Ich als Leser mag am liebsten ein ganzes Buch hindurch Harmonie, mein Lieblingsbuch ist „Die Kinder aus Bullerbü“ von Astrid Lindgren.
Wichtig sind die Erwartungen, die die Leser aufgrund von Cover, Klappentext und Genre haben. Wenn ein Leser, um sich von seiner Krebserkrankung abzulenken, zu einem Buch greift, dessen Klappentext harmonisch klingt, ist es echt scheiße, wenn im Buch nach zehn Kapiteln Harmonie plötzlich jemand an Krebs stirbt.
Ich hingegen finde das tödlich langweilig.
Als ich schwerverletzt nach einem Reitunfall im Krankenhaus lag, hat mir mein Mann Kurzgeschichten von Stephen King geschenkt. Das Pflegepersonal und die Ärzte waren verwundert. Ich sollte „so etwas“ doch nicht in der „jetzigen Situation“ lesen. Wieso nicht? Ich habe mich über das Mitbringsel von meinem Mann sehr gefreut und das Buch verschlungen.
Erwartungshaltungsmanagement. Wenn „Stephen King“ draufsteht, weiß man, worauf man sich einlässt. Dann kann jeder Leser für sich entscheiden, ob er lieber Harmonie oder lieber King will. Schlecht finde ich es, wenn der Leser sich für Harmonie entschieden hat, und das Buch plötzlich zu „problembeladen“ dreht, ohne dass man das aus dem Klappentext erwarten konnte.
Das heißt doch aber nicht automatisch, dass ein Harmoniebuch nicht auch Tiefpunkte haben kann. Dann wird das Werk doch erst lebendig und ein Tiefpunkt (oder mehrere) wird doch sicherlich die darauffolgende Harmonie deutlich verstärken, würde ich meinen.
Das würde ich nicht so pauschal unterschreiben. Meiner Wahrnehmung nach hängt das sehr von den Fähigkeiten des Autors und natürlich vom Sujet ab. Ich kenne Bücher (oder Filme), die dem Leser/Zuschauer viel Zeit lassen, sich in der Welt der Protagonisten einzufinden, sich mit einzelnen Figuren zu identifizieren - um dann umso stärker mitgenommen zu werden, wenn plötzlich starke Ereignisse alles verändern.
… meine Liebe zu Stephen King wurde in den späten 80ern von der Nachtschwester einer unfallchirurgischen Station entzündet, die sich mit Büchern wie „Friedhof der Kuscheltiere“ die Zeit vertrieben hat, wenn es auf Station mal ruhig war - sie war so gefesselt, dass ich irgendwann neugierig geworden bin.
Ja, eben.
Oh, oh, die Nachtschwester ist vom Buch so gefesselt, dass sie nicht mehr auf Notrufsignale reagiert - der Stoff für eine neue Horrorgeschichte.
… wie wahr. Nachts in einer Münchner Uniklinik … alles schläft, eine wacht … das ist ein nicht ganz ungruseliges Setting.
Ich habe als Student viele Nachtwachen gemacht, um Geld zu verdienen. Einmal musste ich ein neues Bett aus dem Bettenkeller holen, weil ein operierter Patient von der Intensiv- auf die Normalstation verlegt werden sollte. Endlose Gänge, flackerndes (oder defektes) Neonlicht, dann endlich die Tür zum Bettenkeller. Ich öffne sie, Licht aus dem Gang fällt auf ein paar leere Betten, von denen ich gleich das erste greife und herausziehe - als sich plötzlich im Halbdunkel vor mir eine Gestalt aufrichtet. Fast im gleichen Moment bewegt es sich auch in den anderen Betten, die im Dunkeln liegen. Kurz setzt mein Herz aus.
Auflösung: ein paar Ziwis, die Nachtschicht hatten, hatten sich in den frisch gemachten, abholbereiten Betten, ein Nickerchen gegönnt - und waren mindestens ebenso erschrocken wie ich …
Wenn die Nachtschwester Annie Wilkes ist, wird bald auch der Autor gefesselt sein.
@donald313 gerade diese Erfahrungen machen Dich zum perfekten Testleser für meine gerade fertige Story. Die Hälfte spielt im KH. Interesse?
@_Corinna Was die Erwartungen angeht, bin ich bei Dir. Ich liebe Astrid Lindgren (vor allem Michel) und Michael Ende. Da will ich etwas anderes zwischen den Buchdeckeln, als bei S. K.
Gerade, in der von Dir geschilderten Extremsituation…
Ja! Sehr!
Danke! Dann schicke ich Dir das mal heute Nachmittag per pdf. Das kann man doch in den PN?
ja, das sollte funktionieren - hoffe ich jedenfalls. Falls nicht, schicke ich Dir meine Mail-Adresse.
@donald313 .Donald, du wolltest wissen, welches Buch mit einem schlechten Ende begann: Schwarze Stunde von Christina Feher.
es beginnt mit der Szene einer Klassenfahrt, in der Valeriie von einer eifersüchtigen Mitschülerin von den Klippen gestürzt wird. Danach beginnt das Buch von vorn: Die 17 Jährige Valerie verliebt sich auf dem Rückflug von London nach Berlin über beide Ohren in den älteren Corvin. Er gibt ihr die Adresse von dem Club in Pankow, wo er immer verkehrt. Valerie fährt am selben Wochenende hin und trifft ihn nicht an. Montag geht die Schule wieder los und Corvin taucht als Valeries neuer Lehrer an ihrer Schule auf. Verliebte Blicke im Unterricht verraten die beiden. Sie treffen sich heimlich und schwören, aufeinander zu warten, bis Valerie das Abi in der Tasche hat. Aber längst haben ihre Mitschüler die heimlichen Treffen spitz bekommen und bedrohen und mobben Valerie. Valerie reisst sich das Herz aus der Brust und macht mit Corvin Schluss, und tut ab da nur noch, was die anderen sagen: eine HOmeparty zuhause schmeißen, und ihren falschen Freunden die Hand reichen, sich mit ihrem Ex-Freund anbandeln, um wieder Ruhe vor dem Mob zu haben. Obwohl ich das Buch an mancher Stelle übertrieben finde (die Mitschüler erpressen Valerie, die Englisch-Klausuren von ihrem Lehrer zu besorgen, oder sie packen sie und drohen sie, sie aus dem Fenster zu schubsen), habe ich es nicht aus der Hand legen können. Ich finde es sauber und flüssig geschrieben, es war das schlechte Ende, das mich neugierig auf mehr gemacht hat. Aber gut, das ist Geschmackssache.
ich möchte auch mit dem Missverständnis aufräumen, dass ich auf dem Buchdeckel eine Harmonie ankündige - und im Buch passiert dann nach Friede Freude Eierkuchen - bommms! - etwas.
Einzig aus Elas naiver und noch kindlicher Sicht ist zunächst die Anfangszeit harmonisch und schön, dabei gibt es jedoch Warnzeichen, die sie nicht ernst nimmt, und als sich die Situation langsam zuspitzt, versucht sie, die Probleme abzuwenden, macht dabei alles schlimmer. Sie vertraut sich den falschen Menschen an (Lehrer, die mit der Situation überfordert scheinen.) Ihr und Yallo werden die Worte im Mund verdreht. Wenn die Clique Ela angreift, geschieht das immer so, dass Ela nichts nachweisen kann und Aussage gegen Aussage steht. Ela nimmt es danach allein in die Hand, um ihren Freund Yallo zu helfen.
Ein vorläufiges „Happy End“ ist, dass Yallos Mutter erkrankt und Elas Mutter sich entschließt, Yallo bei Ela und ihren Eltern aufzunehmen, womit Elas größter Wunsch in Erfüllung geht: sie hat ihn immer bei sich, sie leben zusammen. ABer: schon nach kurzer Zeit wird Yallo launisch, stößt Ela oft von sich und gibt ihr die alleinige Schuld an dem ganzen Mobbing, dem beide in der Schule nach wie vor ausgesetzt sind…
Zurück zur Anfangsharmonie: Der Leser ahnt, dass die zunächst so glückliche Ela bald aus ihrer Traumwelt gerissen wird.
Hinzu kommt, dass Ela beliebt an ihrer Schule war. Zumindest dachte sie das. Als die Situation zum ersten Mal eskaliert, zeigt sich schnell das Gegenteil. Die Clique schaffen es geschickt, einen Keil zwischen Ela und ihre Freundinnen zu treiben, sodass Ela allein auf weiter Flur steht und nicht mehr weiß, wer Freund oder Feind ist. Manchmal ist sie so fertig, dass sie daran zweifelt, ob der Kampf um Yallo noch Sinn macht. In dieser Zeit lernt sie James kennen, der ihr Nachhilfe in Mathe gibt und in Ela verliebt ist. Sie genießt sein Interesse und seine Wärme, sie geht mit ihm aus, sie trifft sich mit ihm, aber sie möchte Yallo noch nicht ganz aufgeben. Und auch da wächst der Druck, dass sie sich für einen Jungen entscheiden muss.
Puhh, viel Input, nicht wahr? Ich danke allen im Voraus, die geduldig mitlesen. Ich hoffe, ich werde nicht lästig
Auf keinen Fall, schließlich sind wir alle deshalb hier im Forum, weil uns unsere Schreibprojekte am Herzen liegen.
Ich würde lieber gar nichts unterschreiben . Nein, Spaß beiseite.
Ich finde schon, dass der Anfang entscheidend ist. Die Frage war ja, ob zu viel Harmonie den Leser dazu verleitet ein Buch wegzulegen. Irgendetwas muss den Leser packen. Das muss nicht gleich Mord und Totschlag am Anfang sein. Aber nach drei vier Sätzen sollte es schon spannend werden.
… finde ich persönlich eben nicht („nach drei bis vier Sätzen“). Nimm Patricia Highsmith - eine der großen Altmeisterinnen der „suspense“-Literatur - manchmal reißt sie zwar tatsächlich mit dem ersten Satz die Türe auf und befördert den Leser mit einem Tritt in die Geschichte. In anderen Storys lässt sie dich seitenlang am Decken eines Frühstückstisches und Gesprächen über Gartenpflege und Reisepläne teilhaben - allerdings so gekonnt, dass du unweigerlich bei ihr bleibst und mit jedem Satz die Erwartung auf das, was unausweichlich kommen muss, zunimmt. Das ist, was ich damit meine, wenn ich sage: es liegt am Autor. Und jeder Autor ist anders, hat andere Stärken und Schwächen.
Eine feste „Regel“ kann ich nicht ausmachen.
Eine feste Regel kann man wirklich nicht ausmachen. So wie du es schreibst, hat doch deine Autorin alles richtig gemacht. Mit den ersten Sätzen. Ich glaube, du verstehst mich falsch.