Ein klein wenig lass ich euch noch ins dritte Kapitel schnuppern, aber dann ist es erstmal genug
Zarus stand in einem der vielen Gänge des Osterbaus und tat etwas, was er, seit er ein kleiner Hüpfer gewesen war, nicht mehr getan hatte. Er spionierte. Gut, eigentlich nicht wirklich spionieren, aber es war einfach zu schön die Szenerie vor sich heimlich zu beobachten.
Flatul und Flusel standen ein Stück weiter den Gang entlang und bemerkten vor lauter Verliebtheit nicht, was um sie herum geschah. Flatul wirkte gelöst und strahlte nicht mehr diese eisige Kälte aus, die ihn bis vor kurzem noch wie eine Wand umgeben hatte. Dass er und Flusel ein Paar waren, hatte im Bau zunächst für einigen Wirbel gesorgt. Alle waren es gewöhnt gewesen, schleunigst aus dem Weg zu gehen, wenn Flatul auch nur in der Nähe war. Jetzt grüßte er plötzlich, blieb auch mal stehen, um sich mit jemandem zu unterhalten und lachte dabei sogar! Speziell am Anfang hatte er damit immer wieder völlig verdatterte Hasen auf seinem Weg zurückgelassen. Diese fragten sich nach dem Gespräch wiederholt fassungslos, in welcher Traumwelt sie gelandet waren, um dann – nachdem der erste Schock überwunden war – nur noch kopfschüttelnd durch den Bau zu laufen.
Flusel hingegen hatte zunächst, auch aufgrund ihrer Stellung als Außenseiterin, sehr zu kämpfen gehabt. Nicht wenige Häsinnen neideten ihr ihr Glück mit Flatul, welcher, trotz seiner abweisenden Art, der heimliche Schwarm Aller gewesen war. Da sie mit dem zusätzlichen Druck immer weniger zurechtkam, war schließlich sogar so weit gewesen ihre Beziehung zu beenden. Doch Flatul hatte daraufhin mit Zarus gesprochen und dieser hatte in einer der Versammlungen des Baus Flusel zu sich nach vorne geholt. Dort verkündete er dann, was für eine spezielle Gabe sie besaß und was sie damit für die Sicherheit und den Schutz des Baus schon geleistet hatte. Auch dass er sehr froh war, dass zwei so außergewöhnliche Hasen zusammengefunden hatte. Dabei hatte er vor allem die Riege der Junghäsinnen streng angesehen. Danach war es besser geworden und sowohl sie als auch Flatul konnten endlich ihre Zuneigung offen zeigen und genießen.
Der absolute Durchbruch kam schließlich, als Flusel draußen einige Halbwilde belauschte und einen Trupp Hungerhasen gerade noch rechtzeitig in den Bau zurückbringen konnte, bevor Schlimmeres geschah. Zum Glück war Ydril diesem Trupp zugewiesen gewesen und hatte, da sie Flusel besser kannte als alle anderen, sofort auf ihre Warnung reagiert und zur Eile gedrängt. Zunächst missmutig waren alle betont langsam losmarschiert, bis die Letzten plötzlich alle überholten und panisch immer wieder „Halbwilde!!“ schrien. Spätestens jetzt war allen klar gewesen, dass Flusel diese wirklich verstehen konnte und gerade versuchte ein Unglück zu verhindern. Plötzlich wurden alle sehr schnell! Ab diesem Zeitpunkt stieg ihr Stand im Bau um einiges an und man begann, sie endlich mit Respekt zu behandeln.
Das alles ging Zarus durch den Kopf, als er die Beiden vor sich beobachtete. Ein Rascheln neben sich veranlasste ihn schließlich, sich halb umzudrehen, nur um dort Haruzel zu sehen, der ebenfalls das Pärchen mit einem erfreuten Lächeln betrachtete. „Tut gut, die Beiden so zu sehen, stimmt’s?“ sprach Zarus und Haruzel sah ihn an „Ja. Ich habe mir lange Zeit große Sorgen um Flatul gemacht. Wir hätten ihn damals in seinem Schmerz fast verloren. Aber jetzt ist seine Mauer endlich eingestürzt und er lebt wieder auf.“
„Da hast Du recht, Haruzel. Aber Du bist bestimmt nicht zu mir gekommen, um über den Tod und die Liebe zu philosophieren, oder?“ Haruzel musste lachen „Nein, das nicht. Aber was ich Dir zu sagen habe ist mindestens genauso unglaublich wie das Paar vor uns. Bitte folge mir, das hier sollte nicht jeder mitbekommen.“ Zarus runzelte erstaunt die Stirn und folgte ihm durch den Bau.
Noch verwirrter war er, als er sah, wohin sie gingen. Direkt unter der großen Halle lag eine weitere, von der nur wenige wussten. Hier stand ihr Weitrufer und wurde, wie überall anders auch, mittels eines Spiegelsystems mit Sonnenlicht versorgt. Und auf einem der Äste hatten sich die Blätter zu einem Bild vereint. Haruzel ging darauf zu und sagte laut „Ich bin wieder da. Zusammen mit Zarus.“
Im ersten Moment sah dieser nur einen weißen Hintergrund und Zarus glaubte, dass die Verbindung wohl zusammengebrochen sein musste. Doch dann erkannte er, dass die Wände glitzerten wie Schnee in der Sonne. Schnee?? Er stutzte und blickte alarmiert zu Haruzel. Bevor dieser antworten konnte, erschien auf den Blättern ein verhutzelter, alter Elf. „Danke, Haruzel. Cres sollte gleich hier sein.“
Zarus sah Haruzel entsetzt an „Das glaub ich jetzt nicht!“
„Das waren auch meine Worte“ entgegnete Haruzel trocken „Und nein, ich habe keine Ahnung, worum es geht.“
Zu zweit standen sie vor dem Weitrufer und man konnte erkennen, dass in ihren Köpfen die Gedanken um die Wette rasten. Was auch immer der Grund für diesen Ruf war, es musste etwas Unglaubliches passiert sein. Denn dass der Weihnachtsmann den Osterbau direkt kontaktierte, war seit Ewigkeiten nicht mehr geschehen. Wenn Cres ein Problem mit Ostern hatte, war er immer auf geradem Weg zum Wunderrat marschiert. Dass er diesmal direkt durchrief, ließ sie das Schlimmste befürchten. Schließlich hörte man von der anderen Seite eine dröhnende Stimme, die wissen wollte, ob die Verbindung stand und da erschien auch schon Cres auf den Blättern. Zarus stutzte. Cres sah gehetzt und fast schon verzweifelt aus. Irgendetwas stimmte hier absolut nicht.
Cres seinerseits erblickte auf seiner Blätterseite Zarus, der ihn besorgt musterte. Man sagte den Hasen nicht umsonst eine extreme Feinfühligkeit für die Stimmungen anderer nach. Sie schienen es in ihren Barthaaren zu spüren, wenn Unheil in der Luft lag oder mit ihren Ohren Warnungen zu hören, bevor sie überhaupt ausgesprochen waren. Andererseits bedingte das schon ihre Natur als Hasen und damit als Teil einer grausamen Nahrungskette. Er konnte sich nicht einmal ansatzweise vorstellen, was es bedeuten musste, wenn jeder Schritt außerhalb des Baus der Letzte sein konnte.
Zarus fackelte nicht lange und fragte geradeheraus: „Was ist passiert?“
Cres atmete tief ein. Das hier ging ihm sowas von gegen das Lametta. Schließlich entschied er sich für den direkten Weg. „Wir haben aufgrund der gestiegenen Nachfrage nach traditionellem Spielzeug keine Farbe mehr.“ Zarus schnappte hörbar nach Luft und wechselte einen alarmierten Blick mit Haruzel. Im Hintergrund von Cres konnte man sehen, wie der alte Elf den Begleiter des Weihnachtsmannes ebenfalls entsetzt ansah und taumelnd auf eine Wurzel des Fernrufers sank.
Cres fuhr fort „Wie Du Dir denken kannst, bin ich alles andere als begeistert, ausgerechnet Dich um Hilfe bitten zu müssen.“ Sein Unwillen war mit jedem Wort deutlich zu spüren „Aber wir haben alle Lieferanten abgeklappert, selbst die auf den südlichsten Blumeninseln, aber sie sind alle ausverkauft. Die Feste des vergangenen Jahres haben ihre Lager geplündert und neue Farben können erst in den jeweiligen Frühlingen wieder hergestellt werden. Die Blumeninseln sind zwar schon im Frühling, aber die Blüte ist noch nicht voll ausgereift. Damit ist eine Farbenproduktion noch nicht möglich und schon gar nicht so kurzfristig. Bis auf diesen kleinen Eimer hier sind bei uns alle Farben aufgebraucht. Der hier würde, angereichert mit einem speziellen Fett, gerade mal für die Hufe der Schattenläufer reichen. Aber das kann ich den armen Dingern einfach nicht antun, zumal uns dann ja immer noch Farbe für den Schlitten und die Geschirre fehlt.“
Zarus blickte auf den Eimer in Cres‘ Hand und musste trotz allem laut loslachen „Sagen wir mal so, deine Ren-Esel mit rosa Glitzerhufen würden wenigstens über Jahrhunderte für einen Lacher sorgen.“
Cres Miene verdüsterte sich bei der Verunglimpfung seiner geliebten Schattenläufer und doch musste er Zarus insgeheim zustimmen. Der Gedanke daran, dass diese mit glitzernden Hufen herumliefen hatte auch ihm einen Schauer über den Rücken gejagt.
Indes sprach Zarus, an den Hasen neben sich gewandt, weiter „Haruzel, geh zu Tupferl und bring ihn hierher. Und wenn Dir auf dem Weg Flatul und Flusel begegnen, bring sie auch gleich mit.“
An den Weihnachtmann gewandt sprach er weiter „Nach Deiner Aktion an Ostern sollte ich Dich eigentlich in den Nichtglauben wünschen und mich freuen, dass Weihnachten ausfällt. Aber wie Du liebe ich das Glitzern in den Augen der kleinen Außenweltler, zu sehr wenn sie unsere Ostereier finden oder Deine Geschenke auspacken. Ich tue es also für sie, wenn ich Dir helfe. Einzig für sie! Gib mir ein wenig Zeit, damit ich unseren Farbbestand überprüfen kann. Ich melde mich gleich wieder bei Dir.“ Damit unterbrach er die Verbindung, indem er über die Blätter strich und sie so in Unordnung brachte.
Cres blickte verdattert auf den nun wieder grünen Blätterschirm vor sich und sah Girell an. „Hat er ernsthaft gerade die Verbindung unterbrochen??!?!?!“
„Hat er“ kam es da von Fonris, der sich mittlerweile so weit gefangen hatte, dass er wieder einigermaßen sicher auf seinen Beinen stand. „Aber so ,wie es scheint, ist er bereit, Dir zu helfen. Was nach Deinem Verhalten ihm gegenüber im letzten Jahrhundert mehr als erstaunlich ist!“ Cres sah ihn an und war kurz versucht, den verknitterten Elf in die Eiswüste zu schicken. Aber dieser war seit Anbeginn der Zeit bei ihm und mit das einzige Wesen im ganzen Palast, dass es wagen konnte, ungestraft so direkt mit ihm zu reden.
Er drehte sich daher wortlos zu Girell um und bat ihn, Ellz zu holen. Auf dessen entgeisterte Frage, ob er sich da sicher sei, gerade Ellz in dieser Angelegenheit zu vertrauen, entgegnete er nur, dass dies der einzige Elf war, den er gerade entbehren konnte. Also machte sich Girell auf den Weg, um ihn zu suchen.
Endlich erzitterte der Ast wieder und damit auch der Blätterschirm. Zarus erschien darauf, umgeben von mehreren Hasen, die offensichtlich schon wussten, worum es ging, denn sie alle hatten eins gemeinsam: den alarmierten Ausdruck in den Augen. „Ich fasse nicht, daß ich das hier tue, aber wieviel Farbe brauchst Du für Deinen Holzverschlag?“ fragte Zarus.
Cres holte tief Luft, sagte sich innerlich immer wieder, dass das die verdiente Rache für sein Verhalten in all der Zeit war und entgegnete mühsam beherrscht „5 Töpfe Ultrarot, 2 Töpfe Sonnengold und einen kleinen Topf Erdbraun für die Schattenläufergeschirre.“
Zarus blickte den Hasen neben sich an, der anfing wild in den Seiten auf seinem Klemmbrett zu blättern. Schließlich nickte er Zarus zu. Dieser nickte ebenfalls kurz und der Klemmbretthase verließ den Raum. „Wir haben hier, was Du brauchst, aber das kriegen wir nicht durch den Weitrufer. Er lässt auf diese Strecke nur Wesen durch, kein Material. Ich habe meinen besten Krieger hier und unsere beste Spürerin. Sie werden Dir die Farbe liefern, aber sie brauchen einen Weggefährten, der sie sicher zu Dir führen kann.“
Cres nickte erleichtert und sprach seit langem zum ersten Mal wieder das aus, was er gerade fühlte. „Ich danke Dir von Herzen und im Namen der Kinder. Ich schicke Euch Ellz über den Weitrufer, er wird Euch führen.“ In diesem Moment öffnete sich hinter ihm die Tür und Girell kam wieder herein, zusammen mit einem äußerst farbenfroh gekleideten Elf, der sich erstaunt im Weitruferraum umblickte. „Ellz, komm her!“ rief der Weihnachtsmann und der Elf kam mit einem verträumten Blick auf ihn zu. Als er auf den Blättern die Hasen entdeckte, rief er verzückt „Der Osterhase! Er ist es wirklich! Was freu ich mich darauf, Euch zu besuchen.“ Er hüpfte vor Aufregung auf und ab und klatschte dabei begeistert in die Hände. Girell schlug sich im Hintergrund mit der Hand an die Stirn. Ellz in seiner besten Form, das konnte eigentlich nur schief gehen.
Zarus schien ähnliche Gedanken zu haben, denn er blickte äußerst schockiert auf Cres, der entschuldigend mit den Schultern zuckte und meinte „Er ist der Einzige, den ich aktuell entbehren kann. Er mag zwar etwas absonderlich sein, aber er findet immer seinen Weg zu uns zurück. Girell hat ihn bereits über die Geschehnisse informiert“ dabei blickte er diesen fragend an und als die Antwort ein Nicken war, fuhr er fort „Ich schicke ihn sofort zu Euch.“ Damit schob er den Elf auf den Baum zu und berührte den Stamm. Dieser fing an zu leuchten und die Rinde schob sich knarrend zur Seite. Dahinter erschien eine Kammer, die ein sanftes Licht verströmte. Ellz trat hinein und die Rinde schloss sich hinter ihm wieder. Ein Schaudern ging durch den Baum und gleichzeitig verschwamm das Bild auf den Blättern. Sekunden später hörte man auf Zarus Seite ein ähnliches Knarzen und der Elf erschien auf dessen Seite im Bildschirm. Durch die Reise standen ihm alle Haare vom Kopf und er sah noch kurioser als ohnehin schon aus. Mit einem begeisterten Grinsen im Gesicht blickte er sich um und schüttelte allen Hasen wiederholt die Pfoten.
„Er ist da. Wir bereiten alles vor und werden morgen unsere Hasen auf die Reise schicken.“ Damit beendete Zarus mit einem zweifelnden Blick auf ihren Gast das Gespräch und wandte sich seinen Hasen zu.
Hinter Zarus tauschten Flatul und Flusel einen besorgten Blick aus. Das klang nach einer jetzt schon zum Scheitern verurteilten Mission. Wenn dieser Elf sie führen sollte, dann würden sie wohl niemals zur rechten Zeit am Ziel ankommen.
Im Weihnachtspalast indes wandte sich Cres ebenfalls um und blickte zu Girell „Jetzt können wir nur noch warten und hoffen, dass Ellz sie rechtzeitig her bringt. Er ist das wandelnde Chaos, aber mit seinem Glück findet er immer Mittel und Wege, um hierher zurückzukommen – hoffentlich……“ Beide tauschten einen beredten Blick, in dem all ihre Sorgen und Zweifel, doch auch ihre Hoffnung für die Mission lagen.