Lieber Duane,
deine Reserve gegenüber sog. Helikoptereltern teile ich voll und ganz. Das ist ein wirklich unsägliches Phänomen unserer Hier-Und-Jetzt-Zeit – m.E. zwar typisch für diese Phase der eisig-kalten Neo-Moderne (die in Wirklichkeit wohl eher auf einen Neo-Feudalismus zudriftet), denn ich halte H-“Eltern” für eiskalte Narzißten, die womöglich noch erstarrtere Hyper-Narzißten heranzüchten! --; doch wieso du anbei der (bisher) niedergelegten wenigen Gedanken von @Simona zum Verhältnis ihrer Protagonistin zu Holly darauf kommst, dabei handle es sich um ein H-Verhältnis, kann ich nicht nachvollziehen. – Denn eines ist Fakt: Jene Sorge, die die P artikuliert, spiegelt keine solchen Verhältnisse wieder und ist auch kein typischer Ausdruck nur unserer ultra-modernen Zeit, sondern darin tauchen bisher lediglich jene Motive auf, die für das Eltern-Kind-Verhältnis der Neuzeit überhaupt typisch sind, also etwa seit der sog. “Aufklärung”. Jedenfalls – das kann auch anhand der entsprechenen lit. und wiss. Quellen gezeigt werden --, begann sich da ein neues Eltern-Kind-Verhältnis abzuzeichnen, das bis heute auch immer noch instituiert ist. Die Helikopter-Idioten-Manie ist eine Abart (im pejorativen Sinn dieses Ausdrucks) davon, die absolut rezent ist (so etwas gab es vor zwanzig Jahren noch nicht als sich anbahnendes Massenphänomen in den Kreisen sog. “Besserverdienender”), derweil das moderne Eltern-Kind-Verhältnis *vom Kern her *auf etwa dreihundert Jahre (mindestens) angesetzt werden kann, mit natürlich gleichzeitig interner Dynamik und Alternativen-Ausfaltung; *im strengen Sinn *kamen die heutigen Basal-Vorstellungen seit der Frühromantik zum Tragen, also sind sie inzwischen auch schon wieder zweihundert Jahre in Geltung!
Ich habe keine Ahnung, wie es in weiteren zweihundert Jahren darum stehen mag (wenn die Helikopter-Idioten Oberwasser kriegen, könnte dann eine humane Apokalypse drohen). Dieses Feld ist nämlich historisch betrachtet schlecht prognostizierbar (in der Antike, im Mittelalter und noch in der Renaissance hätten es die aller-, allerwenigsten Menschen für möglich gehalten, daß einmal Zeiten anbrechen würden, wo sich so um Kinder “gekümmert wird”, wo dabei auch so viel Liebe im Spiel ist, wie seit der Aufklärung. Und die Frühromantiker wiederum samt folgenden Generation in der Moderne hätten einen hysterischen Anfall gekriegt, würde jemand geäußert haben, es könne sich an den neu instituierten Verhältnissen *jemals wieder *etwas ändern … – horribile dictu!
Wäre ich an Simonas Stelle (also in der speziellen SciFi-Konstellation – denn in einem anderen Zeitrahmen und mit anderen intellektuellen Prämissen bin ich das bei einem meiner akuten Projekte (The Dream Before läßt das, glaub’ ich, auch leicht durchscheinen) --; also in Simonas Fall würde ich vielleicht so vorgehen, daß das Holly-Problem Anlaß zu Gedanken/Reflexionen gäbe, die etwa so aussehen könnten (nur beispielhaft): Aufgrund einer “Entartung” vor rund zweihundert ( … oder so …) Jahren etablierte sich ein Erziehungssystem, das statt auf krankhafte Narzißten-Heranzüchtung durch psychopathologisch deformierte Eltern zu setzen (etwa infolge einer entsprechenden “Explosion von Barbarei” [Adorno] unter dem dunklen Stern des völlig entfesselten krankhaften Neoliberalismus), stattdessen auf ein stark an kollektiven Prämissen orientiertes Erziehungs-System Wert legte (letztlich also auf den Perversionen des sog. Ameisenstaat-Modells fußend [Jünger, Gehlen & Co., letztlich auch schon der Platon der [I]nomoi]).
Darin würden dann Kinder also sowieso eher “eltern-fern” herangezogen, von gesellschaftlich bestellten Exekutoren der entsprechenden Ideologie samt dazu errichteter Institutionen. Aber: die P ist von ihrer Charakteranlage her eher** altruistisch** orientiert (was ja bekanntlich Helikopter-Eltern so ganz und gar nicht sind – es scheint ja nur so; sie sind in Wirklichkeit total egozentrisch!) und legt deshalb Wert auf viel Umgang mit ihr … etc.pp. hinsichtlich damit gesetzten und zu entwickelnden Konfliktpotentials, das sich ja auch hervorragend für jene Schicht Simonas Roman eignen würde, wo sie Fragen der Ich-Identität [sic] nachgehen möchte.
So konstelliert könnte neben den romanhandlungsbedingten Schwierigkeiten der Erziehungsproblematik auch eine m.E. gut akzentuierte Kritik an der Gegenwart eingebaut werden, was ja bekanntlich guten SciFi-Romanen u.ä. in der Zukunft angesiedelten Fiktionen noch niemals geschadet hat – ihnen eher eigentlich immer förderlich gewesen ist! Denn die P stemmte sich ja dann mit ihrer Haltung zumindest unterschwellig gegen einen herrschenden Trend** ihrer Zeit** (wobei sich reflektierende Spiegelungen auf die Jetztzeit – wie verkappt oder offen auch immer – ja durchaus anbieten würden!).
Simona hat also auch hier Potential entfaltet, die Story so richtig hochkochen zu können und ihr ein markantes, auch zeitkritisches Profil zu verleihen (was, wie schon gesagt, m.E. alle guten Fiction-Elaborate tun!). – Ich sehe mithin keinen Anlaß, sie deswegen in die Ecke der kranken Heli-Affen zu stellen, die ja ihre im Nachhinein schwer gestört sein werdenden Kinder nur dazu mißbrauchen, ihre eigenen pathologischen Obsessionen an ihnen zu exekutieren.
Um den Kreis zum Eigentlichen jetzt zu schließen: Du, lieber Duane, nimmst für dich in Anspruch, das profane, banale Procedere der Bumserei des Menschen zu transzendieren in deinem Schreiben – wobei ich dir das auch nicht abspreche --, glaubst aber, das Simona sehr wohl absprechen zu können. Meine ironische [sic – nöch, @Lusmore?
] Adresse an dich war exakt diesem Umstand geschuldet! Es gibt bisher keinen Anhalt für diese Sichtweise. Das könnte anders sein, wenn *mehr *von Simonas Roman vorläge, als es bisher der Fall ist. Es ist aber nicht der Fall, daß für derlei Urteile genug Stoff zuhanden wäre!
And that’s the point!
Viele Grüße von Palinurus