Wo die Realität keine Schätze birgt

Hallo, ich schreibe gerade an einem Jungendroman, der in den 90er Jahren spielt, und stelle ich die Einleitung zu dem Buch vor: (der Name Yixiong ist schwierig auszusprechen, aber später im Roman wird er kurz „Yallo“ gerufen.)

Diese Geschichte beruht auf Begebenheit nach der Erzählung einer Jugendlichen, die ihre erste Liebe entdeckt, bisher nur die Sonnenseite des Lebens kannte, und plötzlich mit einer neuen Realität konfrontiert wird.

Auf Grund des Persönlichkeitsrechts wurden manche Details, Ereignisse und auch alle Namen der Personen, Orte und Daten aus Datenschutzgründen frei erfunden.

Oktober 2023 Cevennen, Frankreich

Die Nacht in den Cevennen war erfüllt von einer symphonischen Ruhe, die nur die Natur bieten kann. Während ich den dunklen Pfad hinabging, hörte ich das leise Rascheln der Blätter. Ab und zu durchbrach das Zirpen der Grillen die Stille. In der Ferne konnte ich das gelegentliche Rufen einer Eule hören, was der Nacht eine geheimnisvolle Atmosphäre verlieh. Manchmal hörte ich das leise Plätschern eines Baches, ein sanftes, beruhigendes Geräusch, das die Stille der Nacht ergänzte.

Der Weg vom Restaurant war dunkel und steil, es gab keine Laternen, doch ich verzichtete darauf, eine Taschenlampe einzuschalten. Über mir spannte sich der Himmel wie ein schwarzes Samttuch, durchzogen vom hellen Streifen der Milchstraße, der sich wie ein funkelndes Band über den Nachthimmel zog. Ich hatte versucht, aus einem anderen Ferienhaus, das leider verschlossen war, ein Teleskop zu holen, um die Sterne noch näher betrachten zu können. Doch auch ohne Teleskop war der Anblick überwältigend. Die Sterne funkelten so hell und klar, dass es schien, als könnte man sie mit den Händen greifen.

Während ich mit meinen Mitwanderern den Sternenhimmel betrachtete, überkam mich eine Welle der Erinnerung: Plötzlich befand ich mich wieder knapp dreißig Jahre in der Vergangenheit. Ich dachte an Yixiong, den Indianerjungen, der das Sternegucken liebte. Ich erinnerte mich daran, wie er mich einst beim Sternebeobachten an seine Brust gedrückt hielt. Er erzählte mir von den Sternen in seiner Heimat Venezuela, von den Yanomami-Indianern und ihren Sternbildern. Er sprach von den Feiern bei Mondlicht, bei denen die Yanomami tanzten und sangen. Die Yanomami-Indianer haben eine tief verwurzelte und spirituelle Verbindung zum Sternenhimmel. Für sie sind die Sterne nicht nur Himmelskörper, sondern auch wichtige Bestandteile ihrer Mythen und Geschichten. Sie haben verschiedene Sternbilder, die oft mit Tieren und Naturphänomenen verbunden sind. Diese Sternbilder spielen eine zentrale Rolle in ihren Erzählungen und Ritualen. Bestimmte Sternkonstellationen signalisieren den Beginn der Regenzeit oder der Trockenzeit, was für ihre landwirtschaftlichen Aktivitäten von großer Bedeutung ist. Während ihrer nächtlichen Rituale und Feste, die oft bei Vollmond stattfinden, erzählen die Ältesten Geschichten über die Sterne und ihre Bedeutung.

Es war mir, als sei es erst gestern passiert, wie er mich noch im Januar 1995 in seine Arme zog, als wir schlotternd vor Kälte auf dem Feldweg standen, neben uns das Bresser-Teleskop. Diese Erinnerungen erfüllten mich mit einer bittersüßen Sehnsucht. Der Sternenhimmel über Südfrankreich schien plötzlich nicht mehr nur ein wunderschönes Naturphänomen zu sein, sondern ein Fenster in die Vergangenheit, zu einer Zeit, die von der ersten Liebe geprägt war.

Als wir alle in den Cevennen mit unseren Ferngläsern im Gras lagen, war es kurz, als läge Yixiong neben mir. Sein vage vom Mondschein angeleuchtetes Gesicht von seinen schwarzen Haaren umrahmt, von seinen Augen war nur das Weiß zu erkennen. Ja, Yixiong, war blöd gelaufen damals, nicht wahr? Wir konnten uns ja nicht in ein Raumschiff setzen und in eine andere Galaxie fliegen, sondern mussten in der Welt bleiben, in der man uns voneinander trennen wollte. Von 1993 bis 1995 hatten wir gekämpft, am Ende verloren. Heute erscheint es mir, als sei ich schnell über dich hinweg gewesen. Klar, als Dreizehnjährige trauert man nicht wie eine Mittvierzigerin. Aber langfristig habe ich immer wieder an dich gedacht, oft unbewusst. Du bist Teil meiner Vergangenheit.

Damals fragte ich Yixiong, warum manche Sterne funkeln. Ich sagte, das seien Kinder, die noch nicht geboren sind und zu uns herabblicken. Darauf zog er mich ganz fest in seine Arme: „Das sind die Seelen unserer Vorfahren, die über uns wachen.“ Im Schein des Mondlichts sah ich Tränen in seinen schwarzen Augen glitzern. Wir umklammerten uns, dabei strichen seine langen Fingernägel über meinen Rücken, ich vergrub mein Gesicht in seinen schwarzen Haarschopf. „Wir müssen zusammenhalten, hörst du?“, sagte ich. „Wir dürfen nicht zulassen, noch einmal voneinander getrennt zu werden.“

Natürlich war der einsame Feldweg vor den Toren der Kleinstadt kein Vergleich zu Yixiongs Heimat, die er sehr vermisste. Es fehlten die schwüle Luftfeuchtigkeit und die Rufe tropischer Vögel. Stattdessen thronte der grün angestrahlte, quadratische Bergfried gut sichtbar über der Kleinstadt und sah unbeteiligt zu uns herüber. Auf der Landstraße fuhr ab und zu ein Auto vorbei.
„Ich könnte die ganze Nacht hier bleiben.“, meinte Yixiong. Ich stupste seine Nase. „Wir haben morgen Schule.“ Ich klappte das Teleskop zusammen. „Und Hausaufgaben habe ich auch noch.“

Plötzlich kamen immer mehr Erinnerungen. Zum Beispiel, wie Yixiong neben mir im Mathematikunterricht saß und unter der Bank meinen Fuß drückte, wenn ich Ärger wegen nicht gemachter Hausaufgaben zu erwarten hatte. Wenn Herr Jürgens sich zur Tafel drehte, griff Yixiong meine Hand und streichelte sanft mit seinem Daumen über meinen Handrücken. Diese kleinen Gesten gaben mir immer ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit.

Während ich in Erinnerungen schwelgte, fiel mir spontan der 90er Jahre Hit von Haddaway “Life” ein. Der Song, der davon handelt, den Alltag loszulassen und das Leben zu genießen, passte perfekt zu dem Wanderurlaub in den Cevennen. Nur Arbeit ist in deinem Kopf, das Leben ist so schnelllebig - hier konnte man die Seele baumeln lassen. Zudem war besagter Song gerade in den Charts, als ich Yixiong in der Schule kennenlernte.

Nach einer abschließenden Weinrunde auf der Terrasse des Ferienhauses, später auf meinem Zimmer, klickte mein Daumen auf das Cloud-Symbol. Das einzige Foto, das ich von ihm besitze, das Portrait, das Christin damals im Kunstunterricht gezeichnet hatte, lebensecht. Kurz lachte mich der vierzehnjährige Yixiong an, dann presste ich mein Smartphone auf die Brust, mein Herz klopfte langsam, aber kräftig.

Beim gemeinsamen Frühstück mit der Wandergruppe am nächsten Morgen – wir hatten die Delikatessen Frankreichs auf der großen Tafel angerichtet. Von jedem war etwas da. Es ging mir so gut. So gut, wie schon lange nicht mehr. Das war mit ein Grund, warum ich mich zurück in die Zeit versetzt fühlte, als das Leben einfach nur leicht und Freude war.

Mir gegenüber war stets ein Stuhl frei, nun hatte Yixiong ihn für sich beansprucht. Über den Tisch hinweg beobachteten mich seine schrägstehenden, schwarzen Augen, die die Sonne Venezuelas gespeichert hatten, ich hörte sein heiseres Lachen. Als wir später damit beschäftigt waren, den Tisch abzuräumen, ich Geschirr in die Spülmaschine räumte, spürte ich genau seine Augen in meinem Rücken, und fühlte mich in jene Zeit zurückversetzt, als ich mich in einem Film wähnte. Als hätte ein Regisseur mit Kamera und Mikrofon bewaffnet jede Szene von uns beiden aufgezeichnet. Und ich selbst stand plötzlich als Dreizehnjährige in dieser Ferienhausküche. Mit Igel-Kurzhaarschnitt und einem T-Shirt mit Jurassic-Park-Logo…

Die Wanderung bei dreißig Grad durch das Urgestein der Cevennen erforderte einen sicheren Tritt. Yixiong und ich hatten so manches Mal einen falschen Tritt gewagt oder eine vermeintlich gute Wanderroute herausgesucht, die in einer Sackgasse endete und uns zurückwarf.

Für den heutigen Wandertag stand die Tarn-Schlucht zwischen Florac und Le Rozier an. Nach einem steilen Aufstieg wurde unsere Wandergruppe mit einem fantastischen Ausblick über die Schlucht belohnt. Vor unseren Füßen ging es steil bergab. Plötzlich stand Yixiong auf der anderen Seite der Schlucht. Die Hände in die Hüften gestemmt, seine Augen blitzten wütend, die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Wie war er auf die andere Seite gekommen? Die Antwort ist einfach: im Februar 1995, spätestens Anfang März hatte sich eine tiefe Schlucht zwischen uns aufgetan hat, selbst wenn wir nebeneinander auf der Wohnzimmercouch saßen. Ich hörte wieder das Geräusch einer zuschlagenden Wohnungstür, das Klackern von Kofferrollen im Hausflur, das dumpfe Zuschlagen der Haustür. Dann Stille. Als ich erneut auf die andere Seite der Schlucht blickte, war der Junge verschwunden und tauchte auch für den restlichen Cevennen-Urlaub nicht mehr auf – ebenso, wie er die vergangenen drei Jahrzehnte nie in dieser Form aufgetaucht war. Zu tief saß das schlechte Ende.

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Schön, dass Du Dich getraut hast!
Mein Eindruck:

Schon den Titel finde ich sprachlich stark.
Die Einleitung mag ich vom Ton her sehr, einige Bilder (Grillen zirpen, Blätter Rascheln) fände ich schöner, wenn sie sprachlich kreativer /malerischer wären.

Kürzen kann man sicherlich brutal, aber da sitze ich im Glashaus…

Ich würde viel früher mit der wörtlichen Rede einsteigen. Die gesamte Darstellung, wie der Junge den Sternenhimmel und die Bedeutung erklärt. Das macht es schneller…

Den Szenenwechsel zum Frühstück hin würde ich deutlich machen. Tag zu Ende, nächste Szene Frühstück.

Aber ich hab Bilder im Kopf… das ist viel! Und gut.
Das schlechte Ende vorweg nehmen… Willst du das wirklich?

PS a) ich habe am Smartphone gelesen, das schlechteste Medium überhaupt für einen guten Texteindruck.
b) alles nur ein erster Eindruck. Nichts davon hat Anspruch auf Richtigkeit!

Weiter machen!

Ich hab auch schonmal reingeschaut.
Deinen Szenenaufbau finde ich nicht schlecht, du hast auch keine Probleme, Bilder im Kopf entstehen zu lassen. Die Sache hat in meinen Augen aber ein gewaltiges Problem, und das sind die dauernden Sprünge zwischen Gegenwart und Vergangenheit.
So, wie du es hier machst, springt man ständig hin und her und schafft es nicht wirklich, ‚einen Fuß auf den Boden zu bekommen‘ oder zu irgendwem eine Beziehung aufzubauen.
Du brauchst für den Anfang sowas wie einen Aufhänger, eine spannende Szene, die im Idealfall schon viele Fragen aufwirft und den Leser mit einem 'und wie gehts jetzt weiter?’ zurücklässt. Dann liest er nämlich weiter.
Deine Story hier hat Potential, wirkt auf mich aber noch viel zu zerfasert, so als ob du selbst noch nicht so genau wüsstest, in welche Richtung es weitergehen soll.
Aber egal, auf jeden Fall kann man damit arbeiten, also dranbleiben und weiter machen.
Im Anhang noch ein bisschen Textarbeit und weitere Anmerkungen, vielleicht hilft es dir ja ein Stück weiter.
Bei Fragen bitte einfach melden.

Ela.pap (19,2 KB)

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Vielen Dank für das positive Feedback.

Dein Gedanke mit dem brutalen Kürzen ist ebenso mein Gedanke - nichts anderes tue ich gerade bei der Überarbeitung meines Manuskripts.

Deinen Vorschlag mit der Wörtlichen Rede werde ich als nächstes einpflegen, das war mir ebenso aufgefallen. Auch den Perspektivwechsel zum nächsten Tag habe ich eingefügt. Mir ist bewusst, dass ich durch das Vorwegnehmen des schlechten ENdes eine Art Spoiler drin habe, aber ich möchte es gern belassen, sodass der Leser bei Elas und Yallos zunächst harmonischer Beziehung immer im Hinterkopf hat, dass etwas passiert.

Nach den Cevennen geht es im Jahr 1993 weiter: Elas Alanya Urlaub samt Ferienliebe, Ela beschreibt ihren ersten Schultag, wobei der Leser in ihre Schule eingeführt wird. (Damals waren Gesamtschulen noch Raritäten).

Wenn ihr gestattet, würde ich gern den Absatz einfügen, in dem Ela und Yallo sich in der Schule begegnen.

@Yoro: Leider kann ich den Anhang nicht öffnen.

Zerfasert wirkt die Einleitung leider, da Ela auch gedanklich zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her springt. Sie ist zwar in den Cevennen, aber ihr Geist springt immer wieder ins Jahr 1995.

Als Vergleich habe ich die Szene eingefügt, als sich Ela und Yallo im Schulflur begegnen und die Ausschließlich im selben Zeitraum stattfindet. (tut mir leid, tue mich mit Absätzen noch oft schwer)

Sonniger November 1993

Anfang November nahm die Sonne alle Kraft zusammen. Es war einer dieser milden Tage, wie sie manchmal im Herbst vorkommen. Seit Tagen war ich ungewohnt optimistisch. Mir fiel zudem in Anjas Klassentrakt immer häufiger ein dunkelhäutiger Junge auf.

Anja musste an diesem Donnerstag in der Mittagspause im „Stillen Klassenraum“ Übungsaufgaben in Mathe erledigen, wobei ich ihr Gesellschaft leistete. Während ich Kreuzworträtsel löste, summte ich „Katzenklo, Katzenklo, ja das macht die Katze froh,…“ vor mich hin. Anja, gereizt wegen der kniffeligen Aufgaben, warf ihren Füller aufs Heft. „Ich hoffe, ich muss das nicht die ganze Pause hören.“
„Tut mir leid, ist ein Ohrwurm, seit ich gestern Abend im Kino den neuen Film mit Helge Schneider gesehen habe… Willst du eine saubere Katze haben, musst du im Geschäft nach Katzenklo fragen…“
Wie so oft, das Mädchen mit der Igelfrisur allein an einem Gruppentisch. Ab und zu verzog sie etwas die Miene, arbeitete dann wieder konzentriert vor sich hin. Anja stöhnte und klappte ihr Mathebuch zu. „Ich kapiere null, ich gebe es auf.“
Wir lösten gemeinsam Kreuzworträtsel. Als sich die Pause dem Ende neigte, beschloss ich, den dunkelhäutigen Jungen genauer anzusehen. Vielleicht geht der, dachte ich.

Er stand im Flur neben den Jackenhaken, als Anja und ich die Treppe runtergingen. Als ich gerade zu ihm schaute, drehte er sich um und lächelte mich an; seine schwarze Augen betrachteten mich voller Interesse. Er hatte wunderschöne volle Lippen, makellos weiße Zähne und runde, rote Wangen. Dies alles registrierte ich in diesen Sekunden, die mein Leben veränderten.
„Ela, was ist los“, drang Anjas Stimme wie von weit entfernt in mein Bewusstsein. Erst da merkte ich, dass ich angewurzelt auf der halben Treppe stand, unfähig mich zu bewegen.

„Was ist los mit dir?“ Anja schaute mich mit offenem Mund an. Seltsam, ich hatte gar nicht mitbekommen, wie wir den Flur verlassen hatten. Jedenfalls schwankte der Schulhof unter meinen Füßen! Anja rüttelte mich. „Ela, ist vorhin der Blitz in dich eingeschlagen, oder warum bist du plötzlich wie angewachsen auf der Treppe stehen geblieben? Und was ist jetzt mit dir los?“ Meine Wangen wurden heiß. Ich schüttelte den Kopf. „Ach nichts.“ Zu entrückt war ich. Was auch immer gerade mit mir passiert war – es war unbeschreiblich! Ein letzter Blick in den Flur. Der unglaublich schöne Junge war verschwunden. Dann schüttelte ich mich, um zu mir zu finden. Ich musste jetzt wirklich los, wenn ich nicht zu spät zum Kunstunterricht kommen wollte.

Im Kunstraum ließ ich mich auf meinen Stuhl fallen und wischte meine feuchten Hände an meiner Jeans ab. „Du bist knallrot im Gesicht, ist dir nicht gut?“, fragte mich meine Sitznachbarin Ramona. Jetzt bemerkte ich, dass mir mein Herz fast aus der Brust sprang. „Nein, ich glaube, es geht mir gerade sehr gut!“, erklärte ich, als ich wieder Luft holen konnte. „Was?“ Zweifelnd musterte Ramona mich.
„Ja. Es ist irre!“

Anmerkung: Ich schreibe oldschool in Word

Oh! Dann bist du also noch nicht im Besitz unseres Lieblingsprogramms …

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Es gibt ja die kostenfreie Demo-Version, die Du mit Einschränkungen auch über den Zeitraum hinaus nutzen kannst.
Mein Rat: runterladen und ein wenig damit rumspielen. Eine gute Autorensoftware ist Gold wert, wenn man einmal auf den Geschmack gekommen ist.
Damit kannst du auch die Datei öffnen. So kann man dir im Forum auch leichter helfen.
Vielleicht beantwortet ja auch die Stilanalyse schon einige Deiner Fragen…

Du vergibst Dir ja nix. Einfach mal machen. Ich strukturiere meine Texte komplett anders, als mit Word.

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Wenn das dein Schwerpunkt ist, dann lautet mein Ratschlag, die Geschichte auch direkt in den 90er Jahren zu beginnen, ohne Zeitsprünge, ohne Vor- und Rückblenden. So dass der Leser die Geschichte direkt miterlebt, statt sie aus der Distanz aus Erinnerungsfetzen zusammenzusetzen.

Falls es sehr wichtig ist, dass die Mittvierzigerin am Anfang zu Wort kommt, würde ich sie in einem (kurzen) Prolog auftreten lassen, der deutlich von der eigentlichen Handlung in den 90ern abgegrenzt ist.
Dass sie schon das Ende vorwegnimmt durch „Von 1993 bis 1995 hatten wir gekämpft, am Ende verloren.“, finde ich für die Spannung in der Geschichte ungünstig.

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P.S.:
noch eine Anmerkung, die vor allem meinen persönlichen Geschmack widerspiegelt:

Das hier war der Punkt, an dem ich die Lust verloren hatte, weiterzulesen. Denn das klingt für mich ziemlich geringschätzig gegenüber der dreizehnjährigen Protagonistin. Ich persönlich lese lieber Bücher mit positiv dargestellten Protas und mit Happy End, das ist natürlich Geschmackssache.
Du sagst, es ist ein Jugendbuch - wenn Jugendliche die Zielgruppe sind, könnten die das vielleicht in den falschen Hals bekommen á la „ihr Jugendlichen seid oberflächlich, eure Gefühle halten nicht an“.

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Hallo,
man merkt, dir ist der Text sehr wichtig. Das ist schon mal gut, um dran zu bleiben.
Die ersten Sätze sind entscheidend. Will ich das Buch lesen oder nicht. Du musst den Leser reinziehen, sofort. Ohne große Bedienungsanleitung. Mitten in der Geschichte anfangen und dann in Häppchen aufdröseln.
Bei den Bräuchen der venezuelanischen Indianer, war ich schon raus. Das meine ich mit Bedienungsanleitung = Info Dump. ( Dabei ist mein Onkel selbst einer😂, aber das nur am Rande)
Vielleicht solltest du auch nochmal über die Erzählperspektive nachdenken. Die Ich Perspektive ist schwierig, gerade wenn man da zu tief mit drin steckt.
Ansonsten immer weiter schreiben, wenn es dir mehr Freude, als Qualen bereitet. Und, aus eigener Erfahrung, manchmal muss so eine Geschichte raus. Egal, wie es andere finden und wenn du dann immer noch schreiben willst, ist der Kopf frei für andere Geschichten.
Ich kann auch wärmstens den Podcast " Schreibzeug " empfehlen. Der wird auf jeden Fall auch eine Hilfe sein.

Liebe Grüße und willkommen :wave:

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Mir gefällt der Einstieg. Die Ruhe, die Atmosphäre. Ich habe es bildlich vor Augen. Vielleicht würde ich nur nicht mehrmals in so kurzer Zeit in die Vergangenheit wechseln, sondern von der Gegenwart direkt in die 90er reisen und dort verbleiben. Zu viele Wechsel reissen mich etwas raus und stören meinen Lesefluss. Der Erzählstil des erwachsenen Ichs gefällt mir. Über das jüngere ich kann ich noch nicht viel sagen. Aber man merkt den Generationenunterschied, und das finde ich gut. Anhand der Sprache kann man den Unterschied zwischen Frau und Mädchen gut unterscheiden. Als Kind der 80er und Teenager der 90er würde mich deine Geschichte interessieren und ansprechen.

… da ist natürlich zu schleifen, zu kürzen, zu verbessern - wie es immer so ist (Lesetipp: „Das Leben und das Schreiben“, ein großartiges Buch von Stephen King, der dort auch einzelne seiner Manuskriptseiten mit den Anmerkungen und Korrekturen seines Lektors vorstellt. Auch der (in meinen Augen) geniale Großschriftsteller Stephen King braucht eine helfende Hand).

Aber: wie ich es mir schon gedacht habe, schreibt da jemand mit Talent und Herzblut. Damit aus Kohle ein Diamant wird, braucht es viel Druck - den muss man sich beim Schreiben selber machen.
Lass Dich nicht verwirren, nimm die hier geäußerten Vorschläge ernst, aber wäge selber ab.

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… weil ich hier mehrmals „kürzen“ als Vorschlag gelesen habe, da fände ich eine Unterscheidung wichtig:
Die sprachliche Ausdrucksweise würde ich eher nicht kürzen. Man kann sich ruhig die Zeit nehmen, mit mehreren Adjektiven das Plätschern eines Baches zu beschreiben, das schafft Atmosphäre, ich mag das.
Beim strukturellen Aufbau würde ich einiges rausnehmen, was in meinen Augen den roten Faden stört. Wenn es mein Buch wäre, würde ich mich auf den ersten Seiten auf die Handlung in den 90ern beschränken und den „info dump“ zur Indianerkultur und die Zeitsprünge zur Mittvierzigerin rausnehmen.

Deshalb würde ich nicht den Ausdruck „kürzen“ verwenden, sondern es vielleicht „gezielt den roten Faden freilegen“ nennen.

@ Corinna: Mit dem Prolog hast du mich auf eine gute Idee gebracht, und zwar, den Einstieg als Mitvierzigerin, die sich in den Cevennen an die 90er Jahre erinnert, als Prolog zu verfassen. Das mit den verwirrenden Sprüngen zwischen Gegenwart und Vergangenheit arbeite ich noch gut leserlich aus. Die Zeitsprünge möchte ich jedoch nicht hinausnehmen, sondern so darstellen, dass ich zwar in Südfrankreich mit anderen Mitwanderern in die Sterne schaue, aber meine Gedanken dabei ins Jahr 1995 zurückwandern.
Auch das schlechte Ende mit dem Jungen Yixiong (Yallo) möchte ich nicht hinausnehmen. Dazu sei auch angemerkt, dass das Buch nicht mit dem Beziehungsende zwischen Yallo und Ela endet, sondern nur ein Teilabschnitt ist.
Das Happy End des Buches ist das Happy End in Elas Familie an Weihnachten 1995, und ihre Vorfreude auf das Praktikum.
Spoiler: Nachdem Yallo Ela verlässt, flüchtet sich Ela in die Heikos Arme, der sie nach kurzer Zeit fallen lässt. Dann Liebeskummer im Sommer 1995, nebenbei bekommt sie die Trennung von Take that mit, dann taucht Kalle auf…
Ok, das zu Elas Liebesleben. Damit komme ich zu der Anmerkung, dass ich als Mitvierzigerin anders trauere als als Dreizehnjährige. Wenn sich das abfällig anhört, ist es dem geschuldet, dass ich beim Schreiben häufig in Konflikt mit meinem jüngeren Ich gerate, weil sich mein Blickwinkel in vielen Dingen verändert hat: was mich früher glücklich gemacht hat, würde es heute nicht mehr tun. Oder ich war beim Schreiben schlicht erschrocken, wie schnell ich früher eine Trennung wegtun, bzw verdrängen konnte. Gut, das werde ich mir also vornehmen.

Glaubt mal, wie viele schlaflose Nächte ich mir bereits über den Buchanfang gemacht habe, der so ziemlich das Herzstück jedes Buches ist und sensibel darüber entscheidet, ob der Leser das Buch weiterliest oder nicht.
Ich als Leserin achte meist auf den Schreibstil. Wenn dieser flüssig und gut verständlich ist, ist mir manchmal sogar der Anfang zweitranigig. Letztens hatte ich ein spannendes Buch in der Hand, dass sogar mit dem schlechten Ende begann. Obwohl ich wusste, dass es zwischen den Liebenden und mit dem Mobbing in der Schule kein Happy End gibt, konnte ich es nicht aus der Hand legen…

Letztens hatte ich ein spannendes Buch in der Hand, dass sogar mit dem schlechten Ende begann

Verrätst Du den Titel?

So eins habe ich auch geschrieben.

Jepp, du bist die Autorin, du entscheidest. :+1:

Du schreibst mit dem Ziel, dein Buch zu veröffentlichen. Dadurch gewinnt die Frage an Bedeutung: Wie wirkt etwas auf meine Leser?, beziehungsweise: Wie wirkt etwas auf meine Zielgruppe?

Für dich selbst ist dieser Einstieg vermutlich der „Hook“, der Haken, der dich da abholt, wo du stehst, und dich in die Geschichte hineinzieht. Du bist die Mittvierzigerin in der Gegenwart, die sich Stück für Stück zurückerinnert. Das ist dein Einstieg.

Für deine Leser (sind Jugendliche deine Zielgruppe?) schafft dieser Einstieg vermutlich eher Distanz. Man lernt die dreizehnjährige Ela nicht unmittelbar kennen, sondern durch die Augen der Mittvierziger-Ela.

Ein bewusstes Stilmittel, mit dem man dem Leser enttäuschte Erwartungen erspart, ihn aber gleichzeitig ein Stück vom Geschehen distanziert.

Wenn man bewusst die Distanz wählt, ist man als Autor in guter Gesellschaft, Bertold Brecht hat das geradezu zur Kunstform erhoben. Man braucht dafür nur die passende Zielgruppe.

Guten Morgen,

glaub mal Corinna, wie oft ich den Buchanfang geändert habe. Bei meiner ersten Fassung habe ich direkt mit einer Szene von August 1994 angefangen, und zwar mitten in einem Konflikt. Bei der zweiten Fassung habe ich mit einer Email der erwachsenen Ela an Yallo, was mir jedoch nicht gefallen hat und ich wieder rausgeschmissen habe.
Dann hat mir jemand den Tipp gegeben, mit einer Szene in der Gegenwart angefangen, dass Ela sich mit einem 13 Jahre alten Mädchen unterhält, das verzweifelt auf eine Whatsapp von ihrem Freund wartet und die erwachsene Ela der Dreizehnjährigen von sich, von damals erzählt. Mit dieser Idee konnte ich jedoch nicht warm werden, aber da ist mir die Idee mit den Cevennen gekommen. Alternativ könnte ich auch direkt mit dem Türkei-Urlaub 1993 beginnen, in dem Ela zum ersten Mal das Gefühl der Verliebtheit kennenlernt. Soll ich mal einstellen?

Und noch eine dumme Frage: in der ersten Hälfte läuft alles noch harmonisch, bis die Probleme beginnen. Es wird von Elas glücklichem Leben berichtet. Stört zu viel Harmonie den Leser. Legt er das Buch womöglich zur Seite, bevor es anfängt, sich zu zuspitzen? Also soll ich Alanya 1993 mal als 1. Kapitel einfügen?

Auch wenn du nur mit Corinna sprichst…
Ja, zuviel Harmonie, vor allem am Anfang, ist langweilig zu lesen.

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Ich meine natürlich alle.
Also zunächst ist Elas Leben toll. Sie ist frisch verliebt, jedes Wochenende ist irgendwo Party, ihre Eltern laden viele Bekannte ein oder sie werden irgendwo eingeladen. Dabei tauchen jedoch erste Warnzeichen auf, die Ela auf die Leichte Schulter nimmt: Die Mädchen aus Yallos Klasse fordern sie auf, ihre Finger von ihm zu lassen. Ela verdrängt, dass ihr Onkel schwerkrank ist. Hinzu kommen ihre nachlassenden Schulleistungen und unerquickliche Gespräche mit der Klassenlehrerin. Ela merkt zudem lange nicht, dass ihre Mutter trinkt (Yallo deckt später das Flaschendepot auf).
Außerdem wird angedeutet, dass Yallo und seine Familie ein dunkles Geheimnis haben. Ela wird immer wieder von Zukunftsangst heimgeholt und glaubt in einer Verkäuferin in der Bäckerei, die gemobbt wird, ihr späteres Ich zu sehen. Eine Schulkameradin von Ela warnt Ela immer wieder, sie würde sich mit ihrem Verhalten und ihrer Beziehung zu Yallo ins Abseits katapultieren. (Was später auch alles eintrifft)

Meine erste Manuskriptversion hat tatsächlich erst mit der zweiten Hälfte begonnen, als Ela an einem normalen Augusttag ihre Schularbeiten macht, im Flur das Telefon klingelt und ihre Mutter kurz darauf zusammenbricht und Ela erfährt, dass ihr Onkel gestorben ist. In diesen Tagen dröselte es sich auf, seit wann sie mit Yallo zusammen ist, was in der Vergangenheit so passierte…

Leider ist mir die erste Hälfte, auch die Zeit vor Yallo wichtig, dass ich es nicht lassen konnte, es vorzuenthalten. Ich werde jedoch massiv den Rotstift ansetzen und brutal kürzen.
Die Einleitung in den Cevennen wegzulassen, würde mir tatsächlich nicht besonders weh tun.
Zur Zielgruppe (neben Jugendroman bzw. Young Aduld) dachte ich auch an Leute in meinem Alter, die in 90ern Jugendliche oder Kind waren.

Grüße