Möglicherweise liegt da ein Missverständnis vor, aber die wirklich guten Geschichten sind charaktergetrieben, z.B. bei Ken Follett.
Wie soll ein Text funktionieren, wenn die Figuren nur reagieren? Der Leser wird durch die Handlungen und Denkweisen der Protagonisten in das Geschehen gezogen. Wenn das nur am Rande stattfindet, wie soll das funktionieren?
Ja, ich könnte mir auch vorstellen, dass da ein Missverständnis vorliegt. Ich habe gerade noch mal geguckt, aber ich habe gar nicht geschrieben, dass die Figuren nur reagieren. Ich glaube, du hast da sehr viel mehr reininterpretiert als ich geschrieben habe.
ABER ich bin überzeugt, dass es auch geht, ohne das man durch Handlung und Denkweise des Protagonisten in die Geschichte gezogen wird. Z.B. mit der Stimme des Erzählers (jetzt nur aus der Hüfte geschossen).
Und jetzt mal ketzerisch gefragt, was zur Hölle sind Figuren ohne eine Geschichte?
nackig. Die Handlung zieht die Figuren an. Angezogen marschieren sie durch die Gegend und erleben Dinge.
Wenn sich deine Figuren ohne jegliche Planung innerhalb deiner Geschichte entwickeln, musst du eben entsprechend aufpassen, dass der Leser sie anhand bestimmter Merkmale auseinanderhalten kann. So könntest du in der Figurendatenbank erst mal nur den Namen festhalten und bei jeder Entwicklung durch die Geschichte, Nachtragungen vornehmen. Nur so für dich. Als Überblick.
Yep, so klingt es gut. Ich denke auch, dass eine Handlung oder eine Geschichte (wobei das für mich mehr ist, als die reine Handlung) die Figuren anzieht, die zu ihr passen.
Hallo an alle, die ihre Charaktere zähmen und bei Laune halten wollen!
Bei mir ist die Schreibgeschichte anders gelaufen. Monatelang gab es die Geschichte in meinem Kopf, die Protagonisten haben sich entwickelt, wie immer sie wollten. Ich habe nichts am Reißbrett entworfen. Als ich dann eines Tages beschlossen habe, alles aufzuschreiben, daraus eine geschriebene Geschichte zu machen, die ein Anfang, ein Ende und was dazwischen haben soll, die Sinn macht und nachvollziehbar ist, geschah das, was @AndreasE geschrieben hat:
Es passte auf magische Art irgendwie zusammen.
Natürlich abgesehen von den tausend Überarbeitungsschritten, die noch auf das erste Schreiben folgten
Dem kann ich nur zustimmen. Das sind dann auch die Momente, in denen es im Bauch kribbelt und man wei, dass jetzt etwas tolles passiert. Schreiben ist eben Kunst und die ist nicht vorhersehbar. Intuition und Spontanität ist immer mit am Werk. Musste deswegen auch schon einiges ergänzen, da Charaktere gewachsen sind. Aus Nebenrollen wurden handlungstragende Rollen.
Aber das ist für mich der Reiz. Ich sage immer: Der Weg ist das Ziel. Und wenn Charaktere eine Abzweigung nehmen, ist das herrlich. Und immer spannend, wie man zum Ziel gelangt.
Wenn das für den Autor schon aufregend ist, ist es das für den Leser erst recht. Nur die Logik darf nicht darunter leiden ;).
Ich nutze das „Wissen“ der Protagonisten, wenn ich nicht weiterkomme in der Geschichte.
Beispielsweise wusste ich nicht so recht, wie ich eine Einbruchsszene weiterbringen sollte. Der Einbruch passt grundsätzlich nicht zum grundehrlichen Charakter der Figur, war aber zur Wahrheitsfindung relevant. Nachdem ich einige Zeit nutzlos gegrübelt hatte, habe ich den Protagonisten gefragt, wie sein Einbruch abgelaufen ist und was er alles erlebt hat.
Unerhörterweise hat er mich erst mal ausgelacht, weil ich als Autorin ihn so was frage! Ich muss schon sagen, was man sich von seinen Figuren gefallen lassen muss!
Nichtsdestotrotz hat er mir dann den ganzen Ablauf in seinen Worten (!) erzählt und es kam noch ein völlig überraschendes Element hinzu, was die Geschichte ein wenig verändert.
Vor allem am Anfang habe ich auch Interviews geführt, vor allem mit der Hauptfigur. Die ist zum Glück geschwätziger und steht gerne im Mittelpunkt. Da kamen dann gleich mehrere Seiten an Informationen zusammen.
Wenn ich nicht so oft schreibe, wie ich es mir vorgenommen haben, sehe ich tatsächlich die Hauptfigur wie sie mit verschränkten Armen verärgert mit dem Fuss auf den Boden tippt und mich fragt, wann ich denn nun gedenke, ihre (!) Geschichte weiterzuschreiben.
Und seit ich regelmässig schreibe, drängt sich die Figur einer anderen Geschichte immer wieder auf, die findet, sie habe jetzt lange genug gewartet und ich solle endlich an ihrem Buch weiterarbeiten.
Interviews mit meinen Hauptfiguren führe ich auch oft. Kann ich nur empfehlen.
Das erinnert mich an einen Film mit Johnny Depp. Das geheime Fenster.
Ich komme in meinem aktuellen Projekt in den letzten Tagen gut voran. Auch bei mir übernehmen die Charaktere ein wenig die Szenen. Das ist auch eine Bereicherung. Doch jetzt habe ich gerade eine Weggabelung und das blockiert mich, da ich mich frage, ob ich meinem ersten (groben) Plot folgen soll, oder ob ich eine mögliche Komplikation einbauen soll.
Eigentlich soll meine Forensikerin (jung und neu in der Behörde) den alten Chauvis mal zeigen, was Frau so kann.
Nun, und was macht sie? (Die blöde Kuh! Sie bringt mich in Schwierigkeiten!):
Sie legt einen zuvor benutzten Bootshaken einfach so neben die Jolle auf den Steg, weil sie den Skipper nicht mehr sieht, von dem sie diesen Haken ausgeliehen hatte.
Nutze ich die Gunst der Stunde, und lasse den Skipper sterben? Vielleicht mit dem Bootshaken erschlagen? Mit den Fingerabdrücken der Forensikerin?
Dann wäre die Gute - zack - aus der Rolle des zuvor gedachten Plots gekickt, weil von den Chauvis abhängig.
Oder lasse ich es und „mördere“ nicht weiter rum?
Oder helfe ich ihr und schreibe die Szene etwas um und behaupte, SIE hätte in der Situation daran gedacht, den Haken ordentlich von ihren eigenen Spuren zu reinigen? (Was man als Autorin für seine Schützlinge nicht so alles tut … )
Wie viele Opfer sind es denn bis jetzt?
Nur meine hübsche Wasserleiche. (Ich bin erst auf Seite 17 in Papyrus-Seiten)
PS: Sollte eigentlich auch nur eine Leiche vorkommen.
Na dann stehen dir noch alle Türen offen.
Hätte sie denn ein Motiv?
Nee, Sie würde rein gelegt werden. Entweder von demjenigen, der die Wasserleiche kannte oder von jemand anderem.
Auf jeden Fall könnte sie nicht mehr im Fall ermitteln, stünde sie unter Mordverdacht …
Du musst entscheiden, ob dich das zu weit weg führt. Skizziere doch grob einen Fall a) und einen Fall b) und schaue dann, welcher Fall dich möglicherweise in eine Sackgasse führen könnte.
Eventuell bekommst du weitere Ideen für deinen Ursprungsplot oder streichst welche aus deinem Vorhaben. So deckst du ganz nebenbei Mängel auf, die dir bisher gar nicht in den Sinn gekommen sind.
Unsere Figuren sind allesamt grandios. Sie helfen uns immer wieder aus der Patsche.
Für mich liest sich das eher so, als wenn der Plot nur ungefähr stünde und der Platz der jungen Dame innerhalb der Geschichte recht wackelig ist. Zum einen, wenn sie reingelegt würde, dann müsste der/die Täter/in sie schon vorher auf dem Kieker haben. Oder bummelt diese Figur nur zufällig dort vorbei?
Zum anderen stellt sich die Frage der Funktion der Forensikerin im Text. Welche Aufgabe soll sie nach ihrem “Auftritt” erfüllen? Diese könnte sich, durch die Ermittlungen gegen sie grundsätzlich wandeln.
Hilft das der Geschichte vorwärts oder bläht das nur auf?
Ich lasse den Skipper am Leben. Der Grund ist, dass die Geschichte in eine völlig andere und von mir nicht beabsichtigte Richtung abdriften würde. Daher erspare ich der Dame ein Ermittlungsverfahren gegen sie.
@Fuxx : Nöö, eigentlich stand die Rolle der Frau schon fest. Aber sie bot jetzt einem potentiellen Mörder die Gelegenheit. Daher kam ich ins Grübeln, ob ich das nutzen soll oder nicht.
Sie wäre nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen und hätte dazu noch einen Fehler gemacht, den ein Täter hätte ausnutzen können.
Motiv: Der Täter hätte ihr das übel nehmen können, dass sie ein paar Rosen aus dem Wasser gefischt hatte. Gleichzeitig hatte die Frau den Skipper gefragt, ob er wüsste, wer die Blümchen da ins Wasser geworfen hatte. Also könnte der Skipper ein Augenzeuge sein, der den Blumenwerfer identifizieren könnte. Vielleicht hätte also der Blumenwerfer diesen Augenzeugen aus dem Weg räumen wollen, um nicht selbst entdeckt zu werden …. wer weiß das schon so genau, was in Leuten vorgeht, wenn sie Rosen ins Wasser werfen …
Du musst sie lieb haben.