Seitenwind Woche 7: Göttlicher Auftritt

Lilith

Ach Gott, da bekomme ich von dir deine weibliche Seite verpasst und werde Adam zur Frau gegeben. Es ist ja ganz nett, mit ihm zusammen zu sein. Die Paarung, besser noch die Lust und die Ekstase machen mir Spaß. Adam aber will mich mit allen Mitteln unterdrücken, er will der Herr im Haus sein, ich soll ihm dienen.

Wieso das, ich bin doch die Frau im Haus?

Gott hat uns beide aus dem selben Staub geformt. Adam fühlt sich überlegen, er wird aggressiv. Ich muss weg von ihm. Ich gehe. Treffe auf meinem Weg viele Gleichgesinnte. Auch mit ihnen macht mir die Paarung Spaß. Diese Wesen lassen mich so sein wie ich bin. Gott schickt mir drei Engel, die drängen darauf, mich wieder mit Adam auszusöhnen und zu ihm zurück zukehren. Ich soll mich bei ihm entschuldigen. Wofür?

Adam kommt mit mir nicht klar, ich bin ihm zu wild, zu selbstbewusst. Ich lebe jetzt so, wie ich es für mich richtig finde.

Warum soll ich darauf verzichten?

Ich gehe nicht zu ihm zurück. Dafür werde ich verflucht, gebäre tausende Kinder, die dem Tod geweiht sind. Sie sterben, kaum das ich sie geboren habe. Ich bin in steter Trauer.

Das hört niemals auf. Niemals?

Die Menschen geben mir die Schuld am plötzlichen Kindstod, Ich verführe die Männer zum Ehebruch. Sie nennen mich männerverführende Teufelin. Der Aberglaube macht ihnen Angst vor mir.

Ja wisst ihr Menschen denn nicht, dass auch ihr meine Kinder seid?

Wir schreiben das Jahr 2023. So viele Kinder sterben in der Welt durch Krieg und Terror. In der Ukraine, Russland, Afghanistan, Israel, Gaza, Lybien, Syrien …

Ich ertrage es nicht mehr nur zu zuschauen und leiden zu müssen.

Ja, wer hat mich denn verflucht? Die männliche Seite.

Gleich treffe ich mich mit meinen göttlichen Freundinnen.

Letztes Jahr haben wir versucht das Weltgeschehen zu verlangsamen. Asklepios hat eine Pandemie ausbrechen lassen. Es gab kaum noch Kriminalität auf den Strassen, dafür häufte sich Betrug und Verrat. Die Seele unserer Kinder litt zu sehr.

Die Angst vor Ansteckung mit dem Virus, Isolation, kaum noch soziale Kontakte pflegen zu dürfen, ließ die Seele der Menschen verkümmern.

2023 kommt ganz groß die künstliche Intelligenz ins Spiel. Bald herrscht sie über die menschlichen Wesen.

Hera, Athene, Diana, Asklepios, Aphrodite sind auf dem Weg zu mir.

Ich bin voller Zuversicht.

Wenn wir die Welt, nach unserem Bilde schaffen, werden wir sehen, dass es gut ist.

Und dann dachte ich ernsthaft darüber nach, als nächstes die Sonne auszuknipsen…

Christl

Deutschland, Oktober 2000
Sehr geehrte Heiligkeit,
hiermit erbitte ich dringende Unterstützung eines Gottes in der Wunscherfüllung, vor allem für die vielfach gewünschten Formel1-Rennwagen und Harry-Potter-Fähigkeiten.
Hochachtungsvoll
Christl

Deutschland, Oktober 2001
Hoch verehrte Heiligkeit,
Bedauerlicherweise wurde meine Bitte aus dem letzten Jahr nicht entsprochen. Auch in diesem Jahr werden wieder viele - für mich unerfüllbare – Wünsche gestellt: aufgrund der extremistischen Aktivitäten vor allem in Afghanistan und in NewYork sind dies u.a. Weltfrieden, Luftschutzbunker, Sicherheit vor Terroristen und die Fähigkeit zu fliegen wie Superman.
Daher erbitte ich erneut um Unterstützung in der Wunscherfüllung durch einen Gott.
Hochachtungsvoll
Christl

Deutschland, Oktober 2002
Erlauchte Heiligkeit,
Mit großem Bedauern habe ich im letzten Jahr erneut weder eine Antwort noch Unterstützung erhalten. Die Nichterfüllungsquote der Weihnachtswünsche lag daher in meinem Distrikt bei 45%. Eine solch niedrige Qualität kann nicht im Interesse des Himmels liegen, und ich möchte Sie darauf hinweisen, dass meine Arbeitszufriedenheit ebenfalls darunter leidet.
Zur Sicherung der mir im 16. Jahrhundert von Eurem Gesandten Martin Luther übertragenen Aufgaben bitte ich hiermit, offiziell den Status Gott verliehen zu bekommen. Nach dem Elbe-Hochwasser und den steigenden Flüchtlingszahlen ist es wirklich dringend, auch Weihnachtswunder wirken zu können.
Hochachtungsvoll
Christl

Deutschland, Oktober 2003
Verehrte erlauchte Heiligkeit,
Bedauerlicherweise habe ich auf meinen letztjährigen Antrag keine Antwort erhalten. Zur Sicherung der mir übertragenen Aufgaben beantrage ich hiermit erneut den Status Gott. Mit dem Auftreten neuer Virusvarianten wird es künftig noch notwendiger werden, Wunder zu wirken.
Ferner bitte ich um die Einrichtung einer E-Mail-Adresse, da die Post immer längere Zustellzeiten hat. Heuer haben mich noch bis Ende Januar Wunschzettel erreicht.
Hochachtungsvoll
Christl

Deutschland, Oktober 2004
Geehrte erlauchte Heiligkeit,
Danke für die Zusendung der Antragsformulare für den Status Gott. Leider fehlten Ihre Bearbeitungshinweise. Ich bitte höflichst um Nachsendung derselben.
Mit der EU-Osterweiterung und den durch die anhaltende Flüchtlingswelle aus Asien und Afrika ist es weiterhin dringend notwendig, Wunder wirken zu können.
Danke für die Einrichtung einer E-Mail-Adresse. Es wäre hilfreich, wenn Sie zudem eine Firewall für die Domain himmel.org einrichten, da die mich erreichenden Angebote zu Potenzmitteln und Sex-Dienstleistungen etwas nerven. Ich bitte um zeitnahe Bearbeitung.
Hochachtungsvoll
Christl

Deutschland, Juni 2005
Verehrte Heiligkeit,
anbei sende ich meinen ausgefüllten Antrag für die Verleihung des Status Gott in dreifacher Ausfertigung zurück. Ich habe ergänzend die Spracherkennung angekreuzt, da mich inzwischen immer häufiger Wunschzettel in mir unbekannten Sprachen erreichen. Ich bitte um zeitnahe Bearbeitung, bevor die Saison beginnt.
Hochachtungsvoll
Christl

Deutschland, November 2005
Sehr geehrte Heiligkeit,
bedauerlicherweise habe ich noch keine Antwort auf meinen Antrag für die Verleihung des Status Gott erhalten. Hiermit möchte ich um eine dringliche Bearbeitung meines Antrags bitten, da die Saison bereits begonnen hat und, nach dem Tsunami Ende letzten Jahres und der zahlreichen diesjährigen Hurrikane, wiederum die meisten Wünsche nur durch Wunder erfüllbar sind.
Für die freundliche Zusendung des Wörterbuches Deutsch-Arabisch / Arabisch-Deutsch möchte ich mich bedanken, jedoch ist der erste Teil dieses Nachschlagewerk für meine Arbeit unnötig und zweite Teil für die Entzifferung der Wunschzettel nicht verwertbar, da es mir mangels Sprachkenntnissen nicht möglich ist, die Schriftzeichen zu entziffern.
Verzweifelte Grüße
Christl

Deutschland, Juli 2006
Geehrte Heiligkeit,
nach Ablehnung meines Antrags auf den Status Gott möchte ich hiermit Widerspruch einlegen und bitte um erneute Prüfung. Wie Sie auch im Protokoll der diesjährigen Christkind-Dienstversammlung nachlesen können besteht für unsere Tätigkeit weltweit die dringende Notwendigkeit, Wunder wirken und omnipotent Sprachen erkennen zu können. Insgesamt liegt die Nichterfüllungsquote nun bei rund 70%, was sich deutlich negativ auf unsere Arbeitsmotivation auswirkt.
Eine mögliche Alternative sehen wir darin, jedem Christkind einen Gott als Assistenten im 4. Quartal des Jahres zur Verfügung zu stellen.
Ich bitte dringend um Erhörung unserer Anliegen.
Sommerliche Grüße
Christl

Deutschland, November 2006
Eure Heiligkeit,
Ihr Schweigen führt aktuell leider zu Chaos in der Bearbeitung der eingegangenen Wunschzettel. Die diesjährigen Terroranschläge ängstigen weltweit die Menschen, nicht nur in Deutschland. Ich weise hiermit offiziell darauf hin, dass bereits im letzten Jahr die Quote der Wunscherfüllung nur 20% erreicht hat.
Ich bitte dringend um Erhörung unserer Anliegen.
Grüße aus dem Distrikt Deutschland
Christl

Deutschland, Dezember 2007
Sehr verehrte Heiligkeit,
auf den bei mir eingehenden Wunschzettel stehen Wünsche für ein besseres Klima auf Platz 1, gefolgt von Weltfrieden und eine Verringerung der sozialen Unterschiede in der Gesellschaft. Hiermit möchte ich diese Wünsche aus bekannten Gründen zur Erfüllung an den Himmel weiterleiten und bitte um Bearbeitung.
Mit freundlichem Gruß
Christl

Deutschland, Dezember 2009
Sehr geehrte Heiligkeit,
nach der Finanzkrise im letzten Jahr und der Schweinegrippe-Pandemie in diesem wünschen sich die meisten Menschen in Deutschland finanzielle Sicherheit und eine anhaltende Gesundheit. Hiermit delegiere ich diese Wünsche zur Erfüllung an den Himmel und bitte um Bearbeitung.
Mit freundlichem Gruß
Christl

Deutschland, Oktober 2012
Geehrte Heiligkeit,
meine Arbeit ist nicht mehr zu leisten. Mein E-Mail-Postfach quillt über vor Junk- und Spam-Mails, die Wünsche auf den letztjährigen Wunschzetteln waren bereits zu 90% mit meinen begrenzten Fähigkeiten nicht erfüllbar. Hiermit trete ich in Streik und bitte um Umleitung meiner Eingangspost an eine Vertretung.
Mit den besten Wünschen
Christl

Deutschland, Sommer 2016
Sehr geehrter Himmel,
Mit den weltweit zunehmenden Terroraktivitäten und Naturkatastrophen, der steigenden Unfähigkeit der gewählten Politiker und dem Neubau zahlreicher Moscheen in christlichen Ländern sowie der Nichtbeachtung meiner Wünsche und fehlender Unterstützung innerhalb der Organisation kündige ich hiermit. Ich habe bereits zum 01. Oktober eine neue Stelle in einer hiesigen Postfiliale gefunden.
Erleichterte Grüße aus Deutschland
Christl

Böses Erwachen

Ich kam langsam zu Sinnen, konnte mich jedoch noch nicht dazu bringen, endgültig zu erwachen. Um mich herum nahm ich Stimmen, Lärm und eine Menge anderer Geräusche war. Es musste eine Menge Trubel sein. So ging es einige Stunden, in denen ich immer mehr wieder zu meinem Selbst wurde. Die Stimmen und Klänge verebbten. Als ich mich schlussendlich aus meiner Starre löste, war es dunkel und ich allein.
Zuerst verwirrte es mich. Normalerweise waren immer Menschen im Tempel. Und auch das Innere des Tempels wirkte verändert. Doch dann erinnerte ich mich. Es war unser Beschluss. Wir hatten abgestimmt und die Entscheidung war gefallen. Hephaistos hatte vorgeschlagen, den Menschen eine Zeit ohne göttliche Lenkung einzuräumen. Zuerst waren die anderen nicht begeistert gewesen. Besonders Pallas hatte sich Sorgen gemacht, die Menschheit könne ohne ihren weisen Eingriff und Hermes Vermittlung nicht gerecht miteinander umgehen, doch schlussendlich hatten sich alle von Hephaistos Argumenten und Demeters beruhigendem Zuspruch überzeugen lassen. Somit war die Abstimmung zu dem Ergebnis gekommen, den Menschen eine Möglichkeit zuzugestehen, ihre Klugheit und ihr Geschick unter Beweis zu stellen und zu zeigen, dass sie mittlerweile auch ohne unsere Lenkungen zurechtkamen. Damit niemand dennoch in die Versuchung kam, in einer brenzligen Situation einzugreifen, waren wir alle zu Statuen erstarrt.
Nun war ihre Zeit also abgelaufen. Ich muss zugeben, dass ich durchaus eine gewisse Neugierde verspürte bezüglich dessen, was die Menschheit ganz ohne göttliche Hilfe geleistet hatte.
Ich stieg von meinem Podest, verließ die imposante Eingangshalle und wurde von einer ungeheuren Kälte eingehüllt. Meine Gewänder waren definitiv nicht für diese Wetterlage ausgelegt. Ich sah mich um, konnte jedoch keine Möglichkeit finden, mir etwas weiteres umzulegen. So beschloss ich, ein Gewässer zu suchen. Dieses würde ich erhitzen und mich so warmhalten können, bis ich am nächsten Tag etwas anderes zum anziehen fand.
Während ich die Wärme des Wassers genoss, fragte ich mich, ob die anderen auch bereits erwacht waren. Bei dem leuchtenden Mond am Himmel jedoch, blieb mir kein Zweifel, hier musste Artemis ihre Finger im Spiel gehabt haben.
Als der Morgen anbrach, kamen die ersten Menschen zu dem See, aus dem ich mittlerweile wieder herausgestiegen war und begannen darüber zu schlittern. Sie alle trugen verschiedene Gewänder und an ihren Füßen glänzte Metall. Sie wirkten ausgelassen und fröhlich und es herrschte eine ungewohnte Harmonie. Ich begann zu glauben, dass Hephaistos recht gehabt haben könnte. Vielleicht waren die Menschen zum damaligen Zeitpunkt tatsächlich soweit gewesen, ohne unsere Unterstützung zurechtzukommen.
Gerade als ich mich zum Gehen wand, hörte ich auf einmal aufgeregte Schreie. Ich drehte mich in die Richtung, aus der sie kamen und sah ein heilloses Durcheinander. Die Menschen rannten in alle Richtungen und doch schien sie alle eins zu verbinden: die Hektik. Es dauerte einen Moment ehe ich die Quelle der Aufregung ausgemacht hatte, doch in diesem Augenblick begriff ich. Ein ganzes Stück vom Ufer entfernt, war ein Loch im Eis und ein kleiner Junge zappelte wild darin. Die Menschen versuchten sich einerseits ans Ufer zu retten, andererseits dem Jungen zu helfen. Kurzerhand lief ich auf das Eis zu, stabilisierte es und näherte mich dem Kind. Als ich es erreichte, war es allerdings bereits unter der intakten Eisschicht verschwunden. Ich sprang ins Wasser, tauchte unter und zog den Jungen mit mir an die Oberfläche. Von dort aus kroch ich mit ihm im Arm in Richtung Ufer, wo wir sofort von zahlreichen anderen Eisläufern in Empfang genommen wurden.
Der größte Teil der Gruppe konzentrierte sich auf den Jungen und schaute, ob sie ihm helfen konnten. Einige Leute legten ihm ihre Jacken über. Ein kleinerer, aber dennoch beachtlicher Teil, legte auch mir Kleidungsstücke um die Schultern und lobte meinen waghalsigen Einsatz.
Kurz darauf eilten Feuerwehrleute und Sanitäter zu uns. Der See wurde gesperrt und der Junge und ich in 2 Rettungswagen gebracht. Dort versuchte man mich aufzuwärmen, nahm mir die nasse Kleidung ab und gab mir Trockene. Diese nahm ich bereitwillig an, lehnte eine Fahrt ins Krankenhaus jedoch ab.
Nachdem ich die Rettungskräfte überzeugt hatte, dass es mir gut ging und ich aus dem Wagen stieg, begegnete ich der Mutter des Kindes, die gerade mit den Männern sprach, die ihren Sohn behandelten. Die Sorge stand ihr ins Gesicht geschrieben. Als sie mich erblickte, lief sie auf mich zu und schloss mich stürmisch, begleitet von tausenden Worten des Dankes, in ihre Arme. Ich versicherte ihr, dass es mir gut ginge und ich mich freute, dass es mit ihrem Sohn ebenfalls so stand. Sie dankte mir nochmals und verschwand wieder in seine Richtung.
Ich nutzte den Moment, in dem sich alle auf den Jungen konzentrierten, um zu verschwinden und fand mich kurze Zeit später in einer kleinen Gasse wieder. Es war jene Seitenstraße, aus der ich gestern Nacht gekommen war. Bei Tageslicht sah ich jedoch, dass über dem Eingang des betreffenden Hauses das Wort „Zeitgeschichtliches Museum“ prangte. Meine Statue hatte all die Jahre in einem Museum und nicht mehr in einem Tempel gestanden? Was bedeutete das? Hatten die Menschen etwa auch für sich erkannt, dass sie nun auch ohne unsere Gunst auskamen und uns zur Vergangenheit erklärt?
Dank des Zwischenfalls brauchte ich mich um angemessene Kleidung nicht mehr zu sorgen und so beschloss ich der Sache auf den Grund zu gehen und betrat das Gebäude. Das Glück schien auf meiner Seite zu sein, denn gewöhnlich kostete der Eintritt zur Ausstellung Geld, welches ich freilich nicht besaß. Der heutige Tag gehörte jedoch offenbar zu einer Aktionswoche, in der man teilnehmende Museen kostenlos besuchen konnte. So gelang es mir, in Erfahrung zu bringen, was es mit dem Verbleib meiner Statue dort auf sich hatte. Doch ich erfuhr nicht nur das.
Ich erfuhr auch zahlreiche andere wichtige Ereignisse der vergangenen Jahrhunderte und musste meine Annahme vom Morgen, die Menschen kämen gut zurecht, lebten in Harmonie und hätten die Probleme ihrer Zeit gelöst, revidieren. Es hatte zahlreiche kriegerische Auseinandersetzungen und Attentate gegeben, die mitunter auch Unschuldige trafen. Zudem hungerte ein großer Teil der Erdbevölkerung während andere Lebensmittel in solchem Überfluss hatten, dass sie sie wegschmissen. Einige starben an Krankheiten, die man in anderen Teilen der Welt längst heilen konnte. Die Menschen schienen nicht teilen zu können.
Als wäre als das nicht genug, zerstörten sie mit ihren zahlreichen Erfindungen den Planeten in einer Weise, die sie schlussendlich selbst töten würde und erkannten es nicht einmal oder nur allmählich. Viel zu langsam realisierten sie ihre Taten und sie schienen auch nichts daraus zu lernen, da sie ihre Fehler immer wieder wiederholten.
Ich war maßlos enttäuscht und offenbar nicht der einzige, denn in diesem Moment sah ich die anderen 11. Auch sie hatten sich mehr erhofft und waren zu dem Schluss gekommen, dass die Menschheit wohl doch noch etwas mehr Unterstützung brauchen würde. Sie hatten nur noch auf meine Rückkehr gewartet. Gemeinsam sahen wir durchaus Fortschritte und Entwicklungen, die uns gefielen und so beschlossen wir, unser Möglichstes zutun, um den Menschen unter die Arme zu greifen und ihnen, wie in meinem Fall, Zeit zu verschaffen. Auch wenn ich unglaublich sauer war auf das, was sie den Ozeanen und seinen Bewohnern angetan hatten, so sah ich dennoch, dass gerade ein Umdenken stattfand und versuchte fortan die Fluten zurückzuhalten, um den Menschen Zeit zu lassen, zu reagieren und ihr Verhalten zu verändern, bevor sie und große Teile der Erde überflutet wurden.

Erkenntnisse

Aphrodite fand sich in einem Raum voller Regale wieder, die vollgestopft waren mit… ja, was eigentlich? Sie besah sich eines der Exemplare näher, auf deren Deckel ein Ruderschiff gemalt war und schlug es auf. Unverständliche schwarze Zeichen füllten den weißen Untergrund, die in ihrer Reihenfolge und Gestaltung variierten, sich aber in unregelmäßigen Abständen wiederholten und wenn sie dies taten, in keinster Weise von ihren Vorgängern abwichen. War das eine Schrift? Aber wie schaffte es der Schreiber, die Buchstaben so einheitlich zu zeichnen? Nicht die kleinste Abweichung schien ihm unterlaufen und das offenbar auf hunderten dieser dünnen weißen Blätter. Was für ein Meisterwerk! Der Schreiber verdiente sicher ein Vermögen.
Was war das nur für ein seltsames Material? Es war schlicht und doch reinlich. Ein trefflicher Ersatz für einen Papyrus.
Sie nahm eines der anderen Objekte zur Hand, das mit einer Blume verziert war und stellte fest, dass die Symbole zwar in einer anderen Reihenfolge angeordnet waren und auch die Gestaltung und Größe der Buchstaben sich vom ersten Text unterschied, dessen Schreiber aber die gleiche Effizienz bewies. Schnell überprüfte sie zwei weitere Exemplare. Was war das nur für ein Ort? Nicht einmal im Olymp hatte es so einen fähigen Schreiber gegeben.
Ihr fiel eine junge Frau auf, die nur wenige Schritte entfernt stand und den Inhalt eines der Regale mit den Augen abtastete. Sie suchte offenbar gezielt nach etwas.
Aphrodite ließ den Blick durch den Raum schweifen. Leute traten ein und aus und jedes mal schepperte dabei ein leises Glöckchen. Sie beobachtete das wilde treiben einen Moment. Die Leute zogen scheinbar wahllos Schriftstücke aus den Regalen, blätterten darin herum, lasen eine Stelle und stellten es entweder zurück ins Regal oder schleppten es zu einem Tresen nahe des Ausgangs. Es musste ein Laden sein, denn hinter dem breiten, länglichen Tisch standen ernst aussehende Damen und nahmen Blätter und Münzen entgegen, dafür dass sie eine der Schriften in eine Art Tragetasche packten und dem Kunden zurück über den Tresen schoben. Warum sie aber mit Blättern bezahlten war ihr ein Rätsel. Und ihre Form… Fielen die so von den Bäumen?
Aphrodite fasste den Entschluss, den Geheimnissen dieses Ortes auf den Grund zu gehen. Forsch trat sie auf die weibliche Person vor sich zu.
„Darf ich fragen, ob du hier arbeitest… oder… bist du eine Kundin?“, endete sie etwas lahm.
„Ich? Nein. Ich bin keine Buchhändlerin. Aber ich habe mit Büchern zu tun.“ Die junge Frau lächelte freundlich und wirkte auch etwas stolz, als sie fortfuhr: „Ich bin Lektorin von Beruf.“
„Eine Lektorin?“, fragte Aphrodite verwirrt. Sie musterte die Frau. Sie war hübsch und wenn sie mit Texten zu tun hatte offenbar belesen und intelligent. Plötzlich hellte sich Aphrodites Gesicht auf. „Lektorin? So nennt ihr eure Hetären?“
„Nein!“ Die junge Frau wirbelte erschrocken mit den Händen. „Wie kommen Sie denn darauf?“
„Oh, Schade. Du bist also keine Hetäre?“
„Nein…“
„Möchtest du eine werden? Ich könnte dir zeigen, wie man Männer um den Finger wickelt“, bot Aphrodite großzügig an.
Die Dame lief sichtlich rot an, wandte sich um und ergriff die Flucht, wobei sie einen Bücherstapel umstieß, der laut poltern zu Boden stürzte.
Welch ein Jammer. Aphrodite fasste sich ein Herz und bückte sich, um der jungen Frau aufzuhelfen. Sie würde ihr Manieren beibringen. Und das Liebesspiel.
„Deine schüchterne Art wird den Männern gefallen.“

Status: Unchanged

Das Buch Genesis, Kapitel 6, Vers 5-7:

„Der Herr sah, dass auf der Erde die Schlechtigkeit des Menschen zunahm und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war. Da reute es den Herrn, auf der Erde den Menschen gemacht zu haben, und es tat seinem Herzen weh. Der Herr sagte: Ich will den Menschen, den ich erschaffen habe, vom Erdboden vertilgen, mit ihm auch das Vieh, die Kriechtiere und die Vögel des Himmels, denn es reut mich, sie gemacht zu haben.“

Und ebender: „Und wenn ich mich heute hier so umschaue, denke ich, dass es wieder höchste Zeit ist!“

Die Rückkehr von Prometheus
frei nach Goethe

Wahrlich Zeus, was hast angerichtet du?
Was muss ich sehen, hier auf Erden!
Menschen, denen ich das Leben gab.
Für die ich Feuer vom Himmel holt.
Mich mit den Titanen verband, um
Dir die Erde streitig zu machen.
Ihre Abhängigkeit von dir zu lösen.
Die Verachtung zu deinesgleichen fördert.
Denen ich lehrte in aller Dringlichkeit
Häuser zu bauen und Heilkräuter zu mischen.
Sie des Schreibens sowie Rechnens kund zu tun
und in der Kunst ihrer Schöpferkraft zu entfalten.

Was muss ich sehen rings umher.
Nicht nur Häuser auf friedlich Erden,
Ganze Schluchten aus Beton.
Durchzogen von geteerten Bändern,
Auf denen Blechlawinen sich bewegen.
Geschöpfe durch die Gegend hastend
Einander fast zu Boden reisend.
Dicke Taschen mit sich schleppend
Durch die Vorratslager ziehn.

Was muss ich hören rings umher.
Ein Lärm, der meinen Ohren schmerzt.
Geschrei und Rufe,
Hupen und schrille Eisenklänge
von Bahnen, die durch enge Kurven fahren.
Wilde Musik aus den Fenstern
von fahrenden Blechen und Beton.

Ist das die Freiheit, die euch ich brachte?
Mit Schande muss ich das betrachten.
Wie hast Zeus das nur gemacht?
Mein Werk durch dich zugrund gerichtet.
Hast mich doch noch hintergangen.
Hier unten Sachen aufgetischt.
Die niemals dem Erhalt der Sache dienen.
Die Missgunst in ihrer Proportion,
Nur Angst und Verzweiflung vor sich treibt,

Und doch sag den Kampf dir an.
Der Verwahrlosung Einhalt gebietend.
Mehr als Feuer bedarf es hier.
Der schändlich Geist ist auszulöschen,
eh, das Verderben um sich greift.
Dem Egoismus Schranken weisen
Mit fester Hand ihn ausgekehrt.
Die Menschen aus deiner Macht entreißen
Die zäh du hier dir einverleibst.

Aufhören sich selbst zu bekämpfen mit
tödlich Mitteln, die der Mensch erfand.
Die schlimmer sind als all das Feuer
Das Göttern je zur Verfügung stand.
In ihrer langen Zeit.

Sie lehren die Natur zu schützen
Mit dem Geist der Wissenschaft.
Sie stärken in ihrer Selbsterkenntnis,
Zum Verfall der eigen Lebenskraft.
Ihr schwindend Kreuz zu stärken,
Das muss letztendlich jetzt beginnen.
Ich bin dabei!

Babylon ist überall

„Wo bin ich hier? Ich erinnere mich Utu, mein missratener Bruder hat mich in eine Karaffe aus Ton verbannt. Was ist seither geschehen. Wie lange war ich in der Karaffe? Warum ist es so dunkel hier? Licht.“ Der Raum wurde von meinem Licht hell erleuchtet. „Es ist kein Tempel, all das Zeug hier, verstaubte Kisten. Keine Orgie zu meinen Ehren. Wo sind meine Untertanen, sie sollten mich doch anbeten?“ Ich sah mich in dem Raum um, es war ein Lagerraum, mit Kisten und Artefakten, die vor sich hin verstaubten. „Eine Tür, was für seltsames Material. Lässt sie sich öffnen?“ Ich untersuche die Tür, der Hebel aus einem mir unbekannten Material lässt sich problemlos herunterdrücken. Sie öffnet sich nicht. „Da muss ich wohl zu stärkeren Mitteln greifen.“ Mit einem lauten Knall springt die Tür aus dem Rahmen. „Da braucht es schon etwas mehr als so eine kümmerliche Tür, um mich Inanna, Göttin des Krieges, der Liebe und des Geschlechtslebens aufzuhalten. Was immer draußen in der Welt ist, ich werde sie mir untertan machen.“

„Scheinbar bin ich unter der Erde, was für eine Baukunst.“ Ich wandle durch endlos lange Gänge, die Türen stellen für mich kein Problem dar. „Endlich eine Treppe.“ Sie führt mich nach oben, Licht dringt durch das transparente Material in das Gebäude. „Was ist das für eine seltsame Sprache, die Schriftzeichen sind mir völlig unbekannt.“ Wieder so ein seltsames Material, aber es ist schön, ich kann meinen perfekten Körper bewundern. Die Haare sind zerzaust, ich bringe sie mit einem Gedanken in Ordnung. Als ich ins Freie komme, bläst mir ein eiskalter Wind entgegen, meine Brustwarzen werden ganz hart. „Das ist nicht Babylon oder Uruk, ich muss viel weiter im Norden aufgewacht sein. Die Sonne steht weit oben, es muss wohl um die Mittagszeit sein. Auf dem Weg, der nicht gepflastert ist, aber eine glatte Oberfläche hat, stehen seltsame Kisten, mit Rädern aus mir unbekannten Materialien. Bin ich noch auf der Erde?“ Ich gehe weiter, weiter durch den kalten Wind.

Menschen kommen auf mich zu. Sie tragen seltsame Gewänder, nicht die lockeren und bequemen Gewänder aus Babylon, sondern sie schnüren sich und ihre Genitalien ein. Sie geben Laute von sich in einer von mir unbekannten Sprache. „Haben die noch nie eine nackte Göttin gesehen?“ Mit meinen Gedanken gebe ich ihnen den Befehl, „Schweigt, kniet Euch nieder und huldigt Eurer Göttin!“ Die Menschen verstummen und fallen auf die Knie. „Es funktioniert doch“ Ich gehe durch die Reihen von den knienden Menschen. Vor einem gutaussehenden Mann bleibe ich stehen. Er hat blaue Augen. „So blau wie das Meer.“ Er ist zwar nicht ganz so muskulös wie, Dumuzi mein Geliebter aus vergangen Tagen, aber ich erwarte, dass er mich befriedigt. Mit meinen Gedanken befehle ich ihm: „küss mich!“ Er steht auf und küsst mich zaghaft auf den Mund. „Das muss besser werden, nimm Deine Zunge zu Hilfe!“ Seine Zunge kommt der meinen entgegen. „Geht doch.“ Der Mann ist mir jetzt ganz zu Willen, ich spüre seine Erektion. „Der ist mir zu klein.“ Ich stoße ihn auf die Seite und gehe weiter.

Es ist mir langsam zu kalt in dieser komischen Stadt. „In den Räumen ist es wärmer.“ Durch eine transparente Tür sehe ich viele Menschen. Sie sind gerade beim Essen. Ein kurzer Druck und die Tür schwingt auf. Ich stehe da und alle gaffen mich an. Wieder kommt mir die Frage: „Haben die noch nie eine nackte Göttin gesehen?“ Mir ist jetzt nach einer schönen Orgie und deshalb befehle ich ihnen mit meinen Gedanken: „Zieht Euch alle aus!“ Die etwa einhundert Menschen folgen meinem Befehl. Die meisten von ihnen sind jung, manche schlank, manche wohlbeleibt und es gibt auch ein paar alte. Sie sind so alt, dass ich vermute, das sie schon über dreißig bis fünfzig Jahre auf der Erde wandeln. „Muss man denen alles befehlen?“ Mit meinen Gedanken befehle ich ihnen: „Fangt an, holt Wein und Met, fangt an Euch zu küssen, Euch zu lieben, nur zu, keine Hemmungen!“ Ich sehe wie sich die ersten Pärchen für den Geschlechtsakt finden, es gibt mir neue Energie.

Flaschen mit Wein und Met werden herumgereicht und immer mehr Pärchen finden zusammen. „Es wird doch, mit dem Wein und dem Met verschwinden auch ihre Hemmungen.“

Die Orgie ist schon voll im Gange, da wird die Tür aufgestoßen. Männer und Frauen, in blauen Gewändern stürzen herein. Sie haben alle seltsame Dinge am Gürtel. Laut brüllt einer: „Polizei, sofort aufhören. Sie sind alle verhaftet, wegen Unsittlichkeit in der Öffentlichkeit.“ Mit meinen Gedanken befehle ich den blau Gewandeten: „zieht Euch aus und macht einfach mit.“ Sie gehorchen, sie reißen sich die seltsamen Gewänder vom Leib und fallen übereinander her, genau so wie ich mir es gewünscht habe. Ich sehe mich auf meiner Orgie um, es sieht schön aus, Mann mit Frau, Frau mit Frau oder Mann mit Mann. Alle geben sich der Fleischeslust hin. Ich schöpfe neue Energie aus der Orgie. Ich lasse sie noch etwas gewähren, dann befehle ich ihnen mit meinen Gedanken: „betet mich an!“

Sie lassen von ihrem wollüstigen Treiben, fallen vor mir auf die Knie. Mit meinen Gedanken gebe ich ihnen das Lied der Inana ein. Sie singen es nicht ganz so gut wie die Babylonier, aber fürs erste ist es ganz passabel. Nachdem sie die acht Strophen des Liedes gesungen haben, befehle ich Ihnen: „Tauscht die Partner und liebt Euch!“ Wieder beginnt die Orgie.

Ich suche mir zwei hübsche Pärchen aus, Männer gut gebaut, jeder von ihnen hat einen mächtigen Penis, Frauen mit makellosen Körpern und großen Brüsten. Ich befehle ihnen mit meinen Gedanken: „verwöhnt mich!“ Sie kommen zu mir, streicheln, lecken mich. Die Männer dringen in mich ein. Als die beiden Männer nicht mehr können, suche ich mir zwei weitere Pärchen aus. Aber die Männer sind schon so fertig, wie die ersten.

Ich verlasse die Orgie und wandle weiter durch die Stadt. Ich nehme mir vor, die Welt neu zu erkunden und sie zu beherrschen.

Die Welt ist nicht mehr die unsrige!

Die mächtigen Felsen erzittern unter dem Getöse der Erde. Der Druck, den mein Körper fesselt, gibt unter den lösenden Steinen nach. Ich nehme einen Kalksteinfels und schiebe ihn zur Seite. Wie lange mag der Schlaf gedauert haben? Ich strecke mein Gesicht zur Sonne. Sie vertreibt die Kälte, die mir Morpheus Arme beschied.
Menschen mit merkwürdigen Gewändern schreien bei meinem Anblick und zeigen auf meine Scham. Ein schwarzhaariges Erdenmädchen errötet und senkt ihren Kopf. Wütend wirft eine Frau mit dem Antlitz einer Greisin und dem Haar einer Göttin etwas auf mich.
Ich hebe es auf und betrachte es von alles Seiten. Es ist weiß und doch durchsichtig. Es ist wie gefrorenes Eis und dennoch ist es warm. Die Form erinnert an eine Amphore, wenn auch die Ästhetik fehlte.
„Hey Alter, das kommt nicht gut. Hier hast du eine Hose.“ Der junge Mann spricht Worte, doch die Bedeutung ist mir fremd. Ich nehme das Stück Stoff und falte es auseinander. Laut lache ich. Ihr Winzlinge, für welches Bein sollte das Kleidungsstück sein.
Donnern lässt mich zusammenfahren. Ein Vogel so groß wie ein Tempel und so lärmend wie ein Erdbeben fliegt über uns. Ich werfe mich auf den Boden. Was haben die Titanen getan. Wer sonst konnte so etwas erschaffen.
Die Unwürdigen lachen und sehen zu dem Monster am Himmel. Ich stehe auf und wende mich ab. Die Dorfbewohner werden mir Opfergaben überlassen. Der Hunger treibt mich zu ihnen. Auch eine neue Toga werde ich fordern.
Mit langen Schritten gehe ich zu den Menschlingen.
Was war geschehen. Statt der ärmlichen Kalkhäuser, ragen nun Monolithen bis zum Himmel hoch. Ungeheuer in allen Farben stehen in Straßen, die glatt wie ein ausgehärteter Lavastrom sind. Eines dieser Monster kommt auf mich zu, es schreit und quietscht. Kleine Männer steigen aus und fassen mich an. Metallringe wollen sie an meiner Hand befestigen. Laut schreie ich und werfe sie wütend um. Aus winzigen flachen Steinen Blitz es.
Sie steht da, groß und schön zwischen den Erdlingen. Hera meine Frau tritt vor, bindet mir ein weißes Tuch um meine Scham und lächelt mich an. „Zeus, die Welt ist nicht mehr die unsrige!“ Sie legt den Arm um mich und führt mich aus der Menge.

Das Erwachen

Ein sanftes Ziehen weckte mich. Ich konnte spüren wie mein letztes Geschwisterchen starb, und meine fesseln verschwanden. Meine Kraft kehrte zurück, erfüllte meinen leblosen Körper. Sachte bewegte ich meine Finger. Nach Jahrhunderten der Gefangenschaft konnte ich wieder etwas spüren, mich wieder bewegen.

Ein dunkles grollen entkam mir und freudig sprengte ich meine fesseln. Ich war frei! Endlich!

Ein mir unbekannter, ekelerregender Geruch stieg mir in die Nase. Ich stand auf einem großen Berg, nahe einer Menschensiedlung. Es hatte sich einiges verändert seit dem letzten Mal wo ich hier war. Aber das war zu erwarten, immerhin war ich dank meiner Geschwister über 1000 Jahre eingesperrt gewesen, aber jetzt war ich frei und niemand konnte mich nun mehr aufhalten. Ich musste grinsen und konzentrierte mich auf die Menschensiedlung…

Sie war riesig. Hohe gläserne Gebäude ragten in den dunklen Himmel. Trotz der Nacht erstrahlte alles in hellem Licht. Es stank selbst aus der Entfernung widerlich. Wobei, Orte an denen Menschen lebten, stanken grundsätzlich.

Allgemein hatte sich der Geruch der Erde verändert. Das war mir direkt aufgefallen, als ich mich aus meinem Gefängnis befreit hatte. Die Luft war verdreckt.

Trotz der späten stunde, konnte ich spüren, dass viele der Menschen noch wach waren. Ihre kleinen Seelen rannten ruhelos umher und taten, allerlei dinge. Die Nacht war laut und hektisch. Merkwürdig.

Was sich wohl noch so alles verändert hatte?

In der Nähe konnte ich eine merkwürdige Melodie hören, ich sah nach unten. Ein steiler Abhang erstreckte sich vor mir, am Ende von diesem erstreckte sich ein steinerner Weg. Gegenüber des Weges stand ein hölzernes Gebäude. Daher kam die Melodie.

Ich beschloss mich umzusehen, nahm etwas Anlauf und sprang den steilen Abhang herunter. Die paar Sekunden des freien Falls waren angenehm, aber leider zu kurz.

Der Boden zerbarst unter mir, als ich landete. Er war, anders als ich angenommen hatte, eine einzelne Steinerne glatte platte. Was sich die Menschen wohl dabei gedacht hatten?

Schulterzuckend ging ich zu dem Gebäude. Die merkwürdige Musik wurde immer lauter. Das Gebäude war ziemlich her heruntergekommen, es stank nach Alkohol und anderen undefinierbaren Dingen. Vor dem Gebäude standen komische Gefährte auf zwei Rädern. Merkwürdig, wirklich merkwürdig diese Menschen.

Als ich vor der Tür angekommen war, schob ich diese auf und trat ein. Dahinter erschien ein großer Raum, Rauchschwaden hingen in der Luft, verteilt standen Tische im Raum, um diese Menschen standen. Ungefähr 20 Stück, würde ich sagen, fast alle Männer. Sie trugen komische Kleider, hatten merkwürdige Frisuren oder Glatzen und hatten reichlich Tattoos auf ihrem Körper.

Als ich den Raum betrat, drehten sich die meisten Personen zu mir um, starrten mich komisch an und begannen leise miteinander zu sprechen. Langsam durchschritt ich den Raum und sah mich dabei weiter um.

Einige der Männer begannen mir hinterherzupfeifen.

Ob das hier ein Gasthaus war?

Als ich ungefähr in der Mitte des Raums war, stellte sich mir ein großer, breiter, glatzköpfiger Mann in den Weg. Er hatte eine ärmellose schwarze, lederne Jacke an, eine enganliegende Schwarze Hose und hohe Stiefel. Sein Kopf war zwar nicht behaart, dafür aber sein Gesicht, in Form eines langen Bartes. Irgendwie unpassend. Gerade als ich an ihm vorbeigehen wollte, packte er mich am Oberarm und zog mich an sich.

,Na na, Püppchen. Was willst du denn hier?" Er grinste dreckig, kam mir unangenehm nahe, sodass ich seinen nach Alkohol stinkenden Anthem riechen konnte, und flüsterte: ,Vor allem in so einem Aufzug." Dabei musterte er gierig meinen entblößten Körper. Aus dem Hintergrund hörte ich zustimmendes Gemurmel, und konnte die Blicke der anderen Menschen spüren. Meine Augenbrauen schossen in die Höhe. Ich hatte ganz vergessen, wie die Menschen auf nackte Körper, und vor allem meinen Körper reagierten. So ein Dreck, in meiner Freude über meine neugewonnene Freiheit, war mir das doch glatt entfallen, aber egal, ändern konnte ich es jetzt auch nicht mehr. Allerdings würde ich diesen widerlichen Menschen für sein unangebrachtes Verhalten büßen lassen.

Ich packte seine Hand, riss sie von seinem Arm und drückte zu. Ein ekelhaftes Knacken war zu hören, als seine Knochen nachgaben. Der Glatzkopf schrie auf und ging in die Knie. Er versuchte verzweifelt seine Hand aus meinem griff zu ziehen.

Ich musste grinsen, eigentlich war ich ja nur hergekommen, um mich umzuschauen und zu sehen, was die Menschheit so in meiner Abwesenheit getrieben hatten. Aber wenn man mir schon so eine Vorlage gab, konnte ich schon jetzt ein bisschen Spaß haben.

Ich ließ die Hand des nun flennenden Mannes los und zog ihn stattdessen an den Haaren.

,Was ich hier mache? Nun, mein kleines Menschlein, ich habe Spaß!" Damit packte ich ihn am Hals und riss ihm die Kehle raus.

Kurzzeitig war nichts außer das Gurgeln des sterbenden Mannes und die Musik im Hintergrund zu hören. Die Menschen waren erstarrt und standen, unter schock. Nach ein paar Sekunden durchbrach ein lautes Geräusch die Szene. Etwas traf mich an der Brust. Ein heftiger Schmerz schoss durch meinen Oberkörper und ich wurde nach hinten geschleudert. Ich krachte auf einen Tisch hinter mir und blieb erstmal liegen. Ich schmeckte Blut.

Verdammt nochmal. Mühsam rappelte ich mich auf und sah an mir herunter. Zwischen meinen Brüsten war ein riesiges blutiges Loch, welches sich gemächlich wieder zu schließen begann. Meine Selbstheilung war anscheinend noch etwas langsam.

Ich sah in die Richtung, aus der das Geschoss gekommen war, dort Stand eine Frau mit einem merkwürdigen anmutenden langen hölzernen Stock? Was war das denn für eine Waffe? Egal was es war, ich würde es zu einem späteren Zeitpunkt herausfinden.

Um mich herum war in der Zwischenzeit Panik ausgebrochen. Die Menschen waren auf Abstand gegangen und hatten allerlei Waffen gezogen, die sie nun auf mich richteten. Ich konnte trotz des Beisenden-Alkoholgeruches ihre Angst riechen.

Ein freudiger Schauer durchzuckte meinen Körper. Das würde Spaß machen.

Damit nahm ich ein Glas, welches auf einem anderen Tisch stand, sprang damit auf die Frau mit der komischen Waffe zu und schlug ihr damit den Schädel ein…

Blutüberströmt und immer noch nackt, trat ich aus dem Gasthaus. Es hatte gutgetan sich nach all denn Jahren der Gefangenschaft mal wieder so richtig auszutoben. Die neuen Waffen der Menschen wahren wirklich mal was anderes.

Mal sehen, was diese neue Welt noch so zu bieten hatte. Ich grinste Böse. Wenn ich alles gesehen hatte, würde ich sie zerstören und dieses Mal war niemand hier, der mich aufhalten konnte.

Immerhin bin ich Mortis, die Göttin des Chaos.

Gottfried

Mein Name ist Gottfried und ich bin der Erbauer der Erde. Doch nach der Grundlagenlegung verselbständigte es sich irgendwie. Mir blieb nur noch der Posten als Beobachter.
Was vollkommen in Ordnung ist. Denn wer beobachtet nicht gerne andere und entdeckt Verborgenes. Ich habe so einiges beoachtet in den vielen tausenden von Jahren.
Liebe, Erfindungen, Hass, Vernichtung durch Kriege und vieles, vieles mehr.
Zu Beginn gab es nur wenige Menschen in abgelegenen Dörfern und sehr viel Natur. Im Laufe der Zeit wuchsen die Städte und die Zahl der Menschen nahm zu.
In den letzten hundert Jahren explodierte die Entwicklung was extrem spannend war, aber im gleichen Zuge wurde die Natur zerstört. Zwischen den Menschen entwickelte sich immer mehr Hass und Ungerechtigkeit. Die einen werfen Lebensmittel weg, während die anderen Hunger leiden. Die einen leben in riesigen Häusern alleine, während in anderen Hütten zwölf Menschen in einem winzigen Raum leben. Ich könnte stundenlang so weiter machen und es deprimiert mich.
Eigentlich sollte ich die Erde vernichten und lieber etwas neues erfinden.

Nur leider bringe ich es nicht über mich, da ich dann auch die einzige gute Erfindung des Menschen nicht mehr nutzen könnte. Und ohne kann ich einfach nicht mehr leben.
Also lasse ich die Menschen in Ruhe solange sie für ordentlich Nachschub auf meinem geliebten Netflix sorgen.

Alarm für Hermes 11

Mein Revier ist die A21. Zumindest heute. Sonst nicht, nur manchmal. Heute fahre ich auf der Überholspur. Naja, eigentlich fliege ich mit den Flügeln an meinen Sandalen. Ich wäre der perfekte Mitarbeiter: Wenn andere noch im Stau stehen, kann ich schon im Büro sitzen und Papier hin- und herschieben. Will ich aber nicht. Wer will schon Papierkraniche falten, wenn er für Zeus eilen kann? Ich kenne niemanden.
Unter mir tummeln sich Motordroschken. Große und kleine, rote, weiße und gelbe, lange und kurze. Wenn ich ein Päuschen brauche, lande ich auf einer der großen Droschken und lasse mich chauffieren. Und das Genialste ist: NIEMAND sieht mich. Kennt ihr noch diese Werbung mit diesem Energy-Drink von früher? Jeder kennt meinen Namen, aber niemand sieht mich. Manchmal macht mich das traurig, aber nur manchmal. Das geht zwar meistens schnell wieder vorbei, aber wenn, dann möchte ich schreien: Ich bin doch da. Seht mich an, ich bin euer Götterbote. Ich bin der Gott der Reisenden. So wie letztens, als ich den Auffahrunfall durch das zufällige Betätigen der Hupe gerade noch so verhindern konnte. Oder als ich im ADAC-Abschlepper den Blinker heimlich gesetzt hatte. Fast hätte der Fahrer die Ausfahrt verpasst. Ihr glaubt wohl immer noch an Schutzengel, was? Leute, das ist harte Arbeit. Aber ich mache das nur so nebenbei. Wenn Botschaften in Windeseile transportiert werden sollen, bin ich sofort bei Zeus. Alles andere ist nur ein Hobby. Ein bisschen mehr Anerkennung wäre nicht verkehrt…
Eine riesige Droschke steuert direkt unter mir auf die Ausfahrt zu, in Schlangenlinien.
Wtf?
Sorry, Leute, ich muss weiter.

#GottesComeback

«So, mal sehen was sich hier so getan hat!», dachte ich als ich die neu entwickelte Simulation beendete und die alte, eine Vorgängerversion, mit dem Namen Erde in den Transzendensator schob. Ein kleiner Ladebalken erschien auf meinem Bildschirm und ich setzte die NeoSense-Brille auf, die mich schnell wie eh und je zurück in meine erste simulierte Eigenkreation brachte.
Es dauerte einen kleinen Moment, dann fand ich mich auf einem weichem, weißen bettartigen Flugobjekt wieder. Prompt musste ich ein bisschen schmunzeln: Die Idee mit dem Gott auf der Wolke hatte ich schon wieder vergessen, aber sie gefiel mir.
«Updates bitte!», sagte ich und eine vertraute Stimme erwiderte:
«Hallo Gott, hier sind Ihre NeoSense-News:

  • Göttliche Kolumne: Gott gibt Tipps für ein besseres Leben - Versuch, dich nicht zu stressen, und denk dran: Buy low, sell high!
  • Gotteskriege jetzt neuer Trend: Morden in Gottes Namen wird vielfach geteilt!
  • Himmlischer Humor: …»

«Stopp, stopp stopp! Updates aus!»
Damit hatte ich nicht gerechnet, hier geht ja alles drunter und drüber. Ich sah noch 12.998.255.000 andere Nachrichten in meinem Ordner. Alle an mich gerichtet? Ich kann mich niemals um das alles kümmern, keine Chance!
«NeoSense-News, schicke folgende Nachricht an alle: Gott bestätigt - Er hat auch keinen Plan!»
Und jetzt nichts wie weg hier! Wenn sie glauben, es gäbe mich gar nicht, vielleicht hören sie ja dann irgendwann auf alles mit meinem Namen zu rechtfertigen!

Rhododendron und Kartoffelsuppe

Ich bin die Göttin des heiligen Herdfeuers, die Hüterin des Familienlebens. Ich widme mich voll und ganz meiner Aufgabe, dass heilige Feuer im häuslichen Herd, als auch in den heiligen Tempeln, zu hüten. Menschen verehren mich. Ach, was sag ich, sie vergöttern mich.

Heute bin ich mal wieder bei der Familie Platschenfüßler zu Besuch. Mama Platschenfüßler kocht so toll. Ständig probiert sie neue Rezepte aus und verwöhnt ihr fünfköpfige Familie nach allen Regeln sämtlicher Kochbücher. Selbst der Dackel Seppel geht nicht leer aus. Für ihn kocht sie extra, frisches Fleisch, Nudeln oder Reis und Gemüse. Jeden Tag etwas anderes. Bei den Platschenfüßlers wäre ich auch gern Hund.

Ach, eines muss ich dazu sagen. Ich bin inkognito unterwegs. Natürlich sehen sie mich nicht. Ich verstecke mich im Rhododendron vor dem Küchenfenster. Schönes Plätzchen, beste Sicht. Der kleine Kochlöffel-Zeiger der Küchenuhr zeigt auf 11, der große Milchkannen-Zeiger auf 30. Mama Platschenfüßler bereitet das Essen vor. Prima, das Fenster ist angekippt, gleich wird es wieder so herrlich duften. Vielleicht gibt es heute wieder Kohlrouladen oder Hühnchen in Paprika-Sahne-Soße.
Aber irgendwie… Ihr Lächeln ist heute anders als sonst. Ihre Gesichtszüge weicher. Sie ist weniger gestresst. Heute verzichtet sie auf Töpfe, nur ein einfaches Brett und ein Messer. Bleibt die Küche heute kalt? Hoffentlich nicht. Der Herd. Bitte, denk doch an den Herd. Er muss warm gehalten werden. Das Feuer muss brennen. Mama Platschenfüßler geht zum Kühlschrank, nimmt Suppengrün heraus und legt es auf das Brett. Es gibt Suppe. Ist auch in Ordnung. Man muss ja nicht immer aus allen Rohren feuern. Diesen neuen Topf da neben der Kaffeemaschine kenne ich noch gar nicht. Silbrig und schneidig, schwarzer Plastik-Griff mit Plastik-Deckel. Sieht wenig haltbar aus, kein Guss, das kann doch nichts werden. Mama Platschenfüßler macht auch echt jeden Trend mit. Diese Induktionsgeschichte habe ich mir ja noch gefallen lassen, aber so einen Plastik-Mist zu kaufen… Sie spart manchmal wirklich am falschen Ende.

Ich freue mich auf das Gemüse-Schnippeln. Schnipp schnipp schnipp. Achtung, der Daumen. Wie eine kleine Seh-Mediation, fast wie Kurzurlaub. Was macht sie denn da? Sie kloppt das Gemüse fast im Stück in diesen dummen Topf. Nein, so geht das nicht. Das muss noch kleiner geschnitten werden. Sie packt den Deckel drauf, drückt ein paar Knöpfe. Jetzt mach doch endlich den Herd an. Kleiner schneiden! So wird das nichts. Das Plastik-Deckel-Topf-Ding rumpelt. Es häckselt scheinbar Nahrungsmittel. Ein Mixer. Alles klar. Jetzt mach doch endlich den Herd an. Mama Platschenfüßler schält Kartoffeln. Ich bin kurz davor, ihr einen Topf aus der Schublade zu geben und ENDLICH DEN HERD ANZUSTELLEN. Jetzt legt sie ein Plastik-Sieb in das Plastik-Deckel-Topf-Teil und füllt die geschälten Kartoffeln ein. Was zur Hölle soll das? Mach jetzt endlich bitte bitte den Herd an. Sie würzt, gibt Wasser dazu. Wieder drückt sie Knöpfe. Wieder rumpelt das Ding, es röhrt förmlich.
Sie lächelt. Sie lächelt so wie ihre Mutter früher. Sie streichelt über den Griff dieses hässlichen Plastik-Geräts: „Willkommen in der Familie, kleiner Thermomix.“ Wie ich ihn schon jetzt hasse.

Leonardo da Vinci

„Uuuuuaaaaaaaaaaaaaaaa!“ Ich fange an, mit meinen Armen zu rudern. Gerade war ich noch im Diskurs mit Einstein vertieft und plötzlich falle ich aus allen Wolken – im wahrsten Sinnes des Wortes! Oh nein, oh nein, was passiert hier mit mir, die Erde kommt immer näher, wird größer und größer. Ich halte meine Augen zu und ziehe meine Beine schützend zum Bauch, da fange ich mich zu drehen an, wie eine Kugel, immer schneller und schneller. „HIIIILLLFFFFEEEE“ doch wer soll mir helfen? Alle meine Freunde sind im Himmel. Oder doch nicht? Ich öffne die Augen wieder und stabilisiere mit Armen und Beinen meine Fluglage. Ich schaue mich um, aber sehe keinen anderen vom Himmel fallen. Mist, wurde ich zu frech zu Einstein, dass mich Gott aus dem Himmel geschubst hat? Beim darüber grübeln fiel ich krachend auf - nein, Aua - durch das Dach eines Holzschuppens und landete unsanft auf dem Boden. Verwirrt rappelte ich mich auf, blieb ich auf der Erde sitzen und versuchte, meine Gedanken zu sortieren. Doch so richtig verstand ich es nicht. In die Wange zwicken, ja das schmerzt. Augenreiben, ja ich sehe wirklich. Arme schüttel, ja sie bewegen sich und der Boden fühlt sich an wie früher. Erdig, trocken. Ich nehme ein Erdkrümel in die Hand und zerreibe ihn. Alles wie früher. Ich führe die Hand zur Nase, riecht nach Erde. Meine Hand führt zum Mund – nein - ich möchte doch keine Erde essen! Da gibt es Besseres. Meine Beine und mein Oberkörper scheinen den Absturz überstanden zu haben. Vorsichtig versuche ich, mich hinzustellen. Funktioniert. Laufen? Meine Beine tragen mich, wie gewohnt. Verrückt denke ich und laufe aus der kaputten Hütte. Umherblickend erkenne ich die Umgebung. Die Hügel um Florenz waren mein Spielzimmer. Aber anders sieht es aus. Die Stadt ist riesig und hat die schönen Obstgärten und Felder verschlungen, die sich früher um die Stadt legten. Auf einmal fiel mir ein Wummern und Brummen auf. Das Geräusch war so neu, dass ich mich erschrak. Es kam von oben. Wie ein riesiger Vogel dröhnte etwas am Himmel und flog! Einstein hatte einmal erwähnt, dass meine Bemühungen für Flugmaschinen weitergeführt wurden. Scheinbar erfolgreich. Ich blieb abrupt stehen. Ich hatte die Flugmaschinen für den Krieg entwickelt. Ich schaute mich erschrocken und schnell um. Herrscht Krieg? Aber nichts Weiteres deutete darauf hin. Erleichtert laufe ich weiter. Vermutlich wird für den Ernstfall geübt. Sicherlich, schließlich sollten die Soldaten in Übung bleiben. So wird es sein.
Nach einer Wiese treffe ich auf eine Straße. Auch die Straßen haben sich verändert. Neugierig und vorsichtig Taste ich mit dem Fuß auf den Belag. Fest. Keine Schottersteine lassen sich bewegen, der Belag liegt da wie festgefroren und ist genauso hart. Faszinierend. Und das, obwohl es gen Sommer gehen müsste. Ich bin gespannt, wie sich mein Florenz entwickelt hat und laufe weiter in Richtung Stadt.
„Tuuuuuut!“ Erschrocken fahre ich zusammen und blicke mich hektisch um. Ein metallenes Etwas rast auf mich zu. Für einen Moment bleibe wie versteinert stehen und stolpere dann rückwärts ein paar Schritte zum Rand der Straße und falle hin. Das Gefährt bremst schnell und bleibt stehen. Ein Mann steigt aus und flucht. „Verdammt nochmal, Sie können doch nicht mitten auf der Straße laufen! Die ist für Autos! Fast hätte ich Sie umgefahren!“ Schockiert von der Situation schaue ich ihn erstarrt mit weit geöffneten Augen und offenem Mund an. Er kommt näher. „Signore, sind die verletzt?“ Ich schüttele den Kopf, sammele mich und rappele mich wieder auf. „Gott sei Dank, so ein Glück! Wissen Sie, ich sollte schon seit Jahren diese Auffrischung vom Erste Hilfe Kurs machen aber na ja, es soll keine Ausrede sein, wissen Sie, immer hat man anderes zu tun. Kommen Sie! Signore, ist wirklich alles okay?“ Von seinem Redeschwall etwas überrumpelt nicke ich bloß. „Kommen Sie, kommen Sie, ich nehme Sie mit. Wohin wollen Sie? Ich fahre Sie hin. Was ein Glück, dass nichts passiert ist. Das war wohl mein Zeichen, dass ich mit dem Kurs nicht länger warten soll. Meine Kinder liegen mir schon seit Jahren in den Ohren. Kluge Kinder, wissen Sie. Aber man hat eben immer so viel zu tun.“ Was immer in diesem Erste Hilfe Kurs gelehrt wurde, das Reden haben die Florentiner nicht verlernt. „Ich bin auf dem Weg nach Florenz“ antworte ich kurz, da ich sonst kein bestimmtes Ziel habe. „So ein Zufall! Ich ebenfalls. Kommen Sie, steigen Sie ein, ich nehme Sie mit meinem Auto mit.“ Mir wird eine scheinbar schwere Tür geöffnet, die optimal an die Form des Vehikels angepasst wurde. Da war ein Meister am Werk. Sehr präzise Arbeit. Ich steige ein und setze mich auf einen äußerst bequemen Stuhl. Der Mann schließt von außen die Tür und ich schaue mich um. Neben mir ist ein weiterer Stuhl, beide scheinbar aus Leder bezogen und weich gepolstert. Vor mir erstreckt sich eine Art Armatur, mit vielen Knöpfen und schwarzen Flächen. Der Mann steigt ein. „Anschnallen, es geht los.“ Der Mann greift hinter sich und zieht eine Art langes flaches Seil hervor und steckt ein daran befestigtes Metallstück neben sich in eine schwarze Kiste. Scheinbar soll ich es ihm gleichtun. Ich finde das Seil und stecke das Metall in das schwarze Kästchen. Klick. Das Seil zieht sich an mich. Mir wird etwas mulmig, aber es scheint sich so zu gehören. Mit einem Ruck fährt das Auto los und drückt mich weiter in den Sitz. Zum Glück habe ich in Einstein einen Freund gefunden. Er hat mir von Autos erzählt. Er hat sie einen Kasten auf vier Rädern bezeichnet, der mit Hilfe von Benzin, einer schnell brennbaren Flüssigkeit, fuhr. Von einem Kasten ist das Auto hier allerdings weit entfernt. „Wissen Sie, seit ich das Elektroauto habe, habe ich Angst, dass ich jemanden umfahre. Man hört diese Dinger einfach nicht mehr. Die alten Verbrenner hat man schon von weitem gehört, aber jetzt sind sie ganz leise. Das ist zwar ganz schön für die Fahrer und die Umwelt, aber eben auch gefährlicher.“ Also doch kein Benzin? Eine neue Erfindung! Fahren mit Elektrizität, davon hat Einstein nichts gewusst! Das werde ich ihm erzählen, er wird begeistert sein! Zum Glück hat mir Einstein sein Wissen weitergegeben. Große Erfindungen haben mein Interesse schon immer geweckt und in Einstein habe ich einen großartigen Lehrer und ebenbürtigen Wissenschaftler gefunden, der mich auf den Stand seiner Zeit brachte. Da inzwischen viele weitere Jahre vergangen waren, verstand ich trotzdem nicht alles. „Sicher“ antwortete ich, um nicht wissenlos da zu stehen. Wir fahren weiter und der Mann redet wieder und ununterbrochen. Von seiner Familie, von Politikern, empört sich über dies und das und es scheint ihm egal zu sein, dass ich nur mit gelegentlichem „hmhm“, „aha“ und „sicher“ zur Unterhaltung beitrage. Da frag er auf einmal „Wo wollen sie eigentlich genau hin, Signore? Florenz ist groß!“ Ich stocke. Gute Frage. „Piazza della Signoria“ antworte ich und hoffe, dass es den großen Platz noch gibt. „Ah, gut. Da müssen wir schauen, wo wir am besten halten können. Ich fahre Sie natürlich so weit, wie es geht. Keine Sorge, Signore.“ Wir fahren an immer dichter stehenden Häusern vorbei in die Stadt. Der Rest der Fahrt ist das reinste Chaos. Immer wieder schimpft der Mann lautstark über andere Autos oder Fußgänger. Immer wieder bringt er sein Auto zum Hupen und andere Autos hupen zurück. Er fährt los, bremst abrupt, weicht einem vor ihm fahrenden Auto schnell aus, sodass ich auf meinem Sitz nach vorne, hintern, rechts und links geworfen werde. Deshalb sind die Sitze so bequem gepolstert, denn sonst bekäme man bei jeder Fahrt viele blaue Flecken. „Gibt es denn keine Regelungen, wie viele Autos zusammen fahren können?“ Frage ich in einen neuen Fluchanfall hinein? „Doch, doch, sicher gibt es diese, Sie wissen ja, der Mensch ist faul und alles muss schneller gehen. Aber die Verkehrsregel müssen Sie doch kennen, oder haben Sie etwa keinen Führerschein? Ah Nein, sicherlich haben Sie keinen, sonst wären Sie ja nicht zu Fuß unterwegs gewesen.“ Beantwortete er seine Frage und fing an, mir die Verkehrsregeln und Schilder zu erklären. Mit jeder neuen Regel, die er mir erklärt, scheint er sich selbst mehr an die Regeln zu halten. Mit meinem Wissensdurst nahm alle Informationen und Regelungen auf wie ein Schwamm. Mein Gehirn fing an zu arbeiten. Wenn es doch ein System gäbe, dass sich automatisch an die Regeln halten würde. Ein Gefährt gäbe mit dem die Menschen einfach und ohne ständiges Fluchen entspannt fahren könnten. Eine Technik, die von alleine das Zusammenspiel mit anderen Fahrzeugen regelt und dadurch jeder schneller an sein Ziel kommt. Das wäre es! Ich brauche Stift und Papier!

Artemis Köln e.V.

Trainingszeiten… 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, das ganze Jahr über. Das Schild am Eingang des Vereinsgebäudes klingt doch schon mal vielversprechend. Ich klingle.
Ein Mann in Trainingsanzug mit drei Streifen an der Seite öffnet die Tür. „Diana Jäger?“
Ich nicke. „Ja, ich komme zum Probetraining.“ Diana Jäger - mein Deckname. Ich habe lange daran gefeilt, muss sich ja schließlich auch stimmig anfühlen. Ich lächle mein schönstes Menschlein-Lächeln. Wenn ich schon mal hier bin, dann kann ich auch so richtig auf den Putz hauen.
„Schön, dass du da bist.“ Sein Händedruck ist fest, so wie es sich für einen anständigen Bogenschützen gehört. „Ich bin übrigens Bernd.“
Bernd. Mit seinen braunen Locken und dem Grübchen am Kinn sieht er eigentlich ziemlich süß aus. Schade. Wirklich jammerschade.

Keine 15 Minuten später stehe ich voll ausgerüstet auf der Trainingsfläche, die mitten im Wald liegt. Weit ab und weit draußen, niemand wird ihn schreien hören. Eine Krähe flattert an der 50 Meter entfernten Strohballen-Zielscheibe vorbei, landet auf einem der höchsten Baumwipfel. Die Morgendämmerung ist nicht für jeden geeignet. Außer uns ist niemand hier. Mit Pfeil und Bogen in den Händen sehe ich ihn an. Sein Grübchen zuckt. Wirklich zu schade. Ich streiche über den Bogen. Klar, über die Qualität lässt sich streiten, aber natürlich kann kein Bogenschützen-Verein mit meinem silbernen Bogen und meinen goldenen Pfeilen mithalten.
„Du stellst dich aufrecht hin, achte auf deine Füße.“ Er macht es mir vor, steht seitlich, mit den Füßen zum Strohballen. Er bildet das T aus Oberkörper und Schultern. Das T, das heute für Tuberkulose steht.
Ich mache es ihm nach. Augenachse und Bogen immer im rechten Winkel. Fingerspitzen von Zeige,- Mittel- und Ringfinger der Bogenhand nur sanft auf das Griffstück aufgelegt.
„Na das sieht doch schon ganz manierlich aus“, sagt Bernd.
Ich drehe mich zu ihm, ziele auf ihn. Ich sehe das Weiße in seinen Augen. Das Wichtigste beim Griff in den Bogen ist immer der Druckpunkt. Wirklich jammerschade.

Friedensstifterin

Genug ist genug! Bis hier her und nicht weiter. Wo sind meine Flower Powers, wenn man sie mal braucht? Was ist aus dem Leitspruch. “Macht Liebe, nicht Krieg!“ geworden? Meine Blumenkinderinfiltration war damals in den 60ern der absolute Friedensbringer. Menschliche Ideologien sind leider sehr instabil und werden Pflanzen nicht gegossen, gehen sie jämmerlich zugrunde. Hey aber meine letzte Gottaktivität als Friedensstifterin war auch nicht von schlechten Eltern. Papa Zeus war damals sehr stolz auf mich, als ich diesen Erich Honecker und Michael Gorbatschow zum filmreifen Bruderknutscher animiert habe. Natürlich agiere ich nur im Hintergrund. Ich bin ein gut behütetes Geheimnis der olympischen Götterfamilie. Quasi ihre Geheimwaffe. Aber wir wollen hier nicht von Waffen reden, sondern eher von meinem Ziel, eben diese unnütz zu machen. Steck die Blume in den Lauf und hör mit dem Schießen auf! Zuerst werde ich die Welt mit essbares Herzkonfetti überschütten. Davon satt und glücklich wird ein jeder den andern wieder achten. Die goldene Regel: „Behandle jeden so, wie Du gern selbst behandelt werden möchtest!“ lass ich mit großen goldenen Lettern in allen Sprachen und auf allen Bildschirmen der Welt aufleuchten. Mein Kooperationspartner, der kleine beflügelte Amor hat mir versprochen, seine Pfeile im richtigen Moment abzuschießen, um bei Gelegenheit diesen Putin und Herr Biden einen weltverändernden Bruderkuss abzuringen. Amors Pfeile treffen zielsicher auch das härteste Herz aus Stein. Keiner kann sich dem widersetzen. Ein Kuss hat medienwirksame Symbolkraft. So werde ich den Ruhm einer legendären Gottheit erringen und vom Olymp der sich nun gegenseitig liebenden Menschheit applaudieren.
Bitte lasst mich keine bloße Fantasterei sein. „Make Love, not War!“

Taranis Erfahrung

Als ich erwachte, war die Welt nicht mehr die meine. Ein einst mächtiger Gott der keltischen Mythologie fand sich plötzlich im Jahr 2023 wieder, entwurzelt aus den verschlungenen Pfaden der Zeit. Ich, Taranis, der einstige Herrscher über Donner und Blitz, fand mich nun in einer Welt voller Maschinen, Lärm und grellem Licht wieder.

Der Übergang war abrupt und desorientierend. Mein letztes Bewusstsein war in den mythischen Wäldern der Antike verankert, doch nun stolperte ich durch Betonwüsten und stählerne Schluchten. Die Menschen um mich herum, sie waren anders – gekleidet in ungewohnte Gewänder, mit Blicken auf glänzende Rechtecke gerichtet, die sie unablässig in ihren Händen hielten.

Ich spürte, wie mein göttliches Wesen von der modernen Welt gedrückt wurde. Die Luft, die ich einst mit Donner füllte, war jetzt erstickend von Abgasen und dem summenden Geräusch elektrischer Geräte. Ich versuchte, meine göttlichen Sinne zu schärfen, doch sie waren stumpf und überwältigt von den vielen Eindrücken. Der Himmel selbst schien von den Dächern der Städte erdrückt zu werden.

Verloren in einer Welt, die nicht die meine war, wanderte ich durch die Straßen, unerkannt und übersehen. Mein göttlicher Glanz war verblasst, und die Menschen, denen ich begegnete, sahen nur einen alten Mann mit wirren grauen Haaren und einem seltsamen Blick in den Augen.

Ich fand schließlich Zuflucht in einem Park, einem kleinen Flecken Grün zwischen den grauen Türmen der Moderne. Dort setzte ich mich auf eine Bank und starrte in die Ferne, meine Gedanken wirbelten wie die Blätter im Wind. Wie konnte es geschehen, dass ich, der einst über die Himmel herrschte, nun auf einer einsamen Parkbank saß?

Ein junges Mädchen kam auf mich zu. Sie hatte langes, glänzendes Haar und trug Kleidung, die einem anderen Zeitalter entsprungen schien – bunt und verspielt im Kontrast zu der monotonen Palette um uns herum.

„Hey, alter Mann, alles in Ordnung?“ fragte sie mit einem Lächeln, das das erste freundliche Gesicht seit meiner Ankunft war.

Ich seufzte und schaute sie an. „Alles ist anders. Die Welt, die Menschen. Ich bin verloren.“

Sie setzte sich neben mich und schaute in die Ferne. „Es ist hart, wenn man sich in einer Welt wiederfindet, die man nicht versteht. Aber ich denke, du musst versuchen, einen Weg zu finden, hier zurechtzukommen. Vielleicht können wir dir helfen.“

In den folgenden Tagen half mir das Mädchen, dessen Name Aoife war, die Welt des 21. Jahrhunderts zu verstehen. Sie erklärte mir die Funktionsweise der Technologie, die Dynamiken der Gesellschaft und die Feinheiten der menschlichen Emotionen. Ich war fasziniert von den Fortschritten, die die Menschheit gemacht hatte, doch zugleich überwältigt von der Geschwindigkeit, mit der sich alles verändert hatte.

Aoife und ihre Freunde führten mich durch die Straßen, zeigten mir die Wunder dieser modernen Welt. Ich erlebte die Geschwindigkeit der städtischen Hektik, spürte die pulsierende Energie von Konzerten und schmeckte die Vielfalt der globalen Küche. Es war ein Rausch der Eindrücke, der mich gleichermaßen begeisterte und erschütterte.

Doch selbst in dieser modernen Welt fühlte ich eine seltsame Leere. Die Menschen schienen so sehr mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt zu sein, dass sie die alten Kräfte, die einst über sie wachten, vergessen hatten. Die Verbindung zwischen Himmel und Erde war durch die Dichte der Betonbauten und den Glanz der Bildschirme verschleiert.

Eines Nachts, als der Himmel von den Lichtern der Stadt erhellte wurde, stand ich auf einem Dach und betrachtete die funkelnden Sterne über mir. In der Stille der Nacht konnte ich ein Echo der alten Zeiten spüren, als die Menschen noch in Ehrfurcht zu den Himmeln aufschauten und die Götter um Beistand baten.

Ich fand heraus, dass Aoife eine Künstlerin war. In ihrer kleinen Wohnung malte sie Bilder von mythischen Landschaften und alten Göttern. Sie schuf eine Brücke zwischen den Zeiten, eine Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Als sie mir eines Tages ein Bild zeigte, auf dem ich in meiner alten göttlichen Pracht dargestellt war, erkannte ich, wie wichtig es war, die alten Legenden am Leben zu erhalten.

Gemeinsam beschlossen wir, die vergessenen Götter ins Bewusstsein der Menschen zurückzubringen. Aoife nutzte ihre Kunst, um die alten Geschichten zu erzählen, und ich wandelte durch die Straßen, um den Menschen die Faszination der göttlichen Mächte näherzubringen. Wir organisierten Veranstaltungen, in denen die Menschen sich versammelten, um den alten Göttern zu huldigen und die Vergangenheit zu ehren.

Langsam begannen die Menschen wieder, die Verbindung zu den alten Mächten zu spüren. Meine göttliche Präsenz wurde wieder stärker, als die Menschen ihre Wurzeln nicht mehr vergaßen. In den Augen derer, die zu unseren Veranstaltungen kamen, sah ich eine Mischung aus Faszination und Ehrfurcht.

Die Zeit, die ich in dieser neuen Welt verbrachte, war wie ein faszinierendes Abenteuer. Die Moderne mochte fremd und manchmal beängstigend sein, aber sie bot auch eine Möglichkeit der Wiedergeburt für die alten Götter. Aoife und ich hatten eine Brücke zwischen den Zeiten geschlagen, eine Verbindung zwischen dem Gestern und dem Heute.

Als ich schließlich erkannte, dass meine Aufgabe hier erfüllt war, stand ich wieder auf einem Dach und blickte in den Himmel. Die Sterne schienen heller zu leuchten, und ich spürte, wie die Verbindung zwischen Himmel und Erde wiederhergestellt wurde. Mit einem Lächeln in meinem alten göttlichen Antlitz kehrte ich zurück zu den mythischen Wäldern, mit dem Wissen, dass die Erinnerung an die alten Götter in den Herzen der Menschen weiterlebte.

Zeitreise (Kapitel 13 - Die Rückkehr)

Julia hat den Sprung in eine Ebene über die Planetenscheibe berechnet und weiß sofort, dass sie es gefunden hat. Sie ist auf Höhe von Mars. Rotleuchtend liegt dessen Scheibe zehn Lichtminuten unter ihr. „Bestimmt sind die Amerikaner schon auf dem roten Planeten gelandet.“ vermutet sie. Sie nimmt Kurs auf die Erde, die aber auf der anderen Seite der Sonne steht. Sie schwenkt auf die Marsumlaufbahn ein und programmiert einen Kurs um die Sonne. Auch bei Höchstgeschwindigkeit wird dies Wochen dauern und sie berechnet drei Sprünge um die Sonne. Sie kommt hinter dem Mond heraus und ihr Herz macht einen Sprung, als sie hinter dem Mond die Erde entdeckt. Dichte Wolken über Europa versperren die Sicht. Sie entfernt sich etwas vom Mond. Dann sieht sie einen Teil des indischen Ozeans. Indien hat seine Form verändert und ist nun eine große Inselgruppe. Sie stoppt den Antrieb und hält die Prophet vier Kilometer über der Mondoberfläche. Ihr Herz hämmert bis zum Hals. Sollte sie doch falsch sein? „Eddy, Alle Funk-Frequenzen scannen!“ Unwillkürlich hat sie den Befehl ausgesprochen. Eddy die künstliche Intelligenz des Nachrichtenschiffs übermittelt ihrer implantierten Konsole eine lange Liste von Frequenzen, auf denen gesendet wird. Sie wählt eine willkürlich aus und jemand spricht auf Englisch. Es ist ein amerikanischer Sender, der über Football berichtet. Sie ballt die Fäuste. Hatte sie sich nur geirrt oder Indien falsch in Erinnerung? „Nachrichten, ich brauche Nachrichten, vielleicht gab es ein Erdbeben und ich kann helfen. Internet, ich brauche Internet. Die Signale sind sehr schlecht und daher schleust Julia zehn Drohnen aus, die in einen Orbit einschwenken und eine Nachrichtenkette zum Mond bilden. Dann verharrt sie hinter dem Mond und wartet. Sie wählt ein andere Radiofrequenz und hört Musik. Das Musikstück kennt sie nicht und es ist ein psychodelischer Techno. Sie schaltet zurück zu den Footballergebnissen und scannt weiter nach Datenströmen. Es dauert eine Zeitlang, dann hat sie die gewünschte Frequenz und kann einen der Kommunikationssatelliten anzapfen. Sie hat keinen Browser, um die Daten wie auf einem PC anschauen zu können. Der ASCII-Text ist bereits eine wirksame Codierung. Sie sieht nur den binären Code. In ihrer Konsole entwickelt sie einen einfachen Binär-Hexadezimal-Wandler. Nach einer Stunde hat sie immer wiederkehrende Zeichen dekodiert. Es sind die Zahlen des Dezimal-Systems. Es ist verwirrend genug. Die Zeichenfolge ist 04052079. Sie kontrolliert die Daten immer wieder, aber das Ergebnis bleibt. „Das kann nicht das Datum sein.“, beruhigt sie sich. In aller Eile löst sie die Container von der Hermes und prüft ihre Kleidung. Es ist ein enger grüner Overall mit einer kurzen schwarzen Jacke die Pistole steckt sie in die Innentasche der Jacke und dann bindet sie sich die langen Haare mit Klebeband zu einem Pferdeschwanz. Sie versucht sich zu erinnern: „Wie oft habe ich mir die Haare abrasiert?“ Immer wieder rechnet sie nach. Dann stellt sie sich die Frage: „Wie lange und wie oft habe ich als Konserve im Laderaum gestanden?“ Als Europa in der Dunkelheit verschwindet startet sie die Hermes und fliegt über den Nordpol zur Atlantikküste. Bei all ihren Berechnungen ist sie nie über 20 Jahre Abwesenheit gekommen. Sie beruhigt sich selbst: „Es kann nicht sein, ich wäre dann jetzt fast 90 Jahre alt. Ich fühle mich noch einigermaßen rüstig. Ich benötige keine Seh-, Gehhilfe oder Inkontinenz-Produkte und erledige meinen Haushalt noch selbst! Willkommen zu Hause. Andererseits kann ich sofort in Rente gehen. Haben die Nashri in den 57 Jahren meine Rentenbeiträge gezahlt?“ Sie will zurück nach Frankreich, wo ihr Auto steht. Sie nähert sich von Westen der französischen Atlantikküste. Sie drosselt und das Tempo und die Höhe. Auf den Ortungsschirmen sind nur vereinzelt Schiffe und erstaunlich wenige Flugzeuge zu erkennen. Langsam nähert sich die Hermes der Küste und Julia stellt eine Höhe von wenigen Metern über der Wasseroberfläche ein. Lichter von Pénestin tauchen südlich auf, noch langsamer schwenkt sie über das Nordufer des sich ins Landesinnere schlängenden Armes. Auf der Höhe von Coscat zeigen Infrarot und Radar keine Auffälligkeiten und sie setzt mit der Hermes auf. Es sind weniger als einen Kilometer bis Arzal und sie verriegelt die Hermes. Es riecht nach Seeluft und Gras. Leichter Wind trägt das Geräusch von raschelnden Blättern zu ihr. Ihr Herz macht einen Sprung: “Das ist meine Heimat.“ Sie kniet sich auf die Wiese und betastet das Gras am Boden wie ein Kind und legt die Hand und die Stirn auf die Rinde eines Baumes. Sie sagt zu dem Baum: „Mein Freund, Du fühlst Dich unglaublich gut an.“

Sie rennt so schnell sie kann in den Ort. In Arzal ist wenig los und es liegt verschlafen vor ihr. Sie gelangt im Zentrum des Orts zu einem Restaurant und es ist sehr ruhig. Keine Spaziergänger oder Autos sind unterwegs. Licht kommt durch die großen Fenster. Sie eilt hinein. Der Gastraum ist fast leer. Es riecht nach gutem Essen. Der Ober hebt den Kopf als sie eintritt. Es ist der erste Mensch, dem sie nach ihrer Rückkehr entgegentritt und er macht kein erfreutes Gesicht. Sie geht ihm mit einem „Bonsoir, Monsieur.“, entgegen und fragt nach Uhrzeit und Datum. Der Kellner schaut auf seine Uhr: “Es ist 22:36 Uhr am 04. Mai 2079.“ Mit einem „Wir schließen jetzt.“ dreht er sich um. Im Wegdrehen dankt sie ihm und greift eine der unordentlich gefalteten Tageszeitungen von einem Beistelltisch und sieht das Datum. Sie flüstert: „Scheiße.“ Auf dem Weg aus dem Restaurant wird ihr klar, dass ihre Rückkehr zur Erde weitaus komplizierter wird als erwartet: „Ich war 57 Jahre weg. So eine verdammte Scheiße. Wie konnte das passieren?“ Sie geht langsam zurück zum Schiff und versucht die Enden zusammenzubekommen: „Die Nashri haben meinen Hirntumor entfernt und die vielen Verletzungen von den Schlachtfeldern geheilt. Onlim hat mich zum Semlinar gemacht und prophezeit, dass ich durch den Symbionten neben schnelleren Heilungsprozessen auch ein längeres Leben erhalten werde. Aber das muss ja nun nicht sein.“ Sie kommt an der alten Kirche vorbei und geht hinein. Die große alte Holztür knarrt in den Angeln, als sie sie aufzieht. Der kleine Windfang ist karg und ungemütlich. Sie betritt den Kirchenraum durch eine kleine Tür. Der Altar und eine hinter dem Altar gelegene Nische sind mit kaltem weißem Licht indirekt beleuchtet. Die Säulen des Kirchenschiffs bestehen aus dunklen Steinen und bilden hohe Bögen. Die Decke liegt im Dunklen und das spärliche Licht der Straßenbeleuchtung lässt die kunstvollen Glasmalereien der Fenster nur erahnen. Ihre Schritte hallen laut, als sie an den Bänken vorbei nach vorne geht. Sie geht vor den Stufen der Altar auf die Knie. Sie betet ein Vater unser mit gesenktem Haupt und sieht dann zum Kreuz. Sie spricht leise und auf Deutsch: „Es reicht Dir nicht, mich mordend und schlachtend über die Schlachtfelder der Nashri zu führen. Als kleinen Nachschlag noch diese Scheiße. Hattest Du nicht unterwegs eine verirrte Kugel oder eine Bombe für mich übrig? Ich könnte jetzt friedlich auf dem Grund des Atlantik ruhen. Aber nein. Es reicht noch immer nicht. Noch ein weiteres beschissenes Leben. Wie lang soll das diesmal gehen?“ Sie hört und spürt, dass jemand die Kirche betritt und sie schweigt. Sie hört die schweren Schritte eines Mannes im Mittelgang. Ein Mann in schwarzer Sutane tritt neben sie und spricht sie auf französisch mit angenehm dunkler Stimme an: „Guten Abend meine Tochter. Du suchst Trost bei Gott?“ Julia antwortet: „Guten Abend Vater. Ich komme soeben von einer sehr langen Reise nach Hause. Ich habe meine Familie und meine Freunde verloren und erkenne meine Heimat nicht wieder.“ „Du fühlst Dich einsam. Gott hat Dich in diese Gemeinde geführt, damit Du Teil davon wirst und seinen Willen erfüllst.“, erklärt der Pfarrer. „Wie kann ich Gottes Willen erkennen?“, fragt Julia. Der Pfarrer lacht leise und sagt: „Das versuche ich seit 70 Jahren selbst herauszufinden. Folge Deinem Herzen. Finde einen Weg ihn zu ehren und liebe die Menschen, denn sie sind seine Schöpfung. Die Menschen zu lieben heißt ihnen zu vergeben und barmherzig zu sein.“ Julia dankt dem alten Mann, der sie mit einer Geste segnet. Sie bekreuzigt sich und bittet Gott still um Vergebung für ihre Zweifel. Sie verabschiedet sich und verlässt ohne einen Laut die Kirche. Sie geht von der Kirche weg und stellt fest: „Das war nicht Gott, der zu Dir reden wollte, das war nur der alte Pfarrer. Aber er hat Recht.“ Sie geht langsam und irgendwie erleichtert zum Schiff. Sie erreicht die Hermes und als sie die Schleuse des kleinen Handelsschiffs öffnet fühlt es sich echter an als die Begegnung mit dem Kellner.

Zeit, sich zurück in den verdienten Jahrhundertschlaf zu begeben: Der Thread schließt sich hiermit für eure Beiträge. :sleeping:

Eine Woche lang könnt ihr aber noch die göttlichen Eingebungen mit Buch-Likes verehren. Der Beitrag, der uns am meisten ehrfürchtig hat erstarren lassen, gewinnt Papyrus Autor 11. Unter allen Erwachten, Weisen und Wandelnden verlosen wir eine weitere Version!

Am Freitag, den 8. Dezember, verkünden wir die Ankunft der Sieger. :star2: