Meine verehrten Mitstreiter!
Es ist soweit: Mein zweiter Kriminalroman “Inside Bruno Kosmalla” kommt diese Woche raus, veröffentlicht über BoD. Das E-Book ist bereits bei Amazon verfügbar.
Ich bin sicherlich mehr tell als show, für mich ist die Tradition des klassischen Erzählers wie Lenz, Böll oder Hesse eine hohe Kunst. Nach meiner Meinung sollten sich show und tell in einem guten Verhältnis zueinander stehen. Ob nun 50/50, 70/30, oder wie auch immer, ist von vielen verschiedenen Parametern abhängig.
Da ich ein alter Saurier bin - und im PC-Bereich ein unbeleckter Bär -, gebe ich Euch die Leseprobe nicht als PDF, sondern einfach so. Aber was laber ich herum, hier ist der Klappentext:
“Bruno Kosmalla ist eine gescheiterte Existenz. Er betreibt einen Trödelladen und versucht das Sozialamt zu betrügen. Durch einen Zufall gelangt er wieder in das langweilige Kaff seiner Jugend, wo er gelebt und gelitten hat. Besonders unter seiner Jugendliebe und dem Direktor seiner Schule. Doktor Fabelholtz führte die Schule einst so gnadenlos wie ein südamerikanischer Diktator. Und Bruno meint, dass da noch ein paar Fragen offen wären, die beantwortet werden sollten. Mit der ausgeflippten Silke zieht er einen irren Plan durch…”
Heiko *Bruno hatte Heiko das erste Mal vor zwei Jahren in der Fußgängerzone entdeckt. Der kleine Heiko, den er seit Grundschultagen kannte, immer lustig, immer aufgekratzt, immer irgendwelchen Blödsinn in seinem blond gefluteten Schädel. Auch Heiko hatte es, ähnlich wie Bruno, nicht leicht gehabt in der Schule, und der Herr Direktor, der sie in Mathe, Physik und Chemie unterrichtete, hatte Heiko auf seinem ganz speziellen Kieker. In diesen Fächern, die auf einem, wenn auch ganz willkürlichen, theoretischem Fundament basieren, war kein Platz für Interpretationen, Schätzungen oder zappelige Kinder, die gefühlt alle fünf Minuten am Mülleimer standen, um ihren Bleistift anzuspitzen, der zumindest theoretisch am Ende der Stunde nicht mehr größer sein konnte als ein Daumenglied. Natürlich erfüllte Heiko alle Bedingungen für einen Sündenbock oder das schwarze Schaf der Klasse: Keine Hausaufgaben, keine Bücher, kein Lineal, kein Pausenbrot und natürlich keine Sportsachen. Seine gemurmelten Ausreden, die mit gesenktem Kopf und hängenden Armen dargeboten wurden, waren immer dermaßen unglaub-würdig, dass sie die Mär vom Zeugnis futternden Hund und den fünf toten Pferden auf der Straße weit über-trafen. Für Dr. Fabelholtz ein gefundenes Fressen; Bruno schwor, dass der Herr Doktor mehr Zeit damit zu brachte, sich für Heiko besonders demütigende Strafen auszuden-ken, als Klassenarbeiten zu korrigieren. Fabelholtz sagte Heiko eine düstere Zukunft voraus, ein Leben im Elend, wenn nicht gar im Gefängnis, nannte ihn Flasche, Lusche und Versager, und kippte den Inhalt seiner Schultasche über seinem Kopf aus. Der Direktor las laut und zynisch aus Heikos Hausaufsätzen vor und alle lachten mit. Und er warf mit seinem Schlüsselbund nach ihm. Und dieser Schlüsselbund war ebenso berüchtigt wie die Treffsicherheit des Doktors. Zudem war der Doktor Mitglied im Segelverein und es hing ein schwerer Schekel daran. Und eines Tages landete dieser Schlüsselbund direkt und hart in Heikos linkem Auge. Heiko schrie laut auf, hielt sich die Hände vors Gesicht und zwischen seinen Fingern suchte sich dunkles, rotes
Blut seinen Weg und tropfte schwer auf seine Hefte. Die Klasse war starr vor Entsetzen, Dr. Fabelholtz blieb jedoch völlig unbeeindruckt und schickte Heiko mit harschem Ton zur Schulkrankenschwester. Und weil er sich in des Herrn Doktors Augen so sehr anstellte, solle ihn ein Mitschüler begleiten. Die Klasse bekam von Fabel-holtz noch eine Standpauke darüber, dass jeder für die Konsequenzen in seinem Leben selbst verantwortlich sei. Dann fuhr er mit dem Unterricht fort.
In der großen Pause landete dann ein Hubschrauber auf dem Lehrerparkplatz und Heiko wurde in eine Augenklinik in die Landeshauptstadt ausgeflogen. Alle Schüler dachten: Jetzt kriegen sie den Direx an den Eiern. Aber absolut nichts geschah.
Die anderen Lehrer beantworteten keine Fragen, wanden sich, wiegelten ab oder weigerten sich schlicht, den Schülern etwas zu sagen. Auf Hartnäckigkeit folgten Strafen, Nachsitzen und Strafarbeiten. Dr. Fabelholtz führte eben ein hartes Regiment, auch im Lehrerzimmer. Die Eltern glaubten entweder kein Wort oder schwiegen beharrlich. Nach etwa sechs Wochen kam Heiko aus dem Kranken-haus, angetan mit einem großen Pflaster im Gesicht und einer kantigen Brille darüber. Das linke Auge war weg. Und wieder geschah nichts.
Heikos Vater, ein einfacher Handwerker aus dem Nachbardorf, kam nicht in die Schule, es gab keine Ermittlungen und die Erwachsenenschweine hielten alle zusammen. Damit war es amtlich: Dr. Robert Fabelholtz war Gott; oder vielleicht betete Gott vor dem schlafen gehen zu Dr. Fabelholtz, so genau war das nicht zu beurteilen. Klar war, dass er sich offenbar alles erlauben konnte, und sich auch mühelos über moralische oder gesetzliche Grenzen hinwegsetzen konnte. Und der Herr Doktor lief nach der Sache mit Heiko zu Höchstformen auf und wütete wie ein gnadenloser, afrikanischer Diktator auf dem Schulgelände. Was mit Heiko weiter geschah, konnte Bruno nicht sagen, weil er genau in dieser Phase seines Lebens zu sehr mit Leid, Testosteron und Cora beschäftigt gewesen war. Und dann traf er Heiko in der Fußgängerzone.
Bei der ersten Begegnung war Bruno noch unsicher vorbeigetrudelt, immerhin lagen zwanzig Jahre Leben zwischen ihnen. Heiko saß im tiefsten Winter auf einer fadenscheinigen Decke, einen dreibeinigen Hund neben und einen leeren Starbucks Becher vor sich. Konnte man jetzt die Behauptung aufstellen, Dr. Fabelholtz habe Heiko genau dahingetrieben, in die Armut und die Obdachlosigkeit? Hatte der Doktor Heiko den Lebenswillen genommen? Das war nicht leicht zu beurteilen, zumal Bruno Heiko viele Jahre aus den Augen verloren hatte. Es war durchaus möglich, dass Heiko auch so in der Gosse gelandet wäre, ohne zu Hilfenahme des Doktors. Er hätte jedoch auch ein fröhlicher, unkonzen-trierter, chaotischer, junger Mann werden können, so wie er auch als Kind war. Das Leben verlangt andere Fähig-keiten als die Wurzel aus Irgendwas, Pi oder dem “333 bei Issos Keilerei“. Aber sein Start war eben absolut beschissen gewesen, und für den Start ins Leben, für diese sensible Phase zwischen Kind und Erwachsenem, hatte Fabelholtz ganz sicher mindestens dazwischengefunkt.
Was tut man mit den jungen Menschen? Man trimmt sie auf das öde Leben, dass allen bevorsteht, der übliche Scheiß, den die Generation vor ihnen genauso gelebt hat, und die vergessen haben, dass sie auch einmal jung waren. Und vielleicht auch ein wenig rebellisch. In der Nachkriegszeit, als alles hinüber war oder zumindest hätte sein sollen, in dieser Zeit, in der ein strahlender Anfang möglich gewesen wäre, wurde Jazz zur Negermusik und Langhaarige zu Hippies. Und jede Generation macht mit tödlicher Sicherheit immer wieder den gleichen Fehler und versteht die Jungen nicht. Die einzige Erkenntnis, die die Menschheit je erfahren hatte, war die, dass keinerlei Erkenntnisse gemacht wurden. Auf eine seltsame Art und Weise werden aus alten Rebellen verbitterte Rentner, deren einzige, stockschwingende Kommunikation mit der Jugend aus dem Satz „Das ist kein Fahrradweg!“ besteht. Bruno haderte mit sich, Heiko irgendwie helfen zu wollen, kam aber schon aus Bequemlichkeitsgründen zu dem Schluss, dass sein Leben bereits kompliziert genug sei, auch ohne Heiko. Außerdem hatte er ja noch Manni am Hals, und das müsste eigentlich reichen. Bruno zog sich mit einem glatten Hunderter aus der Affäre, den er Heiko in einem genau abgepassten Moment unbemerkt in den Starbucks Becher steckte. Von da an mied er diesen Platz, machte unnötige Umwege und wechselte sogar seine Teemarke.
Aber es ließ ihn nicht los.
In einem plötzlichen Impuls von schlechtem Gewissen hatte Bruno morgens um drei Uhr sodann beschlossen, er würde Heiko von der Straße holen. Ja, Heiko könne bei ihm wohnen und er, Bruno, würde ihn wieder auf die Spur bringen. Er sah es regelrecht vor sich: Heiko auf dem Sofa, unrasiert, aber nüchtern und Bruno erzählte ihm vom richtigen Leben. Heiko würde alle diese tollen Ratschläge, von denen Bruno nicht einmal die Hälfte selbst glaubte, unter Tränen annehmen, sich am nächsten Tag eine einfache Arbeit suchen und schließlich seinen Weg machen. Sie würden sich in zwanzig Jahren oder so wieder zufällig über den Weg laufen und Heiko müsste sich auf immer und ewig bei Bruno dafür bedanken, der ihn seinerzeit aus der Gosse gezogen hätte. Bruno könnte dann Heikos wonneproppigen Kinder herzen, seiner nicht zu tollen Frau Blumen mitbringen und irgendwann würde Heiko ein Buch schreiben und ihn, Bruno, im Vorwort ausdrücklich erwähnen. So oder ähnlich. Bruno war also in die Fußgängerzone gestürmt, fest entschlossen und erfüllt vom Samariter himself, mit dem leuchtenden Schwert der Nächstenliebe in der Hand, aber Heiko war weg. Sang und klanglos.