Versuch

„Wo ist Zeus? Wir müssen zu Zeus!“

Die Putti flatterten aufgeregt herum. Einige von ihnen kämpften mit gewichtigen Marmortafeln und der Schwerkraft. Sie wissen schon, Marmortafeln, so ähnlich wie die mit den 10 Geboten. Gerade noch handlich genug, um sie herumzutragen. Beim Fliegen wird es schon herausfordernder. Endlich tauchte Zeus auf. Ausgeschlafen und (noch) zufrieden ließ er sich auf seinem Thron nieder.

„Hallo Zeus!“

„Wie geht’s denn so, Zeus?“

„Alles Roger, Zeus?“

Die Putti starrten auf den letzten Sprecher.

„Respekt, Mann! So redet man nicht mit Zeus.“

Zeus betrachtete die Putti wohlwollend (noch).

„Ihr wollt doch irgendwas.“

Die Putti strahlten Zeus an.

„Es ist Montag.“

„Ja. Montag. Manche mögen diesen Tag nicht. Ich persönlich habe nichts gegen ihn. Ein Montag ist kein Grund zur Aufregung. Er kommt häufiger vor.“

„Es ist DER Montag.“

Zeus verstand den diskreten Hinweis nicht.

„Der beste Held wird heute bekannt gegeben.“

„Und darum haben wir die Siegerurkunden mitgebracht.“

Die Putti mit den Marmorplatten wurden nach vorne geschoben.

„Für den besten Newcomer.“

„Für die beste Bestie.“

„Für den besten Schwertkampf.“

„Für besondere Leistungen.“

„Mal langsam. Ich dachte es geht um den besten Held.“

„Ja, schon. Aber Athene meinte sie will keinen Ärger. Darum haben wir für jeden Helden etwas.“

Zeus fragte sich, wozu dann die Umfrage stattgefunden hatte. Aber er schwieg. Er wollte keine weiteren Erklärungen hören. Er hoffte einfach nur, dass die Urkundenverleihung ohne den Ausbruch irgendwelcher trojanischen Kriege ablaufen würde. Und Athene war ein kluges Kind. Man konnte sich auf ihre Einschätzung verlassen.

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Helden standen mit stolzgeschwellter Brust herum und drückten marmorne Urkunden an eben diese. Die Bestie hatte eine Pfote auf ihre gestellt und grinste ausgesprochen zufrieden. Wer es nicht besser wusste, den hätte sie mit diesem Grinsen in die Flucht geschlagen. Aber als Gott gewöhnt man sich an alles und mit den dahinziehenden Äonen wird auch eine furchterregende Bestie zu einem alltäglichen Anblick.

„Und die Urkunde für den Besten Held geht an …“

Zeus machte eine Kunstpause, die er zur Kontemplation über den eingemeißelten Namen nutzte. Er kniff die Augen zusammen, um besser lesen zu können. Kleiner Hinweis am Rande: Es lag nicht an den Augen. Er winkte die Putti zu sich.

„Wirklich?“

„Klar. Das ist bei der Umfrage rausgekommen.“

Zeus machte sich eine mentale Notiz, die Begrifflichkeit „Held“ strikter zu definieren.

„Der beste Held ist … der Bicycle Repair Man*.“

Ein Raunen ging durch die Menge lauschender Götter. Dann brandete tosender Applaus auf. Es hätte keinen besseren treffen können.


*Für Spätgeborene sei der Hinweis auf Monty Python gestattet.

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T-Shirts mit „I :heartbeat: Bicycle Repair Man“ fände ich angebracht

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Wann kommt das Buch der Puttis?

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Ein ganzes Buch erstmal nicht. Aber extra für Dich habe ich den nächsten Text auf die Putti umgeschrieben.

Die Putti hatten die A-Karte* gezogen. Sie machten unter Einsatz des Musculus depressor anguli oris** und des Musculus platysma*** lange Gesichter.

„Ich wollte ans Meer.“

„Am Pool sitzen und die Füße ins Wasser hängen lassen.“

„Und ein All-Inclusive-Buffett.“

Die Augen der Putti bekamen einen sehnsüchtigen Ausdruck. Aber es half nichts. Sie mussten zum Ferientempel. Die Pflicht rief.

Es gibt eine ganze Reihe weiterer relevanter Tempel, die für die Aufrechterhaltung der Moral unerlässlich sind:

  • der Urlaubstempel. Sozusagen das Pendant zum Ferientempel für Erwachsene,
  • der Mache-heute-Blau-Tempel mit eher geringem Renommee,
  • der Erziehungsurlaubstempel – kurz EZUT,
  • der Brückentagstempel kommt bisweilen zusammen mit
  • dem Feiertagstempel einher.

Sie alle müssen regelmäßig gewartet werden. Eine unbeliebte Aufgabe, deren Vergabe Zeus in einem Lotteriesystem organisiert hatte.

Die Putti drückten die großen, schweren, etwas quietschenden Bronzetürflügel auf. Ein heller Sonnenstrahl durchdrang das Dämmerlicht und fiel auf die Statue eines unglaublich fröhlichen Teenagers mit einem Skateboard.

„Halloho! Da seid ihr ja! Ich habe schon auf euch gewartet!“

„Auch hallo.“

„Es gibt richtig was zu tun. Es wird garantiert nicht langweilig.“

Die Augen des Teenagers leuchteten begeistert. Die der Putti weniger. Echte Arbeit war nichts für sie. Sie sahen sich mehr als liebliches Beiwerk, mal eine Girlande haltend oder einen Vorhang lupfend.

„Ja. Toll. Wir gehen dann mal wieder raus und schauen, was zu tun ist.“

„Geht klar. Wenn ihr mich sucht – ich bin hier. Und lasst die Tür ruhig offen. He! Offen lassen!“

Aber die Putti waren schon weg.

Geräteschuppen sind hervorragende Aufenthaltsorte, wenn die Arbeit ruft. Sie zeichnen sich durch trockene Luft, staubiges Werkzeug und vor allem durch ihre Lage aus, die immer ein bisschen weiter hinten im Garten ist, verborgen hinter Büschen. Meist weist die Ausstattung wackelige Stühle und im besten Fall auch ein ausgemustertes Sofa auf. Und wenn jemand kommt und fragt, wo man abgeblieben ist, war man gerade auf der Suche nach dem Unkrautstecher oder einem leeren Eimer****.

In dieses Refugium hatten sich die Putti zurückgezogen.

„Kann er uns hier hören?“

„Glaube nicht. Ich habe die Tür zu gemacht.“

„Wann können wir wieder abreisen?“

„Schau mal auf die Rückseite der A-Karte.“

Was dort stand, führte bei den Putti zu einem kollektiven Ausbruch von tiefempfundener Verzweiflung begleitet von Tränen, die wie die Perlen einer gerissenen Kette zu Boden fielen. Auf der Rückseite der A-Karte stand ein verblüffend deutlicher Satz: Wenn ihr fertig seid.


  • Nicht was Sie vielleicht denken, sondern die Aufräum-und-Renovierungs-Karte.
    ** Mundwinkelsenker
    *** Hier existiert bedauerlicherweise keine bildhafte Übersetzung. Aber stellen Sie sich einfach vor, dass der Muskel ursächlich an dem langen Gesicht beteiligt ist.
    **** Eine der hervorstechendsten Eigenschaften von Eimern ist ihr Magnetismus. Insbesondere sind kleinteilige Objekte betroffen. Es gibt nur wenige Eimer, die nicht mit Holzresten, Kieselsteinen und Werkzeug gefüllt herumstehen. Dabei gibt es nichts Schöneres für einen Eimer als leer und sauber auf den nächsten Einsatz zu warten.
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Ohhh viele Herzen dafür! Puttis for President… ähmm, Moment….

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Es war der Tag der offenen Sprechstunde. Athene hatte ihn eingeführt, um (a) alle Anliegen gebündelt zu behandeln und (b) um alle Fragesteller auf diesen Termin verweisen zu können („Kommen sie mit ihrem Anliegen einfach zur offenen Sprechstunde“). Die Schlange war zwar immer etwas länger als erwartet, aber das war ein kleineres Übel. Gerade stand sie an der Bar und lauschte dem Zischen der Kaffeemaschine, ein Mitbringsel von Loki. Die Sprechstunde lief in die Zielgerade ein und Zeus brauchte dringend einen Kaffee.

„… und daher fordern wir als Vertreter der Zelt-Wohnwagen-Mobilheim-Fraktion einen eigenen Tempel.“

Inzwischen hatte Athene wieder ihren Platz als Zeremonienmeisterin an der Seite von Zeus eingenommen.

„In 14 Tagen geht ihnen der Bescheid zu. Sie dürfen sich jetzt erheben. Bitte verbeugen sie sich und und gehen sie rückwärts hinaus.“

Zeus sah von seinem Kaffeebecher auf.

„Rückwärts? Was soll denn das?“

„War ein spontaner Einfall. Hab ich mal bei einer englischen Königin gesehen.“

„Was Zeremonien angeht, kann man sich von den Sterblichen noch was abschauen. Sind wir dann fertig für heute?“

„Noch eine.“

Zeus nahm einen Schluck Kaffee.

„Dann lass sie mal rein. Aber bitte wieder mit dem ganzen Auf-die-Knie-fallen und rückwärts Gehen. Das hat was.“

Athene winkte die Delegation herein. Nachdem sie alle ordentlich auf dem Boden knieten, durften sie ihr Anliegen vortragen.

„Wir, die Liga für die Abschaffung von Passierschein A38, fordern die unverzügliche Abschaffung des Passiertscheins A38.“

Zeus bedeutete Athene sich näher zu ihm zu beugen.

„Sind die wahnsinnig? Damit riskieren wir den Zusammenbruch der gesamten Popkultur. ABGELEHNT.“

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Das Gelage

Götter lagen auf ihren Speisesofas herum und schwenkten einen gesunden alkoholfreien Cocktail von Hebe.

„Habt ihr gehört? Ein neuer Tempel kommt!“

„Wie lang ist der letzte her?“

„Eine Ewigkeit.“

„Weiß man schon, wer der Hüter des Tempels wird?“

„Ein Tempelhüter? Wozu ist dann die A-Karte?“

„Der Hüter des Tempels ist mehr für die Care-Arbeit zuständig.“

„Und die Arbeit macht jemand anderes?“

Die Götter brachen in Gelächter aus. Der eine oder andere Tropfen gesunder Getränke schwappte über den Glasrand und fiel zu Boden, wo sich unbefugte Insekten am göttlichen Nektar labten und eine erstaunliche Resistenz gegenüber Umweltgiften entwickelten. Später einmal würden sie nach unten wandern und nach einer weltweiten Katastrophe die Herrschaft übernehmen.

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Mega! :joy: :joy: :joy:

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Die Götter drängten sich vor dem schwarzen Brett.

„Was ist das?“

„Eine Stellenausschreibung.“

„Sie suchen einen Hüter des Tempels (m/w/d/g)*“

„Was sind die Benefits?“

„Hier steht Obstkorb.“

„Klingt nicht besonders.“

„Ich finds interessant. Wie muss man sich bewerben?“

„Das Übliche**. Anschreiben, Lebenslauf, Zeugnisse.“

„Ein Lebenslauf?“

Die Götter erschauderten. Jeder ging im Geiste die Jahrhunderte seiner Existenz durch. Jahrhunderte. Das schreibt man nicht mal so eben auf. Da braucht man mindestens einen tüchtigen Sekretär.

„Bei Lebenslauf bin ich raus.“

Das Interesse ließ merklich nach, man ging zu anderen Themen über, vor allem aber ging man zu Hebes Bar. Nur ein kleiner unwichtiger Gott blieb stehen. Als er alleine war, sah er sich um und riss dann die Stellenausschreibung ab. Sorgfältig faltete er sie und verstaute sie in einer Falte seines Gewandes.

Schwarze Bretter, Pinnwände, Litfaßsäulen und ähnliche Kommunikationsmedien der göttlichen Sphären sind auf dieses Verhalten eingestellt. Daher erschien kurze Zeit später der himmlische Plakatierer, um den Aushang zu erneuern.
________________-
*Nur zur Erinnerung: männlich/weiblich/divers/göttlich
**Niemand weiß, wie die Formulierung „Das Übliche“ hier hereingefunden hat. Stellenausschreibungen waren bei den Göttern – zumindest bisher – ausgesprochen unüblich, wenn nicht sogar noch nie da gewesen.

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Ich mag deine Geschichten und liebe deine Fußnoten. :+1:

Die Putti trafen sich zu einem kleinen Picknick im Schatten einer großen Kastanie. Hin und wieder schob ein leichter Windstoß die Blätter auseinander, um das von den Impressionisten so geschätzte Sonnenlicht hindurchzulassen.

„Habt ihr das gelesen? Da schreibt jemand über uns.“

„Gib nicht so an, da sind schon auch die Götter gemeint.“

„Und die Helden.“

„Die Bestie.“

Einige wurden ungeduldig. Offensichtlich waren sie nicht informiert.

„Ja was denn nun?“

„Also einer schreibt ‚Mega‘ und eine, dass sie die Geschichten mag und die Fußnoten liebt.“

„Fußnoten? Die werden gelesen? Ich dachte, die sind so eine Art Dekoration für Texte.“

„Geh mal zu Tedi, dann weiß du, was Deko ist!“

„Also ich finds super, wenn die uns lesen. Wir sollten uns bedanken.“

Die Putti erhoben sich und verbeugten sich formell vor den imaginierten Lesern.

„Das war jetzt aber schon ziemlich japanmäßig.“

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Der Gott, der sich auf die Stelle bewerben wollte, saß an Hebes Bar mit einem Notizblock vor sich und einem Stift in der Hand. Er folgte schon länger einer Routine, die daraus bestand, ein Blatt vollzuschreiben, die einzelnen Absätze nach und nach durchzustreichen und schließlich das Blatt abzureißen. In vorauseilendem Gehorsam waren die Blätter dazu übergegangen, sich selbst zu zerknüllen und auf den Boden zu fallen. Anschließend begann der Gott von neuem. Loki wandte sich ihm freundschaftlich zu.

„Na, Junge, wo hakt es?“

Der Gott strich den eben geschriebenen Satz durch.

„Du kannst mir sowieso nicht helfen.“

Loki war ein bisschen beleidigt, weil er diesen Satz als ausländerfeindlich ansah. Gut, er kam aus einem anderen Götterhimmel, aber darauf musste man ihn ja nicht immer wieder aufmerksam machen. Außerdem ließ er sich nur selten dazu herab, jemandem zu helfen. Das war eigentlich gar nicht seine Art. Also sollte dieser Gott seinen Bemühungen doch bitteschön etwas Anerkennung zollen. Er startete einen weiteren Versuch. Sicher würde das bei der Revision Punkte bringen.

„Worum geht es? Ah. Lebenslauf lese ich da oben. Willst du dich etwa auf den Job bewerben?“

Der Gott murmelte etwas vor sich hin, steckte dann den Stift in den Mund und zerkaute das Ende brutal. Er zersplitterte. Loki und der Gott starrten auf den ruinierten Stift.

„Dieser Stift sagt mir, dass du Hilfe brauchst.“

„Dieser Stift sagt gar nichts mehr. Dieser Stift ist im Arsch.“

Der Gott schob die Reste des Stifts vom Tresen und holte einen neuen aus der Tasche.

Hebe warf erst dem Gott, dann den Resten des Stifts einen tadelnden Blick zu. Die Reste machten, dass sie davonkamen. Sie suchten sich einen gemütlichen Abfalleimer. Hebe indessen griff den neuen Stift, zog den Block zu sich und verfasste den Lebenslauf (Oh Gott, so eine Hebe könnte ich gerade auch gebrauchen).

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Athene sichtete die Bewerbungsunterlagen.

„Dieser Lebenslauf hier ist vorbildlich. Nicht zu ausführlich, auf das Wesentliche konzentriert. Geradezu perfekt.“

Hebe versuchte es mit einem unbeteiligten Gesichtsausdruck.

„Sehr schlau, sich kompetente Hilfe zu holen. Ich glaube, mit dem probieren wir es. Du kannst jetzt mit dem unbeteiligten Gesichtsausdruck aufhören.“

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Egal ob Gott oder Sterblicher, über eine Jobzusage freut sich jeder. Und damit beginnen die Schwierigkeiten. Wer es positiv formulieren möchte, kann Herausforderung sagen. Oder Challenge.
Da gab es zum Beispiel die Frage: Wo war der Tempel? Eine Frage, die bei einem sakralen Bauwerk, welches insbesondere den Anliegen der mobil beweglichen Sterblichen gewidmet war, nicht unerhebliche Bedeutung hatte. Man will ja nicht ankommen, während der Tempel schon wieder an einem anderen Ort weilt. Und ist schon wieder zu spät. Fast könnte man Absicht dahinter vermuten.
Hüter des Tempels ist nicht einfach ein Achtstundenjob. Man muss die Anerkennung des Tempels erringen. Läuft so ähnlich wie beim Zureiten von Pferden. Wobei sich in diesem Fall das Pferd durch Absenz auszeichnete. Eine gute Gelegenheit für Loki mal aufzutauchen.

„Auch ein Bier?“

Der Hüter des Tempels nahm dankbar eine Dose* (Anmerkung d. Verf. Diese Fußnote wird unten in einen Punkt umgewandelt, was an der mangelnden Durchdringung der Software durch den Verf. liegt. Suchen Sie den fetten Punkt!). Zwei Männer, sogenannte einsame Wölfe, stießen an. Goldgelbe Flüssigkeit rann durch ihre Kehlen, wobei wir als Beobachter diesen Vorgang natürlich nicht sehen können. Außer wir wären ein Gaumenzäpfchen oder die Inkarnation einer Speiseröhre. Der Hüter des Tempels drehte die Dose (respektive Flasche) in den Händen.

„Dieser Tempel verhält sich fluide wie Bier.“

Wie muss man sich einen Tempel vorstellen, der Urlaubsmobilität repräsentiert? Der Aufbau besteht aus einem Funktionstempel (Pkw) und dem Haupttempel (Wohnwagen). Das Vorzelt wird von Säulen im korinthischen Stil getragen. Im Innern befinden sich die zwei heiligen Hallen, die symmetrisch zu einer Mittelachse liegen. Die eine ist dem Mahl gewidmet, die andere dem Schlaf geweiht. Weihegaben bestehen aus Miniaturen von Leuchttürmen oder niedlichen Stofftieren. Opfer werden vor dem Tempel auf einer tragbaren Einrichtung dargebracht.
Wie wir bereits erfahren konnten, ließ sich der Tempel hinsichtlich seines Standortes nicht festnageln. Es wäre für unseren Tempelhüter schön gewesen, den momentanen Aufenthaltsort überhaupt erst einmal zu kennen.

„Wie finde ich ihn bloß?“

Loki dachte angestrengt nach. Die Herausforderung bestand darin, einen konstruktiven Lösungsansatz zu unterbreiten. Nichts mit Glaskugeln. Das Orakel von Delphi gab üblicherweise kryptische Dinge von sich, die bekannterweise nicht weiterhalfen.

„Wir gehen völlig falsch an die Sache heran.“

„So?“

„Natürlich. Wir jagen immer nur hinterher. Aber: Wir müssen ihn anlocken!“

Getreu der neuen Vorgehensweise suchten der Hüter des Tempels und Loki einen nahegelegenen Discounter auf.**


  • Wenn der geneigte Leser zur Fraktion der Umweltbewussten neigt, darf hier „Flasche“ eingesetzt werden. Natürlich ist eine Glasflasche gemeint.
    ** Passenderweise war gerade Grillsaison. Ein breites Angebot von Zubehör und Opfergaben wurde in bunten Werbeanzeigen angepriesen und war tatsächlich auch in den Filialen erhältlich.
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„Was ist das?“

„Eine Kühltasche.“

„Achja? Okay. Und das?“

„Eine Grillschürze.“***

Loki betrachtete den lustigen Aufdruck nachdenklich. Der Torso einer leichtbekleideten Bikinischönheit zierte die Schürze. Es gab auch welche mit aufgedrucktem Bierbauch.

„Brauchen wir das?“

„Eher nicht. Dein klassisches Gewand mit vielen Falten scheint mir durchaus angemessen.“

Das war eine Aussage von Loki, die höchste Überwindung gekostet hatte, denn vor seinem inneren Auge, hatte er sich den Hüter des Tempels bei der Opfergabe durchaus mit der Grillschürze bekleidet vorgestellt. Woher kam diese Abstinenz vom Unruhestiften? Der Einfluss von Hebe? Sein eigentlich hilfsbereites Wesen, das zum Vorschein kam? Eine Akkulturation? Wir können nur Vermutungen anstellen.
Nachdenklich stand Loki vor den verschiedenen Grillvarianten. Flache Schalen mit einem schwingenden Rost, wackelige (aber dafür sehr günstige) Konstruktionen auf vier Beinen und eine solide Ausführung mit Elektroanschluss.

„Hat dein Tempel Strom?“

„Weiß nicht. Habe ihn noch nie gesehen.“

„Stimmt ja.“

Loki entschied sich für den Elektrogrill, während der Hüter des Tempels mit Grillequipment herumspielte.

„Was ist das?“

„Eine Grillzange. Oder willst du dir die Finger verbrennen?“

Der Hüter des Tempels sah Loki bewundernd an. Und es gefiel Loki sehr gut.

„Was du alles weißt!“

„Jetzt zum Fleisch.“

Eine überwältigende Menge an Fleisch wurde in Kühleinheiten präsentiert. Außerdem ein paar Fische.

„Rind, Huhn, Pute, Schwein, Lamm, mariniert, am Spieß, paniert, naturell – was willst Du opfern?“

Der Hüter des Tempels stand paralysiert vor dem gewaltigen Angebot.

„Sollen wir mit was Kleinem anfangen? Dann würde ich die Hühnerspieße empfehlen. Aber wenn du sicher gehen willst, nimm ein paar T-Bone-Steaks.“

Loki eilte weiter. Der Hüter des Tempels schob den Einkaufswagen und versuchte Schritt zu halten.

„Außerdem brauchen wir Barbecue-Sauce, Ketchup und Senf. Manche wollen Senf. Und natürlich Kartoffelsalat, Krautsalat, Teller, Besteck, Servietten. Und hier – Mückenkerzen. Von denen nehmen wir auch ein paar mit.“

Discounter haben nicht nur große Einkaufswagen, damit die Kunden den Eindruck Da-ist-ja-noch-nicht-viel-drin haben, sondern auch in dem heimlichen Wunsch, dass Loki eines Tages bei ihnen vorbei kommt.****


*** Womöglich hat der werte Leser (m/w/d/g) mich dabei ertappt, wiederholt auf das Motiv der Schürze eingegangen zu sein. Ich bekenne mich schuldig.
**** Auch die bayerische Woche entspringt der Hoffnung auf einen Götterbesuch. Leider haben Brotus und Wurstus die Vergöttlichung knapp verpasst und daher werden die Discounter ewig auf sie warten.

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Bepackt mit Taschen und Tüten schleppte sich der Hüter des Tempels hinter Loki her. Loki ging mit einem gegabelten Ast voran. Er wusste genau, wo er hin wollte. Ein nettes ruhiges Plätzchen, um einen gemütlichen Grillabend zu zelebrieren. Loki ließ die Astgabel zittern.

„In diese Richtung.“

„Ist es noch weit?“

Schweißtropfen hatten sich auf der Stirn des Tempelhüters gebildet und um die schreckliche Wahrheit zu sagen – auch unter seinen Achseln war es nicht ganz so frisch. Erschöpft setzte er seine Last ab.

„Man kann es schwer sagen. Ich folge nur den Schwingungen.“

Ergeben nahm der Hüter des Tempels seine Last wieder auf. Aber es war wirklich nicht mehr weit. Ein Plätzchen mit hübscher Aussicht und sogar einer behördlich genehmigten Feuerstelle.

„Hier!“

„Hier? Hier ist aber wenig Platz für einen Tempel. Viele Bäume und so.“

„Wenn du es besser weißt…“

„Nein, nein. Hier ist gut. Schöner Platz. Tolle Aussicht.“

Unter den fachkundigen Anweisungen von Loki baute der Hüter des Tempels die Grillstraße auf. Loki besorgte einen Stein, damit die Servietten nicht wegflogen. Dann ließ er sich auf einer praktischerweise bereitstehenden Bank nieder.

„Okay. Fang an.“

„Mit Grillen?“

„Grillen! Wir praktizieren hier doch kein profanes Grillen. Wir führen ein komplexes Opferritual durch. Du solltest unbedingt ein paar beschwörende Gesänge anstimmen.“

„Sowas wie ‚Ihr Kinderlein kommet‘?“

„Für den Anfang geht das.“

„Und Strom?“

Loki hob eine Augenbraue (hatte er bei Hebe gesehen und für nützlich befunden) und steckte den Stecker in den Boden.

„Da ist aber keine Steckdose.“

„Na und? Mach deinen Job und überlass die anderen Sachen den großen Jungs.“

Der Hüter des Tempels tat wie ihm geheißen und bald erfüllte köstlicher Duft untermalt von kläglichen Gesängen die Luft.

„Das sieht schon sehr gut aus. Lass uns kosten.“

„Aber das ist ein Opfer!“

„Völlig richtig. Und wem opfert man?“

„Den Göttern?“

„Und was sind wir?“

„Götter?“

Messer zerschnitten Fleisch, Gabeln schaufelten Kartoffelsalat in zwei hungrige Münder, Barbecue-Sauce spritzte schmatzend auf die Teller. Völlig vollgefressen legte sich Loki mit einer Dose Bier* auf den weichen Waldboden. Der Hüter des Tempels schichtete noch ein paar Spießchen auf dem Grill um, als sich hinter ihnen schemenhaft ein Auto mit Wohnwagen näherte.

„Weg da!“

Ein paar Bäume sprangen gehorsam beiseite. Der Hüter des Tempels drehte sich um. Da stand er. Sein Tempel. Als wäre er schon immer da gewesen.


  • (Ach schon wieder das Stern-Punkt-Problem. Aber das kennen Sie ja schon von oben) Der werte Leser (m/w/d/g) ist auch an dieser Steller ermächtigt, die Dose gegen eine Pfandflasche aus Glas auszutauschen. Schmeckt eh besser.
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Der Geräteschuppen war vollgestopft mit Putti, deren Arbeitsmoral gerade eine Pause machte.

„Was ist das eigentlich?“

Der Putto zeigte auf ein tonnenförmiges schwarz-gelbes Gerät. Interessiert zerrte er es unter der Werkbank hervor und erntete begeistert leuchtende Augen.

„Ein Kärcher!“

Es war kein Halten mehr. Die Putti schoben das Gerät nach draußen vor das Tempelportal. In erstaunlichem Tempo hatten sie eine Wasserquelle gefunden. Wie das mit dem Strom funktioniert, hat der aufmerksame Leser (m/w/d/g) bereits bei Loki erfahren.

„Ich zuerst!“

„Warum du?“

„Weil ich ihn gefunden habe!“

Nichts toppt eine überzeugende Argumentationslinie.

„Na gut. Aber dann bin ich dran!“

„Wieso du? Ich will als nächster!“

Eine wilde Diskussion entwickelte sich mit einer in weiter Ferne liegenden Lösung. Da klang ein gedämpftes Rufen aus dem Tempel an die Ohren der Putti.

„Hallllllo. Halloooooo. Kann mich jemand hören?“

„Das kommt aus dem Tempel.“

„Vielleicht dieser Jüngling aus Marmor?“

„Lassen wir ihn doch entscheiden, wer als nächster kärchern darf.“

Die Putti versammelten sich um den Jüngling.

„Wir haben ein Problem.“

„Den Staub im Tempel? Die Weinranken an der Fassade? Die Wurzeln unter den Gehwegplatten?“

„Darum müssen wir uns auch kümmern?“

„Klar. Und das ist längst noch nicht alles. Übrigens: Ich gebe die A-Karte frei.“

Die Putti waren bestürzt. Sie hatten sich erfolgreich eingeredet, dass sie mit ein paar kosmetischen Maßnahmen durchkommen würden.

„Und was den Kärcher betrifft – ja, ich weiß Bescheid! – Hört mit dem Gewimmel auf und stellt euch ordentlich in einer Reihe auf!“

Eine ordentliche Reihe war ein neues Konzept für die Putti. Aus unerfindlichen Gründen hatten sie nie die Primärerziehung Stufe I durchlaufen. Sich in einer Reihe, mit beiden Füßen auf dem Boden, zu platzieren, war eine Herausforderung.

„Du musst neben mich! Nicht vor mich!“

Die Putti schoben und schubsten herum. Manche mussten auf den Boden der Tatsachen gezogen werden.

„Ist ganz schön staubig hier.“

Ein sehr lauter Blick des Marmorjünglings traf den Sprecher.

„Ich glaub, ich feg dann, wenn wir fertig sind.“

Irgendwann hatten die Putti eine Formation erreicht, die näherungsweise einer Reihe entsprach und den Jüngling zufrieden stellte (er war eigentlich nicht besonders pingelig).

„Und jetzt durchzählen.“

„Wie jetzt? Einfach so zählen? Eins-zwei-drei-vier…“

Der Marmorjüngling schloss seine Lider. Das leichte Glitzern kristalliner Strukturen untermalte seine Mimik eindrucksvoll.

„Hab ich was falsch gemacht?“

„Jeder sagt eine Nummer. Nur eine! Du da! Du bist Nummer Eins!“

„Achso. Kann man ja nicht wissen.“

Die Putti bekamen es hin. So einigermaßen. Es gab ein kleines Durcheinander bei den römischen und arabischen Ziffern. Aber im Großen und Ganzen war es okay.

„Und jetzt merkt sich jeder seine Nummer.“

„Ich habs vergessen. Was warst Du? Ich bin eins mehr.“

„Weiß nicht mehr. Vielleicht Fünf. Oder Sieben.“

„Nee, du warst die Acht.“

„Ich war die Acht.“

Die schöne Reihe war zu einem wuselnden Haufen flügelschlagender Putti implodiert. Meisterhaft aus dem Material herausgearbeitete Nasenflügel flatterten. Er wusste, dass er eingreifen musste. So hatte er sich das mit der Beantragung der A-Karte nicht vorgestellt. Er hatte eine hochprofessionelle Reinigungsgruppe aus pedantischen Hausfrauen erwartet. Keinen Haufen von – was eigentlich? Geballter Inkompetenz? Ignorantem Chaos? Er blickte zu den Putti. Sie waren verstummt und sahen aus blauen Augen erwartungsvoll zu ihm auf. Immerhin waren sie niedlich.

„Wir fangen einfach noch einmal von vorne an. Und dann merkt sich jeder seine Nummer.“

„Eins.“

„Zwei.“

„Drei.“

„Und so weiter.“

„Du musst vier sagen!“

„Achso. Vier.“

„Fünf.“

Wir, die wir uns als die ergebenen Autoren ausgeben, möchten den werten Leser hier nicht mit dem Durchzählen der Putti langweilen (außerdem weiß ich selber nicht, wie viele Putti es gibt). Der Marmorjüngling allerdings musste dem Vorgang folgen.

„Und wozu habt ihr jetzt Nummern?“

Den Putti ging ein Licht auf. Bewunderung machte sich breit. Bei dem Jüngling handelte es sich offensichtlich um eine überlegene Lebensform.

„Aber ich hab den Kärcher gefunden. Und ich bin erst als fünfter dran.“

Marmorne Augen senkten sich auf den Putto.

„Aber das ist okay. Als fünfter. Gute Zahl. Kann man sich leicht merken. Fünf. Wie die Finger an der Hand. Oder die Zehen. Also an einem Fuß. Nicht alle zusammen. Dann wäre ich ja zehnter.“

„Raus! Alle raus!“

„Ich auch? Ich wollte doch fegen.“

„Sehe ich einen Besen? Nein! Also geh und hol einen Besen!“

Hastig strömten die Putti davon.

„Kehrblech und Eimer nicht vergessen.“

Der Jüngling hauchte die Worte nur. Das ganze Prozedere hatte ihn erschöpft. Dabei war er noch so jung. Kaum älter als die Putti. Im Grunde jemand, der in seinem Zimmer die Klamotten auf den Boden schmiss und Geschirr sammelte. Abgesehen davon, dass ihm das pubertäre Dasein in einer konventionellen Kernfamilie nicht zuteilgeworden war, da er der Werkstatt eines Bildhauers entsprungen war. Und wo war eigentlich der Hüter des Tempels, wenn man ihn mal brauchte?

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Nach dem unter höchstem körperlichem Einsatz erfolgten Opferritual lagen Loki und der Hüter des Tempels erschöpft auf dem weichen Waldboden.

„Wir müssen aufpassen, dass er nicht wieder abhaut!“

Loki öffnete träge ein Auge.

„Zieh die Handbremse an.“

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