Lieber Renator,
ich glaube, Urmel und du, ihr redet ein bißchen aneinander vorbei. Ich gebe dir vollkommen recht, daß es durchaus möglich ist, daß ein Mann eine Geburtssituation … nach welchem Entscheidungskriterien-Katalog auch immer … besser als eine Frau beschreiben [sic] könnte. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist das (unmittelbare) Erleben [sic] einer Geburtssituation (worauf m.A.n. Urmels Argument geht). Und nun ist es einfach der Fall, daß nur Frauen in solch einem Erleben stehen können.
Urmel glaubt nun, dieses exklusive Erleben prädestiniere Frauen, darüber angemessener schreiben oder auch reden zu können als Männer, die sich ja “alles dazu nur ausdenken (können)”. Aber: Eine jede Frau, die darüber schreibt oder redet, denkt sich natürlich auch “nur etwas dazu aus”, denn was weder Reden noch Schrift können, ist das authentische [sic] Wiedergeben der eigentlichen Erlebnissituation. Insofern könnten sich nicht einmal zwei Frauen untereinander, je mit Gebärenserfahrung, adäquat [sic] darüber verständigen, “wie es ist” (nach Thomas Nagel), zu gebären.
Diese Erfahrung – etwa des Schmerzes daran, vielleicht auch aufkommender Angstzustände, hinterher von Glück oder Depression usw. – ist eben, wie alle unmittelbaren Bewußtseinszustände (Qualia), privat. Und Beschreibungen dieses Zustandes sind **symbolisierende **[sic] Akte, also solche, bei denen dort, wo das **Zeichen **zum Tragen kommt (das können sowohl Wörter als auch ganze Sätze sein, aber auch Gesten usw.), neben Signifikanten auch immer Signifikate relevant sind. Und dabei gilt es zweierlei zu beachten: Erstens ist ein Zeichen nie dasselbe wie das, was es vertritt (fachterminologisch heißt das: es referiert auf etwas [anderes]): Woraus folgt, daß Zeichen – etwa bei Erlebnisberichten – immer etwas Abwesendes vertreten, selbst wenn es sich um einen Akut-Bericht, wie etwa beim Arzt handelt. Denn wenn die Signifikanten-Kombination der zeichenhaltigen Übermittlung meines Schmerzberichtes (Signifikanten) auf die sinnlichen Rezeptionsorgane meines Arztes treffen (Ohr, ZNS usw.), werden in dessen Bewußtsein Signifikate “erzeugt”, die dann wiederum auf meinen Schmerz referieren sollen, wodurch leicht einsehbar wird, daß der Arzt nicht meinen Schmerz erlebt beim Bericht, sondern meine Schmerzzustände von den Sätzen, die ich dazu absondere, nur vertreten werden. Was das Ganze überhaupt sinnvoll macht (sonst könnte kein Arzt eine Diagnose stellen), ist das Vertrauen der Menschen darauf, daß wenigstens alle miteinander viele, viele Erlebenszustände teilen und die Berichte darüber wenigstens einigermaßen verständlich sind (das eine bedingt hierbei das andere), obwohl wir das im strengen Sinn nur vermuten, aber nicht wissen können.
Es tritt also zweitens hinzu, daß aus dem “Vertreten der Zeichen von etwas (anderem)” glashart folgt, daß sich auch zwei Frauen niemals sicher sein können, ob über den Bericht der je anderen die Geburtserlebnisse betreffend ein zutreffender Nachvollzug möglich ist, weil – wie eben ausgeführt – die Signifikate der übermittleten Signifikanten auf ihre Gleichheit (oder auch nur Wohlangemessenheit) bei Frau A und B niemals überprüft werden könnten, da sie nicht empirisch sind. Folglich: Wir meinen, glauben, vermuten, daß der andere uns versteht. Aber ob er’s wirklich tut, kann nicht definitiv entschieden werden. Ich kann bekanntlich nicht einmal wissen, ob das, was ich Grün nenne und mir zugleich als ein unmittelbares Bw-Datum im Bw steht, jemandem anders genau als derselbe Bw-Eindruck im Bw steht. – Es scheint nur absurd, ist es aber nicht: Wenn statt “meinem Grün” dem anderen das als Farbempfindung im Bw steht, was “meiner” Rotempfindung entspricht, würde die Welt (und unsere Verständigung über Sprache, bezogen auf Außenweltgegenstände) genauso funktionieren wie unter den Bedingungen der – von uns immer unterstellten – Gleichheit. Ob Gleichheit vorliegt, wissen wir aber nicht. Wir können es auch nicht wissen, weil wir nicht in Alter Egos private Bewußtseinszustände (Qualia) “einzudringen” vermögen.
Der Witz an der Sache ist allerdings noch größer als nur dadurch: Denn tatsächlich umfaßt schon meine eigene Artikulation diese Vertretung, weil logischerweise die Wörter und Sätze, die** ich selbst **gegenüber dem Arzt absondere, nichts mehr mit dem “eigentlichen Schmerz”, also diesem unmittelbar bewußten Schmerzgefühl im Bewußtsein, zu tun haben, außer jenem Umstand, daß sie eben darauf referieren (sollen) …
D.h.: Erlebenszustände können nicht authentisch artikuliert werden, weil es kein Prüf-Kriterium und keine Prüf-Situation für diese Authentizität gibt. Wittgenstein hat das in den PU in sein berühmt-berüchtigtes Käferschachtel-Gleichnis gepackt, wonach, wenn sich drei mit je einer Schachtel treffen, in die je nur sie selber reingucken können (das ist die Situation des privaten Bw-Inhalts bei Qualia), es nicht viel nützt, sofern sie sich gegenseitig versichern, jeder von ihnen habe einen Käfer in der Schachtel. Selbst wenn sie sich darüber ganz einig sind, weiß trotzdem niemand der drei, was wirklich in den Schachteln der anderen ist. Sie können es nur glauben. Und Witti fügt schelmisch noch hinzu: Es könne sogar sein, daß gar nix in dieser oder jener Schachtel sei …
Das von mir am Anfang vermutete Mißverständnis zwischen dir und @Urmel besteht nach dieser Auslegung darin, daß ihr von zwei unterschiedlichen Interpretationsebenen an die verhandelte Sache rangeht. Du machst stark, daß du sehr wohl “sprachlich einfühlen” kannst – und ich stimme dir darin zu --, und Urmel macht klar, daß sie aus ihrem privaten Erfahrungshorizont (aber nur aus dem heraus!) zu jeder deiner Rekonstruktionen sagen könnte (also etwa der einer Geburt, die du dann beschreibst, ohne je eine erlebt zu haben), sie würde nicht treffen, vielmehr verfehlen, was sie im inkriminierten Fall erlebt hätte.
Der Punkt ist hier (mit Betracht auf das oben kurz Hergeleitete), daß es keine Möglichkeit gäbe, diesen Streit auszuräumen, weil es ja durchaus sein kann, daß deine literarische Geburtsbeschreibung zwar auf eine Million Fälle zutrifft, aber auf 999.999 eben nicht. Sofern dabei relevant wäre, was die auf beiden Seiten involvierten Frauen darüber – auf sprachlicher Ebene – je für richtig und zutreffend halten bzw. falsch und unzutreffend, würde ein Streit notwendig ins Unendliche laufen. Deshalb sehe ich nicht, daß es Sinn hat, darüber zu streiten.
Urmel sollte folglich besser davon Abstand nehmen, zu behaupten, ein Mann könne eine Geburt nicht angemessen beschreiben (inzwischen ist ja klar geworden, daß hier ‘Angemessenheit’ nie sein prinzipiell Vages verlieren könnte); und du könntest ihr zugestehen, daß du eventuell nicht imstande sein wirst, sie selbst und auch andere Frauen mit einschlägiger Erfahrung von deiner Beschreibung überzeugen zu können. Das geht – wie hoffentlich einigermaßen verständlich gezeigt – eben nicht, sofern dabei auf “inneres Erleben” abgehoben wird.
Und nur, um Mißverständnissen vorzubeugen: Bei der sprachlichen Referenz auf Außenwelt-Gegenstände sieht es vollkommen anders aus! Da gelten private Empfindungen höchstens in ästhetischen Belangen. – Aber es ginge nicht an, wenn ich im Beisein anderer bspw. auf ein Ding namens ‘Baum’ zeigen und sagen würde, “das Ding dort” sei ein Berg (oder was für Namen auch immer mir dazu einfielen), um dann – bei Widerspruch der anderen – störrisch darauf zu beharren, daß es eben “aus meinem Erleben heraus” ein Berg sei und kein Baum.
Zwar vertritt auch das Zeichen ‘Baum’ “nur” den realen Baum, aber im Gegensatz zu Qualiazuständen Alter Egos kann ihn jeder Mensch auf irgendeine Weise sinnlich wahrnehmen und infolgedessen (von anderen) prüfbare Beschreibungen davon abliefern, die kritisierbar sind, weil sie Konventionen unterliegen, die die Welt fundamentieren (wie Wittgenstein in Über Gewißheit formuliert). Und ergo können sie nicht einfach aufgrund privater Idiosynkrasien ausgehebelt werden. Das ist übrigens der Grund dafür (neben ein paar wenigen anderen noch), warum wir für bestimmte Sätze Wahrheit samt dahinterstehendem Wissen reklamieren können, für andere aber nicht. Es ist klar, daß z.B. das oben verhandelte Problem Sätze bzw. Aussagen zeitigt, die nicht wahrheitsfähig sind (genau deswegen ist, wie gerade ausgeführt, so ein Streitfall wie der zwischen dir und Urmel auch nicht entscheidbar). Im Ästhetischen gibt es keine letzthin einlösbaren Wahrheitsansprüche …
Viele Grüße von Palinurus