Wie lange recherchiert Ihr?

Hallo in die Runde.

Nachdem ich seit einiger Zeit die Idee zu einer Geschichte habe, entsteht nach und nach ein Plot in meinem Kopf. Da es ein sehr technisches Thema ist, habe ich nun mit der Recherche zu den Teilen begonnen, von denen ich gar keine Ahnung habe. Es geht mir in diesem Thread nicht um die Angabe eines festen Zeitraums, den Ihr für Recherchen aufwendet, sondern eher um den Umgang mit der Recherchetiefe und eventuellen Brüchen.

In meinem Fall geht es aktuell um den Hormonhaushalt. Unter anderem bin ich darauf gestoßen, dass die meisten Hormone nicht linear wirken. Das hat zur Folge, dass das System „kollabieren“ kann. Ganz grob beschrieben, es geht hier nicht um die Details. Meine Frage dazu ist:

Wie geht Ihr damit um, wenn Ihr gedacht habt, Eure Recherche ist fundiert und dann während des Schreibens feststellt, das Euch ein wichtiger Punkt bisher doch noch nicht klar war? Also wenn ich erst mitten in der Story auf den wichtigen Aspekt des Nichtlinearen gestoßen wäre.

Bisher habe ich noch nicht angefangen zu schreiben, aber ich frage mich im Moment, wie tief muss ich in mir fremde Themen wirklich einsteigen, wenn meine Charaktäre „schlau“ klingen sollen, ohne dass jemand der wirklich Ahnung hat das Gesicht verzieht? In meinem Fall Wissenschaftler.

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Das kommt ganz auf deine Geschichte an. Wenn in einem Krimi ein Chirurg während einer OP jemanden unauffällig tötet, sind tiefgehende Kenntnisse nötig, um den Mord glaubhaft zu verpacken.
Bei einer anderen Figur könntest du an der Oberfläche bleiben.

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Dann recherchiere ich weiter und schreibe die betreffenden Szenen eben um oder erweitere sie. Bei mir ist das ein permanenter Prozess bis ich bei ENDE angekommen bin.
Aber ich plane sowieso nicht die ganze Geschichte durch.

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Wenn du nicht gerade einen Ratgeber schreibst, sondern einen Roman, reicht es aus, wenn es einen ersten Blick standhält. Wichtig ist nicht, dass du den Hormonhaushalt erklärst, um zu beweisen, dass dein Charakter schau ist, sondern dass du keine gravierenden Fehler machst. Oft hilft es einzelne Details richtig zu erwähnen. Dann nicken die Leser, die sich auskennen, hoffentlich.

Beispiel:
Wenn du einen Biologen hast, der mit Hilfe von somatischer Embryogenese Nadelbäume klont, ist es nicht wichtig den Prozess genau zu erklären - sondern ein Detail richtig zu nennen a la „Oh? Könnt ihr jeden Baum damit klonen?“
„Nein, leider nicht. Nur das Saatgut, ohne zu wissen, wie der fertige Baum später aussieht.“
„Wie unpraktisch. Sehen geklonte Bäume später gleich aus?“
„Nein, nur Merkmake sind gleich. Zum Beispiel sind Wurzelstecklinge genetisch identisch, wie bei Bananen. Trotzdem sehen die Palmen unterschiedlich aus, während ihre Bananen gleich schmecken.“

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Kommt natürlich auf das Thema an. Als Beispiel nehme ich eine Szene aus meinem aktuellen Projekt. Wenn sich jemand einen Kopfschuss aus einer Desert Eagle einfängt, ist er tot. Mausetot. Da muss ich nicht erklären (obwohl ich es weiß), dass das Geschoss im Kaliber .50 AE ist, knapp 20 Gramm wiegt und mit rund 500m/s unterwegs ist.
Bei anderen Themen kann die Erklärungstiefe ausführlicher sein, darf aber auch nicht in Geschwafel ausarten. Wenn ich, wie @Suse schon geschrieben hat, während des Schreibens merke, dass etwas fehlt, wird nachrecherchiert.

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Im zarten Alter von 12 Jahren steckte ich die Gemeindewiese an. Ist vollkommen abgebrannt und die Feuerwehr musste ausrücken. Mit einer Aufnahme in die Jugendmannschaft dort, wurde nichts (obwohl ich zur Strafe ein Jahr lang jede Woche das Feuerwehrauto waschen musste!).
52 Jahre später hatte ich den Plan, eine Geschichte über die letzte Hochwasserkatastrophe zu schreiben. Im Focus: Der Bezirks-Feuerwehrkommandant und seine beiden Kinder. Mann, was hat mein alter Freund Reini (eben jener!) gelacht, als ich aus Recherchegründen zu ihm kam…

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Ich recherchiere, bis ich Ende unter die Geschichte setze. Jeweils so tief, dass Unwissende nicht erschlagen werden mit Info-Dump, Wissende aber nicht genervt das Buch zuschlagen.

Merke ich beim Schreiben oder Überarbeiten, dass noch etwas fehlt, etwas unklar ist oder vielleicht nicht schlüssig ist, recherchiere ich nach und schreibe hinzu, schreibe um oder nehme ganz raus, wenn möglich.

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Wie lange und wie tief ich recherchiere, hängt von dem jeweiligen Projekt ab. Ein Beispiel: Bei meinem Fantasy-Projekt „Draíocht an domhain“ sollen die elfischen Legenden etwas an die irischen Legenden angelehnt sein, aber eben nur angelehnt und nicht eins zu eins übernommen. Deswegen habe ich in unserer Bücherei zwei Bücher ausgeliehen und zuhause entsprechend studiert (natürlich Notizen noch dabei gemacht). Ich verstehe selbst zwar nicht viel von der irischen Mythologie, aber mich haben drei Legenden aus den Büchern so fasziniert, dass ich sie einfach hernehmen musste… als Vorlage für meine elfischen Legenden.

Für mein historisches Projekt „Jenseits der Mauern“ muss ich etwas tiefer recherchieren, damit ich keinen Quatsch über die mittelalterliche Zeit schreibe (meine Geschichte spielt ziemlich genau im Jahre 1212, diese Zahl hat mir so gut gefallen und sie hat auch noch zufällig in meine Recherche gepasst, dass ich sie nehmen musste). Denn später habe ich beim Recherchieren festgestellt, dass einige Anekdoten aus dem ungefähren Zeitraum mit meinen groben Ideen zusammenpassen und das auch eher zufällig. So ist recht schnell ein Plot entstanden und einige Details werden integriert, die Geschichte an sich ist jedoch frei erfunden. Genauer gesagt hatte ich die Geschichte zuerst, jetzt muss ich sie nur noch anpassen und hier und da ein paar Details ergänzen (Kompass z. B. gab’s noch keinen, wenn ich mich recht entsinne usw.).

Normalerweise bin ich Bauchschreiber und recherchiere nur wenig. Aber bei o. g. Projekten musste die Recherche sein, damit die Details in sich stimmig sind. Außerdem lese ich sehr viel Fantasy und aktuell auch historische Romane, das inspiriert mich zum Selberschreiben.

And by the way: „Royal Eagle - Die Abenteuer von Prinzessin Thea“ ist ein Projekt im Mittelalter-Setting, bei dem die fantastischen Elemente im Vordergrund stehen sollen.

Gruß

Super Girl

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Hui, schon sechs Menschen, die mir gute Antworten gegeben haben. Danke dafür.

Der Punkt der Nachrecherche klingt sinnvoll. Kann halt auch viel Überarbeitung bedeuten. Es wird eine SciFi-Geschichte. Von daher gesehen habe ich zwar einen hohen Freiheitsgrad, aber die Grundlagen, auf denen die Forschung basiert müssen halt stimmen. Wie gesagt entsteht der Plot gerade in meinem Kopf, aber ich arbeite die Geschichte auch nicht komplett aus. Ich denke, dafür kommen beim Schreiben selbst dann noch zu viele gute Ideen.

Ok, das Beispiel mit dem Dessert Eagle finde ich sehr anschaulich. Da muss nix erklärt werden, das ist in sich stimmig. Das mit dem Info Dump ist auch ein guter Hinweis. Man driftet schnell ins nerdige ab und verliert dabei sicher ein Teil der Leserschaft. Das will ich natürlich vermeiden.

Die Übernahme von Teilen der irischen Mythologie gefällt mir auch gut. So bin ich z.B. auf die „high licking mothers“ gestoßen. Es wurde herausgefunden, dass Rattenjunge, die besonders viel von ihren Müttern abgeleckt wurde, in bestimmten Belangen ein stabileres Hormonsystem haben. Solche Sachen kann man gut einfließen lassen glaube ich.

Für den (nicht wirklich) notwendigen Info Dump habe ich kurze Zwischenkapitel angedacht, die Auszügen aus Laborprotokollen entsprechen. Keine stumpfen Zahlen, sondern mit Kommentaren und Gedankenfetzen dazu. Die müssten nicht wirklich gelesen werden, liefern aber Informationen für den eher nerdigen Teil der Leserschaft. Aber ich weiß nicht, ob das bei den Lesern insgesamt funktioniert.

Also ich habe schon geschrieben. Aber noch nie eine längere Story zu einem bestimmten Genre und noch nie etwas, wozu ich tatsächlich ernsthaft recherchieren musste. Noch einmal danke für die Einblicke in Eure Vorgehensweisen und Eure erklärenden Beispiele.

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Kann es sein, dass wir verwandt sind? Ich war dreizehn, als ich mit Kumpels einen steilen Hang in unmittelbarer Waldnähe abgefackelt habe. Junge, das hat gebrannt - Beine unter den Arm genommen und nix wie weg.

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In SciFi gibt es aktuell (leider?) den Trend, dass die bekannte Physik „halbwegs“ beachtet werden muss. Dadurch entsteht automatisch gewisser Recherche Aufwand. Sei es der Umgang mit Strahlung, Sauerstoff, Energiequellen, Trägheit, etc.

Denn wenn dann sowas passiert wie in Fim „priest“ → Motorräder werden mit einem porablen Solarladegerät geladen, dass aussieht als würde es 3W Produzieren. Passt das einigen Leuten nicht. Genauso wie wenn ein Roboter aus Pacific Rim (oder war es Transformers) einen Tanker als Keule benutzt → geht nicht, da jeder sich fragt, wieso bei einem Autounfall sich alles miteinander verformt, aber als Keule benutzt ist es plötzlich stabil genug.

Manchmal reicht es eine Erklärung anzudeuten. Wenn sich also etwas ungewöhnlich verhält macht Entdeckung X das möglich. (Wieso können wir mit Mach 9 durch die Atmosspähre fliegen? / Ahja, die suprafluide Nanobeschichtung ermöglicht das - richtig, solange sie nicht beschädigt wird, werden wir nicht verglühen :wink: )

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Daran ist nix „leider“. Eine Missachtung dessen ist eine Diskriminierung von Zuschauern mit naturwissenschaftlicher Ausbildung :innocent:

Ich fliege immer aus einem Film (im Kopf), ebenso aus einem Buch, wenn es eben keine gute wissenschaftliche Fiktion ist, sondern schlicht - Quatsch. :smiling_imp:

Ich erkenne den nur aufgrund meiner Vorbildung leichter, und das macht’s ätzend.

Nichts gegen ein, zwei „wilde“ Grundannahmen, auf denen ein Film fußt - das sollte man halt hinnehmen, als „was-wäre-wenn“.

Dadurch darf dann aber die normale Physik, Chemie, Biologie nicht ansonsten (!) außer Kraft gesetzt werden, das macht dann keinen Spaß mehr.

Daher sind solche Werke, die hart die Physik beachten, ja sogar damit spielen, mit real Denkbarem, wahre Meisterwerke.
„Old Man’s War“ von Scalzi, „Murderbot“ Serie von Martha Wells (nur die Bücher - die Apple Serie ist grauenvoll), Alle SF von Andreas Eschbach, „Der Marsianer“ von Andy Weir, „The Expanse“ (Serie und Bücher) …

Und dann natürlich dazu die alten Großmeister:
Die Babylon 5-Serie (wie sich dort die Raumschiffe bewegen! Großartig!), sehr viel von Star Trek, Isaac Asimov, Joe Haldeman, Alastair Reynolds , C.J. Cherryh, …

Alles wahre Großmeister dieser Kunst, die es verstanden, Physik spannend darzustellen, anstatt sie mit Füßen zu treten.

Oder um kurz die eigentliche Frage zu beantworten:

Ich als Leser schätze es sehr, wenn der Autor so gut recherchiert hat, dass ich nicht aus der Geschichte rausgeworfen werde durch unsinnige Fakten.

Und zum Schluss:

Andreas Eschbach hat das auch mal sehr prosaisch beantwortet. Sinngemäß meinte er:
"Du bist Herr Deiner Welt. Recherchiere nicht ewig, welches Gift auf Deine Storyline passt. Erfinde ein passendes Gift, was sein könnte!"

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Aus diesem Grund nenne ich meine „Weltraumgeschichten“ auch nicht „Science Fiction“ sondern „Weltraumabenteuer“. Das macht deutlicher, dass mehr Fantasie dahinter steckt als reale Wissenschaften. :slight_smile:

Aber selbst da wird doch sicher kein Fahrrad gegen die Schwerkraft verstoßen, oder doch?

Ein Fahrrad nicht gerade, aber mit Raumgleitern kann geflogen werden! :slight_smile:

Ja gut. Aber Fahrräder fliegen nun mal nicht. Also hältst du dich ja doch an die Realität. Das ist gut so!

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Ich behaupte ganz frech: das ist nicht möglich. Gerade bei dem Thema Hormone werden Dir Fehler unterlaufen, die ein Leser mit wissenschaftlicher Ausbildung (Biologie, Medizin, Physiologie, Pharmazie) bemerken wird. Selbst im Film mit großem Budget wird in Serie falsch reanimiert oder immer munter einfach der Defi draufgebrizzelt. Und das ist eigentlich ein einfaches Thema.
Aber wer so etwas z.B. gut in der Biologie geschafft hat war Michael Crichton (übrigens Mediziner). Der Roman Jurassic Park geht zwar auf Grundregeln der Biologie ein, reitet aber diese nicht tot. Denn das Ziel war keine Abhandlung über DNA, sondern verdammte Dinos Amok laufen zu lassen. Also mein Tipp für den Hausgebrauch komplexer Details: so viel, wie nötig, so wenig, wie möglich.
Und nur als Spaßanregung: es gibt beim NDR auf der Homepage einen Podcast: Hormongesteuert (ja, wir hören so etwas wirklich). Da bekommst Du einen guten Einblick, wie komplex Hormone wirken.
Das ist kein einfaches Thema - aber sauspannend!

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Oder eine Frau rund um die Wechseljahre, die verstehen will, was abgeht. Die verzeihen Fehler noch weniger als Wissenschaftler :see_no_evil::smile:

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Oder Reiter, die im 2. Absatz schon merken, dass der Autor noch nie ein Pferd aus der Nähe gesehen hat.

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:joy:
Was sich quantitaiv widerspiegelt in der Anzahl der Krimis, in denen Frauen ihre Männer töten. In Relation zu der Anzahl von Krimis, in denen Wissenschaftlerinnen ihre Männer töten.
Auffällig ist die Schlussfolge: Mann tot.
Weiter Studien werden empfohlen.

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