Der Geräteschuppen war vollgestopft mit Putti, deren Arbeitsmoral gerade eine Pause machte.
„Was ist das eigentlich?“
Der Putto zeigte auf ein tonnenförmiges schwarz-gelbes Gerät. Interessiert zerrte er es unter der Werkbank hervor und erntete begeistert leuchtende Augen.
„Ein Kärcher!“
Es war kein Halten mehr. Die Putti schoben das Gerät nach draußen vor das Tempelportal. In erstaunlichem Tempo hatten sie eine Wasserquelle gefunden. Wie das mit dem Strom funktioniert, hat der aufmerksame Leser (m/w/d/g) bereits bei Loki erfahren.
„Ich zuerst!“
„Warum du?“
„Weil ich ihn gefunden habe!“
Nichts toppt eine überzeugende Argumentationslinie.
„Na gut. Aber dann bin ich dran!“
„Wieso du? Ich will als nächster!“
Eine wilde Diskussion entwickelte sich mit einer in weiter Ferne liegenden Lösung. Da klang ein gedämpftes Rufen aus dem Tempel an die Ohren der Putti.
„Hallllllo. Halloooooo. Kann mich jemand hören?“
„Das kommt aus dem Tempel.“
„Vielleicht dieser Jüngling aus Marmor?“
„Lassen wir ihn doch entscheiden, wer als nächster kärchern darf.“
Die Putti versammelten sich um den Jüngling.
„Wir haben ein Problem.“
„Den Staub im Tempel? Die Weinranken an der Fassade? Die Wurzeln unter den Gehwegplatten?“
„Darum müssen wir uns auch kümmern?“
„Klar. Und das ist längst noch nicht alles. Übrigens: Ich gebe die A-Karte frei.“
Die Putti waren bestürzt. Sie hatten sich erfolgreich eingeredet, dass sie mit ein paar kosmetischen Maßnahmen durchkommen würden.
„Und was den Kärcher betrifft – ja, ich weiß Bescheid! – Hört mit dem Gewimmel auf und stellt euch ordentlich in einer Reihe auf!“
Eine ordentliche Reihe war ein neues Konzept für die Putti. Aus unerfindlichen Gründen hatten sie nie die Primärerziehung Stufe I durchlaufen. Sich in einer Reihe, mit beiden Füßen auf dem Boden, zu platzieren, war eine Herausforderung.
„Du musst neben mich! Nicht vor mich!“
Die Putti schoben und schubsten herum. Manche mussten auf den Boden der Tatsachen gezogen werden.
„Ist ganz schön staubig hier.“
Ein sehr lauter Blick des Marmorjünglings traf den Sprecher.
„Ich glaub, ich feg dann, wenn wir fertig sind.“
Irgendwann hatten die Putti eine Formation erreicht, die näherungsweise einer Reihe entsprach und den Jüngling zufrieden stellte (er war eigentlich nicht besonders pingelig).
„Und jetzt durchzählen.“
„Wie jetzt? Einfach so zählen? Eins-zwei-drei-vier…“
Der Marmorjüngling schloss seine Lider. Das leichte Glitzern kristalliner Strukturen untermalte seine Mimik eindrucksvoll.
„Hab ich was falsch gemacht?“
„Jeder sagt eine Nummer. Nur eine! Du da! Du bist Nummer Eins!“
„Achso. Kann man ja nicht wissen.“
Die Putti bekamen es hin. So einigermaßen. Es gab ein kleines Durcheinander bei den römischen und arabischen Ziffern. Aber im Großen und Ganzen war es okay.
„Und jetzt merkt sich jeder seine Nummer.“
„Ich habs vergessen. Was warst Du? Ich bin eins mehr.“
„Weiß nicht mehr. Vielleicht Fünf. Oder Sieben.“
„Nee, du warst die Acht.“
„Ich war die Acht.“
Die schöne Reihe war zu einem wuselnden Haufen flügelschlagender Putti implodiert. Meisterhaft aus dem Material herausgearbeitete Nasenflügel flatterten. Er wusste, dass er eingreifen musste. So hatte er sich das mit der Beantragung der A-Karte nicht vorgestellt. Er hatte eine hochprofessionelle Reinigungsgruppe aus pedantischen Hausfrauen erwartet. Keinen Haufen von – was eigentlich? Geballter Inkompetenz? Ignorantem Chaos? Er blickte zu den Putti. Sie waren verstummt und sahen aus blauen Augen erwartungsvoll zu ihm auf. Immerhin waren sie niedlich.
„Wir fangen einfach noch einmal von vorne an. Und dann merkt sich jeder seine Nummer.“
„Eins.“
„Zwei.“
„Drei.“
„Und so weiter.“
„Du musst vier sagen!“
„Achso. Vier.“
„Fünf.“
Wir, die wir uns als die ergebenen Autoren ausgeben, möchten den werten Leser hier nicht mit dem Durchzählen der Putti langweilen (außerdem weiß ich selber nicht, wie viele Putti es gibt). Der Marmorjüngling allerdings musste dem Vorgang folgen.
„Und wozu habt ihr jetzt Nummern?“
Den Putti ging ein Licht auf. Bewunderung machte sich breit. Bei dem Jüngling handelte es sich offensichtlich um eine überlegene Lebensform.
„Aber ich hab den Kärcher gefunden. Und ich bin erst als fünfter dran.“
Marmorne Augen senkten sich auf den Putto.
„Aber das ist okay. Als fünfter. Gute Zahl. Kann man sich leicht merken. Fünf. Wie die Finger an der Hand. Oder die Zehen. Also an einem Fuß. Nicht alle zusammen. Dann wäre ich ja zehnter.“
„Raus! Alle raus!“
„Ich auch? Ich wollte doch fegen.“
„Sehe ich einen Besen? Nein! Also geh und hol einen Besen!“
Hastig strömten die Putti davon.
„Kehrblech und Eimer nicht vergessen.“
Der Jüngling hauchte die Worte nur. Das ganze Prozedere hatte ihn erschöpft. Dabei war er noch so jung. Kaum älter als die Putti. Im Grunde jemand, der in seinem Zimmer die Klamotten auf den Boden schmiss und Geschirr sammelte. Abgesehen davon, dass ihm das pubertäre Dasein in einer konventionellen Kernfamilie nicht zuteilgeworden war, da er der Werkstatt eines Bildhauers entsprungen war. Und wo war eigentlich der Hüter des Tempels, wenn man ihn mal brauchte?