Eigentlich wollte ich meine Mafia-Geschichte dieses Jahr als Selfpublisher veröffentlichen. Dann kam zuerst Corona und danach die Super-Idee für das Ende meines Fantasy-Romans.
Und nun sitze ich vor den ersten Kapiteln meines Krimis und finde sie abwechselnd sehr gut oder sehr schlecht.
Um es gleich zu schreiben: Ich bilde mir ein, einen Krimi geschrieben zu haben, aber ausnahmslos alle Testleser gaben mir das Ding als Thriller zurück.
Während des Schreibens stellte ich fest, dass ich einen Charakter habe und sich dieser in meinem Schreibstil wiederfindet. Es handelt sich nicht um Comedy, wie es die ersten Zeilen vermuten lassen. Nein, die Geschichte versucht durchaus ernst zu bleiben, ohne sich selbst zu ernst zu nehmen.
Ich würde mich über ein paar Meinungen sehr freuen. Vor allem würde mich interessieren, ob dieser Anfang Lust auf mehr macht oder nicht.
Hi tomP, ich finde es immer wieder faszinierend, dass manche Autoren zwischen den Welten (ak Genres) wandern können. Von Fantasy zu Krimi.
Erst mal die Rückfrage: Wäre es schlimm, wenn du einen Thriller statt eines Krimis geschrieben hättest?
Zuerst fällt mir auf, dass du eine Art Plauderton benutzt. Das erinnert mich an diese amerikanischen Detektivromane aus den 1950ern (die später mit Humphrey Bogart u.a. verfilmt wurden). Vermutlich kommt es daher beim mir als Leser auch so an, als ob du eher eine Komödie oder mit Augenzwinkern schreibst denn mit Ernst. Das verhindert, dass bei mir Spannung aufkommt.
Ich habe Probleme mit dem Text. Das liegt u.a. daran, dass ich den zweiten Abschnitt überhaupt nicht verstehe. Im ersten dachte ich zuerst, dass die beiden Lisas tote Eltern finden würden. Vermutlich liegt das an zu vielen Andeutungen, die du bringst. An deinen vielen Sprüngen.
Mehrere Punkte fallen mir auf:
Ich finde es komisch, dass ein Rezeptionist, der erst noch seine Kleidung quasi durch Zuknöpfen in Ordnung bringt, dann die „Kammerjäger“ gleich bedroht. Vielleicht fehlen mir hier noch Hintergrundinformationen, aber diese kleine Geste passt nicht zu seinem Auftreten kurz danach, finde ich. Das hat etwas Akkurates. Die Drohung was von einem Schläger.
Meinst du, dass eine alte Dame, die gerade eine heftige Schlägerei beobachtet, „kleinlaut protestierend“ die Hotellobby verlässt? Würde sie nicht völlig anders als „kleinlaut protestierend“ reagieren?
du schreibst von einer „verhängnisvollen“ Entscheidung von Max und Lisa. Mehrmals. Und dann überleben sie den Brand. Ich hätte erwartet, dass sie dort sterben. Vielleicht bezieht sich das Verhängnisvoll noch auf etwas, was später passieren wird, aber irgendwie fand ich, dass die Wortwahl hier nicht so gut passt. Das ist mir zu ominös drauend ;)(s. Detektivromane)
Glaubst du, dass zwei Personen, die gerade dem Tod ins Auge schauen und auf dem Dach eines brennenden Hotels stehen - und sie haben ja offenbar auch wirklich Angst - sich über ein Auto mit einem Auge auf dem Dach unterhalten und dann noch in so einem abgeklärten Ton? (Sieht aus als hätten sie den Transporter absichtlich dort geparkt - klar, man parkt immer absichtlich irgendwo, das so nebenbei aber vermutlich willst du damit sagen, dass das Auge gesehen werden soll?)
Insgesamt muss ich sagen, dass du mir zu viel springst. Es gibt teils nur wenige Zeilen, in denen du bei deinen Protagonisten bist. Ich würde diesen Stil beim Lesen nicht lange durchhalten und das Buch wohl eher schnell zur Seite legen. Aber das ist nun wirklich Geschmackssache - du hast ja gefragt
Geht es in dem Roman wirklich um die MAFIA? Mir erscheint es so, nach dem Lesen, dass es um eine mafiaartige Organistion geht, aber eben nicht um *die *Mafia. Dann solltest du diesen Begriff vielleicht auch nicht benutzen.
Lieber tomP;
also mir gefällts ziemlich gut. Der ironische Ton, dieses von außen betrachten, das ist so absolut mein Fall. Wahrscheinlich auch, weil ich ähnlich schreibe. Es geschieht etwas bei dir und zwar laufend, und es macht mich neugierig, ob Nico dabei draufgeht, ich bin gespannt auf die Ermittlungen von Max und Lisa. Es gibt ein paar Kleinigkeiten, die mich irritiert haben, wie z. B. die erste Sequenz mit den Eltern. Wo sind die beiden gerade, im Stammhaus ihrer Familie? Da stimme ich Isabel absolut zu, das ist nicht klar genug.
Denke daran, dass du es jemand erzählst, der nicht in der Story drin ist, also nicht das weiß, was du weißt. Aber das meiste davon erscheint mir unerheblich. Warum sich ein Muskelmann erst einmal die Jacke zuknöpft, oder nicht, Gott, die sind halt auch eitel und stolz auf die erwirtschafteten Muckis. Wer wäre nicht gern so elegant wie Jason Statham als Driver? Also, außer mir…
Letztendlich sind die wenigsten Menschen in den zweifelhaften Genuß gekommen, eine Leiche zu finden, angeschossen zu werden oder auch nur mit einer Waffe bedroht zu werden, insofern kann man dies nur schlüssig zu erklären versuchen. Ob dies aber der Realität entspricht, wissen - Gott sei Dank - nur ein Bruchteil der Menschheit. Okay, in Uganda wissen das wahrscheinlich mehr Menschen, aber eben nicht hier in Deutschland.
Da ich gerade von einem Mann schreibe, der seine Persönlichkeit völlig verändert, bin/wäre ich gespannt, wie aus dem Handtuch-Max glaubwürdig ein roter Rächer werden kann. Und dass ist nicht einfach. Man kennt ja im Allgemeinen die Einflüsse von Ereignissen, die im Leben, im Charakter etc. eine grundlegende Wendung bringen können. Papi war bei der Schulaufführung nicht dabei und deswegen verscharre ich jetzt Leichen im Wald - es ist schon um einiges komplexer. Und die Entwicklung bei einem erwachsenem Mann verläuft anders.
Du arbeitest mit schnellen Schnitten, kurzen Kapiteln mit manchmal weniger als einer Seite. So bringt man natürlich Geschwindigkeit in die Handlung hinein. Ich hoffe, du schaffst es, diese Geschwindigkeit beizubehalten. Und ich hoffe, der geneigte Leser kann soweit mitlaufen.
Whatever, ich würde mir mehr von deiner Kunst wünschen und ich denke, ja, ich würde das Buch gern käuflich erwerben.
Zweiundzwanzig Adjektive und Adverbien im ersten Abschnitt! Uff.
Danach wird es schlagartig besser. Hat den ersten Abschnitt jemand anders geschrieben? Darauf würde ich wetten. Ich habe danach mit Interesse gelesen, es ist spannend, ohne Frage. Auf die Feinheiten habe ich im weiteren Text nicht so sehr geachtet, was an sich ein gutes Zeichen ist.
ich würde das mit den Koreanern und den Schwarzmarkt-Zigaretten eventuell nochmal überdenken… irgendwie passt das genauso wenig, wie Japaner die gefälschte Markenklamotten verkaufen. Meintest Du vielleicht Vietnamesen / Chinesen?
Auch das mit den Türken passte m. E. nicht. Mittlerweile schießen Menschen mit vielen “ü” im Nachnamen die deutsche Nationalmannschaft zum Europameister, sitzen im Bundestag und fahren Streife. Würde da nicht zwischen Türken und Deutsche mit türkischen Wurzeln differenzieren.
Mich würde noch interessieren, um welche Mafia es sich genau handelt und was ihre Ziele sind.
ich danke euch sehr für eure Einschätzungen. Ich werde auf alles eingehen, aber mal sehen, ob ich alles am Stück schaffe. Wahrscheinlich antworte ich in Etappen. Fangen wir an:
Bis jetzt bin ich einfach nur ein Kreativling, der neben anderen Dingen über das schreibt, was ihn selbst interessiert und worauf er selbst Lust hat. Ich lese ja auch unterschiedliche Genres – warum also auch nicht in diesen Genres schreiben.
Nein, das ist mir offen gestanden völlig egal. Mit einem Thriller verbinde ich allerdings ein wenig mehr Schauer, als ich zumindest vorhatte zu schreiben. Die Geschichte hat einen gewissen ironischen Unterton, der aber offenbar die bisherigen Leser nicht davon abhielt, sich davon gethrillt zu fühlen.
Eine solche Frage habe ich mir auch gestellt. Ich hatte dazu auch einige Testleser befragt, die ich bei Facebook aufgelesen hatte. Mein Eindruck war, dass die sich relativ gut in den Mix zwischen Ironie und Ernsthaftigkeit arrangieren konnten. Es mag aber sein – und das ist Grund meines Postings –, dass zu Beginn ein falscher Eindruck aufkommt.
Der erste Abschnitt ist völlig neu und sollte eigentlich einen Infodump an späterer Stelle entschärfen. Die Vermutung, dass Lisas Eltern tot sein könnten – bzw. die Vermutung, dass Leser dies vermuten könnten –, hatte ich auch. Aber der Gedanke auf diese falsche Fährte am Anfang gefiel mir
Dass du den zweiten Abschnitt nicht verstehst, trifft mich hart, denn dies war nun jahrlang der eigentliche Beginn.
Das dritte Kapitel (direkt nach dem von mir eingestellten Text) beginnt mit den Worten:
[INDENT]Was geschah eigentlich mit diesem Rezeptionisten aus dem Hotel West? Diesem Schrank, der von den beiden Brandstiftern niedergeschlagen wurde?[/INDENT]
Dort erfährt man mehr über diese Person. Mit „Schläger“ liegst du aber nicht ganz falsch. Immerhin lag dieses Hotel in einem sozialen Brennpunkt der Stadt und die Person (Bernd) hatte auch eine Vergangenheit, die aber hier zu weit führen würde. Darum nur so viel:
[INDENT]Es fing damit an, dass ein sonderbarer Typ Schutzgeld verlangte. Da war er mit Bernd genau an den Richtigen geraten, der ihn hochkant hinauswarf.
Bernd war ein Schrank. Ein friedlicher Schrank. Wenn ihm allerdings jemand dumm kam, wusste er sich zu wehren. Dass sie ihm ein paar Schläger schicken könnten, damit hatte er gerechnet. Dass sie seinen Laden anzünden würden, damit nicht.[/INDENT]
Im Lauf der Geschichte stellt man fest, dass es tatsächlich zu seinem Charakter gehören könnte, sich zuerst das Jacket zuzuknöpfen und gleichzeitig jemandem zu drohen.
Nein, angesichts zweier Schläger einer kriminellen Organisation, habe ich jemandem im Auge, der/die in etwas genauso reagieren könnte.
Meine Geschichte handelt davon, dass sich ein paar Individualisten über das Internet finden, um eine gemeinsam gegen eine kriminelle Organisation vorzugehen. Du hast auf den ersten Seiten ein paar Hauptrollen kennengelernt und über ihre Motivation erfahren. Das ist quasi die Basis der Geschichte.
Sie sehen von oben, dass diese Transporter dort nicht einfach parken, sondern die Straße für die Feuerwehr blockieren. Es sollte allerdings nicht der Eindruck entstehen, dass sich die beiden in Friede-Freude-Eierkuchenstimmung über die schöne Aussicht unterhalten. Ich schau mir den Text unter diesen Gesichtspunkten nochmal an.
Ja, ich springe viel. Und ich habe das in den letzten Jahren sehr in geordnete Bahnen gebracht. Und ich hasse das Wort Protagonisten, darum muss ich auch nicht bei denen sein – kleiner Scherz
Bei mir passiert über die komplette Geschichte immer etwas an mehreren Orten gleichzeitig. Die Sprünge kommen dem entgegen, was ich gern lese und ich widerstehe der Versuchung, mich zu outen, welcher Autor und welches Buch konkret Vorbild war. Es kam nämlich alles völlig anders
Der Titel ist ein Arbeitstitel. Ein abgelegter Titel lautete: „Nach den Regeln der Mafia“. Ich habe im Rahmen einer Testleserunde schon festgestellt, dass viele ihre Mafia-Wissen gern erweitern oder gegen die Geschichte gegenlesen möchten.
Das wird eine vierteilige Geschichte mit insgesamt ca. 1.300 Seiten. Mir ist leider (wie auch in dieser Mafiageschichte) zweimal das Ende weggeflogen, weil es so einfach nicht gepasst hat. Das erklärt auch die vier Teile, denn natürlich sollten es mal nur drei werden.
Zumindest zwei Teile sind in einem vertretbaren Zustand, um jemanden probelesen zu lassen. Und der dritte eigentlich auch, wenn man damit lebt, dass der Stil nach hinten hinaus etwas rustikaler wird und sich durch das neue Ende einige neue Details ergeben, von denen man ja aber nicht weiß, dass sie inzwischen überholt sind.
Wenn du Lust hast, schreib mir eine PN mit deiner E-Mail-Adresse. Ich habe allerdings bis jetzt noch nicht nach Testlesern gesucht, weil Anfang und Ende stark zusammenhängen, und Änderungen am Ende immer Anpassungen am Anfang zur Folge haben.
Ich schick das jetzt mal ab, bevor mein Rechner abstürzt und ich nochmal anfangen muss
Schön, dass jemand hier auch sowas schreibt Der ironische Tonfall war überhaupt nicht geplant. Inzwischen spiele ich aber gern damit herum und denke, die in Verbindung mit den vielen Dialogen und Szenenwechseln mag mein Markenzeichen sein. Und eine Testleserin, die sich beschwerte, sie würde abends nicht zum Schlafen kommen, weil sie weiterlesen müsse, schrieb: „Bei dir passiert aber auch wirklich viel.“
Problem, das ich sehe, ist der Anfang. Wahrscheinlich habe ich eine zu hohe Komplexität für später vorzubereiten.
Ja, diese Sequenz ist gerade mal ne Woche alt. Die Informationen daraus standen früher in der Szene, wo Lisa und Max auf dem brennenden Hotel stehen. Mein Eindruck war, dass sie dort einen bleiwüstigen Infodump bildeten.
Die beiden sind zu Beginn bei Lisas Eltern zu Hause. Im Lauf der Geschichte erfährt man, dass Max dort quasi eingezogen ist. Ich schau mir das nochmal an.
Ich bin Banker. Und wenn ein Banker aufsteht, knöpft er sich zuerst einmal das Jacket zu. Jeder tut das, der in einem Job arbeitet, in dem man Anzug trägt. Man™ macht das so. Das mit dem Jacket zuknöpfen siehst du auch im Bundestag. Sein Jacket zuzuknöpfen, bevor man mit jemandem redet, ist auch ein Symbol der Abgrenzung gegenüber seinen Gesprächspartnern – sei es als Vorgesetzter, als Berater und auch als Sprecher.
So gesehen beschreibt diese Szene Bernd als jemanden, der klar strukturiert ist. Und das, obwohl er nur in einem eher zweitklassigen Hotel seinen Dienst tut. Also jemand, der sich gern mal mit seiner Strukturiertheit selbst im Weg steht.
Ich hab versucht, diese Information zurückzuhalten, weil meine Geschichte nur eine Geschichte ist, die vom Wahrheitsgehalt einem Fernsehkrimi in nichts nachsteht Bernd hatte sich in der Vergangenheit in der französischen Fremdenlegion verpflichtet und war drei Jahre vor den Geschehnissen zurückgekehrt.
Genau dieses Motiv gibt der Anfang. Max wird allerdings nur zweitrangig ein roter Rächer. Max ist eine Person, die erst einmal handelt, bevor sie denkt. Er hat die Idee, sich eine Bürgerwehr zusammenzutwittern und zwingt die Gruppe später immer wieder zum Handeln.
Vielen Dank für die netten Worte. Unter meinen Testlesern schien es nur zwei Denkweisen zu geben: Die, welche die Story nicht reinzog und die, die zwar ein paar Hinweise gaben, aber grundsätzlich das meiste toll fanden. Man fragt sich dann immer, auf wen man mehr hören soll
Dann komme ich zum Beitrag von DuaneHanson.
Ich bin nicht der Ansicht, dass man mit Mathematik die Qualität eines Textes ermitteln kann. Der Anfang ist bewusst etwas überkandidelt geschrieben. Und diesen etwas kranken Stil unterstützen die Adjektive und Adverbien.
Nein, alles stammt von mir. Der erste Abschnitt ist eine Woche alt, der zweite mindestens 3 Jahre und die Dachszene gab es schon 2014.
Aber du liest richtig heraus, dass ich mich genötigt sehe, dem Leser zu Beginn einige Informationen zu geben, um wenigstens die wichtigsten Fragen zu beantworten. Und dies, ohne einen Infodump zu schreiben. Oder sagen wir: Es ist ein als Ironie getarnter Infodump
Hauptzweck der Startszene ist eigentlich nur, eine Antwort auf die Frage zu geben: Warum läuft Max einfach los, ohne irgendwelche Verpflichtungen zu haben? Hat er keinen Job und geht nicht mehr zur Schule?
Wenn ich dies in der vorliegenden Weise verpackt habe, war dies ein Versuch, ein paar Infos über zwei Hauptrollen in einer etwas unkonventionellen Weise an den Leser zu bringen. Idealerweise freundet derselbe sich dann auch schon ein wenig mit dem leicht ironischen Stil an.
Vielen Dank auch an dich für deine Anmerkungen. Ich werde mal über diese Anfangsszene schlafen. Ich lese nicht ungern, aber bei mir gibt es kaum eine Geschichte, die „mich reinzieht“. Ich muss mich immer durch den Anfang quälen. Darum will ich, dass irgendwas abgeht, das dem Leser wenigstens irgendwas mitgibt, das ihn neugierig macht. Und die weiblichen Leser natürlich auch
Dann, also noch schnell eine Antwort auf den Beitrag von Renator:
Ja, damit könntest du rechthaben. Das geht auf ein paar Erfahrungen aus Berlin zur Wendezeit zurück. Waren das jetzt Koreaner oder Vietnamesen, die damals an jeder Straßenecke Zigaretten anboten? Meine Stadt ist nur ein fiktiver Ort, aber ich geh der Sache mal nach.
Vorbild für den Stadtteil West war das Westend in Wiesbaden. Zugegebenermaßen ist der Stadtteil West größer und internationaler. Aber nachdem ich dort in den Neunzigern fünf Jahre lang gewohnt habe und die letzten zehn Jahre dort mein Parkplatz war, ist der Text so furchtbar schlecht nicht getroffen. Trotzdem soll er auf keinen Fall rassistisch klingen, zumindest nicht aus Sicht des Autors.
Es geht auch nicht darum, dass viele Türken heute voll in Deutschland angekommen sind. Ich habe selbst türkischstämmige Freunde. Was ich beschreibe, ist einfach das Gefühl, das man hat, wenn man in einem solchen fremdländischen Stadtteil unterwegs ist.
Selbst in der FAZ wurde dieser Stadtteil schon „Klein Istanbul“ genannt. Diesen Begriff hatte ich ursprünglich auch verwendet, ihn dann aber durch „Wild West“ ersetzt.
Es handelt sich „nur“ um eine kriminelle Organisation, die im Verlauf der Geschichte immer wieder mal mit der Mafia verglichen wird. Ziele bzw. die Entstehungsgeschichte klärt sich am Schluss auf und es macht wenig Sinn, dies nun in zwei Sätzen zu beschreiben.
Ich lese aus der Frage den Wunsch heraus, Fakten aus dem Roman mit der Wirklichkeit zu vergleichen. Das ist nicht mein Ansatz. Es ist nur eine Geschichte, die unterhalten will. Ich hatte dabei nicht im Sinn, den Bildungsstand meiner Leser zu erhöhen.
Auch an dich vielen Dank für deine Anmerkungen. Der Sache mit den Koreanern gehe ich nach.
Ganz klar auf Dich.
Ich schreibe natürlich, damit es Jemand liest, aber es ist eine Illusion, alle Leser befriedigen zu können. Und ich schreibe das, was ich auch gerne lesen würde. Man muß es eben mögen oder nicht. Und man sollte nicht einen Cockerspaniel einbauen, um alle Hundebesitzer zu erreichen; wahrscheinlich packst Du nur damit die Cockerspaniel-Besitzer, da sind die Dackel schon außen vor. Die Reaktionen auf Auszüge meines hier vorgestellen Romanes waren so dermaßen unterschiedlich, kaum zu glauben, also wirklich zwischen totalem Verriß bis zu Lob und Anerkennung. Und hier sind ja Menschen, die sich über das bloße Lesen hinaus deutlich mehr mit Sprache beschäftigen.
Ich probiere noch herum und eigentlich bin ich eine alte Labertasche. Es scheint aber auf jeden Fall von Vorteil zu sein, ziemlich gleich mit echter Action zu beginnen, den Leser so in die Handlung hineinzuwerfen, wie mein alter Herr schwimmen gelernt hat. Theoretisch kurz erklärt und dann ab in den Löschteich! Ich finde Deinen Anfang ziemlich kurz und relativ knackig und absolut okay vom Flow und vom Spannungsaufbau her.
Bei mir hat sich doch tatsächlich Jemand die Mühe gemacht, das Wort “hatte” zu zählen. Was sagt das über einen Menschen aus? Und damit meine ich nicht mich.
Da muß ich ein wenig wiedersprechen. Man kann durchaus gut und realistisch bechreiben, Recherche-Quellen dafür gibt es ohne Ende. Plausibilität ist schon wichtig, man sollte schon erklären können - in Dialog und Handlung - warum und wie Dein Held dies oder das entscheidet. Ich halte die Recherche sehr hoch und das Leben macht es uns ja auch einfach. Ich habe mich durch Tonnen von Polizeiberichten, Wikipedia und pschologischen Gutachten gelesen und mit vielen Menschen gesprochen. Aber Du machst das schon, ich hab da wenig Zweifel. Bleib dran. Wieviele Seiten hast Du denn schon so? Würde mich interessieren.
Es war nicht die Zahl der Adjektive, die mir das Lesen verleidete. Es war deren penetrante Art und ihre Fülle, die mich erst darauf brachte, einmal nachzuzählen.
danke für deine Ausführliche Rückmeldung, dadurch wird manches klarer, jedoch bleibt mein eigentliches Problem bestehen. Allerdings - wie gesagt - ist das sehr subjektiv. Wenn ich einen Roman lese, der permanent Fragen aufwirft, also, Andeutungen aufwirft und da dann ständig noch welche hinzu kommen, lege ich diesen Roman beiseite, weil ich das eher nervend finde. Es geht bei den Fragezeichen ja nicht nur um die Geschichte - sowas bringt Spannung, das sehe ich genauso - aber es geht auch um die Personen. Ich habe sie jetzt nicht gezählt, nur so als Beispiel: Wenn du fünf Personen hast, über die du natürlich am Anfang nichts weißt, du aber von Andeutung zu Andeutung springst, dann ist das zu viel. Wenn ich bei allen Aspekten einer Geschichte auf Antworten warten muss, dann nervt mich das wirkt noch dazu arg konstruiert. Ich denke, das ist es, was mich stört. Noch dazu hältst du die Leute sehr auf Abstand. Das ist deine Entscheidung, klar. Aber mir fehlt da was. Wenn ich nicht das Gefühl habe, die Protagonisten zu kennen (ich benutze das Wort mal weiter, auch wenn du es nicht magst ), dann kommt bei mir keine Spannung auf. Ich muss mit den Charakteren mitfiebern können.
Oh weh, ich wollte dir jetzt mit dem 2. Abschnitt nicht zu nahe treten, tut mir leid. Aber ich habe ihn mehrfach lesen müssen und es war mir immer noch nicht klar, worauf du hinaus wolltest.
Wird die alte Dame denn noch eine größere Rolle spielen? Wenn du an eine Person denkst, die sich genau so verhalten würde, dann solltest du die alte Dame vielleicht noch durch einen zusätzlichen Satz charakterisieren? Vielleicht durch eine (andere) Reaktion während der Schlägerei (ich habe es gerade nicht nochmal gelesen, war da bereits was? Dann genügte das nicht sie zu charakterisieren). So losgelöst funktionierte die Szene für mich nicht. Selbstverständlich gibt es resolute Damen. Vielleicht lag es auch einfach an der Wortwahl mit dem „kleinlaut“. Vielleicht passt „zeternd“ besser? Oder ein anderes Wort. Irgendwas, was sie resolut wirken lässt. Denn bei „kleinlaut“ müsste sie ja vorher irgendwie aufgetrumpft haben und dann von den Kammerjägern zurechtgestutzt worden sein. Verstehst du was ich meine?
Das finde ich auch klasse. Dein Fantasy-Roman ist vierteilig. Wird meiner auch. Allerdings habe ich schon mit dem, was ich bisher geschrieben habe (ich arbeite gerade am 2. Band und habe da noch nicht alles geschrieben bzw. abgetippt) meine 800 Normseiten beisammen. Verwendest du da einen anderen Stil als für deinen Krimi?
Klar, man schreibt in dem Genre, welches man gerne liest. Bei mir ist das hauptsächlich der gesamte Phantastikbereich (also Fantasy, SF oder Horror). Krimis lese ich schon auch ab und zu, aber die begeistern mich nie so, wie ein guter SF Roman. Die beiden Genres liegen schon ziemlich auseinander, auch in der Art, wie man sie schreibt. Finde ich zumindest.
Das waren Vertragsarbeiter aus dem sozialistischen Vietnam, die in die DDR zum Arbeiten gekommen waren. Nach der Wende standen viele ohne Arbeit da und so haben sich mit dem Zigarettenverkauf über Wasser gehalten. In der DDR nannte man sie auch als “Fidschis” beschimpft.
Verstehe …
Ich lebe mittlerweile seit fünf Jahren in Wiesbaden. Aufgewachsen bin ich in Frankfurt und Rüsselsheim. In Stadtteilen, (FFM-Griesheim / FFM-Gallus / Rü-Dicker Busch) die man in den 60er, 70er und frühen 80er für die dringend benötigten Gastarbeiter “freigemacht” hat. Das war mit WI-Westend sicherlich nicht anders. Die FAZ romantisiert solche Stadtteile in Anlehnung an Chinatown und Little Italy … soll sich so anhören, wie die hippen Immigrantenviertel der USA an den Ost- und Westküsten. Man möchte sich ja auch dahingehend an die US-Kultur annähern. Cool, das wollen wir auch! Lass uns aus unserem Versagen ein “Little Istanbul” machen! Nice! (Gruß auch an Halloween, Black Friday und dem ständigen Zufluss neuer Anglizismen in die deutsche Sprache). Der Unterschied zwischen den USA und Deutschland ist aber, dass den Immigranten in den USA nichts vom Staat versprochen wurde. Sie folgten Familie und Freunde, die dort schon Fuß gefasst hatten. Sie mieteten sie sich in Wohnungen ein, die in deren Nähe lagen. So reihte sich Immigrant an Immigrant, wie Wabe an Wabe … in Armut, aber in homogener Umgebung. Irgendwann würde man es schaffen. In Deutschland war das anders. Die Zuhälter, der damals gegenwärtigen Kabinette, versprachen den Türken, Marokkaner, Italiener Tunesier, Griechen ein dickes Urlaubsgeld und Zugtickets in die Heimat. Sie könnten sich innerhalb von 2 Jahren genug Geld verdienen, um sich in ihrer Heimat ein Haus und paar Hektar Land zu kaufen. Das auf den Werbebroschüren das Empire State Building und Geldscheine abgebildet waren und nicht qualmende Fabriken und Holzbaracken, war unwichtig. Hauptsache es versprach ein besseres Leben. Bilder reichten, die meisten konnten eh kaum oder nur schlecht lesen.
Was so in den USA auf natürliche Weise entstanden ist, war in Deutschland eine künstliche Befruchtung. Die Inkubation fand in Holzbaracken statt und wurde durch Adenauer, Erhard und Kiesinger Regierung eingeleitet.
Natürlich kam alles anders. Nur wenige fanden den Weg zurück. Mein Onkel war einer von ihnen. Meine Großeltern sollen sehr enttäuscht gewesen sein, aber mein Vater beneidete ihn ein Leben lang für seine Entscheidung. Zwar lebte er von der Hand in den Mund, aber er war glücklich. Wir in Deutschland bekamen nirgends eine Wohnung, die größer als 65-70qm war, obwohl meine Eltern beide arbeiteten. Es hieß immer nur “in unserem Stadtteil sei nichts verfügbar” und die Wartezeit sowieso viel zu lang. Das wir gar nicht in dem Viertel bleiben wollten, war egal. So lebten wir in jeder Stadt, mit denselben Nachbarn und in derselben Enge. Nur die Postleitzahl und die Vorwahl änderten sich.
Auf meinen Schulen wurden Neuankömmlinge einfach in die Klasse gesteckt, obwohl sie kein Deutsch konnten. Die Lehrer ließen sie meist malen oder basteln, während für uns der Unterricht weiterging. So war es auf jeder Schule. Auf dem Pausenhof standen sie meist alleine. Ich erinnere mich an einem Mädchen, die einen türkischen Namen hatte und auf dem Pausenhof von Türken gemoppt wurde. Sie wurde auch geschlagen, bis sie im Schutz eines älteren Schülers stand. Ich fragte mich immer, wieso ihre eigenen Landsleute sie so behandelten. Der Lehrer nannte sie Bergtürkin. Heute weiß ich, dass sie eine Kurdin war. Den Lehrern war es egal. Ich schäme mich heute noch, ihr nicht geholfen zu haben. Wie dem Mädchen erging es vielen Schülern. Für deren Landsmänner und Lehrer waren sie ein Klotz ein Bein. Nur wenn sie zur Familie gehörten, fanden sie Anschluss. Das hieß aber nicht, dass sie auf den richtigen Weg geführt wurden. Es dauerte meist nicht lang und sie nahmen sich den rauen Sitten des Viertels an. Egal aus welchem unbescholtenen Elternhaus und Heilewelt Landstrich sie kamen.
So chaotisch ging es meine gesamte Schulzeit weiter. Morgens vor Schulbeginn gab es schon die ersten Schlägereien, Lehrer machten täglich krank. Kein Wunder. Es kam während meiner Schulzeit auch zweimal vor, dass Lehrer ordentlich aufs Maul, bekommen haben, weil sie den Falschen gemaßregelt hatten. Die Vollstrecker des Racheakts waren dabei meist Brüder/Cousins/Freunde, die auf anderen Schulen gingen. Sie kamen einfach in die Schule und schlugen zu, wenn der besagte Lehrer Pausenaufsicht hatte. Auch Autos von Lehrer wurden beschädigt … aber das ging dann auch der Polizei zu weit und fortan stand die Kripo auf dem Pausenhof.
Nach der Schule kam die große Langeweile auf. Besonders im Winter, wenn alles noch grauer und hässlicher zu sein schien.
Dann zog es die bösen Jungs in das von überwiegend deutschen bewohnte Griesheim-Süd oder ins angrenzende Frankfurt-Höchst und suchte Stunk.
Natürlich fuhr man auch in die Stadt und zog Gymnasiasten ab. Für das Einkaufen fehlte oft das Geld und so ging die Jungs auf die Jagd. Wenn einem die Jacke oder Schuhe von jemand gefiel (musste nicht zwingend deutscher sein), wurde er an einer ruhigen Ecke abgezogen. Ob teure Chevignon Jacke, ein paar Adidas “Tennis Spezial”, Nike “Delta Force” oder Casio Uhr, man fand immer was. Manche trugen auf ihren Raubzügen sogar Boxerschuhe … ein anderer zog sich sogar Schuhe mit Spikes an. Abgedreht, nicht wahr. So trieben sie Unsinn, während sich die Väter vor den Kesseln der Farbwerke (Hoechst AG) vergifteten oder ihre Lungen auf dem Rollfeld des Flughafens ruinierten. Die Mütter waren indes zuhause eingesperrt oder putzten im Bankenviertel.
Abends ging es dann weiter: Wenn man im Viertel seine Ruhe haben wollte, sperrte man einfach die Straße ab. Dazu nahm man etwas von dem allgegenwärtigen Sperrmüll und sammelte die herumstehenden Einkaufswagen zusammen. Polizei traute sich nur mit zwei Streifenwagen, durch die Straßen zu patrouillieren. Straßensperren wurden umfahren. Dann, Ende der 1980er bekriegten sich auf einmal die Jugoslawen im Viertel unter sich. Das Level wurde nochmal erhöht, als kriminelle aus Jugoslawien politisches Asyl bekamen. Mord und Erpressungen nahmen zu … aber das ist eine andere Geschichte.
Machen wir jetzt mal einen Zeitsprung in die 2000er. In den Stadtteilzentren verschwinden die deutschen Einzelhändler. Kein Wunder, denn das Internet ist viel günstiger oder man kauft in der neu entstandenen Shoppingmall (Hallo USA) ein. Auch Bäcker und Metzger verschwinden, weil ja das Fleisch im Discounter viel günstiger ist … und frische Backwaren gibt es dort auch! Wieso dann noch zum 20 Cent teueren Bäcker? Alle machen zu. Aus der leeren deutschen Metzgerei (seit 1882) wurde ein Gemüseladen, aus dem Juwelier wurde ein von einem Roma geführter Goldankauf und das Musikfachgeschäft (Gitarren gab es auch bei eBay und zudem viel billiger) wurde ein lukratives Internetcafé (damals). Wer mietete sich in die leeren Geschäfte ein? Genau, die in ihrer Jugend zusammengepferchten Türken, Kurden, Roma, Rumäne, Jugoslawen, etc. Ohne Schulabschluss oder Ausbildung bleibt nicht viel übrig (gilt nicht für alle) und wieso nicht ein Geschäft aufmachen!?
TA-DAAA wir haben ein Klein-Istanbul! Lass uns über die Menschen dort Witze machen oder die Stadtteile mal kurz glorifizieren (wegen dem USA-Feeling). Das Rezept dafür? Ganz einfach … man nehme Kinder aus verschiedene Kulturen, würfelt sie zusammen und lässt erstmal stehen. Ganz allein. Anschließend lässt man sie in ihrem eigenen Saft lange Einköcheln, bis sich eine Subkultur bildet. Abkühlen lassen und noch warten, bis sich auf der Oberfläche ihre eigene Sprache und ihre eigenen Gesetze absetzen … dann ist das Süppchen fertig, das keiner auslöffeln mag.
In meinem Roman lebt einer der beiden Hauptprotagonisten auch in einem Ausländerviertel. Vieles aus meiner Kindheit habe ich einfließen lassen. Unterbewusst habe ich abgerechnet und bewusst alles wieder gelöscht. Nationalität wurde nur erwähnt, wenn es positiv war. Das Viertel ist Kulisse, nicht mehr. Als ob wir Kinder und Jugendliche ausgesucht hätten, in solch Umgebungen, groß zu werden.
Gibt viele Gastarbeiter, denen es besser ergangen ist. In Frankfurt, Wolfsburg oder Stuttgart … ich kann nur für meine Jugend sprechen.
Was ich sagen möchte (bevor ich noch weiter abschweife): Wenn man als Europäer auf solche Viertel schaut (egal in welcher europäischen Stadt) und die Nase rümpft, ist das so, als ob man über die Dummheit seiner eigenen Kinder lacht … denn “Klein Istanbul” ist eine deutsche Produktion.
Ja, es passiert viel. Für meinen Geschmack zu viel, denn mir kommt dabei die Stimmung zu kurz. Zum Beispiel habe ich auf dem Dach nicht das Gefühl, daß die beiden Angst hätten. Es steht zwar da, kommt bei mir aber nicht an. Oder als Lisa ihm von dem Überfall erzählt, auch diese Szene ist so extrem kurz, daß sie auf mich emotionslos wirkt. “Bitte?” ist seine einzige Reaktion? Mir ist das zu wenig.
Insgesamt ist mein Eindruck leider: Das ist mir zu wirr. Zu viel Handlung, dennoch keine Stimmung, die bei mir aufkommt; keine Szene berührt mich wie auch immer. Ich finde die Figuren weder sympathisch noch unsympathisch, ihre Handlungen und Reaktionen kann ich nicht nachvollziehen, sie sind für mich bestenfalls - seltsam. Das kann an der lakonischen Erzählweise liegen, ist nicht so mein Ding. Auch Erzähler, die mich an die Hand nehmen (wir haben gerade Zeit, jetzt erfährst Du erstmal dies und das) mag ich nicht, und auch das ist total subjektiv. Insofern bin ich wahrscheinlich einfach die falsche Leserin für Dein Buch.
Aber: Der Auszug liest sich flüssig, ich bin - bis auf einige Sätze - beim Lesen nicht ins Stolpern geraten. Meine Lesbarkeitseinschätzung ist definitiv objektiver als meine Lesegenußeinschätzung. Insofern: weiterschreiben und von den falschen Lesern wie mir nicht irritieren lassen. Viel Erfolg!
Na siehste, sind wir gar nicht so weit auseinander! Ich wohne auf den Golanhöhen, unweit vom See Genezareth und der Klagemauer. Wer kann das schon von sich sagen, in Deutschland?
Deine Beschreibung ist akkurat und trifft auf ganz viele Städte und Gegenden zu. Aufgewachsen bin ich in Trier, der Stadt, in der es niemals eine nennenswerte Zahl von Gastarbeitern gab. Einfach weil es keine Fabriken gab, wo sie hätten arbeiten können. Nur ein paar italienische Eisdielen (alle in einer Hand) existieren. Meine Freunde und ich haben türkische Küche das erste Mal auf einer Fahrt nach Münster 1986 probiert.
Was du beschreibst, kannten wir lange nur vom Hörensagen oder aus dem Fernsehen, obschon das dort eigentlich nie oder selten thematisiert wurde.
Das ist richtig. Ich wundere mich ja selbst, wie unterschiedlich ich schriftlichen Text in unterschiedlichen Stimmungen wahrnehme.
Ich möchte auch nicht, dass mir jemand das Selberdenken und -entscheiden abnimmt. Aber ich will mir zu jedem Punkt ein Bild machen und versuche, mich jedenfalls soweit vom eigenen Text zu entfernen, dass ich verstehe, ob es ähnlich sehen würde.
Ja, die Action war eigentlich der Hotelangestellte. Die Frühstücksstory kommt eigentlich von weiter hinten. Sie beantwortet wichtige Fragen, aber möglicherweise sind das Fragen, die sich erst später stellen.
Immerhin hatte sich dieser jemand mit deinem Text auseinandergesetzt. Wenn man eine Meinung will, muss man damit leben, dass man auch Ansichten von Leuten kriegt, die anders sind, als man selbst.
Ich verstehe, was du meinst. Ich versuche, auch vieles realistisch zu beschreiben. An einigen Stellen scheint es aber meiner bescheidenen Beobachtung nach vorzukommen, dass man sich auch mal von der Realität abkehrt. Meistens ist das bei Schusswechseln der Fall, bei denen die einen getroffen werden (müssen) und die anderen nicht getroffen werden (dürfen).
Mein Ziel war es, in erster Linie eine Geschichte zu erzählen. Die spielt in einer fiktiven Stadt, die eigentlich nicht mal in Deutschland liegen müsste. Interessanterweise habe ich das damals entschieden, weil ich schon Abschnitte für Teil 2+3 geschrieben hatte. Die hätten verstärkt in Bordellen und in Teil 3 in Kirchen gespielt. Beides hätte ich mit Wiesbaden und Frankfurt darstellen können, aber davon habe ich dann Abstand genommen.
Glaub es oder nicht, die Geschichte ist seit Jahren fertig. Sie hat in dieser Schriftart 419 Seiten. Ich arbeite immer mal im Wechsel mit meiner Fantasygeschichte daran, weil ich so relativ viel Abstand vom Text bekomme.
Ich hab viel falsch gemacht. Ursprünglich war sie im Präsens geschrieben. Ich hab fast ein Jahr gebraucht, um sie in die Vergangenheit umzuschreiben, weil meine Testleser immer wieder Fragen zu für mich kaum nachvollziehbaren Spitzfindigkeiten der Zeitformen gestellt haben. Das war auch die richtige Entscheidung – ich bin also lernfähig. Aber nur in Maßen
Momentan bin ich jedenfalls mit vielem zufrieden, aber ein Schwachpunkt ist der Anfang. Ich werde mir die kommenden Tage also überlegen, ob ich nochmal damit herumexperimentiere, die Dachszene nach vorne zu setzen. Um die Ironie der aktuellen Startszene wäre es allerdings schade.
Ich wollte dir auch nicht zu nahe treten.
Auch dir will ich nicht zu nahe treten, Isabel. Und ich schätze deine Antworten sehr. Aber nach einigen Jahren, die ich auf Autorengruppen bei Facebook mitgelesen habe, glaube ich nicht mehr an den Leser, der ein Buch beiseite legt.
Ich gebe dir aber insofern recht, dass ich eine gewisse Komplexität von Anfang an hochzuziehen habe. Und die Herausforderung besteht für mich darin, dieses Gebilde an handelnden Figuren und Gruppen so aufzubauen, dass man nicht überfordert ist.
Du hast gerade mal 20 Seiten gelesen. In diesen 20 Seiten werden 3 Handlungsstränge begnnen. Ist es nicht klar, dass es da noch Dinge geben wird, die sich dem Leser erst später erschließen?
Wir sind sicher über die Umsetzung noch geteilter Ansicht. Aber tatsächlich ist es mein Ziel, die Charaktere zu Beginn so weit ins Wasser zu werfen, dass man mit Ihnen mitfiebern kann, auch ohne sie zu kennen. Näher kennen wirst du die Personen aus den ersten Seiten vielleicht auf Seite 100.
Ach, das war nur ein Scherz. Ist der zweite Abschnitt der Hotelangestellte? Oder ist es die Beschreibung West?
Der Hotelangestellte ist eine zu diesem Zeitpunkt völlig unwichtige Person, die aber im Verlauf der Geschichte eine tragende Rolle einnehmen wird. Er hat aus diesem Grund zu diesem Zeitpunkt absichtlich keinen Namen. Und eigentlich sollte diese Szene die Spannung liefern, auf die du wartest. Wenn dies der Beginn wäre, würdest du immer noch nichts damit anfangen können?
Nein. Die Dame ist eine Statistin.
Vielleicht wird es „kleinlaut zeternd“. Jemand, der in einem solchen Hotel in einem solchen Stadtteil absteigt, gehört nicht zu denen, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Sie wurde auch nicht zurechtgestutzt. Sie sieht, dass sie gegen die Jungs keine Chance hat, also verzieht sie sich, bevor sie Ärger kriegt, aber schmipft dabei leise in sich hinein.
Eigentlich dachte ich, mir würde nach Pia (die in dieser Leseprobe noch nicht vorkommt), niemals mehr eine bessere Figur einfallen. Aber da lag ich glücklicherweise falsch.
Ich habe versucht, ein wenig Herr-der-Ringe-Feeling aufkommen zu lassen. Aber um nichts zu kopieren, hab ich ein paar Parolen ausgegeben: Keine Elben, keine Zwerge, keine Orks, keine Zauberringe, kein Tyrion, kein Joffrey und noch irgendwas, das mir gerade entfallen ist, auch nicht. Ich dachte, ich müsste sterben, als ich begonnen habe. Inzwischen möchte ich das Dinge einfach nur noch fertig sehen. Ein Teil hat bei mir ca. 300 Seiten. So etwa bis Seite 1000 bin ich. Oder war es 1100.
Wenn ich meinen Schreibstil beschreiben sollte, würde ich sagen:
leicht ironisch
viele Dialoge
mehrere Handlungsstränge, die sich idealerweise an spannenden Stellen ablösen
Wenn du dies als meinen Stil identifiziert hast, würde ich sagen, es ist ähnlich. Wahrscheinlich stelle ich davon die ersten 20 Seiten auch mal ein. Ich mag das hier, auch wenn es mich vom Arbeiten abhält
Ich sag dir was - ganz unter uns. Es kommt ein kleines bisschen Science Fiction in meiner Krimi/Thriller/Weißichwas-Mischung vor. Aufschluss darüber gibt aber erst der 2. Teil. Und ob es den wirklich einmal geben wird, weiß ich noch nicht. Bis dahin bleibt ein Mysterium bestehen, das aber kein Testleser bemängelt hat. Vielleicht bräuchte es da jemanden so gründlichen wie dich
So. Mittagspause ist rum. Ich muss weiterarbeiten. Ich antworte später weiter.
@tomP: Ich meine den Abschnitt, der damit beginnt, dass Max Vorstellungsrunden hasst, den ich irgendwie gar nicht verstehe…
Oh, lieber tomP, und wie ich schon Bücher zur Seite gelegt habe. Bei der Deutschstunde bin ich nicht über den Anfang hinaus gekommen. Beim Glasperlenspiel ebensowenig. Die beiden letzte Bücher, die ich nach den Anfangsseiten nicht mehr weitergelesen habe, waren …hmmm, bei dem einen kann ich mich nicht mal mehr an den Titel erinnern… und das andere war Alles ist erleuchtet. Ich habe in meinem Leben zu wenig Zeit, um es mit Büchern zu vertun, die mich bereits am Anfang langweilen. Von daher finde ich es dann auch nicht schlimm, sie auf den Stapel mit den Buchspenden zu verfrachten.
Ja, stimmt, es ist ziemlich chaotisch, ganz besonders der Anfang. Es springt in beinahe schon abartigem Tempo hin und her und man hat bestenfalls ein paar Ahnungen, worums eigentlich geht.
Über die Sache mit den verhassten Vorstellungsrunden hab ich einen Moment nachdenken müssen, bis ich den Zusammenhang geschnallt habe, auch sonst wirds einem hier nicht so ganz einfach gemacht. Mit anderen Worten, als Leser wird man mit einem (mehr oder weniger, das hängt von den eigenen Präferenzen ab) kräftigen Tritt aus seiner Lese-Komfortzone hinausbefördert.
Obwohl hier auf den ersten Blick eine ganze Menge schiefgelaufen zu sein scheint, gefällt mir die Sache sehr gut. Ich mag deinen leicht ironischen Unterton und die Sache hat durchaus eine Menge Spannung.
Etwas durchgeknallt scheint das alles schon zu sein, aber egal, die Hauptsache ist nämlich, dass man bei deinem Text den Eindruck hat, der Autor weiß, was er da tut.
Damit meine ich nicht die einzelnen Handlungselemente, sondern etwas viel Wichtigeres: Dein Schreibstil kommt für mich so rüber, dass ich als Leser das Gefühl habe, ich kann mich auf dein Buch einlassen. Auch wenn ich jetzt noch null Durchblick habe, kann ich darauf vertrauen, dass du sämtliche offenen Fragen und Unklarheiten zum richtigen Zeitpunkt erklären und stimmig auflösen wirst.
Nach dieser Leseprobe habe ich immerhin die Gewissheit, dass das alles irgendwie miteinander zusammenhängen muss – und man auf dem Weg durch dieses auf seltsame Weise organisierte Chaos eine Menge Lesespaß haben wird.
Selbst die Adjektivschwemme im ersten Absatz wirkt auf mich eher wie ein Mittel zum Zweck, Respekt, sowas begegnet einem nicht so oft.
Klar, diverses Feintuning sollte schon noch sein, besonders dem Kritikpunkt der von @Buchling angesprochenen fehlende Stimmung schließe ich mich an.
Bei der Dachszene wirken die beiden nicht so, als hätten sie Todesangst, auch der miterlebte Überfall auf die Bäckerei wird zu un-emotional abgehandelt.
Im Vergleich zu Lisa und Max, die völlig farblos erscheinen, ist Nico wesentlich plastischer herausgearbeitet.
Das wirre Hin- und Hergespringe stört mich wie gesagt hier gar nicht, wenn du das aber den ganzen Roman über beibehältst, musst du extrem aufpassen, dass du deinen Lesern sowas wie einen roten Faden in die Hände gibst, dem sie wenigstens einigermaßen folgen können. Soll heißen, das Chaos darf nicht zu groß oder zu unüberschaubar werden, anderenfalls sind sie weg.
Und auch wenn du es nicht glaubst, Leser legen durchaus ein Buch wieder zur Seite, wenn es ihnen aus welchen Gründen auch immer nicht gefällt.
Das Leben ist zu kurz für Lektüre, die einem nicht zusagt! Wir sind schließlich nicht mehr in der Schule, wo man sich durch so manches Werk durchquälen musste und drei Kreuze machte, wenn mans endlich geschafft hatte.
Um endlich auf deine Eingangsfrage zu kommen: Ja, ich würde weiterlesen wollen.
ich danke euch sehr herzlich für eure Beiträge und hier kommt mein Fazit:
Zuerst einmal möchte ich mich bei Isabel entschuldigen. Ich habe natürlich auch schon viele Bücher zur Seite gelegt. Wobei ich sie meistens so zwischen Seite 200-300 gegen etwas anderes ersetze. Noch nicht während der ersten 20 Seiten. Die Formulierung “dann würde der Leser dein Buch zur Seite legen” habe ich bei Facebook so oft gelesen, dass ich für mich beschlossen habe, sie nicht zur Unterstützung meiner Argumente zu verwenden.
Wenn ich das hier thematisiert habe, war das nicht freundlich gemeint und tut mir leid. Ich habe aus meinen Testleserunden eine Sache gelernt: Nicht eine Nacht, sondern eine Woche darüber schlafen. So lange muss Kritik bei mir gewöhnlich einwirken, bis ich sie einordnen kann in den Teil, den ich für berechtigt finde und den anderen, den bei dem ich an meiner Ansicht festhalten will. Das ist schwierig, wenn man gleichzeitig den Leuten hier den Eindruck vermitteln will, dass man sich mit den Argumenten auseinnandersetzt.
Diese Woche ist nun noch nicht rum, aber trotzdem zeichnet sich etwas ab. Darum stelle ich nun die Antworten hier ein und leite die Energie wieder ins Schreiben um.
Wenn ich diesen Anfang mit dem aus meinem Fantasyroman vergleiche, wird mir sehr deutlich: Es starten zu viele Handlungsstränge zu Beginn. In der allerersten Version der Geschichte wurde Max noch von korrupten Polizisten vor die Tür gesetzt, als er Anzeige erstatten wollte. Das war mir später nicht krass genug, um seine Motivation zu begründen, eine Bürgerwehr aufzubauen.
Die Idee, meinen Ex-Legionär als Rezeptionisten im brennenden Hotel einzusetzen ist ebenso lebensfremd, wie die Idee, dass zwei Teenies von 18 und 19 von ihren Eltern zum einjährigen ein weiteres Hotelwochenende geschenkt bekommen. Die Idee, dass die drei sich schon ganz vorne begegnen, wo Bernd ja bewusst noch nicht mit Namen, sondern nur als Rezeptionist beschrieben wird, hatte was. Aber es mag besser sein, wenn er im dritten Kapitel als neue Figur eingeführt wird, ohne dass es dazu eine Vorgeschichte gibt bzw. mit angepasster Vorgeschichte.
Getreu der Vorgehensweise “Tötet eure Lieblinge”, werde ich mich also wahrscheinlich von der Frühstücksgeschichte, von der Rezeptionistengeschichte und von der Stadtteil-West-Geschichte verabschieden. Damit macht dann auch die Max-und-Lisa-auf-den-bennenden-Hotel-Geschichte keinen Sinn mehr.
Ich habe ein paar für mich sehr bedrückende Szenen vom 11.9.2001 im Kopf, als diese Leute aus den brennenden Wolkenkratzern in den Tod gesprungen sind. Möglicherweise werde ich Max und Lisa eine Zuschauerrolle geben und das brennende Hotel als Detail behalten. Vom ersten Kapitel bleibt also wohl nur Nico bestehen.
Vor Jahren hatte ich sowas mit dem Ende der Geschichte erlebt und bin heute froh, dass ich mich auf das Abenteuer eingelassen habe, die letzten 50 Seten wegzuwerfen und neu zu schreiben. Mal abgesehen von der Frühstücksgeschichte haben mich diese Texte nun jahrelang begleitet und ich muss mal länger spazierengehen, um mein Gehirn zu entlüften. Aber ich bin zuversichtlich, dass mir was besseres einfallen wird.
Mir hat das hier Freude gemacht. Vielleicht stelle ich auch den Anfang meiner Fantasygeschichte ein. Ich hab den Eindruck, dass dessen erste 20 Seiten als weniger konfus wahrgenommen werden.
Also vielen Dank an alle. Ihr habt ja gesehen, dass ich mir viel Mühe mit meinen Antworten gegeben habe. Habt bitte Verständnis, dass ich mich nun wieder meiner Geschichte zuwenden möchte.
Dann bist Du vermutlich im nördlichen / ländlichen Teil Frankfurts zuhause. Ganz hübsch dort und weit weg von den horrenden Mieten, die der neue urbane Hip mit sich gebracht hat. Ich lebe mittlerweile nicht mehr in Frankfurt … mich hat es vom Main an den hessischen Rhein gezogen.
Ich hatte schonmal überlegt, ein Buch über die Jahre in dem besagten Stadtviertel zu schreiben. Es gibt so viele unglaubliche und teils bizarre Anekdoten, die es wert wären, festgehalten zu werden. Verrückte Zeiten. Die endeten (vor)erst, als ein Teenager 1993 auf der Straße erschossen wurde und so aus der Tragik eine Wende stattfand. Sozial ging es ein wenig bergauf und die spätere Bürgermeisterin Petra Roth sorgte für die optische Auffrischung der Problemviertel Griesheim und Gallus … sozial ist Griesheim (speziell Ahornstraße) noch immer das Sorgenkind Frankfurts, aber nicht mehr auf dem Level der 70er - 90er. Das Gallus entwickelt sich aber stetig in die richtige Richtung.
Apropos Fernsehen und zum Thema Ausländer (aktuell Libanesen-Clans): Wir hatten auch Libanesen bei uns im Viertel, die zwar in Deutschland nicht mehr inmitten Kriegszustände leben mussten, aber das war es auch. Viele von ihnen konnten nicht arbeiten, weil sie über den Status eines Geduldeten niemals hinauskamen … jahrelang. Das man dann anfing den Behörden das Geld aus den Taschen zu ziehen (genau von denen, die sie nicht arbeiten ließen) hätte vorhersehbar sein müssen. Die „Verzweiflungstaten“ wurden zum System und so wurde Sozialbetrug fester Bestandteil in den Großfamilien. Ich kann möchte so etwas nicht entschuldigen, weil es nicht meiner Moral entspricht … aber man sollte wissen / verstehen, dass die Hemmschwelle verzweifelter Menschen und die Möglichkeiten - die dieses Sozialsystem bietet - eine negative Synergie entstehen lassen kann, wenn man verzweifelt genug ist. Statt sie nach zwei drei Jahren zu integrieren, ließ man sie jahrelang (teils jahrzehntelang) mit einer Duldung vor sich hinvegetieren … ohne die Gewissheit, was als nächstes passieren wird. Ein kriegsfreies Zuhause ist halt nicht alles, wonach ein Mensch in seinem Leben strebt. Das hätten die Behörden wissen müssen. Mit solchen beidseitigen Fehlern, lassen sich Okzident und Orient nicht vermischen … genauso wenig wie Fettaugen sich mit Suppe vermischen lassen.
… die ausdrückliche Ermutigung: Mach doch bitte! M.E. fehlen uns solche Themata im aktuellen lit. Portfolio, jedenfalls mit so einer Insichtnahme, wie du sie hier andeutetst. – Aufgrund meines Sozialisationsganges fehlen mir leider derartige, mehr oder weniger unmittelbaren Erfahrungen, sonst würde ich mich daran setzen, das mal zu versuchen.
Eines beschäftigt mich allerdings – in verwandtem Rahmen – bis heute: Ich hatte eine Zeit lang türkische Nachbarn, zwei (Bruder-)Familien, die das Grundstück/Haus neben uns gekauft hatten. Der eine der beiden Brüder war auf orthodoxe Weise religös geprägt: Die Mädchen gingen immer mit Kopftuch zur Schule und waren von oben bis unten eingehüllt, während der andere eine ziemlich liberale Haltung an den Tag gelegt hatte. “Seine Mädchen” durften auch moderne Sachen tragen, sogar Miniröcke …
Eine von ihnen – Müjde war ihr Name gewesen --, die, herangewachsen, eine bildhübsche, intelligente junge Frau abgab, hatte ihr Zimmer im EG des Hauses; und irgendwann wurde ich dessen gewahr, daß sie des Nachts manchmal aus dem Fenster heraus 'ne Ziggi schmauchte. Daraufhin wußte ich’s einzurichten, zu dieser Zeit manchmal im Garten zu sitzen und auch vor mich hinzuqualmen. So kamen wir uns näher und rauchten hinfort manchmal verschworen zusammen. Es gab schöne Unterhaltungen zwischen uns währenddessen. Mir schien, eine gewisse Sympathie, oder gar etwas mehr?, leuchtete dabei immer wieder kurz auf. Das Ganze hatte jedenfalls etwas eminent Romantisches, Faszinierendes, ja, vielleicht sogar mit hauchfeinen erotischen Einschlüssen an sich. – Ich hatte mich schnell ein bißchen verliebt in sie … und mir schien, wir würden durchaus miteinander … nun ja … flirten … – Ich machte mir jedenfalls Hoffnungen … worauf auch immer …
Eines Tages kam ich von einem Besuch des örtlichen Buchladens zurück – es war ein Samstag – als ich kurz vor Zuhause ziemlichen Lärms auf der Straße innewurde und größeren Auflaufs vor dem Haus der türkischen Nachbarn. Als ich näher herangekommen war, sah ich das typische Ambiente einer “Türkischen Hochzeit”. Ich dachte mir, daß wohl eines der Mädchen der anderen Familiehälfte verheiratet würde (das war schon zweimal vorgekommen); und als ich näher heran war, wurde ich von der euphorisierten Meute auch sofort integriert und mußte mit auf der Straße herumtanzen usw.
Meine wundersame, mandeläugige orientalische Schönheit – die Blume, die Lilie meiner damaligen Träume und unterschweilligen Sehnsüchte – vermochte ich freilich nicht zu entdecken unter all den Leuten …
Ende der Story: Es war ihre Hochzeit gewesen! Sie hatte mir nie irgendetwas davon erzählt bei unseren verschworenen, in einer leicht erotisierten Atmosphäre irrlichternden Treffen. Ich habe nur gesehen, wie sie, von zahllosen Verwandten eskortiert, herausgeputzt wie in diesen Kontexten üblich, in ein Auto verbracht und weggekarrt wurde. Sie ist mir nie wieder begegnet.
Aber wir haben einen Blick getauscht in den letzten Augenblicken, bevor der mobile metallene Sarg sie schluckte. Und was ich dabei wahrnahm, war unsäglich gewesen. – Ich möchte nicht ausschließen, daß mich meine Intuition täuschte – wer kann das in so einer Situation schon ermessen?! Aber ich glaubte, in einen Abgrund zu blicken: Voller Furcht, voll der Verzweiflung, namenloser Haltlosigkeit, was alles von einer Art “Abbitte” legiert schien, so etwa der Art: “Verzeih’ mir!, ich hab das nicht wollen, aber es ging nicht anders … es gab niemals eine Wahl, auch wenn ich womöglich einen anderen Eindruck bei dir evoziert habe … das war nur ein Ergreifen der letzten Augenblicke irgendetwas – aufs Ganze gesehen aber unmöglichen – Schönen gewesen, welches wirklich werden zu lassen aber in Wahrheit nie eine Chance bestanden hat …”
Ich habe diese kleine Geschichte der deinen zur Seite gestellt, um auch die andere Seite der Medaille zum Vorschein zu bringen: Da war eine Familie mit “ausländischen Wurzeln”, deren einer Teil zumindest eine gewisse Anpassung an die Gepflogenheiten in der neuen Heimat praktizierte – wenigstens, was die Sozialisation der Kinder bis zum Moment, “wo es ernst wird”, anging … Aber exakt an jenem Kippunkt wurde das Rad dann halt absolut gewaltsam zurückgedreht und die uralte Variante zur Aufführung gebracht, egal, was es die bereits an der Freiheit, am Anderen geschnupperthabenden Kids kosten würde …
Ich will sagen: Der Übergang wäre fortsetzbar gewesen. Aber irgendetwas hat das gehindert. Und ich fürchte, es hat kaum nur an den Usancen des Umgangs der Deutschen mit … ähm … “ausländischen Gastarbeiten” gelegen. Die haben natürlich ihren Teil dazu beigetragen – keine Frage (man denke nur an die umsäglichen, bleiernen sechzehn [sic] Kohl-Jahre!) --; aber es geht womöglich nicht ganz darin auf … – Für manche aus der Folgegeneration lief das auf eine Katastrophe hinaus. – Ich werde diesen letzten Blick von ihr jedenfalls niemals vergessen. Vielleicht ist das ein etwas weiter und auch leicht pseudoheroischer Bogen; und doch habe ich immer die letzten Worte Colonel Kurtz’ aus Apocalypse Now im virtuellen i"nneren Hörgang", wenn ich ihn mir vergegenwärtige:* The horror, the horror* …