Wintersturm

Hallo,

den Beginn des ersten Teil der Hasentrilogie, das Nestgeflüster, hatte ich ja schon vorgestellt. Nun möchte ich euch vom zweiten Teil ein wenig vorstellen. Ich bin gespannt auf eure Reaktionen und Anregungen.

Viele Grüße,

Momo

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Ein Büro, leer wie es scheint. Drei Seiten sind mit Fenstern geschmückt, aber der Ausblick geht dennoch nicht ins Freie. In der Mitte steht ein wuchtiger Schreibtisch mit einem imposantem uralten Sessel dahinter. Roter Samt überzieht die Rückenlehne und den Sitz, alles umrandet mit vergoldetem Holz, in das phantastische Muster geschnitzt sind. Der ganze Raum atmet Geschichte. Sein Geruch zaubert vergessene Bilder in den Kopf. Es riecht nach dem Holz der dunklen Vertäfelungen an den Wänden, nach altem Pergament, das zum Teil schon aus den wuchtigen Kommoden quillt. Alles unterlegt mit einem Hauch von Lack, Maschinenöl und Holzpolitur. Dazwischen schleicht sich der Duft von Gewürzen, Vanille und Schokolade in die Nase. Und dann … dann erblickt man plötzlich einen Mann reglos vor dem größten der Fenster stehend, welches hinaus und dennoch nach innen blickt. Wer ist das? Warum wirkt er wie ein Teil der Einrichtung und doch verloren im Raum und in seinen Gedanken?

Langsam lässt der Mann den Blick aus dem Fenster hinaus über das Geschehen unter sich gleiten. Alles schien wie immer geordnet und problemlos zu funktionieren. Die Produktion summte wie ein Bienenstock in den letzten Tagen des Herbstes, wenn alle Bienen versuchten, jeden noch verfügbaren Tropfen Nektar vor dem Winter in den Stock zu bringen.

Er stand in seinem Büro und sah durch das Innenfenster auf die größte und älteste seiner Produktionshallen. Was er dort erblickte, hätte ihn eigentlich froh stimmen sollen. Alles lief nach Plan, ein Großteil der Ware befand sich bereits verpackt im Auslieferungslager und wurde für den Transport vorsortiert. Und doch - wirklich freuen konnte er sich nicht.

Früher, ja, da hatte ihm der Blick in die Hallen das Herz aufgehen lassen. Er war immer mitten im Geschehen gewesen, hatte gesägt, geschraubt und noch im letzten Moment neue Ideen umgesetzt, um die Kunden zu überraschen. Und heute? Das Meiste, was er dort unten sah, brauchte neuerdings Batterien, Akkus und Ladekabel. Es blinkte, piepte, gaukelte verschiedenste Variationen vor und war doch nur äußerst einseitig nutzbar. Wo blieb da die Fantasie? Wo die unendlichen Gedankenspiele und Ideen? Wo das Miteinander?

Sicher, viele dachten zwischenzeitlich wieder ähnlich wie er und fingen an, erneut die bewährten alten Produkte zu bestellen, aber die meisten gierten nur nach immer mehr Technik, Gimmicks und Funktionen. Doch all das nahm einem letztlich die Fähigkeit, die eigene Fantasie zu entfalten. Diese Dinge erforderten nur das Wissen, wie sie funktionierten und nicht das selbständige Finden neuer Möglichkeiten. Das Hirn wurde zum reinen Speicherplatz degradiert und verlor immer mehr die Unendlichkeit der Gedanken.

Er atmete schwer ein.

Sie hatten vor vielen Jahren aufgrund dieser weltweiten Entwicklung keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als die Produktion daran anzupassen und sich das notwendige Wissen mühsam zu erarbeiten. Sie alle waren altehrwürdige Handwerker, die ihre Kunst von klein auf gewissenhaft und mit viel Engagement erlernt hatten. Mit ihrer Hände Arbeit formten sie wahre Kunstwerke. Jeder Arbeitsschritt war aus altem Wissen und der Liebe zum Gewerk geboren. Unzählige Produkte hatten sie mit ihrer Fantasie immer wieder neu erschaffen und so die Möglichkeiten der Nutzung multipliziert. Und nun? Viele hatten sich damals mit der Umstellung sehr schwergetan, vor allem die Alteingesessenen. Und doch waren sie stets offen für die Wendungen der Zeit gewesen. Zum Glück hatten sie diese früh genug erkannt und darauf reagiert, indem sie den Nachwuchs bereits zeitig auch mit diesen Fertigungsverfahren vertraut gemacht hatten. Und genau diese jungen Handwerker kümmerten sich nun vornehmlich um die Programmierung und die Feinheiten der neuen Produkte. Aber irgendwie war es einfach nicht mehr das Gleiche wie früher.

Er seufzte tief auf und drehte sich zu seinem Schreibtisch um. Denn was ihm am allermeisten zu schaffen machte, war sein gesundheitliches Problem. Damit quälte er sich nun schon seit fast einem Jahrhundert herum. Andererseits war es der Preis, den er für seine Arbeit zahlen musste. Krankheiten und Schmerzen blieben, bis er die Zeit fand, sich darum zu kümmern. Er wurde nur höchst selten krank und eigentlich kannte er die Lösung seines aktuellen Problems sehr genau. Doch das war ein Weg, den er nicht mehr einschlagen konnte – nicht nach dem, was vor langer Zeit geschehen war. Sie hatte ihm äußerst ausdrücklich klar gemacht, dass er nicht mehr willkommen war und nie wieder sein würde. In seine Überlegungen versunken saß er mittlerweile an seinem Schreibtisch und drehte die Schreibfeder an ihrem Kiel zwischen den Fingern.

Als es klopfte, dauerte es etwas, bis dieses neue Geräusch in seine Gedanken vordrang. Langsam nur fand er daraus wieder zurück in die Gegenwart und sah, mit einer unausgesprochenen Antwort auf den Lippen, irritiert auf seine Hand. Seine Finger waren nass und dunkelblau von der Tinte. Er hatte nicht gemerkt, dass diese bei seinem gedankenverlorenen Spiel mit der Feder ausgelaufen war. Fluchend legte er diese auf die Seite und suchte mürrisch ein Taschentuch, um sich die Hand daran sauber zu wischen. Es klopfte erneut. „Was??“ brüllte er gereizt und durchwühlte weiterhin die Schubladen seines Schreibtisches. Girell, sein Vorarbeiter streckte vorsichtig den Kopf zur Tür herein.

Was er sah, ließ sein Herz einige Etagen durchsacken. Er war also wieder einmal schlecht gelaunt – wie eigentlich das ganze Jahrhundert schon. Mit einem tiefen Durchatmen schob er die Tür komplett auf und betrat das Büro von Cres, dem Weihnachtsmann.

Er blieb unschlüssig vor dem Schreibtisch stehen und war sich nicht sicher, was er nun tun sollte, denn alles was er sah, war Cres‘ massiger Rücken, der gerade noch über die Schreibtischkante lugte. Der Rest des Mannes war in den Untiefen hinter dem Tisch verschwunden und murmelte wiederholt Flüche vor sich hin. Schließlich richtete er sich mit einem triumphierenden „Ha! Wusst‘ ich’s doch!“ wieder auf und hielt einen, nicht mehr ganz taufrischen, Lappen in der Hand mit dem er sich nun energisch die Finger abwischte. Girell betrachtete irritiert die dunkelblauen Hände des Weihnachtsmanns, als sein Blick auf die Schreibfeder auf dem Schreibtisch fiel. Hatte er also wieder Eine bei seinen Grübeleien zerstört. In Gedanken ging er resigniert den Lagerbestand durch und beschloss, sicherheitshalber gleich Neue bei den Wichteln zu bestellen. Denn wenn der Verschleiß an Federn weiter so rasant wie in den letzten Jahren anstieg, würden sie in kürzester Zeit keine mehr haben. Was im Moment allerdings ihr kleinstes Problem war, wie er sich im Stillen eingestand.

„Bist Du nur wegen meiner Hände hier oder sagst Du mir endlich, was Du von mir willst?“ polterte Cres und Girell zuckte betroffen zusammen. Da passte man mal eine Minute nicht auf und sofort wurde man zurechtgewiesen. Das machte die ganze Sache noch schwieriger, hatte er doch gehofft, den Weihnachtsmann in einem einigermaßen gütigen Zustand zu erwischen. Aber was machte er sich vor; die Stimmung war schon lange nicht mehr so fröhlich wie in früheren Jahrzehnten.

Er atmete also noch einmal tief durch und begann:

„Ich wollte Dir nur mitteilen, dass wir mit der Produktion sehr gut im Plan liegen. Bis jetzt gab es keine größeren Ausfälle bei den Maschinen oder Wichteln. Bis Weihnachten haben wir sogar etwas Zeitpuffer, um mögliche Engpässe beziehungsweise Produktionsschwierigkeiten abzufangen. Die Handwerker sind noch mit dem Abschleifen der letzten Bauklötze beschäftigt, einigen Puppen fehlen noch die Kleider und die Glasabteilung erhitzt gerade nochmal den Hochofen, um weitere Murmeln zu produzieren. Die Brettspiele sind soweit auch alle fertig, ein paar müssen noch in die entsprechenden Kartons sortiert werden. Die Gymnastikabteilung ist allerdings etwas im Rückstand, die letzte Charge der Hulahupp-Reifen hat ein Rundungsproblem. Im Moment haben sie die Form von Ostereiern……“ Cres Kopf schoss ruckartig hoch und er blitzte Girell zornig an.

Verdammt! Ostereier! Warum hatte er sie ausgerechnet mit Ostereiern verglichen?? Schnell fuhr er fort „Flachpatscher! Ich meinte die Form von Flachpatschern! Momentan fehlen nur Füße an den Reifen und sie könnten mit diesen um die Wette patschen.“ Cres brummte unwillig und sank in seinem Stuhl wieder etwas zusammen. Glück gehabt, dachte sich Girell erleichtert und beglückwünschte sich innerlich zu diesem genialen Vergleich.

„Die Technikabteilung hat gestern die letzten Chips und Platinen bekommen und baut die Karaokemaschinen nun endlich fertig. Der Testlauf lief einigermaßen zufriedenstellend – was aber nicht an den Geräten, sondern an den Testsängern lag…“ dabei verzog er schmerzhaft das Gesicht. Der Gedanke an Hyrichs Gesangsversuche verursachte ihm immer noch Gehirnkrämpfe.

„Dann ist also alles für den großen Tag bereit?“ brummte Cres und strich sich unbewusst über den weißen Bart. Dabei hinterließ er darin strahlend blaue Strähnen und Girell musste an sich halten, um trotz der schlimmen Lage nicht laut zu loszulachen. Cres sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an und als Girell ihm grinsend wortlos einen Spiegel hinhielt, starrte er irritiert auf sein Ebenbild. Wo kam das blau in seinem Bart plötzlich her??? Unwillig erhob er sich und ging zu einer kleinen Kommode neben der Tür, auf der eine alte Waschschüssel und ein Krug mit Wasser stand. Er tauchte seine Hände hinein, um den Rest der Tinte abzuwaschen und versuchte dann mehr oder weniger erfolgreich, das Himmelblau aus seinem Bart zu waschen. Schließlich trocknete er sich das Gesicht und die Hände mit einem frischen Handtuch ab, legte es - nun himmelblau - neben die Schüssel und drehte sich wieder zu Girell um.

Vor diesem Augenblick hatte dieser sich schon den ganzen Tag gefürchtet.

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Hallo Momo71,

es ist sehr atmosphärisch beschrieben. Man kann sich das Büro vom Weihnachtsmann gut vorstellen.
Es wird gleich eine Frage aufgeworfen: Wer ist SIE? Sicher jemand aus der Osterhasen-Community. Das kommt jedenfalls so raus.
Allerdings habe ich ein wenig Probleme, mit dem Umschalten von der Perspektive des Weihnachtsmanns, zu der des Girell. Hier würde es mir gut gefallen, wenn du entweder beim Weihnachtsmann, oder bei Gerill bleiben würdest.

Das verstehe ich auch nicht ganz. Der Raum schmückt sich mit Fenstern? Oder die Fenster in dem Raum sind geschmückt?
Aber wie letztes Mal hoffe ich, dass du uns noch ein wenig mehr Text zukommen lässt! :blush:

Viele Grüße,

Pütchen

Hallo Pütchen,

danke für Dein Feedback :slightly_smiling_face:

Der Hinweis mit den Fenstern ist gut. Ich überlege gerade, wie ich das anders formulieren kann, ohne dass es „platt“ wirkt. Vielleicht so?

An drei Seiten sind Fenster, doch der Blick hindurch geht nicht ins Freie.

Zum Perspektiv-Wechsel:
Das ist mir so gar nicht selber aufgefallen. Wahrscheinlich, weil ich mich in dieser Welt schon so zuhause fühle, dass es für mich einfach logisch war. Der Leser lernt diesen Teil der Osterwelt und seine Bewohner erst kennen. Wäre es verständlicher/besser, wenn ich den ersten Satz nach Girells Auftauchen so formuliere?

Was dieser sah, ließ sein Herz einige Etagen durchsacken.

Damit wäre auch der Wechsel nachvollziehbarer und nicht so abrupt.

Viele Grüße,

Momo

Naja, ich hatte das mit den Fenster so verstanden, dass sie den Schmuck darstellen. Der Raum scheint ja leer. Da die Fenster die Wände „schmücken“ bedeutete das für mich, dass die Wände sonst kahl sind. Dort befinden sich keine Bilder, keine Fotos, keine Schränke! (Ich hatte keine gesehen, bzw keine gelesen;) ) Allerdings befindet sich dort die Vertäfelung! Diese wird von manch einem (wie mir) auch als schmückend angesehen. Allerdings würde man sich daran gewöhnen, wenn sie auch im Flur und überall auch sonst ist. Dann würden die Wände wieder kahl wirken, trotz der tollen Vertäfelung. Die Durchbrüche stellen somit den Schmuck dar!
Es gibt viele Menschen, die ihren Kreationen Brüche zufügen. Aber nichts mit „Aua“! Großen Flächen fügen sie Stützen hinzu oder sie nehmen Material weg, dass Nischen entstehen. Das ist dann auch meinem Auge gefällig, so wie der goldene Schnitt. Eventuell hat mein Gehirn an so etwas gedacht, als ich das gelesen hatte.
Naja, ich bin allerdings nicht mehr so der Lesewurm und schreiben kann ich auch nicht so gut. Vielleicht sehe ich das falsch!

Hallo Momo71,

ja, die Erklärung von - Jepbindawernoch - zu den Fenstern ist eigentlich auch schlüssig.
in einem ansonsten schmucklosen Raum, könnten die Fenster tatsächlich als schmückend gesehen werden.
Vielleicht sollte man diese Formulierung eher als "schreiberische "Freiheit der Autorin sehen.

Was den Perspektivwechsel angeht - dieser - klingt besser. Aber wenn du einfach nochmal den Namen des Vorarbeiters verwendest, bist du auf der sicheren Seite. Denn der wurde ja erst einmal genannt, und darf ruhig dem Leser ins Gedächtnis wandern. Zumal der Name Girell auch eher selten ist.

Viele Grüße,

Pütchen

Kennst du diese alten Fabrikgebäude, die auf einer Art Empore diese Glasbüros haben? Deren Fenster gehen auch nicht nach draußen, sondern nach innen. So hatte man immer einen Überblick über die Produktion. So ähnlich habe ich mir Cres’ Büro vorgestellt, nur halt älter, mit viel Holz in Form der Vertäfelung an den Wänden.

Für mich ist es ein dunkler, aber dennoch gemütlicher und einladender Raum. Ein Zimmer, das die Jahrhunderte atmet.

Hallo Pütchen,

ich werde das Ganze eh noch einige mal durchlesen und überarbeiten, bis ich wirklich zufrieden damit bin. Aber Ich finde solche Hinweise immer sehr hilfreich, denn es zwingt mich aus meinem Kopf, meiner Fantasie herauszutreten und das Ganze von außen zu betrachten. Das hat schon für einige Aha-Effekte gesorgt.

Ich werde Girell einfach nochmal direkt nennen, so wird der Name auch geläufiger. Da kommen übrigens noch so einige Namen, die es in der Form - hoffentlich - noch nicht gibt :wink:

Viele Grüße,

Momo

Jep, genau daran hatte ich beim zweiten Mal lesen gedacht ^^
Sonst sieht man ja nur Wände aus Blech, gewellt, wegen der Stabilität. Manchmal werden die durch Gipswände mit Raufasertapete versteckt.
Ich vermute mal, dass es komplett aus Holz ist, da ja uralt.
Nur das hier das Büro schön vertäfelt ist. Ist ja schon mehrere hundert Jahre in Gebrauch.

War gut, dass ich nur deinen ersten Satz gelesen habe und dann diese Antwort geschrieben habe. Dann erst hab ich deinen ganzen Text gelesen. Dort schreibst du was ich gedacht habe.

Nur nicht so tief stapeln!
Du bist hier in einer Schreib-Community, und du hast gute Argumente. Also - bist du doch richtig hier.
Nur weiter so! :smiley:

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Ja, alles ist aus Holz. Was anderes kam dafür einfach nicht in Frage. Und ganz aus Eis? Das wäre irgendwie zu sehr Eiskönigin gewesen - das geht in dem Fall gar nicht :see_no_evil:

Für mich sind das große Fenster, vielleicht mit Sprossen darin, und natürlich aus altem Glas. Nicht unsere Fenster, sonder so, wie man sie oft noch in alten Häusern findet. Fenster, die die Wirklichkeit nicht immer ganz genau widerspiegeln, sondern durch Lufteinschlüsse und Unebenheiten etwas verändern.

Ganz meiner Meinung :+1:t2::blush:

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Ich lass euch mal die Rohfassung des zweiten Kapitels da und damit einen tieferen Einblick in diese besondere Welt :blush:

Wie immer - ehrliche Meinungen und Ratschläge sind herzlich willkommen und gewünscht.


„„Was die Produktion angeht schon……“ Setzte der Elf neu an.

„Was die Produktion angeht……?“ kam es da auch schon von der anderen Seite des Schreibtisches, an dem Cres mittlerweile wieder Platz genommen hatte. Der Weihnachtsmann erhob sich sogleich wieder, richtete sich zu seiner ganzen, wirklich stattlichen Größe auf und beugte sich über den Tisch „Was die Produktion angeht!!!“ wiederholte er deutlich lauter und mit einem drohenden Unterton. Girell hatte das Gefühl, trotz seiner für einen Weihnachtselfen eh schon minimalen Größe noch mehr in sich zusammenzuschrumpfen. Jetzt gab es kein Zurück mehr….
„Naja, es ist so: wir haben dieses Jahr in manchen Bereichen wieder deutlich mehr produziert. Vor allem bei den Bauklötzen wurde dieses Jahr im Vergleich zu den Vorjahren erheblich mehr bestellt. Sie sind wieder heiß begehrt und entsprechend hoch war die Nachfrage. Das heißt aber auch, dass wir dafür erheblich mehr Farbe als ursprünglich geplant verbraucht haben…“
„Gerade noch hast Du gesagt, daß in der Produktion alles in Ordnung ist…“ kam es unangenehm leise von gegenüber. „
Ja, das ist auch richtig. Aber Woigl, unser Lager-Verwaltungs-Elf hat nun bemerkt, dass der Teil der Farben, der als letztes und ohne sein Wissen, für die Produktion verwendet wurde eigentlich für den Schlitten und die Schattenläufergeschirre gedacht war…“ Jetzt war es raus! Er duckte sich innerlich, schloß die Augen und wartete auf das nun unweigerlich folgende Donnerwetter.

Aber es kam nicht. Vorsichtig blinzelte er und fand sich Auge in Auge mit Cres wieder. Zu Tode erschrocken sprang er aus dem Stand einen Meter zurück, stolperte dabei über einen kleinen Spielzeuglastwagen auf dem Teppich und plumpste, wild mit den Armen rudernd, unsanft auf seine vier Buchstaben.

„Was genau willst Du mir damit sagen?“ erklang es verhängnisvoll ruhig in seinen Ohren. „Willst Du damit sagen, dass wir kein bisschen Farbe mehr im ganzen Weihnachtspalast für den Schlitten haben???“ Girell konnte nur stumm nicken, zu mehr war er angesichts der massigen Gestalt, die sich nun drohend über ihm auftürmte, nicht mehr im Stande. Beider Blicke wanderten nahezu zeitgleich zu dem Kristallkasten neben Cres‘ Schreibtisch. Dieser war unzerstörbar und konnte – nach den letzten Geschehnissen im Osterbau – nur noch vom Weihnachtsmann persönlich geöffnet werden. Darin lag der magische Pinsel und wartete auf seinen diesjährigen Einsatz. Zwei Tage vor Weihnachten übergab Cres den Pinsel jedes Jahr an Drusyl, seinen Stallmeister. Dieser war für den Schlitten und die Schattenläufer verantwortlich. Er hatte nicht nur die Aufgabe, die Ausrüstung zu warten und die Schattenläufer für den großen Tag zu trainieren, sondern auch den Schlitten mit dem magischen Pinsel jedes Jahr wieder neu zu streichen. Sogar die Hufe der Tiere wurden mit einem speziellen Fett angestrichen, um ihnen mehr Trittsicherheit auf den Wolken zu geben. Nur wenn alles sorgfältigst und genau gestrichen war, konnten sowohl der Schlitten als auch die Schattenläufer fliegen und die Geschenke an die Kinder der Welt verteilt werden.

Sie beide wussten, was die fehlende Farbe bedeutete: ohne Farbe für den Schlitten würde es kein Weihnachten geben. Sie konnten noch so gut in der Produktion liegen und vorbereitet sein, ohne Farbe bekamen sie das Gespann nicht in die Lüfte. Ohne Farbe war der magische Pinsel, der seit Ostern wieder sicher in seinem Kristallkasten lag, absolut nutzlos.

Cres holte Luft, um etwas zu sagen, aber Girell kam ihm zuvor „Ich habe schon versucht, neue Farbe zu organisieren, aber die Lager sämtlicher Lieferanten sind leer. Neue Farbe kann erst wieder hergestellt werden, wenn im Frühling die Bäume und Blumen blühen. Es fehlen jetzt im Winter einfach die notwendigen, frischen Rohstoffe.“ Er sah, wie sich das Entsetzen auf Cres Gesicht ausbreitete, als die Erkenntnis zu ihm durchdrang, dass Weihnachten bei dem aktuellen Stand der Dinge tatsächlich ausfallen würde. Der Weihnachtsmann taumelte rückwärts und griff ein paarmal ins Leere, bis er die Kante seines Schreibtisches hinter sich endlich zu fassen bekam und sich daran festhielt. „Das darf nicht sein …nicht Weihnachten…das ist unmöglich!“ Fassungslos sah er Girell an und versuchte weiter zu begreifen, was das bedeutete. Girell schluckte schwer und nahm allen Mut zusammen, denn was er jetzt sagen würde konnte ihn den Kopf kosten. „Es gäbe allerdings einen Ausweg…“ begann er daher zaghaft

Cres schnappte nach Luft „Welchen? Egal was es ist, wir müssen es tun! Weihnachten darf nicht ausfallen!!“ Girell wand sich innerlich „Das wird Dir aber gar nicht gefallen….“

Die Augen des Weihnachtsmannes verengten sich, als er darauf wartete, was nun kommen würde, aber es kam nichts „Jetzt spuck‘s schon aus!“ donnerte er da verzweifelt. „Zarus…“ kam es sehr leise aus Girells Mund. Cres erstarrte! Das hatte er jetzt nicht gehört, das konnte er einfach nicht gehört haben! Aber da sprach Girell schon weiter „Zarus hat für Ostern schon im letzten Jahr einen Farbvorrat angelegt. Das macht er jedes Jahr so, damit sie im Frühling sofort mit dem Bemalen der Eier starten können. So haben es mir alle unsere Lieferanten versichert. Wenn uns jemand helfen kann, dann nur er.“

Cres ließ sich so schwer in seinen Stuhl fallen, dass dessen Beine beängstigend ächzten und knarzten. Kurz war zu befürchten, dass der ganze Sessel unter dem Weihnachtsmann zusammenbrechen würde. Er selbst jedoch bemerkte davon nichts, denn er war wieder tief in Gedanken versunken. Wie, um aller Winter Willen, sollte er Zarus um Hilfe bitten, nachdem er ihn zu Ostern fast vor den Wunderrat geschleppt hatte?! Ihm war Ostern in letzter Zeit immer mehr ein Dorn im Auge gewesen und irgendwie hatte er diesen langohrigen Fellhaufen doch eigentlich nie richtig ausstehen können. Ihre gemeinsame Vergangenheit vergaß er in solchen Momenten ganz gerne und gab sich ganz seinen düsteren Gedanken hin. Zarus stahl ihm seiner Meinung nach die Aufmerksamkeit der Kinder, er schien von ihnen mehr geliebt zu werden als er selbst, der Weihnachtsmann. Ihm war durchaus bewusst, dass beide Feste immer schon zusammengehört hatten, aber wenn es um die Liebe der Kinder ging, wollte er einfach nicht mehr teilen. Im Gegensatz zum Osterhasen hatte er keine wirkliche Familie um sich, sah man mal von seinen Elfen ab. Zarus dagegen hatte immer einen Bau voll kleiner Hüpfer um sich. Und wenn er ehrlich war, neidete er ihm das sehr. Seiner Meinung nach brauchte der Fellhaufen da nicht auch noch die Liebe der Menschen-Kinder. Ihn um Hilfe zu bitten war das Letzte, was er tun wollte und doch schien es keinen anderen Ausweg zu geben.

Girell stand indes schweigend vor dem Schreibtisch und wartete auf weitere Anweisungen. „Absolut keine andere Möglichkeit?“ kam es resigniert vom Weihnachtsmann. Girell schüttelte den Kopf. „Im ganzen Weihnachtspalast kein Eimerchen Farbe mehr verfügbar?“
„Nur ein kleiner Topf Rosa mit Glitzer… und der würde zusammen mit dem noch vorhandenen Rest Fett maximal für die Hufe der Schattenläufer reichen, nicht aber für den Schlitten oder die Geschirre.“ Der Gedanke an rosaglitzernde Schattenläufer ließ sie Beide innerlich erschauern.

Schließlich sagte Cres resigniert: „Mach den Weitrufer bereit, ich werde wohl oder übel mit Zarus sprechen müssen“ sagte er daher zu Girell und man konnte sehen, dass ihn dies jegliche Überwindung kostete.

Fast schon zu schnell verließ Girell das Büro und lief Richtung Weitrufer. Er lebte noch! Das allein war bei der aktuellen Situation schon erstaunlich genug und dann sollte er auch noch den Osterhasen anrufen. Das war noch nie vorgekommen! Schließlich erreichte er den Raum mit dem Weitrufer darin. Dieser war tief im Weihnachtspalast eingelassen, da er immer im Warmen stehen mußte. Das war in vielen Bereichen des Palastes nicht möglich, da sie immer dem Wind und dem Schnee draußen ausgesetzt waren und ungenutzte Räume nicht unnötig beheizt wurden. Und dieser spezielle Bereich wurde nur sehr selten verwendet und doch waren der einzige, dauerhaft beheizte Raum im ganzen Palast.

Er öffnete die Tür und stand vor einem riesigen Baum, der, Dank einer ausgeklügelten Spiegeltechnik, mit Sonnenlicht umflutet war. Fonris, der Wächter des Baums, stand gerade mit einer Gießkanne an dessen Stamm und drehte sich erstaunt um, als Girell eintrat. Er hatte schon lange keinen Besuch mehr gehabt.

„Was gibt es? Du siehst aus, als wärst Du gerade einem Weißtaucher auf Stelzen begegnet…“ dabei sah er den Neuankömmling neugierig an. „Das, was ich Dir jetzt sage, kommt dem recht nahe“ entgegnete Girell und holte tief Luft „Kannst du bitte eine Verbindung zu Zarus herstellen?“ Scheppernd fiel die Gießkanne zu Boden und Fonris klappte der Unterkiefer herunter. Er starrte Girell an, als stünde tatsächlich ein Weißtaucher auf Stelzen vor ihm. „Du hast schon richtig gehört. Cres muss mit Zarus sprechen. Kriegst Du das hin?“

Es brauchte drei Anläufe, bis Fonris seine Sprache wiedergefunden hatte „Ich versuche es, aber das wird etwas dauern – diese Leitung ist, wenn ich es mir recht überlege, seit sehr langer nicht mehr benutzt worden.“Damit drehte er sich zu dem Baum hinter sich um und begann zu suchen.

Die ganze magische Welt war durch ein gigantisches Wurzelsystem miteinander verbunden. Jeder Ast des Baumes war für eine andere Welt reserviert. Einer für den Wunderrat, einer für die Zahnfee, einer zu den Wichteln und andere für die vielen weiteren Welten. Und einer eben auch für den Osterbau. Schließlich fand er ihn, verborgen unter anderen Ästen und reichlich eingestaubt. Er beeilte sich, die Blätter mit einem speziellen Tuch abzuwischen, würden sie doch als Spiegel fungieren, der einem das Gegenüber zeigt.

Als er damit fertig war drehte er sich zu Girell um, der geduldig gewartet hatte und meinte: „Ich stell die Verbindung schon mal her, in der Zwischenzeit kannst Du Cres holen.“ Girell verließ den Weitrufer-Raum und überließ es Fonris, die Leitung zum Leben zu erwecken.

Dieser strich sanft über den Ast, flüsterte ihm leise zu, dass er bitte eine Verbindung zum Osterbau aufbauen sollte. Der Ast fing an sanft zu vibrieren, schließlich erzitterten seine Blätter und richteten sich in eine Richtung aus, so dass eine geschlossene Fläche entstand und darauf erschien ein verdutztes Hasengesicht.

„Hallo? Hier ist Haruzel aus dem Osterbau. Wohin geht dieser Ast? Ich kann mich nicht erinnern, hierüber schon mal eine Nachricht bekommen zu haben…“ Fonris stellte sich vor die Blätter, sein Gegenüber bekam große Augen und stammelte ein „Das glaub ich jetzt nicht….“
„Nicht nur Du“ erwiderte Fonris „Cres will mit Zarus sprechen….“
Beides sahen sie sich bestimmt eine geschlagene Minute schweigend und fast schon entsetzt an. Schließlich sagte Haruzel leise „Ich geh ihn holen….“ und verschwand aus den Blättern.

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Der Baum ist cool, das ist mal eine interessante Möglichkeit der Kommunikation! Auch wenn das wohl heißt, dass Fonris nicht gut gearbeitet hat, wenn das Äste einstauben … :wink:
Ein wenig verwirrt bin ich, dass da wirklich keine Farbe mehr übrig sein soll. Im ersten Kapitel steht was davon, dass sie noch Puffer haben bis Weihnachten, um letzte Produktionsdramen abzufangen, und dass noch Leute beschäftigt sind, letzte Bauklötze abzuschleifen (die werden also noch keine Farbe haben), und wird da wirklich nichts anderes mehr hergestellt in der Zwischenzeit, was Farbe benötigt? Was ist mit Wünschen, die erst eine Woche vor Weihnachten eintreffen, können die nicht mehr bearbeitet werden? Oder funktioniert das mit den Bestellungen anders, dass irgendeine Planungsabteilung bei der Produktion bestellt und die die wahrscheinlichen Inhalte der Wunschzettel-Nachzügler schon einbezogen hat?
Ansonsten wieder eine Freude zu lesen :grin:

Das hört sich ja wirklich spannend an.
Ein - Telefon - Baum. Sehr witzige Idee!
Und natürlich sind wir jetzt sehr gespannt, wie dieses Gespräch wohl ablaufen wird.
…, ich freue mich schon auf mehr!

Und die Eifersucht des Weihnachtmanns auf die Osterhasen - einfach super!
Sehr menschlich, diese Emotionen. :wink:

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Danke für den Hinweis.

Der Grundgedanke ist, dass zwar für das Produzieren der Geschenk alles da ist und auch bis zum Schluß noch für Nachzügler reicht. Und eben auch genug Farbe in allen möglichen Farbtönen da ist. Aber die speziellen Farben für den Schlitten - und das kann meiner Meinung nach nur rot und gold sein - die sind eigentlich auf die Seite gestellt, für ihren Einsatz an Weihnachten. Aber wie das so ist in einem Lager, da verschwindet dann schon mal was, was eigentlich schon reserviert ist. Und genau das ist hier passiert. :wink:

Ich fand einfach, dass die Beiden ruhig auch etwas „menscheln“ dürfen :grin:

Und soviel sei gesagt, das Gespräch wird … interessant… :innocent:

Sehr schön, gefällt mir!

Bei Fett denke ich an rutschig und bewegliche Teile die geschmiert werden müssen. Allerdings hab ich null Ahnung was der tolle Zauberpinsel alles kann. Wenn der das umwandelt und ins Gegenteilige dreht, damit die Hufe besser Gripp haben, dann wird das so sein.

Ansonsten vielleicht den Auftragungsort ändern (vielleicht für die Lederriemen, damit die geschmeidig bleiben oder für die beweglichen Teile der Deichsel, an denen die Rentiere gespannt werden)
Es gibt auch Flüssiggummi, das man streichen kann (einfach bei amazon oder so eingeben). Vielleicht kann man auch Teer gemischt mit brauner oder weißer Farbe aufstreichen? Keine Ahnung.

Ich komm auch damit klar, dass der Pinsel das Fett verzaubert.

„… He’s making a List, and checking it twice, gonna find out Who’s naughty and nice …“
oder gilt das nur in dem Lied „Santa Claus Is Coming To Town“? o:

Danke :blush:

es gibt zum Beispiel im Reitsport Huffett oder Huföl. Dort wird es, soweit ich herausfinden konnte - ich reite nicht - verwendet um die um die Elastizität des Hufes und seine dämpfende Funktion zu erhalten. Huföl wird zudem verwendet, um dem Horn Feuchtigkeit zu spenden und es geschmeidig zu machen, wenn es sehr trocken wird und dazu neigt zu splittern.

Da unsere Schattenläufer an Weihnachen eine Höchstleistung vollbringen, müssen ihre Hufe natürlich unbedingt entsprechend geschützt werden. Auch wenn deren Hufe völlig anders aufgebaut sind als die von Pferden.

Ui, das wusste ich nicht. Ich hätte „Fett“ mit „Hufe“ eingeben sollen :smiley:
So hatte mir der Netzwerkstöberer ganz andere Ergebnisse geliefert o:
Danke :slight_smile: