Über Gegenwind, Rückschläge, Niederlagen und andere Katastrophen

Lange bevor ich mich hier im Forum erstmals zu äußern traute, las ich still mit. Ehrfürchtig über so viel Know-how bezüglich des Schreibens in allen Facetten, aber auch der Arbeit mit Papyrus.

Der Weg zum Buch mag mit guten Vorsätzen und Ideen gepflastert sein, aber man muss vorsichtig laufen, denn die Gefahr, in eigenen Bockmist zu treten ist groß! Ich mach(t)e den Fehler, nur die Erfolgsmeldungen zu beachten, nicht die Fails, aus denen man mitunter mehr lernen kann, von denen aber seltener berichtet wird. Dazu möchte ich an dieser Stelle, insbesondere für alle stillen Mitleser, ermuntern und eröffne mit einer meiner letzten Niederlagen.

Selbstverständlich mache ich, bevor ich mir einen Buchtitel festlege und das Cover entwerfe, mir nicht nur Gedanken, sondern einen Suchmaschinen-Abgleich, um möglichen Problemen oder Plagiatsvorwürfen aus dem Weg zu gehen. So auch beim letzten Buch. Egal wo ich forschte, der schlichte Ein-Wort-Titel schien in meinem Genre und Kontext nicht vergeben. Suchwörter scheinen ohnehin seltsam unpräzise zu forschen, stelle ich immer wieder fest, denn meist erhalte ich ähnliche Titel oder sogar gänzlich andere.

Inzwischen ist besagtes Buch offiziell erschienen, und erst als ich es bei großen „A“ mit der eBook-Version auf der Angebotsseite zusammenführen wollte, entdeckte ich das schon ein Jahr ältere Werk eines anderen Autoren mit gleich lautendem Titel! Meinen Ärger, meinen Frust, meine Enttäuschung kann man sich vorstellen. Okay, der Titel ist mit dem einen gebräuchlichen Substantiv sicherlich nicht schützenswert, aber das Cover zeigt zudem eine kleine Detailähnlichkeit, die zwar für beide Bücher logisch ist, aber mich als zufällige Nachfolgerin, ins falsche Licht rücken könnte.

Inzwischen habe ich mich etwas abgeregt, weil mir dadurch neuerlich bewusst wurde, dass, was immer wir auf uns selbst bezogen als originär erachten, letztlich Gedanken einer Spezies sind, die untereinander mehr Gemeinsamkeiten hat, als Trennendes. Das zu ignorieren, grenzt an Hybris. Alles wurde ähnlich schon gedacht, empfunden, erzählt, niedergeschrieben – einzig der Stil (geprägt von unserer Biografie, unserer Persönlichkeit) unterscheidet uns. Und aus 26 Buchstaben kann man nicht unendlich viele Wörter bilden, schon gar nicht kurze Titel für jährlich über 60.000 (!) Neuerscheinungen allein in Deutschland! Deshalb werden die Buchtitel auch immer länger. Nachteil: Man kann sie sich nicht mehr merken!

Erzählt von euren Missgeschicken, Schlamassel & Co., sie gehören genauso zum Schreiballtag wie Neuerscheinungen oder geschaffte Wörterziele oder Kapitel.

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„Ich habe derzeit viel zu tun“, sagte Herr Keuner, „ich bereite meinen nächsten Irrtum vor.“
(Bert Brecht, Flüchtlingsgespräche)

Tolles Thema, Heather.
Was mich, bzw. meine Fehler, Mängel, Selbstüberschätzungen betrifft, wird, fürchte ich, der Webspace dieses Forums nicht ausreichen. Schon alleine das Ansinnen, als alter weißer Cis-Mann einen Roman aus der Ich-Perspektive einer jungen queeren Frau zu schreiben, ist, um es mit meiner Tochter zu sagen, „cultural appropriation in Reinkultur“. Den ohnehin schon komplexen Plot in einem Milieu anzusiedeln, das den meisten Lesenden nur vom Hören-Sagen bekannt ist, und sowohl mit einer Rache-Geschichte als auch einer Politthriller-Story zu flankieren und auf mittlerweile 130.000 Wörter auszudehnen, ist wohl nicht mehr mutig, sondern grenzt an einen, im psychiatrischen Sinn behandlungswürdigen Zustand. Nicht zufällig trägt dann eines der Kapitel im Finale den Titel „Hybris und Nemesis“.
Sehenden Auges stürze ich mich also ins Scheitern. (Es ist unmöglich, sagt die Vernunft. Es ist, was es ist, sagt die Liebe.) Nein, ich muss nicht perfekt sein, nicht mal annähernd. Meine Profilierungsneurose habe ich in meinem Beruf ausgelebt, nun kann ich endlich das offen sein, was ich immer schon war, aber nie zugab: komplett gaga. Ich darf mich halt bloß nicht wundern, wenn mir Verlag oder Agentur das Ding zurückgibt, noch Tränen in den Augen vor Lachen.
Aber ich bin in der glücklichen Lage, vom Schreiben nicht leben zu müssen. Klar, wäre es schön mein Werk im Buchhandel zu finden, aber das ist nicht der Grund warum ich es schreibe. Ich möchte einfach nicht im Moment meines Todes bereuen, es nicht getan zu haben.
Allen anderen will ich aber gerne einen Tipp des Dalai Lamas weitergeben: Lernt die Regeln gut, damit ihr sie besser brechen könnt. Und: Jedes Flugzeug braucht Gegenwind, um starten zu können.

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…, Rückenwind, um Strecke zu machen, Gegenwind zum Landen und einen Piloten, der sich mit Winden auskennt und zudem Position und Richtung bestimmen kann. Du, lieber @Gschichtldrucker, bist ein waschechter Pilot! Egal, woher der Wind weht, du machst aus Pfui Hui und fliegst einfach. (Aber bitte nicht über´s Kuckucksnest!)

2 „Gefällt mir“

Hmm. Meine ersten beiden Bücherversuche wurden auf der Hälfte abgebrochen.
Als Jugendlicher schrieb ich zu 50% ein Buch, dass „Schneefüchse, sie erben die Erde“ hieß. Der Titel eine Anlehnung an „Erben der Erde“ - Einem „Point&Click“ Adventure auf dem Amiga, dass damals mein Lieblingsspiel war.

In diesem Roman wird … mit einem Inka Artefakt, dass aus einem Berliner Museum gestohlen wird, eine sehr schnell einsetztende Eiszeit ausgelöst. Eine paramilitärische Einheit (die Sentinels of Light) in Brandenburg, die dahinter steckt, hat sich mit Schneebuggys, U-Booten, rüssischen Hind-E-Helikoptern und mattschwarzen Transportern (mit „SoL“ bedruckt) darauf vorbereitet, um die Weltherrschaft …

aber sie haben sich überschätzt und benötigen Hilfe von einer Inka-Archäologin, die sie einfach mal aus dem Museum entführen. Zumindest versuchen sie das. Der Protagonist, ist der Mann von ihr, der sie natürlich zu beschützen versucht.
Die Widersacher sind latainamerikanische Inkanachfahren, deren Anführerin ein wenig an Lara Croft erinnert → Da wird schon mal über die A10 Autobahn in einem Mini geflohen, während die Gatling Gun des Hind-E Helikopters den Beton aufschießt.

… genug? :stuck_out_tongue:
Es war einfach eine viel zu verdichtete, maßlos übertriebene Story, die niemals den Hauch einer Chance hatte. Vielleicht würde man heute sowas als „Marvel“ veröffentlichen können, aber das hohe Maß an Aktion und Unrealismus, hatte ich damals nicht erspürt.
Es war schmerzlich einzusehen, dass dieser Text eingestellt werden musste - immerhin hatte ich zwei Jahre dran gearbeitet (15-17 Jahre?)

Deshalb die Lektion an mich: „Spätere Bücher, werden tendenziell besser“ :wink:

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Wie schön, dass auch bei dir am Ende ein kluges Fazit entstanden ist, welches beweist, wie immens wichtig vermeintliche Fehlschüsse für unsere Entwicklung sind! Wer ausschließlich mit Lobhudelein überschüttet wird, läuft Gefahr, sich irgendwann selbst zu überschätzen. Die Fallhöhe wächst. Ich bin mir sicher, dass deine „übertriebene“ Story und ihre Ideen zumindest in Fragmenten in neuerem Kontext auftauchen, also bestimmt nicht verloren sind!

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Ja. Ein wichtiger Unterschied von den ersten Projekten zu den jetzigen (ich bin in der finalen Korrektur des sechsten Romans) ist, den langen Atem und die stillen Töne zu erlernen. Die Geschichte ist zwar wichtig, aber darum geht es eigentlich nicht. Es geht um Gefühle, um Bilder, um Stimmungen, die auf den Leser übertragen werden. Kein Grund zur Eile also. Können banale Szenen, wie ein knisternder Kamin im Halbdunkel und ein Dialog in der Blockhütte „mitreißend“ sein?
Durchaus.
Konnte ich am Anfang aber nicht. :slight_smile:

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Ganz sicher mache ich auch mehr falsch als richtig bisher. Meine erste Kurzgeschichte hier wurde… nunja, vielleicht nicht zerrissen aber hart kritisiert. Einer der Hauptkritikpunkte: mein Protagonist hatte von der Thematik seines Berufes viel zu wenig Ahnung, ich sollte mich in den Beruf einlesen und seinen Wortschatz, sowie das Umfeld glaubhafter gestalten. So weit so gut.

In meinem Buch gibt es eine Szene, in der zwei Männer Billard spielen (sollten). Ich erinnerte mich beim Schreiben also fleißig an den Rat, recherchierte ein Wochenende lang gründlich Begrifflichkeiten aus dem Billard und lernte die Poolregeln. Eine (für meine Verhältnisse) solide Szene entstand. Gut recherchiert, unterhaltsamer Dialog, passte alles. Glaubhaft, sollte man meinen. Nun muss man wissen, dass die Szene auf einem Ozeandampfer spielt. Auch recherchiert, Billardtische gab es dort im späten 19. Jahrhundert zur Unterhaltung der Herren in den Bereichen der ersten Klasse. Ihr seht, ich habe mir Mühe gegeben.

Allerdings. Im Kapitel vorher erfährt der Leser, dass Unwetter mit grobem Seegang an diesem Tag herrscht. Ich habe lange gelacht, als mir endlich aufgefallen ist, dass an diesem Tag, auf diesem Schiff, gar keiner Billardspielen könnte. Egal wie gut er die Regeln kennt :smile: Ganze Szene Schrott.

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Och, Christian… mach’ dir doch nicht so viele Gedanken darum. Ich finde, solche „Denkverbote“ schaffen Distanz, teilen die Menschen in „Kategorien“ ein, wo keine sein müssen und sollten.
Stattdessen ist es doch umso schöner, wenn sich auch ein älterer Mann in die Perspektive einer jungen Frau hineinversetzen kann. Gäbe es von allen Seiten auf der Welt so viel Empathie, wie du deiner Gabi gegenüberbringst, wäre sie ein besserer Ort. :dove:

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Ich habe eine Figur 2 x beerdigt (Gerda bei Sluga). Leider habe ich das erst gemerkt, als ich schon fast am Ende war mit meinem Roman. Richtiggehend erschrocken habe ich mich, als ich feststellte, dass ich die Beerdigungsszene zwei Mal mit nahezu identischen Sätzen geschrieben habe.
Mir fiel es verdammt schwer, zu entscheiden, welche Beerdigungsszene ich nun streichen sollte. Denn an beiden Stellen passten sie hervorragend und beim Löschen entstanden logische Löcher (auch an beiden Stellen). Ich musste jede Menge umschreiben, bis Gerda schließlich nur 1 x zu Grabe getragen wurde.

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Köstlich! :joy: Gerda muss etwas ganz Besonderes an sich haben, wenn sie einfach nicht ‚totzukriegen‘ war!

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Ach, wie vertraut mir solche Schnitzer doch sind, aber sie schaffen sozusagen Erinnerung! Schrott war allerdings weder die Szene noch die Recherche. Lass die Herren einfach bei schönem Wetter nochmal an den Billardtisch!

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Ich muss @TyOewriter zustimmen. Grenzen enstehen nur im Kopf.
Ein Großteil meiner Romane schreibe ich auch aus Sicht eines weiblichen Hauptcharakters. Warum? Keine Ahnung.
Ich glaube ich mochte schon immer „starke Frauenrollen“ - nicht im Sinn „besonders kämpferisch feministisch“, sondern als wichtige Person in einer konfliktreichen Handlung, die irgendwie ihre Ziele verfolgt und durchsetzt.

Ich habe extra eine Testleserin, die schaut, ob es weiblich genug rüberkommt. :stuck_out_tongue:

In einer meiner Lieblingsbuchserien der Jugend „Schwerttänzer Zyklus“ ist aus der Ich-Perspektive eines Macho-Mannes geschrieben und was soll ich sagen, die Autorin hat das mit viel Humor gut umgesetzt. Ein Schrifststeller ist halt wie ein Theaterdarsteller - er kann alles sein. Ob nun ein achtjähriges Mädchen mit Puppe im Arm, oder das Tentakelaugenmonster.

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Deswegen habe ich direkt mit dem späten Buch angefangen. :grin:

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