Ich habe mich in einer Debatte vergaloppiert, denke aber doch, dass ich recht habe. Es geht um folgendes: Ich bin der Überzeugung, dass in Dialogen in der Belletristik das Wort sie als persönliche Anrede immer klein gehört:
Frank fragte Ronald: "Wissen sie, wie spät es ist?
Groß gehört mMn das Pronomen nur am Satzanfang oder wenn ich einen Brief verfasse und den Empfänger direkt anschreibe: “Werden Sie in der Lage sein, mich zu beraten?”
Eigentlich schon.
Soweit ich weiß, wird die Anrede “Sie” immer großgeschrieben. Wenn man “sie” klein schreibt, bezieht es sich auf die 3. Person Singular, z. B. die Frau.
So kann man vor allem beim Lesen beide Formen schneller voneinander unterscheiden und wird nicht so leicht aus dem Lesefluss gerissen.
Ich schließe mich da Pamina an. Auch in Dialogen wird die Höflichkeitsanrede Sie, Ihnen bzw. Ihr (als Possessivpronomen) immer großgeschrieben, wenn sie als direkte Ansprache an eine andere Person verwendet wird, um sie von der kleingeschriebenen Variante, die sich auf Dritte bezieht, zu unterscheiden. Zur Verdeutlichung:
“Sie sagte, sie hätte Sie gegen 20 Uhr am Tatort gesehen.”
“Sie verlangen von Ihren Kindern also, ihre Arbeit zu erledigen?” = Die Kinder sollen ihre eigene Arbeit erledigen
“Sie verlangen von Ihren Kindern also, Ihre Arbeit zu erledigen?” = Die Kinder sollen die Arbeit des Angesprochenen erledigen
Frank fragte Ronald: “Wissen Sie, wie spät es ist?”
So stellt Frank die Frage in der Höflichkeitsform an Ronald.
Frank fragte Ronald: “Wissen sie, wie spät es ist?”
So liest es sich für mich, als würde Frank Ronald fragen, ob (beispielsweise) dessen Schüler wissen, wie spät es ist.
Die gewöhnlichen Pronomen unterscheiden sich in ihren Regeln von dem Sonderfall der Höflichkeitsanrede. Wie bereits geschrieben wurde, würde eine gemeinsame Schreibart unter Umständen für Missverständnisse sorgen, bei denen nicht klar hervorgeht, wer angesprochen wird.
Um es vielleicht nochmal zu verdeutlichen:
Hans schüttelte den Kopf. “Haben sie den Verstand verloren?”
Angenommen dies wäre der erste Satz einer Geschichte.
Würde nun die Höflichkeitsform den gleichen Anwendungsregeln folgen und kleingeschrieben werden, könnte der Leser nicht auf Anhieb unterscheiden, ob Hans gerade einen seiner Mitarbeiter herunterputzt oder sich vielleicht verwundert Gedanken darüber macht, ob seine beiden Kinder nicht ganz bei Sinnen sind (vielleicht haben *sie *die Wände im Wohnzimmer bemalt…)
Das Wort “sie” könnte in diesem Kontext also sowohl eine nicht näher vertraute (Chef, Anwalt, Angestellte, Fremde), als auch *mehrere *Personen(gruppen) ansprechen - für Leser einer Geschichte keine ideale Voraussetzung.
Die Höflichkeitsanrede drückt mE etwas Spezifisches aus - nämlich das Verhältnis zu der Person, mit der die Kommunikation stattfindet. In anderen Fällen führt die gewöhnliche Verwendung von Personalpronomen (er hat, sie hat usw…) nicht zu solchen Doppeldeutigkeiten.
Nichtsdestotrotz bleiben dem Schriftsteller immer noch gewisse Freiheiten, beispielsweise auch bei dem “Infinitiv mit zu”, ihn nicht durch ein Komma abzutrennen. In der Schule habe ich noch gelernt, dass nur der “erweiterte Infinitiv mit zu” durch ein Komma abgetrennt wird, der einfache nicht. Persönlich schreibe ich in meinen Dialogen und (elektronischen) Briefen auch das Du und seine Abwandlungen Dir und Dich immer groß, grob gesagt, alles, womit ich Personen anspreche oder ansprechen lasse. Ich mag da keinen Unterschied machen und es ist für mich logischer, auch wenn der Duden da nicht mitgeht. Außerdem war das zu meiner Schulzeit noch Usus und wurde mit der Achtung vor dem Menschen begründet (, wenn ich mich recht erinnere).
Würde ich eine Geschichte mit einer solchen Frage beginnen, fiele mir nicht ein, das Wort „sie“ zu verwenden. Sprachlich viel unmittelbarer wäre doch: Hans schüttelte den Kopf. „Haben die den Verstand verloren?“
Ich verstehe, worauf Du hinaus willst und die Erklärung ist vernünftig, kann aber nur Wirkung entfalten, wenn man als Autor beim Schreiben die Möglichkeit des Missverständnisses nicht anders zu verhindern versteht. Das setzt auch eine gewisse Eindeutigkeit der Szene voraus. Wenn zwei Männer in einem Café sitzen und und nur die beiden miteinander reden, dann sehe ich keinen zwingenden Grund, dass „sie“ großzuschreiben, wenn der eine den anderen fragt, ob er die Rechnung übernimmt.
Andererseits komme ich grad beim Backgroundcheck (bei mir selbst) drauf, dass ich dieses Thema weitgehend bislang so umschifft habe, weil sich in meinen Texten fast alle duzen.
Dennoch habe ich in Erinnerung, viele Romane gelesen zu haben, in dem das Personalpronomen „sie“ in Dialogen immer klein geschrieben wurde. ich gehe mal in meine Bibliothek auf Beweissuche
Eine, wie ich finde, feine Beschäftigung für einen verregneten Sonntag im Februar in Wien.
In der Schriftsprache, in der ein Kontext aber nicht immer eindeutig erkennbar ist, hat man die Regel, eine Höflichkeitsanrede großzuschreiben, extra eingeführt, um Missverständnissen vorzubeugen.
Du könntest einen Roman mit folgendem Satz in der wörtlichen Rede beginnen:
“Haben sie die Ware schon geliefert?” (sie = die Lieferanten; wer immer das auch sein mag, vielleicht Drogenkuriere?)
“Haben Sie die Ware schon geliefert?” (Sie = der Angesprochene)
Erst im folgenden Satz oder Absatz erfährt der Leser, dass sich das Gespräch zwischen zwei Männern in einem Café oder einer Kneipe abspielt.
In anderen Sprachen gibt es u.U. andere Merkmale, die nur oder vor allem in der Schriftsprache auffallen, bei der gesprochenen Rede jedoch aus dem Kontext hervorgehen müssen.
Auf Deutsch könnte man einen Roman so beginnen:
Ich war tot. (Keiner weiß, ob der Ich-Erzähler männlich oder weiblich ist. Das kann für Spannung sorgen, kann aber auch verwirren.)
Auf Französisch würde das folgendermaßen heißen:
J’étais mort. (Der Ich-Erzähler ist männlich.)
J’étais morte. (Der Ich-Erzähler ist weiblich. In diesem Fall wird das t in “morte” mitgesprochen, im ersten Fall bleibt es stumm. Hier wäre der Unterschied also auch in der gesprochenen Sprache deutlich.)
Wenn man sagt
J’étais épuisé. (Ich war erschöpft. (männlich)) oder
J’étais épuisée. (Ich war erschöpft. (weiblich))
gibt es keinen Unterschied in der Aussprache. Hier ist also nur in der Schriftsprache zu erkennen, ob der Ich-Erzähler männlich oder weiblich ist.
Andere Sprachen - andere Vorstellungen davon, welche “Zusatzinformationen” markiert werden sollen.
Da es im mündlichen Sprachgebrauch meist leichter ist, Missverständnisse durch Nachfragen aus der Welt zu schaffen, finde ich es sinnvoll, bestimmte Dinge in der Schriftsprache durch besondere Schreibung hervorzuheben, um Missverständnisse zu vermeiden, z.B. bei der Höflichkeitsanrede mit “Sie”.
In einem französischen Roman ist es also nicht möglich, das Geschlecht eines Ich-Erzählers (lange) zu verbergen. Spätestens beim ersten Adjektiv, das sich auf den Erzähler bezieht, ist die Sache klar. Im Deutschen könnte man einen ganzen Roman in der Ich-Form schreiben, ohne dass der Leser genau weiß, welches Geschlecht der Ich-Erzähler hat. Das wäre besonders interessant, wenn man einen deutschen Roman, bei dem das Geschlecht des Erzählers absichtlich nicht enthüllt werden soll, ins Französische übersetzen wollte. Für eine Version müsste man sich da entscheiden …
Dieser Satz taugt aber nicht als grammatikalische Regel. Eine solche Regel darf nicht vom Kontext einer Situation abhängig sein. Dann müsste der Duden hundertmal so dick sein, um alle Eventualitäten einzubeziehen, und niemand würde sich mehr auskennen. Die Frage, ob es sich bei “sie/Sie” um eine Höflichkeitsanrede handelt, oder nicht, kann man als Autor beantworten und die Schreibung danach ausrichten. Die Frage, ob etwas eindeutig ist oder nicht, liegt meistens im Ermessen mehrerer Menschen und ist selten eindeutig. Aber wir schreiben ja für Leser, um ihnen unsere Ideen und in unserer Fantasie entstandenen Welten und Situationen so verständlich wie möglich zu präsentieren. Der Leser soll nicht beim Lesen nachdenken müssen, wie dies oder jenes wohl gemeint sein dürfte. Dann verabschiedet er sich ganz schnell. Er soll in die Geschichte eintauchen und sich Fragen über die Handlung und die Figuren stellen und wie es wohl weitergehen mag, aber nicht durch Missverständnisse aus dem Lesefluss gerissen werden.
ich bin mir nicht sicher, ob ich diesen Hinweisen folgen würde…
Am Anfang muss es wohl eher heißen: „Adjektive und Verben“. Wenn es schon solche Fehler gibt, sinkt mein Vertrauen in die Informationen rapide auf null.
Verzeiht, aber ich habe zunehmend das Gefühl, wir streiten da über des Kaisers Bart.
Ich kenne Autoren, die auf Großschreibung pfeifen, sogar auf Satzzeichen, wenn ich da z.B. an H.C. Artmanns Grammatik der Rosen denke, ebenso auf Apostroph in direkter Rede, wie Cormack McCarthy in manchen seiner Werke. Von Chuck Palahniuks Sprachexperiment Bonsai mal ganz zu schweigen.
Wenn ein Autor meint, er brauche keine Großschreibung der persönlichen Anrede in seinen Texten, dann soll er sie doch ignorieren. Regeln, und ja, es gibt dafür eine Regel, sind da, um dann und wann gebrochen zu werden. Soviel Freiheit sollte es in der Kunst schon geben.
Ähm, nein, diese Meinung teile ich nicht. Kunst sollte im Wortsinn liegen, nicht in der Schrift. Und eine Kleinschreibung in diesem Fall fände ich als Leserin sehr verwirrend, wenn nicht sogar störend. Ich würde mich fragen, ob der Autor überhaupt schon mal was von Rechtschreibung gehört hat.
Ich denke, eine klare und regelkonforme Rechtschreibung ist für einen Menschen, der Wort und Schrift liebt, ein Muss. So wie eine saubere und klare Visitenkarte.
Aber das ist nur meine Meinung. Ich bin sehr streng mit mir, was Rechtschreibung angeht.
Das sehe ich genauso. Und so langsam wundere ich mich auch nicht mehr (wenn es doch sehr nervt), dass meine Schüler sogar in der Oberstufe kaum Rechtschreibung können und so viele Fehler machen, wie ich sie nicht mal in der Grundschule gemacht habe. Wenn in der Gesellschaft die Ansicht verbreitet ist, Rechtschreibung sei überflüssig, brauchen wir sie ja gar nicht mehr zu lehren. Dann schreibt jeder, wie er will.
Ich achte sogar bei meinen WhatsApp-Nachrichten auf Rechtschreibung.
Um Regeln zu brechen, muss man sie kennen. Das setze ich beim Threadstarter voraus.
Peter Nathschläger ist ja kein Niemand in der literarischen Szene. Vielmehr ein anerkannter Autor, der eine Menge Romane veröffentlicht hat, in diversen literarischen Feuilletons erwähnt wurde und wird.
Ich denke, er weiß genau, was man unter “linientreuer Rechtschreibung” versteht. Deshalb überrascht mich auch seine Frage.
Ich hatte kürzlich den Text eines Autors am Schreibtisch, der sich beharrlich weigert, die letzte Rechtschreibreform anzuerkennen.
Er schreibt konsequent in der alten, aber erschafft ausgezeichnete Texte. Ich kenne ihn schon länger und korrigiere ihn diesbezüglich nicht mehr. Er veröffentlicht ausschließlich bei KDP, seine Leser stört das nicht. So what?
Wenn man erstmals im Leben ein Buch in die Hand nimmt, das entgegen aller Rechtschreibregeln verfasst ist, erzeugt das zunächst Irritation. Ähnlich, wenn man abstrakte Malerei betrachtet und vorher nichts anderes kannte, als das bloße Abkonterfeien der Realität. (Zitat: Arik Brauer) Aber wenn man sich in bspw. Palahniuks Kauderwelsch in Bonsai eingelesen hat, dann erkennt man, dass es sich durchaus um ein anspruchsvolles literarisches Werk handelt. Wenn auch in expertimenteller Form. Vielleicht auch gerade deshalb.
Ähnlich verhält es sich bei Texten ohne Großschreibung und oder Zeichensetzung. Als ich das zum ersten Mal erlebte, in den späten 70ern bei H.C. Artmann, reagierte ich ablehnend. Nach den ersten Seiten fiel es mir gar nicht mehr auf. Das kann man machen, das muss man nicht machen, darf man aber machen.
Leider bin ich mittlerweile zu weit vom Threadthema abgekommen. Sorry für offtopic, daher zuletzt:
Ja, Du, ihr beide habt Recht. Laut allgemein gültiger Rechtschreibregel muss man eine persönliche Anrede groß schreiben. Basta.
Aber …
Und bei manchen gebrochenen Rechtschreibregeln riskiert man zumindest, sich dem Verdacht auszusetzen, dass man sie aus Unkenntnis oder Flüchtigkeit gebrochen hat.
Natürlich kann ich, um ein anderes Beispiel zu nehmen, bewusst beschließen, alles, was [das] ausgesprochen wird, auch einheitlich zu schreiben mit einem . Also in der Schrift keinen Unterschied zu machen zwischen das (als Artikel, Relativpronomen, Demonstrativpronomen) und dass bzw. alt daß (als Subjunktion). (Ähnlich wie es sich beim englischen that verhält.) Ja klar, kann man sich dran gewöhnen, das man das so macht, wenn man will. Wird ja sowieso oft verwechselt. Aber …