Lieber Duane,
du bringst damit – ich weiß nicht, ob direkt (dein Alter ließe es zu) – oder indirekt (etwa durch theor. Beschäftigung mit diesem Thema) erinnernd etwas aufs Tapet, das (sofern ich es gerade richtig erinnere aus der Lektüre) in den Neunziger Jahren zu ziemlich heftigen Debatten, hier in D, geführt hat (daneben besonders prominent auch in den USA); tlw. auch in der damaligen feministischen Szene (auf Jungs wurde** seinerzeit** kaum einmal eingegangen, obwohl die genauso Mißbrauchsopfer werden können wie Mädchen), wobei es zutlw. unerquicklichen Szenen kam, weil sich währenddessen Pro- und Contra-Vertreterinnen hier und da sogar physisch angingen, so heftig wurde damals über das Thema, etwa bei Podiumsdiskussionen, gestritten: Ich meine damit das sog. false-memory-syndrome mit besonderem Augenmerk auf gewisse psycho-“therapeutische” Praktiken gewisser Therpeut(inn)en, die dahingehend interpretiert werden, daß dabei auch suggestive Methoden der Therapeuten zum Einsatz kommen, um beim zu Therapierenden geradezu zwanghaft Mißbrauchsassoziationen zu erzeugen.
Wiss. Debatten gibt es dazu bis heute, das Thema ist allerdings inzwischen weitgehnd aus dem Fokus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden, weil die rezenten ideologischen Fundamentierungen dazu querstehen: Heute wird sehr laut dafür getrommelt, daß Mißbrauch allerorten gang und gäbe ist – und wirklich widerliche Naturen wie Weinstein haben das ihre dazu getan, daß es keinerlei Differenzierung mehr zu geben scheint! --, weshalb eine öff. Diskussion des false-memory-Komplexes trotz aller Wünschbarkeit kein großes Thema ist; m.E. zu Unrecht, aber im Augenblick sitzen gerade gegensätzlich ideologisierte Einpeitscher(innen) am Diskurshebel, weshalb es reine Illusion ist, sich eine Einbeziehung auch solcher Aspekte in die öff. Diskussionen zu wünschen.
Für mein Romanprojekt habe ich mir jedenfalls vorgenommen, es zumindest (wieder) namhaft zu machen …
M.E. sollte es weder um “Zulassen” noch “Verbieten” gehen, weil damit eine Sphäre tangiert ist, in der es keine “klaren Verhältnisse” gibt und mithin auch keinen Ansatzpunkt für kodifizierte Regelungen. Es ist vielmehr ein offenes Feld; und gesetzliche Begrenzungen sind m.E. höchstens dort sinnvoll und möglich, wo der (Alters- und damit einhergehende Reife-)Durchschnitt es nahelegt, Sperren vorzusehen, also irgendwo unterhalb von fünfzehn oder sechzehn Jahren (drunter geht da ja für zivilisierte Menschen eh nichts).
Ich mache mir so meine Gedanken, was wohl heutzutage passieren würde – welche ungeheuerlichen shitstorms sich entzündeten! --, wenn sich ein Regisseur erlauben würde, einen Tatort zu drehen, wie es 1977 W. Petersen mit Reifezeugnis getan hat (erste Rolle für die damals fünfzehnjährige [sic] Nastasja Kinski!). Wow! Beinahe unvorstellbar!
Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, als sei üüüüüüüberhaupt nichts gegen Lehrer(innen)-Schüler(innen)-Verhältnisse einzuwenden; denn das sehe ich anders und i.d.R halte ichs von Lehrerseite aus nicht für geboten, sich überhaupt auf solche einzulassen (nach meinem Dafürhalten sollte das auch noch im universitären und Hochschul- Bereich gelten, allerdings lehrt mich meine diesbezügliche Erfahrung, daß es dort noch viel … ähm … “schlimmer zugeht” als im Schulbereich, was das angeht … wobei beidseitig meist ganz andere Interessen im Vordergrund stehen als … Liebe …).
Aber: die Regel kennt eben Ausnahmen (alles andere hielte ich wiederum für pervers) – bspw. habe ich persönlich ja nur Gutes erlebt während meiner Liaison mit der Lehrerin, weswegen sie m.A.n. mein weiteres Leben sehr positiv beeinflußt hat --; und mir will scheinen, damit, also daß es anbei dessen keinen Absolutheitsanspruch auf monolithische Meinungsbildung geben kann, kommen die Ideologen nicht klar, was ihrer Simplifizierungsmanie gescghuldet sein mag, oder kurz: ihren je eigenen Neurosen.
Jedoch: Warum soll eigentlich die ganze Welt neurotisiert werden, weil sich einige ihrer Bewohner nicht von den ihren trennen und sie ergo allen anderen aufstülpen möchten?!
Das Lehrer-Schüler-Problem ist nur ein Spezialfall dessen, was in meiner Textprobe zur Sprache kommt: Gilt beim Komplex erotischer Faszination (und allem damit Zusammenhängenden) eigentlich das Individualisierungsparadigma … oder sind letztlich alle “über einen Kamm zu scheren” und unter standardisierende Schablonen zu drücken? Und wenn das Letztere jemand bejaht: Wer ist dann legitimiert, diese Schablonen zu stanzen. Und woher empfängt er dafür das Siegel des Gerechtfertigtseins?
Gruß von Palinurus