Wie wünscht Ihr Euch konstruktive Kritik?

Na ja, man könnte schon anmerken, dass „liebenswürdig“ aussagekräftiger ist als „nett“, sodass sich der Leser unter ersterem mehr vorstellen kann.
Außerdem ist in diesem Beispiel die Wahrscheinlichkeit groß, dass es sich bei der Verwendung der Adjektive um „Tell“ anstelle von „Show“ handelt. Dann muss man sich die konkrete Situation ansehen. Wenn „Tell“ häufig auftritt, kann es sein, dass es sich um einen handwerklichen Aspekt handelt, den der Autor noch nicht gelernt hat, oder bei dem er sich noch nicht bewusst ist, dass er ihn nur theoretisch aber nicht in der Praxis beherrscht. (Ich habe schon einige Texte von Autoren gelesen, die zwar wissen, dass sie „Tell“ vermeiden sollten, aber nicht merken, wo in ihrem Text sie das übersehen haben. Manche bitten sogar darum, auf diese Stellen aufmerksam zu machen. Andere sind überzeugt, kein „Tell“ verwendet zu haben, was häufig leider nicht stimmt.)
Der offensichtliche Rechtschreibfehler, den du als Beispiel anführst, braucht vom Kritiker im Grunde gar nicht erwähnt zu werden, schon gar nicht in einer Rohfassung, weil es ja eine Rechtschreibekorrektur im Textverarbeitungsprogramm gibt. (Ich würde es als Kritiker allerdings vorziehen, dass solche Fehler schon eliminiert wurden, bevor ich den Text lese, denn sie lenken mich ab.) Eine Ausnahme wären die Tippfehler, die das Programm nicht finden kann, wie die Verwechslung von „Tisch“ und „Fisch“.
Es kommt bei der Kritik ja gerade darauf an, Dinge zu kritisieren, die ein Computer nicht erkennen kann.
Und Aspekte wie „Show, don’t tell“ kann ein Mensch noch relativ leicht feststellen, oder auch darauf aufmerksam machen, dass zu viele Adjektive die Vorstellungskraft des Lesers in eine bestimmte Richtung zwingen, was dieser als Bevormundung empfinden kann.
Was der Autor umsetzen will, ist natürlich seine Sache, aber wenn er so gut wie nichts umsetzt außer Rechtschreibung - warum bittet er dann um Kritik?

Was ich viel schwieriger finde, ist die übergeordnete Ebene. Wenn man jemandem einen Text zu lesen gibt, besteht dieser oft nur aus einer oder wenigen Szenen. Da muss der Kritiker sich zwangsläufig auf Details konzentrieren. Aber die Fragen „Passt diese Szene überhaupt in den Roman? Trägt sie zur Zielerreichung des Protagonisten bei? Steht sie an der richtigen Stelle (um z.B. einen Wendepunkt zu markieren)? Gibt es später Reaktionen oder Konsequenzen zu dieser Szene, oder hat der Autor vergessen, diesen Handlungsbogen zu Ende zu führen? Ordnet sie sich in die Logik der Szenenfolge ein (Steht eine Figur nur auf, wenn sie vorher auch gesessen oder gelegen hat? (Das Beispiel ist nicht so gut, weil man es am Ende relativ leicht ändern kann, aber es gibt gröbere Schnitzer.)?“
Diese Dinge würde ich am liebsten wissen, bevor ich Detailkritik zu einer Szene bekomme, weil ich sonst am Ende sehr viel noch mal schreiben müsste. Aber die Testleser haben keine Chance, diese übergreifenden Aspekte zu bemerken, wenn sie nur einen kleinen Ausschnitt bekommen.
Deshalb gebe ich meinem Coach zunächst nur einen Szenenplan, in dem die Szenen zusammengefasst sind. Da kann ich Rückmeldung für übergreifende „Fehler“ bekommen und diese gleich bei der Rohfassung vermeiden.
Solche Kritik bekommt man aber i.d.R. nur, wenn man dafür bezahlt, denn sie ist sehr zeitaufwendig und damit auch teuer.

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Ja, die Wortwahl. Wenn der stolze Recke mit gezogenem Lustschwengel in die feuchte Grotte einzieht, rollen sich einem Fuß- und Fingernägel gleichzeitig ein.
Vielleicht erfordert es auch ein bisschen Mut, die Sache so zu beschreiben, wie sie ist, weswegen manche auf eine derart blümerante Wortwahl ausweichen, dass es unfreiwillig komisch wird.
Ob man da als Frau empfindlicher ist, da bin ich unsicher. Natürlich, wenn eine besonders herabwürdigende Wortwahl und Handlung vorliegt (aber auch dafür gibt es eine Zielgruppe), gepaart mit mangelnden Kentnissen über den weiblichen Körper.
Für ihre 28 Jahre sah sie noch ganz gut aus, nicht so verbraucht wie ihre Freundinnen. Ihre riesigen Brüste reckten sich mir freudig entgegen und hüpften aus dem Ausschnitt. :joy:
(Ja, so etwas in der Art wird wirklich geschrieben. Hier ist nicht meine Fantasie mit mir durchgegangen.) In dem Fall ist es besser, die Bücher als (Alt-)Herrenfantasie zu kennzeichnen, damit auch die richtige Zielgruppe erreicht wird.

4 „Gefällt mir“

Mir hilft beim Annehmen von Kritik (v.a. von Laien), folgendes

  • Sich in das Lesegefühl des Kritikers hineinfühlen
  • Das Selbstverständnis des Kritikers akzeptieren (nicht hinterfragen), und die Kritik durch seine Augen lesen:

Kritik sagt oft sehr viel darüber aus, wie ein Kritiker denkt oder empfindet, und auch noch etwas darüber, wie und was er über den Text denkt, welchen er kritisiert.
(Gilt für weibliche und männliche Kritiker ebenso – ist m.E. bei solchen des anderen Geschlechts oft noch wichtiger zu bedenken:-).

1 „Gefällt mir“

Vorhanden. Das wäre das erste was mir einfällt. Oft hört man gar nix.

Ich hab zu meinen eigenen Texten noch gar nicht so viel Feedback (liegt in der Natur der Sache, sind halt nicht viele veröffentlicht). Aber ich hab viel gesehen und gelesen. Von konstruktiver Kritik ist das oft meilenweit entfernt. Um konstruktiv zu wirken, muss sich aus der Kritik ja ergeben, was der Autor, nach Ansicht des Kritikers verbessern sollte.
Persönlich finde ich, wenn jemand mir sagt, dass er/sie/they oder so eine Geschichte mag, ist das halt ok. Das ist natürlich auch nicht konstruktiv. Aber das macht eben +0 für den Text, aber +1 fürs Ego.
Aber wenn jemand mir mitteilen wollte, dass mein Text „schlecht“ ist, sich „hölzern anfühlt“, ihn „die Figuren nicht ansprechen“ oder was weiß ich, bin ich dann ganz schnell bei Bruno Koop. (Didi der Doppelgänger → Ich brauche mehr Details). Die kriegt man häufig aber gar nicht.

Anders ausgedrückt. Positive Kritik kann begründet werden, negative Kritik muss begründet werden.

Verbesserungsvorschläge gehen auch, weil sie dem Autor auch erlauben, die Kritik nachzuvollziehen.
Ich mag es, wenn die Leute sowas sagen wie: versuch mal das. Oder schau mal ob du das streichst. Oder wie meine Frau das eine Mal „Ich verstehe nicht so richtig, welchen Zweck diese Figur hat“. Das hilft mir konkret. Yoro beschreibt das hier ziemlich gut. (inklusive dudenfähiger Wortschöpfung)

Was @fredreg hier sagt, gilt für den Kritiker nicht weniger.

Emotionen, auch textbezogen, sind so eine Sache. Da müsste eben auch der Kritiker beurteilen, inwieweit das relevant ist. Wenn ich zum Beispiel eine Kindergeschichte schreibe und der erwachsene Testleser kriegt dadurch Angstzustände, möchte ich das schon gern wissen …oder wenn ich Erotika schreiben würde und der Testleser findet das alles eher lustig.
Aber wenn die gesamte Kritik daraus besteht, dass sich der Text oder manche Szenen für den Leser irgendwie HIER-GEFÜHL-EINSETZEN anfühlen, ist das halt nicht hilfreich. Oder wenn die Emotion extrem spezifisch ist, wie Phobien des Kritikers, die aber dann gleich auf die gesamte Leserschaft umgelegt werden.

Was ich absolut nicht leiden kann, sind diese eine Gruppe von Leuten:
Nennen wir sie doch einfach mal die Ritter des Schreibtipps. Ich überzeichne hier ein wenig:
Dieses spezifische Klientel hat massenhaft Blogs zu Schreibtipps gelesen und/oder zwölf Schreibkurse besucht und hält sich deshalb für die Verkörperung der schriftstellerischen Weisheit. Tatsächlich haben sie aber die Hintergründe der entsprechenden Schreibtipps gar nicht verstanden, sondern nur deren Titel auswendig gelernt. Deswegen schreien sie auch sofort „Show don’t tell“, wenn der Autor sich erdreistet, die Form eines Frühstücksbrötchens nicht zu beschreiben. (Und wenn er es doch tut, ist es infodumb). Du bist weiß und (cis-)männlich, aber eine deine Figuren ist eine amerikanische Ureinwohnerin? Pech gehabt bei den Schreibtipprittern, denn es heißt „Write what you know“. Und trau dich ja nicht erst, ein Adjektiv zu benutzen oder gar :scream: :scream: :scream: … ein … Adverb!
Dieselben Leute kritisieren auch gern auf der Basis der Kritiken zu ihrem eigenen Text. Also Super-Schreibkurs-Lehrer L hat Schreibtippritter R mal den Rat gegeben, dass seine Charaktere ihre Handlungen mehr reflektieren sollten. Und seitdem schimpft R über jede Geschichte in der sich nicht mindestens ein Charakter mindestens einmal hinterfragt.

Edit: Kurzer Disclaimer. Es gibt natürlich bei Autoren auch noch den entsprechenden Gegenpol. Nur hier geht es ja um Kritik.

Wer die „Schreibtechnikerin“ kennt, kann dort mal der Anleitung zu gutem Feedback suchen. Ich verlinke hier jetzt aufgrund der Forenregeln nicht. Sie weist unter anderem auch darauf hin, dass gute Kritik die Vision des Autors mit berücksichtig. Sprich, ein guter Kritiker äußert seine Kritik sozusagen im Vergleich zu dem Werk, dass es sein will, nicht dem Werk, dass er stattdessen geschrieben hätte.

Letztendlich denke ich, beiden Seiten wäre gut geholfen, wenn sie mit etwas Demut an die Sache herangehen. Der Autor denkt sich was bei seinen Zeilen, der (wohlwollende) Kritiker aber auch.


@Gwendy:

Ich empfehle hierzu Bodo Wartke, das Lied heißt „Mir fehlen die Worte“ und dreht sich um die vermeintliche Unzulänglichkeit der deutschen Sprache bei dirty talk. Es gipfelt in der Phrase

„Der purpurbehelmte Krieger will in das gelobte Land
In das Land des vertikalen Lächelns, und dort schaut er schon gespannt […]“ :smiley: :smiley:

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Klar, als Satire würde ich wiederum gern die Abenteuer von Ritter Purpurhelm in den Melonenbergen lesen. :joy:

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Hab es mir angehört :smile:

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Ja das kenne ich. Ich habe eine Geschichte geschrieben, auf die ich sehr stolz war. Es kritisierten mich Leute, das tat sehr weh. Doch die Kritiker sagten mir genau, was sie daran nicht gut fanden und was ich anders machen könnte. Auch ich legte die Geschichte zur Seite und musste erst alles verdauen. Ich las meine Kritik und die Geschichte noch einmal durch und so hart für mich auch die Kritik war, so berechtigt war sie auch. Ich überarbeitete sie dann und so lernte ich viel von dieser einen Geschichte. Jede gute Kritik ist gut, doch der Autor muss auch die Kritik annehmen. Natürlich sollte man beim kritisieren freundlich bleiben und wenn ein Kritiker gut ist, gibt er auch Vorschläge oder Überlegungen an. Dann kann man konkret darüber nachdenken.

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Klingt einleuchtend, wenn auch banal.
Aber wann ist eine Kritik eine gute Kritik, sodass sie gut ist?

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Wenn sie begründet ist. Das haben wir eigentlich schon hinreichend erörtert.

Gute Kritik ist wertschätzend, ehrlich, begründet (und sei es nur mit „klingt unschön“ oder „verstehe ich nicht“) und lässt sich prüfend auf den Stil des anderen ein, ohne den eigenen Stil aufdrängen zu wollen.
Wenn jemand unbedingt von Purpurhelmen in „samtigen Goldminen“ (David Bowie) schreiben möchte, dann kann man durchaus zweifelnd nachfragen, welche Wirkung der Text beim Leser erzielen soll und den eigenen Eindruck (dass man sich ggf vor Lachen ausschüttet) auch gleich mitteilen, aber wenn es so sein soll, dann kann man als Testleser, Kritiker und Lektor letztlich auch damit arbeiten und plötzlich eingestreute Vulgär- oder anatomisch korrekte Bezeichnungen als unpassend ankreiden.

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