Silvester mit rauchigem Abgang

Ihr Lieben,
ich weiß, der Text ist etwas lang, 3000 W. Wird es zu zähflüssig an einigen Stellen, würde ich die kürzen. Dazu bräuchte ich eure Tipps.
Ich danke euch schon im Voraus für eure Anregungen.

                                              Silvester mit rauchigem Abgang

I.
Tante Rosi, die Frau vom Anwesen am Ende der Straße, hieß in Wirklichkeit Rosemarie von Schnitzler. Vor Zeiten, als ich noch der Wunschgedanke meiner Eltern war, heiratete sie den viel älteren Konrad von Schnitzler. Sie zog zu ihm und seiner Mutter ins Herrenhaus, blieb ihm treu, sogar über den Tod hinaus. Er wollte keine Kinder. Tante Rosi beugte sich, litt aber unter der Kinderlosigkeit, weswegen sie mich oft und gern bemutterte. Meinen Eltern war das recht. Sie nahmen dadurch wieder am herkömmlichen Leben teil, ohne auf mich Rücksicht nehmen zu müssen.
Tante Rosis Schwiegermutter, die seit Jahren sterben Wollende, war indes fünfundneunzig. Und immer noch hockte sie täglich ab fünfzehn Uhr im antiken Ohrensessel am Fenster neben dem handgeschnitzten Tischchen im Salon. Manchmal streichelte sie es gedankenverloren, während sie das Treiben der Jahreszeiten im Vorgarten beobachtete. Dabei rauchte sie genüsslicher Zigarre als mein seebäriger Onkel Heinz von der Küste. Zuerst sog sie etwas vom Rauch ein und hielt kurz inne. Dann öffnete sie langsam den Mund, formte mit den Lippen ein O und pustete ein paar kleine Rauchringe aus, die sich zu einer weißen recht beständigen Rauchwolke vereinigten.
Sie war immerfort behangen mit Ketten und Broschen an den Seidenblusen und verlangte, mit „Gnädige Frau“ angesprochen zu werden. Solange ich denken konnte, hatte ich Bammel vor ihr. Meine Kindheit bestand darin, zu gehorchen. Mir wurde aufgetragen, ihr aus Büchern vorzulesen, folglich las ich ihr vor. Dass sie mich beschäftigte, bis Mutter und Vater zu Hause waren, kam mir nicht in den Sinn. Vielmehr meinte ich, sie zu betreuen, weil sie blind wurde und sich langweilte. So verstand es sich für alle von selbst, mich Silvester zu ihr zum Vorlesen abzukommandieren, damit die Eltern und Tante Rosi am Bankett im Rathaussaal teilnehmen konnten.

                                                               II.

 Tante Rosi hatte alles bis ins Kleinste vorbereitet. Auf dem Tischchen neben dem Ohrensessel blitzte ein Silbertablett. Darauf hatte jeder Gegenstand seinen vorbestimmten Platz: vorn die Porzellankanne mit schwarzem Tee auf einem brennenden Stövchen, links daneben der Kandiszucker, rechts eine verstöpselte Glasphiole. Die hatte die Form und Größe einer reifen Birne und enthielt - gern betonte das die Gnädige Frau - eines ihrer beiden Lebensspender. Der andere war eine auserlesene Zigarre. Die lag rechter Hand in einem kristallenen Aschenbecher nebst winziger Guillotine zum Enthaupten der Zigarrenspitze. Den beiden Wundermitteln verdankte die Gnädige Frau den noch passablen Gesundheitszustand, so behauptete sie. Obwohl sie seit dem Tod ihres Sohnes lieber auch gestorben wäre, hielt sie irgendein geheimnisvoller Freund namens Malte aus Schottland doch noch im Diesseits. Der versorgte sie mit einer Wundermedizin. Sie reiste allerdings nie zu ihm, und er besuchte sie nie in der Villa. So war anzunehmen, dass sie sich bei ihrem monatlichen Bummel auf dem Kurfürstendamm trafen. Ansonsten war sie fortwährend zu Hause. Mithin murmelte sie immer, wenn sie etwas Lebenselixier in den Tee gab: „Ach mein lieber schottischer Freund.“

Auf dem polierten Esstisch in der Mitte des Salons stand ein herrlich anzusehendes Büfett für mich. Und es befand sich eine Stoffserviette in einem Silberring neben dem Teller. Auf dem Stuhl an der Stirnseite des Tisches lag ein Polster, damit ich bequem vor dem sogar schon aufgeschlagenen Buch sitzen konnte. Ich erwartete wieder einen Tränendrüsendrücker. Die Gnädige Frau liebte altmodische Geschichten von Liebe und Treue.

                                                              III. 

Wie immer machte ich gleich an der Salontür den manierlichen Knicks und wartete auf die Erlaubnis, eintreten und mich an den Esstisch setzen zu dürfen.
„Komm zu mir, Kind. Ich möchte dich anschauen“, verlangte sie stattdessen.
Dem kam ich mit zittrigen Beinen nach und knickste drei oder vier Mal vor ihr. Sie ergriff meine Hand. Wir hatten uns noch nie berührt. Wohl darum nahm ich bislang an, dass ihre knochigen Hände kalt und ledrig wären. Das Gegenteil überraschte mich. Vorschnell streichelte ich sie. Weiß der Teufel, was ich damit in ihr auslöste. Sie begann zu weinen. Ich fühlte mich schuldig und hilflos in einem, und zwar so sehr, dass auch meine Augen feucht wurden. Die Serviette vom Esstisch war die Rettung. Damit tupfte ich abwechselnd ihr und mir das Gesicht trocken.
„Du bist ein so liebes Kind, so herzig und folgsam“, überraschte sie mich in lebendigem Ton. Jedwede Schattierung der sonst klagend ersterbenden Stimme war verschwunden.
„Du hast keine Großeltern. Und ich habe nur diese Rosi. Du wärest meine perfekte Enkelin. Willst du nicht Oma Orgasta zu mir sagen?“
Ach Herr je! Ich hatte nie eine Großmutter, demzufolge vermisste ich auch nichts in dieser Richtung. Was sollte ich mit ihr anderes anstellen als bisher? Ich nickte dennoch. Kein Kind hatte das Recht, einem Erwachsenen zu widersprechen, gar eine Abfuhr zu erteilen.
„Wie schön, wie schön! Ich fühle mich wieder so lebendig, wie schon lange nicht mehr. Willst du dich noch ein bisschen ausruhen, hier auf der Chaiselongue, bevor wir mit dem Lesen beginnen? Oder möchtest du mit mir Karten spielen? Was möchtest du?“
„Vorlesen“, hauchte ich. Dabei erfreute mich niemals das Vorlesen, schon gar nicht der Geschichten, die die Gnädige Frau liebte. Die waren altmodisch und kitschig.
„Ja, ich weiß, ich weiß, du liebst das Lesen. Willst du dir heute nicht ein Buch aussuchen?“
Oha, böse Falle! Das ist ein Test. Sie prüft, ob ich zuerst an andere denke und selbst brav wunschfrei bleibe. Ich dachte an das aufgeschlagene Buch auf dem Esstisch, sauste hinüber, um nach dem Titel zu schauen. „Von Theodor Storm, Immensee“, meinte ich.
„Vortreffliche Wahl. Vortrefflich. Es geht um Liebe und Treue. Storms Worte erreichen immer meine Seele. Die versetzen mich zurück in meine Jugend. Ach, wie schnell die Zeit vergeht.“ Sie seufzte. „Lies, Kindchen, lies“, forderte sie, nahm eine entspannte Position ein, rollte mit einem zweiten genüsslichen Seufzer die Zigarre zwischen den Fingern. Dann zack, Spitze weg, Tabak angezündet, zwei Mal gepafft … Die Rauchwolke erfüllte den Raum. Mir gefiel der Geruch. Den kannte ich von meinem Onkel Heinz. Den liebte ich. Er schien über mich zu wachen, sobald ich diesen warmen Zigarrenrauch roch.
Ich begann zu lesen. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie die Gnädige Frau mehrmals die Zigarre ablegte, Tee eingoss und nach und nach die Flüssigkeit aus der Phiole in die Tasse gab. Schließlich war die Teekanne leer. Jetzt trank sie das Lebenselixier pur, seufzte und steckte sich ihre Glimme erneut an. Beim Zuhören schloss sie die Augen. An einer Stelle, an der Theodor Storm die Sehnsucht eines alten Mannes nach seiner Liebe selbst für mich bewegend beschrieb, holte sie ergriffen Luft, ihr Atem stockte. Ich wollte auf keinen Fall hochmütig sein. Aber in dem Moment war ich stolz auf mich, weil meine Lesekünste bei der Gnädigen Frau so gut ankamen, als befände sie sich mitten im vorgetragenen Geschehen.

Eine Weile war ich flott am Lesen. Doch dann wurde ich langsamer, bis mein rechter Ellenbogen auf der polierten Tischplatte seitwärts wegrutschte und den Teller scheppern ließ. Die Gnädige Frau stöhnte auf.
„Nichts passiert“, beruhigte ich sie. „Alles gut. Ich lese weiter.“ Sie hielt die Augen geschlossen und wartete.

                                                                   IV.

Auf der Stirn schmerzte die Delle vom Buch, mich fröstelte es, der Magen knurrte, ein paar Feuerwerke explodierten vor dem Fenster, die Gnädige Frau schlief dessen ungeachtet. Ihr Mund war weit geöffnet. Aber weil sie nicht schnarchte, mochte ich ihr Kinn nicht nach oben klappen. Nur Leute, die schnarchen, bekommen eine trockene Schnute. Sie durfte nicht vor Durst aufwachen. Das wünschte ich mir, denn ich hatte keine Lust, die Immensee-Geschichte weiterzulesen. Ich wollte nur etwas essen, mich aufwärmen und dann hinlegen. Deshalb huschte ich auf Zehenspitzen in die Diele, nahm Tante Rosis dicke Wolljacke vom Bügel, schlüpfte hinein – welch eine Wohltat! – und schlich zurück in den Salon. Die Gnädige Frau hatte nichts gemerkt. Sie schlief, wie eine Dame mit fünfundneunzig eben schläft: würdevoll und erhaben. Ein Albrecht Dürer, von dem Tante Rosi schwärmte, hätte sie so, wie sie dasaß, gern gemalt - allerdings ohne Zigarrenstummel zwischen den Fingern. Den nahm ich ihr ab. Dabei bemerkte ich, dass sich ihre Hände kalt wie meine anfühlten. Das Feuer im Kachelofen war erloschen. Ich griff die kuschelige Wolldecke von der Chaiselongue und versuchte, die von vorn über ihre Schultern zu bekommen. Wie ein überdimensionales Lätzchen. Doch das verdammte Ding glitt immer wieder an der rutschigen Seidenbluse ab. Beim fünften Versuch kippte sie wie ein Apfelsack nach vorn, atmete tief aus und verharrte lustigerweise in dieser Position. Aller Achtung. Das nenne ich mal einen gesunden Schlaf. Mit all meinem Mut und einem Ruck richtete ich sie auf. Dabei klemmte ich blitzschnell die Decke zwischen Rücken und Sessel. Geschafft! Sie schlief weiter. Kein Wunder, da sie im siebten Himmel mit Freund Malte war, ihrer ersten großen Liebe. Sie blieb ihm im Herzen ergeben, er ihr geradeso. Aus Träumen von Liebe und Treue mochte ich sie nicht reißen.
Unterdessen machte ich mich nützlich. Vorauseilende Gehorsamkeit war das nicht, sondern mein wahrer Wunsch, die Gnädige Frau nach dem Aufwachen mit wärmendem Tee wieder schnell einschlafen zu lassen.

                                                        V.

In der Küche kannte ich mich bestens aus. Das Stövchen bekam ein weiteres Teelicht, die Porzellankanne frischen schwarzen Tee. Den Kristallaschenbecher putzte ich sauber und legte eine neue Zigarre hinein, den Stummel warf ich weg. Es fehlte nur noch das Lebenselixier. Das vermutete ich in einem der bunten Keramiktöpfe mit Deckel. In meiner Vorstellung handelte es sich um eingelegte Heilkräuter. Doch die fand ich nicht. Stattdessen lächelten mich aus den Töpfen marinierte Früchte an. Oh, Birnenstücke, Kirschen, Brombeeren! Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Ich redete mir ein, nur Mundraub zu begehen, denn ich hatte schon zwei Sommer lang weder Kirschen noch Brombeeren gegessen. Es war mir egal, dass die in Schnaps schwammen. Den gedachte ich ja nicht zu trinken. Hunger und Appetit, diese beiden bösen Buben, zwangen mich, aus jedem der Töpfe ein wenig Fruchtfleisch zu fischen, und zwar so, dass das später keinem auffiele. Das Buffet im Salon war in meinem Begehr auf Rang Null gerutscht. Zu fruchtig frisch tummelten sich die schnuckeligen Scheißerchen im Suppenteller. Und sie schrien nach Zucker und einem Klecks Eierlikör, um den Alkoholgeschmack zu überdecken. Wenn Mama und Tante Rosi gemeinsam Liköre zusammenbrauten, bekam ich jeweils einen Teelöffel voll zum Verkosten. Der Eierlikör war mein Favorit.
Ich kannte Tante Rosis Platz für die vielen Flaschen des selbstgemachten dickflüssigen Gesöffs und schüttelte es. Trotzdem wehrte es sich wie Ketchup, freiwillig herauszukommen. Ich schlug kräftig auf den Boden der Buddel, und mit Schwung ergoss sich ein großer Klecks über die Früchte. Das erschrak mich. Alle Überlegungen, wie ich das Zeug zurück in die Flasche bekäme, waren untauglich.
Auf leisen Sohlen huschte ich mit dem Obstteller in den Salon zur Gnädigen Frau. Ich pustete aus. Sie schlief noch. Jetzt schämte ich mich, ohne ihre Genehmigung in der Küche hantiert zu haben. Selbstverständlich wollte ich nicht, dass sie mich dreistes Früchtchen ihre exquisiten Früchtchen löffeln sah. Meine Eltern hätten mich nicht mehr geliebt, petzte ihnen die Gnädige Frau die Freveltat, den Mundraub, den … Herrgott fühlte ich mich seltsam. Von jetzt auf gleich. Eine merkwürdige Heizung knisterte in mir. Ich spürte, wie das Gesicht glühte. Bis zu den Haarspitzen. Puh, was waren die Ohren heiß! In Tante Rosis Strickjacke sah ich in diesem Moment aus wie ein Streichholz im Kartoffelknödel.
Mir schwante, dass ich auf das Lebenselixier der Gnädigen Frau gestoßen war. Justament verstand ich, warum die Kälte im Raum für sie durchaus erträglich blieb. Ungeachtet dessen legte ich Tante Rosis Jacke auf ihre Knie. Alte Damen im Ohrensessel sehen mit gestricktem Etwas über den Beinen einfach knuffiger aus. Och, ich hätte nun am liebsten ihre Hängebäckchen geknuddelt. Aber sie war noch nicht fertig mit dem Traum von Liebe und Treue und dem Freund im karierten Nachthemd. Ein dreister Kicherer entschlüpfte unartig meinen Lippen, dann der schamlose Rülpser, der im Mund explodierte. Pst! Nix passiert! – Oh doch! Jetzt konnte ich auf wundersame Weise Oma Organzas Kopfkinofilm mit ansehen. Mehr noch: Ich spielte mit. Sie saß mit ihrem Malte auf der blauen Holzbank im Wald. Ein Fuchs mit Trauben im Maul spazierte an der Bank vorbei. Ah! Ein Fingerzeig! Ich werde mal gucken, ob in den Töpfen auch eingelegte Weintrauben sind. Ein durchsichtiger Hirsch kam mir von der Küche aus entgegen. Er stolzierte an Oma Orchester und dem Geliebten vorbei. Küssen sich alte Leute noch? Auch mit künstlichem Gebiss? Nehmen sie s raus oder lassen sie s drin? Ein Bär winkte mir vom Gebüsch aus hastig zu und deutete auf die Küchentür. Aha, der passt auf, dass ich schnell noch ein paar klitzekleine Lebenselexierfleischlinge holen kann, bevor Omi Origami aus dem Wald zurückkommt.

Wie hilfreich Schaumkellen für Suppen sind: Zack rin in det Töpsche und eine reichlich bemessene Fruchtportion herausgefischt. Ein Unterschied wie Tag und Nacht, wie Angel und Fischernetz. - Huch! Ein bisschen überreichlich. Ich schob die Hälfte der Kirschen zurück in den Keramiktopf. Auf den Rest gab ich elfundzwanzig Tröpfchen Eierlikör. Ich zählte genau mit. Zucker ließ ich weg. Es musste ja ratzfatz gehen, das mit dem Fischen und Essen. Auf der Suche nach dem Topf mit Weintrauben fielen mir die Birnenstückchen auf, die sich ohne Vorwarnung erdreisteten, zu bluteten und Geschwüre zu bilden. - Halt! Stopp! So ein Mist! Die Kirschen vom Teller waren unautorisiert in den Birnentopf gehopst.
Ich stellte eine Suppenschüssel in den Abguss und goss den Birneninhalt hinein. Alles, was darin kirschrot umher schwamm, verschwand sofort im Mund. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Herrje, jetzt verzwillingte sich der Keramiktopf! Ich goss in die Topföffnung Birnen und Suppe zurück. Aber der Topf hatte mich ausgetrickst. Nun waren die Birnenstückchen im Becken und das Lebenselixier abhandengekommen. Der Schreck darüber war so mächtig, dass ich von einer Sekunde zur anderen wieder deutlich sehen und meine Bewegungen, wenn auch nicht beschleunigen, so doch kontrollieren konnte. Mit beiden Händen schaufelte ich das Obst zurück in den Topf und beseitigte die Spuren meiner Schandtat. Fast alle. Denn ich brauchte Schnaps, mit dem der Birnentopf aufgefüllt werden musste.
Welch freudige Überraschung! In der verbotenen Speisekammer neben der Küche war ein flaches Regal vom Boden bis zur Decke, in dem statt Einweckgläser unzählige identische Flaschen standen. Die hatten alle das gleiche Etikett. Beim näheren Hinschauen wurde mir so manches klar: Der karierte Schotte war ein illegaler Schnapsbrenner. Der schenkte dem Ömele statt Rosen und Pralinen den eigenen Schnaps mit Schreibfehler. Das E fehlte in seinem Namen. Auf dem Etikett hieß er nur Malt und nicht Malte. Und dann betonte er seinen Familienstand: Single Malt. Das war ein bisschen verrückt. Selbst mein Onkel Heinz würde den Selbstgebrannten für seine Freundin nie „Geschieden Hein“ nennen. Omilein, Omilein, da hast du dir aber einen dollen Galan an Land gezogen. Und was für ein Früchtchen du erst bist. Du bunkerst hier Mengen an Schnaps, dass du noch hundertfünf wirst. Na, dann fülle ich deine Elixierbirne mal auf und der Rest kommt in den Birnentopf.

                                                                         VI.

„Komm Kind, komm raus hier.“ Mama rüttelte an meiner Schulter. Als erstes hörte ich Tante Rosi in der Küche mit schwerer Zunge schimpfen. Großer Schreck! Mein Mundraub ward entdeckt! Ich begehrte, mich in Luft aufzulösen! Stattdessen fuhr der Salon mit mir Karussell.
„Der Kreislauf. Ist nicht schlimm. Das hast du von mir“, erklärte Mama, trug mich in die Küche und ließ mich auf den Stuhl gleiten.
„Unsere Kleine ist ziemlich mitgenommen“, befand sie.
Tante Rosi stimmte zu: „Ich kenn‘ das. Haben alle. Der Kreislauf. Ist nicht schlimm. Muss nur wieder auf Trapp gebracht werden“, lallte sie und hielt mir ein halbes Schnapsgläschen mit Eierlikör vor die Nase.
Oh ha, wieder eine böse Falle! Oder ein Test? Ich versuchte zu meutern, aber die Lippen spielten nicht mit. Ersatzweise stürzte ich den Likör hinunter. Ich angelte mit der Zunge nach dem Rest im Glas. Lecker. Vor allem ohne die Früchte. - Aber wieso bekam ich den angeboten? Was war hier los?! Ich provozierte und reichte das Gläschen zum Nachfüllen rüber. - Nicht zu fassen! Niemand protestierte.
Tante Rosi brabbelte: „Kein Wunder, dass du nix essen mochtest. Ist ja ein Stock. Pardon: Schock. Wann ist Organe weggeschlafen?“
„Organa“, berichtigte Mama. „Quatsch! Orgasta. Du machst mich ganz wusch, Rosi. Und nicht weggeschlafen, sondern weggegangen. Über den Jordan.“
Ich drehte mich zur offenen Küchentür und schaute in den Salon. Blödsinn! Dort sitzt doch das Ömele. Vornehm, würdevoll.
„Klaro!“, Tante Rosi schlug sich mit der Hand an die Stirn. „Morgana ist seit gut sechs Stunden hinüber. Da steht ja noch alles, wie ich `s drauf gestellt hab … War sie schon alt, als du ihren kalten Körper abgedeckt hast? Nee. Nochmal: War sie schon kalt als du ihren alten … äh … wolltest?“, fragte sie.
Meinte sie den Schotten? „Malt?“ Den Namen brachte ich wie ein Niesen hervor. Ich hielt ihr erneut das Gläschen hin.
„Nö, nö, nö. Du kriegst keinen richtigen Schnaps. Schon gar keinen Whisky. Du bleibst schön beim Likörchen.“ Sie schenkte schwankend in gebeugter Haltung nach und flüsterte in mein Ohr: „Aber sag‘s nicht Mama und Papa. Pst. Hörst du? Pst.“ Mit sportlicher Zackigkeit richtete sie sich auf, hielt sich am Tisch fest und juchzte: „Wunderbar, da seid ihr ja wieder, ihr zwei beiden. Kommt, wir trinken jetzt einen richtigen Schnaps. Zur Feier des Tages.“ Sie stellte drei große Wassergläser heraus, wankte zum Vorratsraum, schnappte sich eine der Flaschen und nuschelte überlaut: „Jeden Monat hat die alte Hexe ein paar von denen angeschleppt. Damit könnte ich eine Trinkerheilanstalt eröffnen.“ Drei, vier Sekunden hielt sie inne, dann brach es aus ihr heraus: „Mein Gott, Dörte, Dieter, versteht ihr? Ich kann das wirklich tun! Ich bin frei! Fünfzehn Jahre hat mir die alte Schachtel das Leben zur Hölle gemacht. Noch länger und sie hätte mich in den Wahnsinn getrieben! Die verdammte Gnädige Frau!“
Sie schlug die Hände vors Gesicht, lachte und weinte in einem, umarmte meine Eltern, umarmte mich. Nebenher goss sie den Schnaps vorbei an den Gläsern auf den Tisch. „Macht nix! Ich hab‘ genug davon! Gehört jetzt alles mir! Das ganze Anwesen gehört mir! – Dieter, gieß du ein! Und dann überlegen wir, was wir mit der gnädigen Entschlafenen machen.“
„Nicht wecken!“ Ich wollte hinzusetzten, dass das Ömele ihren Traum von Liebe und Treue zu Ende träumen sollte. Doch meine Lippen gehörten mir nicht mehr. Aber lächeln konnten sie noch. Denn bevor ich mit bleischweren Lidern zusammensackte, roch ich den anheimelnden frischen Zigarrenduft.
Die Rauchwolke schwebte geisterhaft vom Salon über die Diele zur Küche. Tee plätscherte vernehmlich aus der Kanne in die Tasse. Das Lebenselixier auch.

4 „Gefällt mir“

Sorry, zu umfangreich hier reingestellt. Das wird viele abschrecken. Versprochen, ab jetzt halte ich mich viel kürzer. :woozy_face:

Hallo @Leah ,
ich habe jetzt mal drüber gelesen. Langatmig finde ich es nicht. Es ist für mich eine kleine Geschichte. Sie plätschert so ein bisschen vor sich hin, beschreibt, was dem Mädchen so alles passiert. Kaum mal wird einer der Protagonisten aktiv.
Dadurch fehlt dem Text jegliche Dynamik. Vermutlich sogar gewollt.
Für meinen Geschmack, sehr viel direkte Rede, was dem Text eine gewisse Unruhe gibt und manche der Inquits, könnten auch wegfallen.

Das ist so ein Beispiel, da schlackert meine Lesebrille ein wenig: Direkte Rede, nachgestelltes Inquit, noch eine direkte Rede, und noch ein Inquit hinterher geschoben. Das liest sich etwas zäh. Du beschreibst und zeichest schöne Bilder, aber niemand macht irgendetwas und selbst wenn du Verben verwendest, dann schwächst du sie ab - wie gesagt, kann natürlich auch als Stilmittel verwendet werden. Und erscheint mir in dem Kontext auch nicht so fehl am Platz :wink:

Die Geschichte liest sich gut, würde mich jedoch nicht anregen, mehr lesen zu wollen. Kleines Bonmot und damit ist es auch wieder gut. Kann natürlich sein, dass das deine Intention ist, darum die Frage an dich, was ist es für ein Text. Ist es eine abgeschlossene Kurzgeschichte, ist es ein Prolog für ein Buch, was ist es?

Liebe Grüsse
LonesomeWriter

Hallo lieber LonesomeWriter,
ich umarme dich gedanklich für deine Kritik: Inquit nach der direkten Rede. Krass, in all den Jahren ist weder mir selbst noch einem anderen diese Unart bei meinem Schreiben aufgefallen. Nachdem ich das jetzt korrigiert habe, gefällt es mir besser. Dein Hinweis beeinflusst wunderbar meine weitere stilistische Arbeit. Danke.
Ja, es ist eine in sich abgeschlossene Geschichte, die vorgetragen z. B. zu Silvester bei Feuerzangenbowle in fröhlicher Runde dahinplätschern soll. Danach kommt erfahrungsgemäß die ganze Nacht keine Redepause auf. Zuerst wird sicherlich darüber diskutiert, ob die alte Dame nun gestorben ist oder nicht. (In meiner Vorstellung ist sie es nicht. Also kann weitergesponnen werden, welche Konsequenz das für Rosi haben könnte.) Wenn jemand meint, dass ausschließlich das betrunkene Kind den Zigarrenrauch roch, dann werden die Weißt-du-noch-Geschichten in die Runde getragen: wie die Nachkriegsgeneration zur Fügsamkeit und zum Gehorsam erzogen wurde - oder wann wer wie das erste Mal aus Versehen betrunken war.
Ich stelle mir auch vor, dass Leute an Bahnhöfen oder Flughäfen noch schnell etwas Kleines und Unterhaltsames zu lesen haben möchten und zu einem Kurzgeschichten-Büchlein greifen. Das sollte kein Klamauk sein, sondern etwas im Inneren des Lesers bewirken, z. B. eine Kindheitserinnerung hervorrufen oder Verständnis für vergangene Konventionen entwickeln.
Hab noch einmal herzlichen Dank
Leah

Hallo @Leah ,
es freut mich, wenn dir meine Hinweise Eigenheiten deines Schreibstils bewusst machen. Ich würde es nicht einmal Unart nennen, es ist einfach für mich auffallend. Manches ist gewollt, manches versteckt sich leider ein bisschen im Alltag. Jeder hat so seine Eigenheiten, egal ob es beim Schreiben ist oder in der gesprochenen Sprache. Wo einer 70 mhhs, hmmms, ahs und unds einwirft hat der andere eben die wörtliche Rede genau so für sich entdeckt.

Vielleicht werde ich an Silvester mich an die Geschichte erinnern und sie leise lächelnd lesen :wink:

Liebe Grüsse
LonesomeWriter

2 „Gefällt mir“

Ja, aber dann die überarbeitete Fassung. :joy:
Ich danke dir nochmals. Wir treffen uns hier gewiss bald wieder.
Liebe Grüße
Leah

Zum Glück ist das Forum ja einigermassen übersichtlich und man hat die Gelegenheit sich ab und zu mal über den Weg zu laufen.
… und spätestens in zwei Monaten und 3 Tagen werde ich dich fragen, ob ich die Fassung bekomme :wink:

Ja, so machen wir das :raising_hand_woman:

Lieber LonesomeWriter,
da du der Einzige warst, der meine Schreiberei konstruktiv kritisierte, bitte ich dich, eine (viel kürzere) Geschichte als Probeleser zu überprüfen. Ich leide nämlich auch darunter, dass meine beiden Testleser letztes Jahr tödlich verunglückten. Ich bin stilistisch verunsichert ohne sie und ihre ehrliche Kritik.
Ich wünsche konstruktive Kritik, bevor ich meine Arbeiten dem Verlag einreiche. Das ist so ein Ego-Ding. Würdest du dir vorstellen können, mein Testleser zu sein? Im Gegenzug lektoriere ich gern deine Texte.
Liebe nächtliche Grüße aus Berlin
Leah

Liebe @Leah ,
aber gerne doch.
Auch wenn ich die tragische Lücke nicht schließen kann, werde ich dennoch versuchen als Testleser ein wenig in die Bresche zu springen.

Frühmorgendliche Grüsse ins schöne Berlin
LonesomeWriter

Lieber LonesomeWriter,
vielen, vielen Dank für deine Unterstützung. Du kannst dir Zeit lassen.

Minutenliebe

Ich weiß nicht, wie ausgerechnet mir das hatte passieren können! Nie verpasste ich eine Psychologie-Vorlesung, schon gar kein Seminar. Nie vermasselte ich eine Prüfung. Nie misslang mir ein Therapiegespräch während meines Praktikums. Ich büffelte in den Bibliotheken, den Bahnen, den Warteschlangen vor Gemüseläden und Telefonzellen. Ich arbeitete im stillen Kämmerlein an meiner Diplomarbeit.

Nur ein einziges Mal wollte ich in den Tag hinein lümmeln und nicht mustergültig funktionieren müssen. Dieser Sommertag der verrückten 80er sollte mein perfekter Tag werden. Mein erster eigener Tag.

Der Morgen weckte mich mit strahlendem Sonnenschein. Die sonst bockige Dusche gönnte mir warmes Wasser und der Kaffeeduft schuf eine anheimelnde Atmosphäre im winzigen Raum. An meiner Seele zupfte ein wohliges Gefühl. Das nannte ich Glück. Ich schlüpfte in die großblumige Leinenhose, die früher einmal im Trend lag; jetzt war sie nur noch bequem. Rein ins quietschgelbe Schlabberhemd und in die Pantoffeln mit den löchrigen Gummisohlen. Heute ist Lümmel-Look angesagt. Ausnahmsweise. Zur Feier des Tages. Ich zündete mir eine Zigarette an und überprüfte vor der Abgabe beim Buchbinder ein letztes Mal meine Arbeit. Indes füllte sich der kleine Reiseaschenbecher, die große Kaffeekanne leerte sich.

Türquietschen. Die Frau des Hausmeisters steckte den Kopf um die Ecke. „Telegramm.“ Sie faltete das Formular auseinander. „Zurück aus Klinik. Mutti.“

Ein übles Gefühl beschlich mich. Und ich übertrug unwillentlich dieses Empfinden auf die arme Frau.

Sie tappte drei Schritte auf mich zu und streckte mir das Papier entgegen. „Ich dachte, es macht Ihnen nichts aus, dass ich hier reingucke.“

Ich brauchte ein paar Sekunden, einen klaren Gedanken zu fassen. „Oh, nein, nein. Das ist es nicht. Telegramme sind ja nie geheim.“

„Aber das hier ist doch gut. Sie sollten sich freuen, dass Ihre Mutter aus der Klinik ist.“

Ich schwieg.

„Nicht wahr?“ Sie setzte sich neben mich aufs Bett und streckte mir beharrlich das Telegramm entgegen.

Mein bleischwerer Arm weigerte sich, es zu nehmen.

„Oder?“, harkte sie ein wenig kräftiger nach.

„Es ist kompliziert“, wich ich aus.

Sie legte das Telegramm auf den Tisch und ergriff meine Hand. „Kindchen, das ganze Leben ist kompliziert. Aber wie kompliziert es ist, hängt von jedem selbst ab. Wollen Sie sich schwer der Komplikation ausliefern, ein Opfer einer unabänderbaren Situation sein? Oder wollen Sie es Nerven schonender überschaubar kompliziert? Dann entkomplizieren Sie es doch einfach.“

Ja, so war sie, die Frau des Hausmeisters, weise und lieb. „Ich bin so dumm und unhöflich. Bitte entschuldigen Sie. Ich bin wie vom Donner gerührt, weil vorgestern noch die Mutter quietschfidel war. Vielleicht hat sie sich inzwischen was getan …“

„Spekulieren bringt nichts. Hat Ihre Mutter jemanden in der Nachbarschaft mit Telefonanschluss?“

Ich nickte und schaute unwillkürlich aus dem Fenster zur Telefonzelle vor dem Haus und war überrascht, dass sie frei war. Glücksmoment! Das kommt sonst nie vor. „Es telefoniert gerade keiner“, fuhr ich hoch und griff nach einem 20-Pfennig-Stück aus meiner kleinen Münzschale auf dem Schreibtisch. „Ich muss schnell runter zum Münzer.“

„So wie Sie sind?“ Sie machte große Augen.

Die letzten Stufen überflog ich und sprang dicht vor einem Studenten in das Telefonhäuschen. „Entschuldigung, bitte. Ich habe ein Mutterproblem. Ich fasse mich kurz.“

Er nickte, lehnte sich an die Telefonzelle, schlug einen Hefter auf und schaute abwechselnd in seine Aufzeichnungen und zu mir, wie ich wieder und wieder das Geldstück in das Münztelefon steckte. Es rauschte jedes Mal zur Auffangschale durch. „Liegt es an deiner Münze?“, fragte er und hielt mir seine hin. Auch die blieb nicht hängen, welch ein Desaster! Vor meinen Augen schwebte ein weißer Schleier, ich hatte das Gefühl, im Treibsand zu stehen.

„Hey, hey, fall jetzt bloß nicht um!“ Blitzschnell riss er die Tür der Telefonzelle auf und stützte mich.

„Oh danke. Alles gut, alles gut. Es ist nur die Hitze und dass das Scheißding kaputt ist …“

„Und dein Mutterproblem. - Ich habe auch eins. Telegramm gekriegt. Hilfe beim Möbelaufbau am Wochenende eingefordert. Zwei Mal acht Stunden unterwegs – und dann ist es vielleicht nur ein kleines Nachtschränkchen, das bis übernächste Woche warten kann. Ich habe Montag Prüfung und keine Zeit, nach Hause zu fahren. Das muss ich meiner Mutter verklickern. – Und wie ist es bei dir?“

„Meine atmet mich jederzeit ein. Jetzt ist sie vielleicht wirklich mal krank. Das denke ich jedes Mal bei ihren Hiobsbotschaften. Sie provoziert so ein diffuses Pflicht-Schuld-Gefühl, das mich etwas machen lässt, was ich nicht tun will. Ich bin gerade höllisch genervt. Dieses scheiß Telefon!“ Mir stieg die Röte ins Gesicht. „Entschuldige. Ich wollte dich nicht zulabern.“

Er lachte. „Tust du nicht. – Komm, ich habe eine fetzige Idee. Wir wandern. Am Ende der Hauptstraße ist die nächste gelbe Zelle. Da wandern wir jetzt hin. Denn gemeinsam wandern macht Spaß. Gib mir deine Hand, wir gehen nämlich vorbildlich wie fröhliche Jungpioniere nebeneinander. Oder willst du lieber im Gänsemarsch wandern? Da wird es allerdings schwierig mit der Unterhaltung.“

Das ging mir zu Herzen. Nein, er ging mir zu Herzen. Ich gab ihm meine Hand, zog sie aber schnell wieder zurück und schaute an mir hinunter. „So kann ich nicht auf die Straße gehen!“

„Du bist auf der Straße.“

„Guck mich doch mal an, wie ich aussehe!“

„Etwas gewagt, aber süß.“

„Wenn mich jemand so sieht, wie ich angezogen bin! Was soll man von mir denken?“

„Ich sehe dich. Was die anderen denken, ist egal. Und was ich von dir denke? Wer so aussieht wie du, ist ein bisschen verrückt und dazu noch süß. - Kommt, holdes Fräulein, darf ich es wagen, Ihnen meinen Arm anzutragen?“

„Ah, Literaturstudium“, riet ich ins Blaue und umschloss seine Hand.

Verwunderte, gar abschätzige Blicke der Passanten prallten von mir ab. Zum ersten Mal im Leben empfand ich etwas, von dem ich nicht einmal ahnte, das empfinden zu können. Eine flauschige Wolke der Vertrautheit und Geborgenheit uhüllte mich ein. Ab diesem Augenblick erlebte ich mein Sein intensiver. Es schien die Sonne wärmender auf mein Gesicht, die Rosensträucher vor der schier endlosen Häuserfront der Studentenwohnheime versprühten diesen wahnsinnig betörenden Duft, die Blüten strahlten intensiv, wie nie und der Weg zur nächsten Telefonzelle kam mir kürzer als sonst vor.

Wir sahen schon aus der Ferne, dass davor niemand anstand. Diese Zufallsfügung war das i-Tüpfelchen meines mentalen Rausches. Jedes Wort, das er sagte, sog ich auf wie ein nasser Schwamm. Von seinem Studium erzählte er, dem durchgeknallten Dozenten mit feuchter Aussprache, der lispelte und Phonetik unterrichtete, dass seine Oma ihr Wochenendhäuschen Gertrude nannte und jedes Wochenende mit ihrem Motorroller namens Simon dahin fuhr. - Und dann erstarrten wir. Das Telefongerät lag in der Glaszelle am Boden.

„Komm, ich bringe dich noch zurück“, sagte er leise. „Ich muss mich jetzt beeilen, muss zur Uni. Pflichttermin beim Prof.“

Mein Inneres geriet aus der Fassung. ‚Hinter dem Friedhof gibt es die nächste Telefonzelle‘, wollte ich sagen.

Stattdessen schüttelte ich matt den Kopf. Er war in Eile. Sein trauriges Lächeln ist bis heute in meine Seele eingebrannt. Er drehte sich um und rannte. Ich kannte nicht einmal seinen Namen.

Für fünfzehn Minuten liebte ich so intensiv, dass ich jetzt unter höllischem Verlustschmerz litt. Ich denke, es war Liebeskummer. Der erste in meinem Leben.

Die Telefonzelle hinter dem Friedhof war auch kaputt. Nun blieben nur noch die Telefonapparate am Eingang des Bahnhofs. Ich musste die Entscheidung treffen, ob ich das einzige Zwanzigpfennigstück für die Busfahrt zurück ins Internat nutzen oder zu Fuß den zweimal so langen Weg zum Bahnhof nehmen sollte, um zu telefonieren. Nein, nicht ich hatte die wirkliche Entscheidungsgewalt. Die hatte meine Mutter am anderen Ende der geteilten Welt. Sie führte mich wie eine Marionette an unsichtbaren Strippen zur Bahnstation.

Ich japste beim Rennen nach Luft und hoffte, mich damit schnell den missbilligenden Urteilsblicken der Leute auf der Straße zu entziehen.

Endlich warf ich das Geldstück in einen funktionierenden Apparat und hörte dann sofort den Vorwurf: „Du rufst mich nie an!“

„Was tue ich denn gerade?! Außerdem telefonierten wir erst vorgestern miteinander. Verdammt noch mal! Und was ist das mit deinem plötzlichen Klinikaufenthalt?“

„Ja, also, du kennst doch die Luise. Du weißt doch, mit der ich immer Sport mache. Und ich wollte doch schon immer einen Allergietest machen lassen. Ich hab’ sofort einen Termin in der Poliklinik gekriegt, weil die Luise vertretungsweise an der Rezeption saß. Na, da bin ich auch gleich hin und weißt du …“

In diesem Moment fiel ich aus der Dunstwolke meines Lebens. Ich hängte übervorsichtig den Hörer in die Gabel, Tränen rannen über meine Wangen. Eine alte Dame schenkte mir ihr umhäkeltes Seidentaschentuch und der Apparat spie barmherzig die zwanzig Pfennig wieder aus …

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Hallo @Leah ,
das ist eine schöne Kurzgeschichte. Auch hier verwendest du gerne die direkte Rede. Manchmal könnte man sich das Inquit auch sparen. Meistens passt es ganz gut. Ich habe mal versucht behutsam damit umzugehen.
Leah_Minutenliebe.pap (17,9 KB).
Sprachlich baust du eine schöne Kulisse auf. Hat einige onomatopoetische Stellen. Die mir persönlich gefallen, bei manchen anderen Lesern allerdings eher für Belustigung sorgen. Nicht jeder reagiert auf Sprachbilder gleich.
Zum Thema Inquit. Ein Inquit kann wirksam sein, es kann aber auch gemeinsam mit der direkten Rede deinen Text zerhacken. Da es eine Kurzgeschichte ist, bringt es Dynamik in den sonst recht statischen Text. Aber achte darauf, dass gerade die vorangestellten Inquits etwas Wichtiges sagen wollen, zwischengestellte Inquits stellen eine Zerissenheit dar, lassen die direkte Rede unsicher, zögerlich wirken. Nachgestellte Inquits verlängern den Satz und sagen oft das offensichtliche noch einmal

„Mutti, wir haben gestern erst telefoniert!“, sagte sie anklagend mit einem Kloß im Hals vor lauter Wut, den Tränen nahe

Die direkte Rede hat eingentlich alles klar und deutlich gesagt. Der Rest ist eine Wiederholung mit unnötiger Interpretation. Dein Leser stellt sich genau das vor, wenn du ihm das wegnimmst wird es langweilig. Du würgst die Phantasie ab. Es ist viel schöner, wenn ich etwas lese und mein Kopf malt die Bilder dazu.
Also, wenn du möchtest, dass der Leser eintaucht in die Geschichte (was ja auch nicht immer so gewünscht ist), dann lass das nachgestellte / schließende Inquit weg.

Ich hoffe, das trifft in etwa das, was du dir an Feedback erwartest. Wenn nicht, kann ich auch gerne den einen oder anderen Aspekt wegblenden oder verstärken. Lass es mich einfach wissen, was dir wichtig ist, oder wo du ohnehin schon ein Auge darauf hast, dann werde ich die Sachen etwas weniger betonen.

Liebe Grüsse
LonesomeWriter

Lieber LonesomeWriter,
du hast in mir etwas ausgelöst, was ich noch nicht in treffende Worte fassen kann. Meine Sehnsucht nach oder besser Trauer um beine beiden Lieben, die mir beim Schreiben stilistisch den Rücken stärkten, hat sich verflüchtigt. Als ich deine Korrekturvorschläge las, hattest du in meinen Gedanken neben mir gesessen. Du hast ja nicht nur korrigiert, sondern erklärt. Das war viel mehr, als ich erhoffen durfte. Ich bin dir sehr, sehr dankbar. Bis auf die Telegramm-Geschichte, habe ich all deine Schreibvarianten übernommen und ich bin zufrieden mit der Geschichte. Keine Spur der latenten Unsicherheit mehr. Ich schicke dir gern im Laufe der Tage das fertige Ergebnis rüber, wenn du Zeit hast und noch einmal lesen möchtest.
Ich bin wirklich glücklich, dass du mir hilfst. Und mit deiner Schnelligkeit und Präzision habe ich nicht gerechnet. Jetzt bin ich dabei, die anderen Geschichten zu überarbeiten und auf die Inquits zu überprüfen. Dann würde ich gern eine weitere KG zu dir schicken. Geht das in Ordnung für dich?
Womit kann ich dir helfen?
Nochmals Tausend Dank.
Liebe Grüße
Leah

Bis zum Horizont und wieder zurück

Man muss ihn mögen, den New Yorker Stil der 40er Jahre. Ich mochte ihn nicht. »Geschmackssache« wollte mich ein flüchtiger Gedanke zuerst Glauben machen.
Das Zimmer im Mandarin Oriental war zweifellos mit viel Liebe zum Detail eingerichtet. Alles Ton in Ton. Zwei Innenwände strich man in einem Braunton, wie er in den musterlosen Vorhängen und die altbackenen überdimensionalen Rosen im dunkelbraunen Teppich zu sehen war. Das Bett und der Sessel davor griffen das dunkle Konzept ebenso auf, wie Schreibtisch und Bilderrahmen aus Kirschbaumholz. Mir kam das Zimmer düster vor. Es bedrückte mich. Dagegen half auch nicht der Blick aus diesem Skyline View Room der 43. Etage. Ich schaute über Wolkenkratzer hinweg auf den Hudson River, sah auf unattraktive schäbig wirkende Flachdächer. Schade, dass die niemand begrünte. Turmhäuser standen gedrängt, dicht an dicht, als habe ein Götterkind leere Fischkonservendosen aufrecht in die Erde gerammt.
Beim Blick auf den Big Apple regte sich kein Staunen in mir. Mich drängte es mitnichten, aus den Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichten, ein Foto zu schießen. Die hektische Tristesse der Metropole aus der Vogelperspektive entlockte mir für einen Augenblick ein merkwürdiges Gefühl des Alleinseins. Den Wolken so nah, dem Himmel so fern … Woher kam das bloß plötzlich?! Ich litt noch nie unter Unwertgefühlen oder Einsamkeit.
Die Brauntöne, die dieses Zimmer dominierten, und der Blick aus den Panoramafenstern triggerten mich. Dazu versperrten mir unzählige Wohn- und Geschäftstürme den Blick auf den Horizont. Mein Unterbewusstsein glich das Hier und Jetzt mit einem vergessenen Erlebnis von vor einem halben Jahrhundert ab. Das bescherte mir das gleiche ungute Empfinden wie früher.

Meine Mutter schob mich durch die Tür der Seemannskneipe »Zum Ziegenkrug«. Sie blieb draußen zurück. Der Saal war riesig. Wohl, weil ich vorher noch nie einen größeren Raum als ein Wohnzimmer sah. Ich kannte auch keine Weite der Landschaft. Ich kannte nur die Weite des Meerblicks vom Hafen aus.
Nun stand ich da und fühlte mich am Ende der Tischreihen verloren. Die strahlten etwas Beängstigendes aus. War das so, weil ich knapp um Kopflänge die Tischkante überragte? War das so, weil mich der Dielenboden und das dunkelbraun gestrichene Mobiliar an den unheimlichen Keller unseres Hauses erinnerten? Ich weiß es nicht. Stinkender gelber Zigarettennebel hing in der Luft. Grob gewebte vergilbte Gardinen versperrten den Sonnenstrahlen den Weg ins Innere der Kneipe. Von ganz hinten drang aus einem Musikautomaten, der Schallplatten unter einer gewaltigen länglichen Käseglocke abspielte, Akkordeonmusik. Sie klang wie das Rauschen der Wellen im Anlegehafen. Ich hatte Angst vor dem Meer. Die Musik machte mir Angst. Oder waren es die vielen fremden Augen, die mich angafften? Ich strich mit den Fingern über mein einziges Sonntagskleid. Es war kein Sonntag und mir blieb es ein Rätsel, warum ich es trotzdem tragen sollte. Ich wollte sichergehen, dass keiner der Petticoatröcke unordentlich abstand und womöglich das der Auslöser der tückischen Männerblicke war. Aber nein, das Kleidchen war geziemlich. Schlagartig fiel mir ein, dass mein Haarkranz aus Plasteblumen auf dem Kopf fehlte. Ich hatte es in der Hast des Umkleidens vergessen. Das Kränzchen wies mich mit dem zur Strafe stummelig geschnittenem Haar doch noch als Mädchen aus. Jetzt meinte ich zu verstehen, warum mich die Männer an den dunklen Tischen anstarrten: Ich war unvollkommen. Gerade als ich jenen Gedanken dachte, drehten sich die Kneipengäste weg und starrten in die Biergläser. Alle schwiegen. Der eine oder andere kippte zackig einen Schnaps in sich hinein und hielt das leere Gläschen wortlos in die Höhe. Zur Belohnung bekam er von der dicken Dame mit der winzigen weißen Spitzenschürze einen weiteren Schnaps. Erwachsene reden oft ohne Worte. Wie meine Mutter.
Angströte stieg mir bis in die Ohren. Die glühten. Ich zwang mich, die Tränen zu unterdrücken. Wenn ich jetzt weine, entführt mich einer der Männer ins Dunkel. Deshalb dürfen auch Mädchen nie weinen. Denn jeder der Unbekannten hier kann der schreckliche Schwarze Mann sein, der schlechte Kinder verschleppt. Darum sollte ich immer einen großen Bogen um Fremde machen. Doch nun stand ich auf Mamas Geheiß vor den vielen Düstermännern. Ich war am Ende der Kräfte und begann zu schluchzen. Prompt hatte ich vergessen, warum sie mich in die Hafenkneipe zwang.
Die dicke Dame stampfte auf mich zu. Sie beugte sich zu mir herunter. Dabei starrte ich aus Versehen in ihren Ausschnitt, aus dem zwei übergroße fleischige Brüste lugten. Nun getraute ich mich vor Reue nicht, ihr ins Gesicht zu schauen. Meine Glieder waren schlagartig bleischwer, die Lippen taub. Ich konnte mich nicht regen, schon gar nicht flüchten, nur die Tränen kullerten leise aus meinen Augen. Die dicke Dame nahm ein weißes Tuch und tupfte sie weg. »Alles wird wieder gut«, flüsterte sie. »Du sollst bestimmt deinen Vati abholen, stimmt´s?«
Ich nickte.
»Wie heißt er denn?«
»Papa.«
»Siehst du ihn hier irgendwo sitzen?«
Kopfschütteln.
»Ja, stimmt, du kannst von hier unten nicht alle Gesichter erkennen. Pass auf, ich mache dich größer. Ich nehme dich auf den Arm. Und dann finden wir deinen Vati.«
Ich streckte ihr die Arme entgegen.
»Zu wem gehört dieses Kind?«, rief sie in den Raum. Sie übertönte die Akkordeonmusik. Alle Blicke waren auf uns gerichtet. Nur mein Vater schaute nicht auf. Er lehnte in der zweiten Tischreihe mit der Schulter am Tresen und starrte ins Nichts. Mit glasigen Augen und kleinen Rinnsalen darunter führte er ungelenk die Zigarette zum Mund. So hoffnungslos niedergeschlagen hatte ich ihn zeitlebens nie wieder gesehen. Seine Schwermut ging auf mich über. Ich war gefangen im düsteren Raum, verloren, einsam.
Die dicke Dame war eine Zauberin. Sie war allwissend, las Gedanken, die meines Vaters und meine. Sie setzte mich auf seinen Schoß. Sofort schlang ich meine Arme um seinen Hals und klammerte mich mit aller Kraft an ihn. Erst als er seine Hand behutsam auf meinen Kopf legte, ließ meine verkrampfte Anspannung nach. Ich fragte: »Papa, hast du mich noch lieb?« Unwillkürlich fuhr ich mir mit den Fingerchen durch das abgeschnittene Haar.
»Aber ja doch! Ich habe dich sehr lieb. Wie kannst du nur so etwas fragen?!«
»Mama hat gesagt, dass du mich nicht mehr lieb hast, weil ich unartig bin. Ich soll ins Kinderheim. Manchmal bin ich unartig und merke das nicht. Ich will ja immer lieb sein.«
Die dicke Dame zog die Kneipengardinen zur Seite und öffnete vier der sechs Fenster, die von der Decke bis zum Boden reichten. Jetzt hatten mein Vater und ich einen freien Blick auf den Hafen und das weite Meer.
»Niemand wird dich ins Heim geben. Das verspreche ich dir. - Siehst du die Kimmung? Da ganz hinten, soweit du gucken kannst?« Er zeigte auf das Meer.
Ich wusste nicht, was er meinte.
»Die sieht aus, als ob Himmel und Meer aufeinander liegen wie zwei Brötchenhälften.«
»Ist das der umgekippte Strich?«
»Richtig. Das ist die Kimmung. Für unsere Augen malen Himmel und Meer in der Ferne diesen Strich. Wir können nicht weiter sehen. Es ist eine Sichtgrenze. Aber dahinter geht es weiter. Weißt du, was ich meine?«
»Ich sehe Wasser und Zuckerwattewolken am Himmel. Die kleben aneinander fest. Und deshalb können wir er nicht sehen, was dahinter ist.«
»Richtig. Und wie lange müsste ich mit dem Schiff fahren, bis ich da ankomme?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Für immer und ewig. Bis du erwachsen bist und Kinder hast und die Kinder haben und die wiederum Kinder. Es gibt kein Ende, denn hinter der Kimmung geht das Meer weiter und immer weiter. Endlos. So lieb habe ich dich.«
»Und wenn dir Inseln und Städte auf der Schifffahrt in die Quere kommen …«
»Dann umschipper ich die. Oder ich gehe an Land und sehe bis zur Sichtgrenze zwischen Erde und Himmel. Das nennen wir Horizont. Denn auch hinter dem Horizont geht es weiter und immer weiter. Endlos. So lieb habe ich dich.«
Mit der Umarmung, die ich ihm jetzt schenkte, fiel eine ungeheure Last von meiner Seele. Feierlich sagte ich: »Lieber Papa, ich hab dich lieb bis zum Horizont und wieder zurück.«
Die dicke Dame stellte unaufgefordert einen extrastarken Kaffee und eine Fassbrause vor uns hin. Dann schob sie die Rechnung hinüber und zog sie wieder weg. »Zahl beim nächsten Mal, Harry. Ich habe dir ein Taxi bestellt. Die Beinchen von deiner Kleinen sind bestimmt müde.«
Ich nickte und lockte sie mit dem Zeigefinger zu mir herunter. Obwohl es nie meine Art war, mich fremden Leuten ohne Argwohn zu nähern, umarmte ich sie und gab ihr ein Küsschen auf die Wange. Ihre Augen wurden feucht. Sie flüsterte: »Du bist ein großartiges Mädchen. Das Leben wird dich dafür eines Tages reich belohnen.«
Es musste ein wirkungsvoller Wunsch mit einem starken Zauber gewesen sein. Das spürte ich. Zum Dank legte für ein paar Sekunden mein Händchen auf ihr Gesicht. Sie hielt still und schloss die Lider.
»Danke, dass du mich gerettet hast«, wisperte ich.
Sie erwiderte, was ich damals noch nicht verstehen konnte: »Wir haben uns gegenseitig gerettet.«
Die liebe Dame raunte Papa ins Ohr. Ich hörte trotzdem, was sie sagte: »Ich sah eben deine Frau weggehen. Harry, sieh zu, dass du nicht mehr die langen Seereisen machst. Überlass ihr nicht die Erziehung deiner Tochter. Sonst endet die Kleine wie ich. Fett, einsam, ohne Zukunftsträume, gefangen in diesem Kaff.«

Die Dämmerung kündigte sich an. Das Abendleben auf dem Hudson River wollte beginnen. Boote, Schlepper und ein Passagierschiff schalteten nach und nach die Beleuchtungen ein. Die Lichter spiegelten sich im Wasser. Ich hatte kurz vergessen, wie zauberhaft dieser Ausblick ist. Von vielen Dächern strahlten Scheinwerfer gen Himmel. Ich sah bis zum Horizont und noch weiter … Ein wohliges Gefühl zupfte an meiner Seele.

Klopfen an der Tür. »Your dinner, Ma’am.«
»Come in, please«, bat ich, während ich in mein Portemonnaie griff, um das Trinkgeld herauszunehmen.
»Oh no, no tip, please. «
Ich hob den Blick und gewahrte meine betagte blond gefärbte Fee. Sie schien wie in Luft und Wolken gehüllt. Der weiße Taftanzug mit Silberstola ließ eine wohlgeformte Taille und zwei übergroße fleischige Brüste mit funkelndem Collier durchschimmern.
Ein spitzer Freudenschrei entschlüpfte mir. »Tante liebe Dame!« Ich ließ alles fallen, machte zu ihr einen Satz über das Bett wie eine Dreißigjährige. Ich musste sie herzen und meine Hände auf ihre Wange legen. »Was machst du denn hier. Wir sind doch erst für morgen verabredet.«
»Sag nicht immer Tante liebe Dame zu mir. Dein Papa hat mir vorhin am Telefon verraten, dass du hier schon eingecheckt hast. - Komm Schatz, du ziehst um. Du wohnst in keinem Hotel, sondern bei mir.«
»Ja, wir haben noch so viel zu bereden. Auch bei der besten Technik reichten Anrufe und Mails einfach nicht aus. Ab sofort kann ich dir vor Ort viel besser mit deinem Verlag unter die Arme greifen. Und du kannst dich auf de Hochzeit mit Papa konzentrieren.«
Ich zog sie zum Panoramafenster. Wir nahmen auf dem Bett Platz und hielten uns bei den Händen. Ich lehnte meinen Kopf an ihre Schulter. Die warme Wolke der Liebe und Geborgenheit hüllte uns ein. »Bis zum Horizont und wieder zurück«, flüsterte ich vor mich hin.
»Ja, bis zum Horizont und wieder zurück«, wiederholte sie.
Ein paar Augenblicke beseelten Schweigens folgten, bis sie auflachte und zu plaudern begann:: »Weißt du eigentlich, dass ich mein erfülltes Leben auch dir zu verdanken habe? Wie alt warst du? Drei oder vier? Ich erkannte mich in dir wieder …«

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Hallo @Leah,
ich freue mich, wenn dir das Feedback hilft! Natürlich freut es mich, wenn dir die Art, wie ich Feedback gebe, hilft.
Für mich ist wichtig, dass du auch nach den Änderungen noch das Gefühl hast, es ist deine Geschichte uns sie erzählt genau das, was ich im Kopf habe. Nicht irgendein Text der deine Idee, deine Geschichte gestohlen hat.
Wenn du andere Kurzgeschichten hast, kannst du sie gerne schicken :wink:

Liebe Grüsse
LonesomeWriter

Ja, absolut. Deine Art des Feedbacks ist großartig für mich. Und nein, es bleiben immer meine Geschichten, Ich lasse sie ja nicht umschreiben. Aber die stilistischen Tipps von dir sind toll. Ich merke selbst, wie ich flüssiger lese. Da habe ich gleich mal die Geschichte „Hinter dem Horizont …“ unter die Lupe genommen und meinen bisherigen Schreibstil überdacht. Die Geschichte habe ich dir schon geschickt. Ja, ich habe noch andere Geschichten, werde sie auch nochmal überarbeiten und sie dir dann schicken. Lieben, lieben Dank für alles
Leah

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Hallo @Leah ,

das freut mich natürlich sehr, denn das ist Sinn und Zweck des Feedbacks!
Insofern ist es natürlich auch passend, dass dir mein Stil zusagt, deine Geschichte mit meinem Stil wirken. So kannst du viele Änderungen einfach übernehmen. Bei anderen Autoren, ist das deutlich schwieriger, da ich dann wirklich nur Denkanstösse geben kann.

Wenn ich dir damit helfe, kannst du mir gerne auch andere Kurzgeschichten schicken.

Liebe Grüsse
LonesomeWriter

Vielen lieben Dank.

Bei meiner Geschichte „Hinter dem Horizont …“ bin ich noch nicht ganz zufrieden mit dem Absatz, da der Protagonistin bewusst wird, dass sie ein Kindheitserlebnis triggerte. Das ist einerseits zu sachlich geschrieben, andererseits scheint mir dieser wichtige Fakt unterzugehen. Aber das Triggern passiert im Bruchteil einer Sekunde. Meistens überrascht das einen und die Leute wissen nicht, woher plötzlich dieses zermürbende Gefühl im Bauch kommt. Stilistisch angepasst, muss der Hinweis auf das Triggern des Unterbewusstseins aber auch nur kurz kommen. Was meinst du?

Lass dich überraschen, da bin ich gerade daran, oder soll ich es nochmal zur Seite legen?

Nicht zur Seite legen! Mein inneres Kind schreit nach Auflösung.