhe um. Ich bin in meinem Büro, falls Sie mich brauchen.“ Ohne ein weiteres Wort verschwand er wieder in seinem Container.
Michael und Jon gingen in die staubige Scheune. Sonnenstrahlen, die durch die Ritzen der Wände fielen, ließen den Staub wie winzige Funken in der Luft tanzen. Der Geruch von altem Holz, Moder und Katzenpisse hing drückend im Raum. Michael nieste mehrmals hintereinander und fluchte leise.
„Hoffentlich finden wir schnell, was wir suchen. Ich muss hier raus“, murrte er.
„Reiß dich zusammen“, knurrte Jon, während sie sich vorsichtig zu den gestapelten Gemälden begaben, um nicht in einen der zahlreichen rostigen Nägel zu treten, die auf dem Boden verstreut lagen. „Es ist nur Staub.“
Die Bilder standen dicht hintereinander aufgereiht auf ausgedienten Paletten, jedes Einzelne schien seit Jahren nicht mehr berührt worden zu sein. Jon zog ein Bild nach dem anderen hervor, eins dreckiger als das andere. Immer mehr Staub wirbelte auf.
„Hier war schon ewig keiner mehr dran“, stellte Michael ungeduldig fest. Jon seufzte tief.
„Die Wohnungsauflösung war vor drei Wochen“, hakte Michael nach. „Es sollte nicht so verstaubt sein.“ Schließlich gab Jon auf. Er konnte der Logik seines Bruders nichts entgegensetzen.
„Das gesuchte Bild ist nicht dabei, definitiv“, sagte Jon schließlich resigniert.
„Uns bleibt nichts anderes übrig den Typen direkt danach zu fragen“, sagte Michael.
Sie verließen die Scheune und gingen zu dem Container zurück, der als Büro diente. Werner stand schon wieder im Türrahmen, die Arme verschränkt. „Nichts gefunden?“, fragte er knapp.
„Nein“, antwortete Jon ebenso kurz. Werner zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Schade, ich hätte Ihnen gerne etwas verkauft.“ Er wollte sich gerade umdrehen, als Jon ihn erneut ansprach.
„Moment, eine Frage hätte ich noch. Sie haben doch vor drei Wochen die Wohnung von Frau Seifert ausgeräumt, richtig?“
Werner erstarrte, seine Augen verengten sich. „Und? Haben Sie ein Problem damit?“
Jons Tonfall blieb ruhig, aber bestimmt: „Was ist mit dem Gemälde passiert, das im Wohnzimmer hing?“
In diesem Moment trat Franz Hohlfeld, Werners Partner, aus dem alten Bauernhaus am anderen Ende des Hofes. Er hatte das Gespräch offenbar mitgehört. Die Erwähnung des Gemäldes ließ beide Männer sichtlich nervös werden. Ihre Mienen verhärteten sich, als wäre ein unangenehmes Geheimnis aufgedeckt worden.
„Das haben wir entsorgt. Wir haben genug von dem Schrott“, sagte Werner schließlich, doch seine Stimme verriet ihn. Etwas stimmte nicht.
Michael und Jon tauschten einen zustimmenden Blick aus. Sie wussten beide, dass hier mehr im Spiel war, als die Männer zugeben wollten. Die Spannung im Hof war greifbar, als sich eine drohende Stille ausbreitete.
Die beiden Männer musterten Michael. Mit seinem Pferdeschwanz, den Bikerklamotten und seiner coolen Ausstrahlung schien er der Gefährlichere von beiden zu sein. Sie ahnten jedoch nicht, dass Jon eine erstklassige Ausbildung bei den Navy Seals hinter sich hatte und sich bereits in mehreren Kampfeinsätzen bewiesen hatte. Jon bemerkte sofort, wen sie als Ziel ausgewählt hatten, und seine Wut kochte hoch. Sein Beschützerinstinkt setzte ein, und er ballte die Fäuste.
Als Werner schließlich auf Michael losgehen wollte, war Jon schneller. Er warf sich dazwischen und landete mehrere gezielte Schläge, die Werner taumeln ließen. Der Mann sank auf die Knie und versuchte mehrfach, wieder aufzustehen, fiel jedoch immer wieder vornüber auf sein Gesicht, bis er schließlich aufgab und reglos liegen blieb.
Franz, der Werner zu Hilfe eilen wollte, hatte noch weniger Glück. Als er heranstürmte, stellte Michael ihm einfach ein Bein. Franz flog kopfüber gegen die hölzerne Treppe, die ins Büro führte, nahm sie auf die Hörner und blieb bewusstlos liegen.
Im Container tobte der Hund, riss den Schreibtisch mit sich, an dem er angebunden war, und räumte dabei Computer, Papiere und alles andere, was auf dem Tisch lag, ab und blieb schließlich, mit dem Schreibtisch verkeilt, im Türrahmen stecken. Seine Leine reichte gerade so weit, dass er Franz erreichen konnte, der immer noch bewegungslos auf der Treppe lag. Er begann das Blut abzulecken, das Franz aus einer Platzwunde am Kopf über das Gesicht lief.
Jon konnte sich ein Lachen nicht verkneifen und rief dabei laut: „Was für ein Chaos!“
Werner hatte sich inzwischen soweit erholt, dass er erneut versuchte, aufzustehen. Diesmal schaffte er es nach dem zweiten Anlauf und stand danach auf wackligen Beinen. Offenbar hatte er aus der Lektion nichts gelernt und ging erneut zum Angriff über. Orientierungslos stürmte er an Jon vorbei und landete in einem Haufen Schrott aus Kotflügeln und Motorhauben, die mit einem riesigen Getöse über ihm zusammenkrachten.
Danach herrschte kurz Stille. Die Vögel begannen wieder zu zwitschern, und in der Ferne konnte man das Grollen einer 707 hören, die ihre Triebwerke auf Vollschub brachte und die Startbahn entlang rollte. Sie hob weich ab und schwebte majestätisch über das Knoblauchsland, in einer Rechtskurve gen Süden.