Seitenwind Woche 3: Schreib, was du siehst

Nebelschwaden waberten um ihre Beine. Sie saß auf der verwitterten Bank im Park. Auf einem verwitterten Schild der Name eines Unbekannten, der diese Bank irgendwann einmal gesponsert hatte. Ihre dünnen Beine baumelten in der Luft, fanden keinen Kontakt zum Boden. Sie war schmächtig. Jahre hatten ihre Furchen nicht nur in ihrem Gesicht, sondern auch auf ihrer Seele hinterlassen. An ihrem Tweed Mantel fehlten zwei Knöpfe. Der, der verhinderte, dass die Kälte über ihren Körper kriechen konnte, saß direkt an ihrem faltigen Hals. Sie lächelte. Sie lächelte trotz der Kälte. Der Winter 1945 war viel kälter, dachte sie und blickte auf ihre Handfläche. Sie lächelte, weil sie mit den Körnern in ihrer zerbrechlichen Hand, die kleinen Spatzen fütterte. Unscheinbare Federknäuel, die über vereiste Grünflächen hüpften, um Nahrung zu finden. Der Boden, gefroren. Milchig weiß hatte die Kälte sich zwischen die Grashalmen gelegt. Mit spitzen Fingern ihrer knochigen Hand warf sie zwei Körner in die Richtung der winzigen Vögel. Immer nur zwei, weil die Freude sonst zu schnell vorbeiging. Ihre Füße, getragen von zwei Schnürschuhen aus dem Discounter, wippten, als wenn von irgendwo Musik her wehte. Sie summte diese Melodie, die vor mehr als 50 Jahren ein Hit gewesen war. „Wunder gibt es immer wieder“. Sie hoffte auf ein Wunder, hoffte, dass sie bald nicht mehr frieren musste, ihre Heizung irgendwann wieder angestellt würde. Das der Strom nicht mehr funktionierte, war nicht wichtig. Sie hatte von der Nachbarin Kerzen geschenkt bekommen, die sie hütete wie einen Schatz. Ihr Magen knurrte. Sie rieb mit der Hand darüber und überlegte nach Hause zu gehen. Aber dort war niemand. Hier erfreute sie sich an den kleinen Gesellen, die über das Gefrorene hüpften und auf die mitgebrachten Körner warteten. „Nur zwei“, flüsterte sie und warf sie zu Boden. Dann war ihre magere Handfläche leer. Sie seufzte, zog den Kragen enger um ihren Hals und die Mütze tiefer ins Gesicht. Sie hatte sie gestrickt, als sie noch in der Küche der Schulküche beschäftigt war. Immer, wenn sie ihre kurze Pause hatte, griff sie zu den Nadeln und verwob dicke Wolle. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie erinnerte sich an die Zeit. Sie hatte nach dem Krieg immer genug zu essen und eine warme Stube. Ein Seufzen entrang ihrer Kehle und sie steckte die kalten Hände in ihre Jackentasche. Sie ertastete ein winziges Loch am unteren Saum, zog die Finger zurück, damit es sich nicht vergrößerte. „Warum hast du mich allein gelassen“, flüsterte sie und blickte gen Himmel. Ob er mich wohl hören kann, überlegte sie, zuckte die Schultern und rutschte von der Bank. Alles war gut, solange du da warst, dachte sie und machte sich auf den Weg. Die Wohnung würde noch immer kalt sein, die Dosensuppe geschlossen bleiben. Aber sie hatte noch ein wenig Brot und … morgen wäre ein neuer Tag.

Heike Meckelmann


Ein altes Bild. Schwarz-weiß wie es damals üblich war. Leicht eingerissen. Kratzer, Punkte und verblasste Farben verunstalten es nicht. Die Frau könnte eine Schauspielerin der 50er Jahre sein. Ihre strahlenden Augen. Das fein geschnittene Gesicht mit dem dezenten Lächeln. Ihr selbstsicherer Blick, lassen eine starke Persönlichkeit vermuten.
Sie weiß genau, was sie will.

Nadja Tiller, Audrey Hepburn und Liselotte Pulver alle 1929 geboren. So wie sie. Vorbilder, die sie mochte. Auf die Welt gekommen im damaligen Jugoslawien. Die Vorfahren aus Ungarn. Eine 1 Jahr ältere Schwester und einen 3 Jahre jüngeren Bruder hatte sie. Ihre Eltern waren nicht reich, aber sie hatten ihr Auskommen. 1949, der Krieg war vorbei. Was machte sie? Gab es einen Mann in ihrem Leben? Sie zog in eine Stadt, um ihr eigenes Geld zu verdienen.
Sie wusste genau, was sie wollte.

1954 lernte sie ihren Mann kennen. Er war Deutscher. Und sie wollte unbedingt einen Deutschen. Auswandern, war ihr Ziel. Nicht mehr im armen Jugoslawien leben.
Sie wusste genau, was sie wollte.

1955 wurde sie schwanger. Im September kam ihr Sohn zur Welt. Im Frühjahr 1956 war es soweit. Die Papiere fertig, sie konnte auswandern. Endlich nach Deutschland. Neue Abenteuer erleben. Sie kannte die Sprache nicht. War zuversichtlich, sie zu lernen.
Sie wusste genau, was sie wollte.

Sie fand mit Mann und Kind eine Wohnung. Blieb noch einige Jahre zu Hause. 1959 fing sie zu arbeiten an. Der Sohn war gut im Kindergarten aufgehoben. Oktober 1960 brachte sie ein Mädchen zur Welt. Wieder zu Hause bleiben. Aber nicht lange. Sie wollte Geld verdienen.
Sie wusste genau, was sie wollte.

Die Zeit verging. Die Kinder waren aus dem Haus. Sie lebte mit ihrem Mann fast 60 Jahre zusammen. Als er starb, blieb sie alleine.
Sie lebt noch. Ist inzwischen 93 und…
Sie weiß genau, was sie will.

Meine Mutter.

Die Schwangere

Ich saß auf einer Bank im Stadtpark und war mit meinem Eis beschäftigt, das in der Wärme schmolz wie ein Gletscher im Hochsommer. Dabei war hier schon Herbst.
Ich sah sie langsam den Weg entlangkommen, genau auf meine Bank zu. Drittes Trimester, schätzte ich. Was mir auffiel, war nicht nur der langsame, etwas schwere Gang, sondern ihr Gesicht. Also eine glückliche Schwangere sah in meinen Augen anders aus. Das Strahlen in den Augen, die glatte rosige Haut, das fehlte hier.
Sie versuchte ein Lächeln, als sie mich erreicht hatte und fragte, ob sie sich setzen dürfe.
„Klar“, sagte ich, „bitte sehr“.
Sie setzte sich vorsichtig und ich beobachtete sie verstohlen von der Seite. Sie hatte die Hände über ihren Bauch gelegt und sah hinunter. Ihr Atem war bemüht tief und ruhig, wie man es bei einer Meditation macht.
Ob es ihr erstes Kind war? Sie war nicht mehr ganz jung, Ende dreißig schätzte ich. Ihr Gesicht war blass und eingefallen. Unter den Augen war die Haut gerötet. Sie hatte sie geschlossen. Ob sie geweint hatte?
Ich wollte sie nicht stören und nicht aufdringlich sein.
Da öffnete sie die Augen und ich sah weg, suchte in meiner Tasche ein Feuchttuch für meine klebrigen Finger.
Sie sah zu mir und sagte: „Ziemlich warm heute für Ende Oktober, oder? Ich glaube, ich hole mir auch noch ein Eis.“
Sie stand langsam auf, strich ihr Kleid glatt.
„Tschüss und einen schönen Tag noch.“
Sie ging davon, gemächlich und die Füße etwas gespreizt aufsetzend, ins Hohlkreuz geneigt.
Ich wünschte, dass sie länger geblieben wäre und ich erfahren hätte, ob es ihr gutgeht und nur die Wärme schuld war an ihrem ungesunden, traurigen Aussehen.

28.10.2022
© Katrin Streeck
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Ich hasse dich!

Vom ersten Augenblick an, an dem du ohne Vorwarnung so plötzlich in mein Leben gekommen bist. Was sollte an dir auch schon liebenswert sein, schön, anziehend, attraktiv? Die dichten Haare vielleicht, die endlos langen Beine? Die lasziven Bewegungen mit den langen Pausen dazwischen, in denen du mich provokativ anstarrst?

Ja, wenn du eine schöne Frau wärst, dann würde ich wohl sicher genauer hinsehen. Auf den dunklen, weichen Pelz, deine runden Augen, die merkliche, kräftige Körperspannung nach jeder kleinen Bewegung, die ein unvermitteltes Anspringen und anschließendes lustvolles Vernaschen erahnen lassen.

Aber im Moment bin ich voller Ekel, und meine eigene Körperspannung in diesem Moment des Erschreckens neigt dazu, nach dem nächstbesten Gegenstand zu greifen und sie dir über deinen kleinen Kopf zu schlagen.

Ja, ich hasse dich! Denn du bist keine schöne Frau. Jedenfalls keine richtige. Falls du überhaupt ein Weibchen bist. Unter Deinesgleichen bist du vielleicht schön, anziehend und attraktiv. Da ist es für ein weibliches Exemplar deiner Gattung gewiss mindestens normal und vielleicht auch irgendwie schön, acht lange, dünne Beine und genauso viele kleine, runde Äugelchen zu haben. Achten die Männchen in deiner Umgebung überhaupt auf sowas? Sehen die nicht genauso aus? Unglaublich, was für Gedanken einem bei deinem Anblick so durch den Kopf schießen…

Egal. Bei euch ist es vielleicht sogar ein Heidenspaß (falls du dir der für dich gefährlichen, für mich mindestens unangenehmen Situation überhaupt bewusst sein solltest), ohne Warnung unter dem hochgehaltenen Sofa hervor zu krabbeln und fleißig putzende Menschen zu Tode zu erschrecken.

Ich hasse dich dafür!

Aber ich kenne dich auch. Eine gemeine Hausspinne bis du. Und mit „gemein“ meine ich nicht dein Verhalten. Vielleicht bin es ja auch ich, der gemein ist, der dich gerade aus deiner Ruhe aufgeschreckt hat und der dich jetzt dazu gebracht hat, angespannt stehen zu bleiben, sämtliche Beine leicht angewinkelt in Sprung- (oder Flucht-?) Haltung zu spreizen und womöglich mit sämtlichen acht weit aufgerissenen Augen (haben Spinnen eigentlich Augenlider?) ängstlich zu sehen, was jetzt passiert. Ja, vielleicht hast du genau so große Angst wie ich jetzt gerade vor dir. Vielleicht bin ich es ja, der als für dich riesiges Ungetüm unerwartet in deinen Lebensraum eingedrungen ist, als ich unter dem Zweisitzer mit dem Besen herumgefuchtelt habe. Alles eine Frage der Perspektive.

Ok, ich mag dich nicht, und du mich vermutlich auch nicht. Kein Grund, sich gegenseitig etwas anzutun. Also nutze ich meine eigene, noch immer wirkende Körperspannung dazu, mich zielstrebig, aber dennoch ziemlich vorsichtig umzudrehen. Ich will dich nicht verscheuchen. Ich gehe jetzt ein paar Schritte zum Besenschrank hinter mir und hole dort den Spinnenfänger. Keine Panik (sage ich zu mir und dir gleichzeitig). Der lange Stiel, das kleine Netz an einem Ende davon und der durchsichtige Plastikdeckel darüber sind nach einer schnellen Bewegung meinerseits für ein paar Sekunden deine Heimat. Ich schaue dich kurz durch die sichere Abdeckung hindurch an.

Du liegst auf dem Rücken, die Beine anscheinend panisch bewegend, zitterst am ganzen zweigeteilten Leib. Sicher nicht allzu angenehm für dich, aber besser als die tödliche Alternative. Du willst raus aus dieser Situation. Ich verstehe es, auch wenn ich dich als Wesen, das so ganz anders ist als ich selbst, nicht mag - nein, vielleicht nur nicht richtig verstehen kann. Erst recht kein Grund, dir weh zu tun. Du sollst leben, so wie ich es in deiner Situation auch wollte. Früher war das anders, und ja, wenn du so plötzlich aus dem Dunkel auf mich zukrabbelst, erschrecke ich auch heute noch bis ins Mark, gerate noch immer in Panik, ekle mich, hasse dich sogar für ein paar Augenblicke für dein Aussehen, dein Auftreten, deine Existenz. So wie eben gerade.

Aber man wird älter und manchmal auch einsichtiger. So wie ich, der ich nun nicht mehr der Jüngste bin. Jedenfalls mindestens in diesem einen Spinnen-Punkt ist das so. Der früher oft genutzte Staubsauger bleibt einmal mehr an seinem Platz neben dem Haken für den Spinnenfänger, der seit einiger Zeit dort hängt und schon so manchen deiner Art relativ vorsichtig ins saftige Grün hinaus befördert hat.

Draußen im Garten klammerst du dich an ein Rosenblatt, scheinst dich zu schütteln wie ein nasser Hund nach dem Bad im See (zumindest sah es für einen Augenblick ein wenig danach aus) - und trollst dich gemächlich, aber zielgerichtet und ohne Pause auf allen acht Beinen in Richtung Zaun. Bald bist zu nicht mehr zu sehen, bist jetzt versteckt zwischen den ungezählten Halmen.

Ich lächle. Und bin froh, dass das Größenverhältnis und die Situation nicht umgekehrt gewesen war: ich klein, ängstlich und mit dünnen Armen, Freund Spinne riesengroß und panisch…

Lila Zapfen

Würde dieser Baum nicht vor dem Fenster stehen, hätte das Tageslicht eine Chance, den Raum zu erhellen. Es ist eine Koreatanne, die wir vor über dreißig Jahren dorthin gepflanzt haben. Sie hat uns in all der Zeit sehr erfreut mit ihren weichen, sattgrünen Nadeln und den leuchtenden lilafarbenen, stehenden Zapfen. Damit ist das Schauspiel des Baumjahres aber nicht zu Ende, denn wenn der Herbst so wie jetzt kommt, lädt der Baum die Vögel zum Festschmaus. Grünlinge, Spatzen, Meisen – sie alle laben sich an den Samen, welche die Zapfen dann bereitwillig hergeben. Die Piepser beginnen von oben her die Zapfen abzutragen, indem sie die Schuppen abzupfen und fallen lassen. Die Samen, die dazwischen liegen, picken sie weg und fressen sie. Stehen bleiben nur die dünnen Zapfenachsen.
Der Baum hat inzwischen seine Schönheit schon etwas eingebüßt und ist, wie wir selbst auch, ins Alter gekommen. Zwar ist der Stamm gerade, die Äste strecken sich tapfer nach außen und er ist an sich dicht gewachsen. Die unteren Äste aber tragen nun eher ins braune gehende Nadeln und es befindet sich allerlei dürres Gestrüpp abgestorbener Zweige dazwischen. Auch ist die Spitze welk geworden und der Baum hat einen Zweig als neue Spitze umfunktioniert, die nun etwas außerhalb der Achse weitertreibt.
Die Vögel haben Samen von wildem Wein mitgebracht, die irgendwann aufgegangen sind. Das Jahr über fällt es kaum auf, dass er sich durch die Tanne rankt, aber jetzt, im Herbst leuchtet sein Laub weinrot – ein Gemälde von van Gogh könnte nicht prächtiger sein.
Es ist aber immer noch dunkel im Raum …

Der mit den Raben tanzt

Es ist ein kalter und regnerischer Herbsttag und Du stehst im Park mit ein paar Brotkrumen in der Hand. Deine blonden Haaren hast Du gegelt und Spitzen gezwirbelt. Stacheln wie ein Igel. Deine schwarze Jacke aus altem Stoff hat ihre besten Jahre schon hinter sich und auf Deiner Jeans sind kleine braune Flecken zu erkennen, als wärst Du auf dem Boden kriechend hierher gerobbt. In Deinen Augen sehe ich dieses seltsame Flackern, eine Mischung aus Neugier und Wahnsinn. Du scheinst aus einer Punkband entkommen oder vielleicht schwänzt Du auch einfach den Kurs in praktischer Philosophie. Wie ein verrückter Professor wirfst du den Raben vor Dir die Teigreste hin, in Erwartung etwas ungewöhnliches würde Geschehen. Als ich an Dir vorbei laufe bemerkst Du mich nicht. Es ist als wärst Du Teil einer anderen, märchenhaften Welt. Die bunten Blätter wirbeln in allen Farben, Schattierungen, Größen und Formen über den Asphalt und bleiben vereinzelt im kurzen grünen Gras hängen. Manche sind nass vom Regen und haben sich auf dem Weg in einer nassen und rutschigen Masse versammelt. Dann nimmst Du Dir ein Herz. Du gehst nach vorne und lockst die Raben weiter mit einem schier endlosen Vorrat an Brotresten die Du aus Deinen Jackentaschen zauberst. Ein altes verrostetes Fahrrad lehnt an einem Baum und wartet dort treu auf Dich wie ein Pferd auf seinen Herrn. Mit einer schnellen und waghalsigen Bewegung schwingst Du Dich auf. Auf dem nassen Laub rutscht Du dabei ein wenig aus. Es ist, als wärst Du Dir selbst nicht sicher, ob das eine gute Idee wäre. Du schlingerst und fällst fast. Das Brot regnet aus den Taschen auf den Boden und lockt die Raben hinter Dir her. Sie versammeln sich und jagen Dich und Dein Fahrrad wie eine kleine Hundemeute einen Hasen verfolgt. Dein Fahrrad bockt. Dann fängst Du Dich und richtest Dich. Du nimmst Fahrt auf und bekommst das Rad in den Griff. Zielstrebig nimmst Du ein großes Stück Brot und hältst es über Deinen Kopf mit gestrecktem Arm in die Luft. Als wäre das von Anfang an Dein Plan gewesen sammelst Du alle Kraft um Dein Gleichgewicht zu halten. Kleine Ausreißer nach links und rechts zeigen, dass Du nichts geübt hast. Plötzlich kommt ein Rabe geflogen und reißt Dir das Stück Brot mit seinem großen Schnabel aus der Hand. Im Fahren. Wie der Löwe das Fleisch aus der Hand des Dompteurs erhält. Du kommst ins Wanken, erschrickst, weil Du es selbst nicht für möglich gehalten hast und musst anhalten um einen Sturz zu verhindern. Leise tropft Regen auf meine Stirn und ich ziehe mir die Kaputze auf. Du verschwindest hinter mir und aus meinem Augenwinkel in einem Meer aus bunten Blättern und aggressiven Raben. Laut und fordernd höre ich die Raben krächzen. Sie haben Dich mittlerweile umzingelt. Kurz mache ich mir Sorgen. Doch dann höre ich die quietschenden Pedale Deines Fahrrades, dazu schwere Flügelschläge und lasse Dich an diesem Herbsttag zurück, während die Sonne rötlich hinter den Bäumen verschwindet und schwarze Wolken den Himmel verdunkeln.

Von dieser Welt

Ihre sonst braunen Augen wirkten schwarz. Schwarz, wie auch ihr T-Shirt, schwarz wie auch ihre zusammengebundenen Haare. Sie blickte mich an, zurücknehmend. Und sogleich wandte sie ihre Augen von mir ab. Ich fühlte mich beschämt, weil meine Augen keine roten Ringe trugen, wie die ihren.
Sie kniete sich nieder, um die von mir geschmückte Schachtel zu öffnen. Nur einen Spalt. Nur so weit, dass ihre Finger den kleinen Ball in den Karton stecken konnten. Ohne selbst das Innere, das in der Schachtel Befindliche, zu berühren.
„Das war ihr Lieblingsball“, sagte sie und wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. Mehr sagte sie nicht. Kein Adieu kam über ihre Lippen. Dennoch schwebte dieses Adieu über der Schachtel. Auch noch als sie mit langsamen Schritten in das Haus zurückgegangen war und ich mit dem Spaten Erde darauf warf. Spaten für Spaten verschwanden die Blumen, die Schmetterlinge, die Mäuse und die Herzen, mit denen ich den Karton beklebt hatte. Sie verschwanden im Dunkel der Erde, wie auch die Tränen irgendwann verschwinden würden.

Ich habe Dich wiedergefunden. Ruhig schaust Du vor Dich hin, den Blick auf einen Punkt gerichtet, den ich nicht ausmachen kann. Deine markante Nase und der spitze Hut haben mich schon bei unserem ersten Treffen fasziniert. Mit der geraden Haltung strahlst Du eine Anmut aus, die mich magisch anzieht. Gerne möchte ich Dich berühren.

Heute hat Dir jemand Kräuter in den Arm gelegt. Auf dem Weg zu Dir steht ein Hinweis „Zur Waldhexe“, heute bist Du zur Kräuterhexe geworden. Das Holz, aus dem Du geschnitzt bist, ist schon etwas verwittert, aber sieht immer noch schön glatt aus - wie hat der Künster das geschafft?

Ob sich die Hexen immer noch in der Walpurgisnacht am Blocksberg versammeln? Dein Holzbesen steht neben Dir, fest umschlossen von Deiner Hand. Ich mag diesen ruhigen Ort, eine Lichtung umringt von Bänken, auf denen müde Wanderer sich ausruhen und Dich anschauen können so wie ich jetzt. Kein Lächeln in deinem Gesicht, regungslos stehst Du dort im Sommer wie im Winter, wenn der Schnee sich sanft auf Deinen Hut legt. Ich gehe zu Dir hin, streiche sanft über Deinen Mantel. Das glatte Holz fühlt sich warm und beruhigend an. Gerne komme ich wieder, um zu sehen, wie es Dir geht.

Weihrauch steigt auf, wallt in den Raum und erreicht die Bahnen aus Licht, die durch das Fenster ins Innere der Kirche fluten.
Es ist kalt hier und zu den duftenden Wolken gesellen sich viele kleine, aus jedem Mund.
Ein Mädchen, ungefähr zwei Jahre alt, sitzt auf dem Arm ihres Vaters ein paar Reihen vor mir. Sie kuschelt sich an ihn und sieht sich die Menschen an, die hinter ihr in den Bänken stehen. Ihr blondes Haar ist in einem Zopf zusammengebunden, ihre Haarsträhnen leuchten im Sonnenlicht.
Sie hebt den Kopf und blickt ihren Papa ernst an. Dann erzählt sie ihm ganz leise etwas, dabei berührt sie mit ihrer Wange seine Wange. Die Stimme der Kleinen ist zu hören. Ein Wispern nur, das durch den Raum tanzt.
Der Mann dreht den Kopf, hört aufmerksam zu, einen liebevollen Ausdruck auf dem Gesicht. Dann nickt er. Sie nickt auch und gibt ihm ganz zärtlich ein Küsschen auf die Wange. Sie reibt ihre Nase an seiner Nase und strahlt ihn dabei an.
Die beiden sind eine Einheit, voller Zärtlichkeit verbunden. Ein Augenblick, an dem ich voller Staunen teilhaben kann an diesem stillen Morgen in der Kirche.
Der Gottesdienst geht weiter und die beiden lächeln, dann kuschelt sie sich wieder an ihn, legt den Kopf in seine Halsbeuge und beobachtet weiter die Menschen mit ernstem Blick.
Beseelt von diesem Geschenk wende ich mich wieder dem Priester zu, der in seinem roten Gewand die Messe zelebriert, Hingabe in der Stimme.
Jede seiner Handbewegungen ist langsam und gemessen, genau und sanft. Er nimmt ein Blatt in beide Hände, hält es sanft fest, als wäre es kostbar. Nichts an ihm ist nervös. Er lebt in diesem Moment ganz das was er sagt, ist ganz Gebet, ist ganz im Glauben. Nicht heruntergeleierte Worte, denen man die Leere anhört. Seine Ruhe breitet sich auf mich aus.
Solche Momente sollte es öfter geben. Ich bin dankbar.

Das Rätsel

Die Schienen teilten mir ihren allmorgendlichen Rhythmus mit. Sie stimmten mich ein. Sie halfen mir in den Tag zu finden; mehr noch als der To-Go-Becher in meiner Hand, der eher ein Teil des Rhythmus‘ war als notwendig; mehr noch als die Musik, die ich auf den Ohren hatte und die mehr eine Verlängerung der heimischen Behaglichkeit war als Musik im eigentlichen Sinne.

Mir gegenüber saß ein Gesicht, das meine Aufmerksamkeit an diesem Tag etwas früher weckte. Es war von unregelmäßigen Furchen und Linien durchzogen. Einige schärfere Kanten über den Augen gaben ihm etwas unsagbar Trauriges.

Es blickte etwas suchend in dem Waggon umher, als fehlte seinen Augen ein Platz, an dem sie sich niederlassen durften. Vielleicht war das aber auch mein trügerisches Gefühl und in Wirklichkeit wichen sie den Dingen beständig aus.

Sein Mund war in leichter Bewegung. Es schien, als würden sich Worte in ihm formen wollen. Man konnte sehen, wie sie von tief innen heraufkamen und ihren Weg auf die Zungenspitze fanden. Es war, wie wenn man einem Stück Kaugummi eine bestimmte Form geben wollte; etwas unbeholfen hektisch und unbestimmt.

Der Körper unter dem Gesicht war unruhig. Er saß nur ganz vorne auf der Sitzkante und vermied es, sich anzulehnen, als hätte man ihm das Recht dazu abgesprochen. Die Hände lagen offen auf den Beinen. Die teils abgetragene Kleidung hing an ihm wie eine Notwendigkeit. Mir teilte sich bei dem Anblick das Gefühl mit, das mir früher die Bettwäsche in Jugendherbergen verursacht hatte.

Eine ahnende Neugier bemächtigte sich meiner. Ich schaltete die Musik aus, die ich auf den Ohren hatte. Ich wollte hören, ob der Mann, dessen Alter ich nur schwer schätzen konnte – sein Gesicht trug unzweifelhaft mehr Spuren des Lebens als meines – wirklich etwas von sich gab. Und tatsächlich traten aus seinem Mund, als sein Blick einen Platz im Nirgendwo gefunden hatte, einige versprengte Worte:

„Warum stehen meine Koffer vor der Tür?“ Er machte eine Pause, wie um Kraft für den nächsten Gedanken zu sammeln. „Das ist wohl nur ein anderes Wort für deinen unwiderruflichen Wunsch.“ Die Worte schienen ihm etwas abzuverlangen. Ich meinte, einen aufsteigenden Glanz auf seinen Unterlidern wahrzunehmen. Leicht nickte er, wie als würde er etwas verstehen. „Jede unserer Begegnungen war von Beginn an Trennung, tschüss.“

Nach den drei Sätzen wartete er noch eine Weile, bis die S-Bahn in den nächsten Bahnhof einfuhr und hielt. Er stand auf, stieg aus und stellte sich auf den gegenüberliegenden Bahnsteig.

Ich rätsele bis heute über die Bedeutung seiner Worte. Sie fielen tief in mich hinein und hinterließen in mir das Gefühl, in ein sehr intimes Gespräch verwickelt gewesen zu sein, dessen stummer Part mir als äußerst kaltherzig erschien … bis auf den heutigen Tag.

Eleonore

Sie war alt, ging auf die achtzig zu. Und sie ging mit Mühe, wie man sehen konnte, ihr rechtes Bein schien kürzer zu sein als das linke, und das Knie war zu weit einwärts gedreht, als wolle es beständig kehrtmachen. Sie aber setzte sehr bewusst, setzte mit Bestimmtheit Schritt vor Schritt, damit man sehen konnte, dass sie keinen Stock benötigte. Noch nicht. Sie war groß, starkknochig und schlank und hielt sich trotz ihres Alters betont gerade. Aus dem länglichen Gesicht mit den hohen Wangenknochen und dem kraftvoll geschwungenen Kinnbogen blickten wissbegierige Augen eiswasserblau in die Welt. Sie war nicht wirklich schön, heute schon gar nicht mehr, aber auch als junge Frau war sie das nie gewesen. Ihre markanten Gesichtszüge hatten schon immer viel zu männlich gewirkt, und die inzwischen schlohweiße Kurzhaarfrisur trug das ihrige dazu bei.
Ihre Kleidung bestand aus edlen Stoffen und war klassisch geschnitten, und niemals sah man sie in Hosen. Aber sie trug klare, kräftige Farben in mutigen Zusammenstellungen, die sie geradezu zelebrierte, und niemand konnte erkennen, dass alles im Secondhandshop erstanden worden war. Sie trank nur Tee, lehnte sich nicht an, wenn sie saß, die Füße ordentlich nebeneinander gestellt, der Rock reichte gerade bis unters Knie. Niemals zog sie ihn gerade, das hatte sie nicht nötig, er saß stets perfekt. An ihren großen, etwas groben Fingern und Handgelenken trug sie wechselnd den ganzen ererbten Familienschmuck, unsägliche, riesige Klunker, geschmacklos, aber mit Geschichte.
Ihr Erscheinungsbild war das einer Dame von Welt, die bestehende gesellschaftliche Regeln, je nach ihrem Gusto, entweder strikt befolgte oder kreativ abwandelte, sie war kapriziös und frei von Demut, mit vollendeten Manieren und einem Stolz, der bitter, aber nie laut wurde. Man gestand ihr die aristokratische Abstammung ohne weiteres zu, wenn man sie erstmals traf. Ein Hauch Hermès umwehte sie, wenn sie in dem kleinen Wohnzimmer ihres Reihenhauses Gäste empfing und stundenlang mit ihnen plauderte, ohne je zu viel über sich zu erzählen. Dann und wann, wenn sie anderen zuhörte, was diese aus ihrem Leben berichteten, erschien auf ihrem so strengen Gesicht die Andeutung eines weichen, fast kindlichen Lächelns, das so zerknittert und schief in ihren Mundwinkeln saß, dass man ihr einen kurzen Moment ansehen konnte, welche Kraft und Selbstdisziplin sie lebenslang aufgewendet haben musste, um diese Fassade aufrecht zu erhalten.

Vorm Bioladen

Der Platz vorm Bioladen ist gut. Am meisten Kohle mache ich samstags, wenn alle einkaufen und sich die Bäuche voll schlagen. Dann ist ihr schlechtes Gewissen am größten und sie gönnen mir auch was.

Am Bürgersteig steht eine breite Bank, bequem. Ein Platz für Großeltern und Erschöpfte.
Ich kenne meinen Platz. Ich sitze unter einer der großen Buchen zwischen Fahrradständern und Mülltonnen. Die Buchen tragen einen Orden: Naturdenkmal steht auf einem Schild. Die vordere, unter der ich meine Pappe ausbreite, haben die Gärtner so beschnitten, dass sie aussieht wie ein armamputierter Veteran im Klimakampf. Meine Afghanistanorden sind schon lange in der Pfandleihe verschwunden. Ich kämpfe meinen Kampf ohne Orden, hab die Freiheit verteidigt und bin jetzt vogelfrei. Manchmal tröstet mich die Amsel in der Buche über dem Lärm der Autos, klingelnden Radfahrer und kreischenden

Straßenbahnen.
Ein Stadtstreicher muss den Hastenden ein wenig den Weg versperren, nicht zu sehr, sonst rufen sie

die Polizei, nicht zu aggressiv, sonst machen sie einen Bogen um dich, lieber demütig von unten und mit nur wenig Münzen im Becher, damit sie spüren, dass sie gebraucht werden. Ich habe hier einen perfekten Blick auf die Eingangstür und auf den Gehweg.

Manchmal bringt mir jemand ein belegtes Brötchen oder einen Kaffee. Das sind diejenigen, die sich nicht vorstellen können, auf der Erde zu sitzen.
Auf dem Boden sitzen heißt am Boden sein oder krank, kann- ich- ihnen- helfen- krank sein oder betrunken. Hier kauere ich auf der Erde, nicht tief drinnen in einem Erdloch.
sehen mich wenigstens, auch wenn ihre Wohltätigkeit etwas Koloniales hat.
Die alte Frau mit Gehstock sehe ich, die mir jedesmal 50 Cent gibt, der die Armut aus der fadenscheinigen Jacke guckt. Ich kann’s mir nicht leisten auf ihre 50 Cent zu verzichten. Ich bin noch ärmer und ich würde sie kränken; ich gebe ihr die Gelegenheit, sich großzügig zu fühlen.
Paare sind schlecht für’s Geschäft. Da guckt einer nach dem andern und am Ende geben beide nichts. Ich sehe die Eiligen in Anzügen, nur schnell rein und ein Dinkelbrötchen mit Biokäse und Biosalat und Margarine. Diese Wichtigtuer mit Knopf im Ohr, vor sich hin brabbelnd, die mir nie etwas geben und knapp an mir vorbei hasten, als wäre ich ein Geist. Am liebsten möchte sie packen und sie durchschütteln und ihnen das Biobrötchen auf den Anzug schmieren und ihnen sagen: „Das habe ich auch mal gehabt!“

Ich tu’s nicht, denn das ist ein guter Platz. Ein Kind, Hose und Pulloverchen aus dem Second-Hand- Laden, wirft mir ein Zwei-Euro-Stück in den Becher und läuft gleich zurück zu seiner Mutter. Sie lächelt mich an, als sie ihren Einkaufskorb auf dem Fahrrad befestigt und ihr Kind hochhebt in den Kindersitz und dann wackelig in die Pedale tritt.

Ich blicke genau aufs Allee-Café, viele Paare, die sehen, aber nicht gesehen werden wollen. Anderes Publikum als im „Elefant am Nil“, da gibt’s Bowles und Couscous und Tee für Alternative und Vegane. Tapas-Bar und Schweizer Hof. Fernwehsehnsüchte verschiedener Epochen.

Sie wissen gar nicht, wie exotisch sie selber sind mit ihren sauberen Straßen, der schnurgeraden Allee, den ordentlich beschnittenen Bäumen, den sauber markierten Abstellplätzen für Autos und Fahrräder und Stadtstreicher Wie exotisch ist es, Turnschuhe der neuesten Mode zu tragen oder Ballerinas aus organisch gegerbtem Leder oder Wanderschuhe, wenn sie bloß im Park spazieren.

Den Park könnte ich sehen, wenn ich aufstände, doch ich stehe nur auf, um mich abends, wenn alles ruhig geworden ist, auf die bunte Bank zu setzen, meine zerschlissenen Armeestiefel aufzuschnüren und zu zählen, ob meine Einnahmen für ein bisschen Gras reichen oder für eine Kinderhose im Second-Hand- Laden für Jannis, meinen Kleinen, aber ich weiß die Größe schon lange nicht mehr. Ich hol sein zerknittertes Foto aus meiner Brusttasche. Meine Hände zittern.

Ich brauche das Gras, sonst wird mich irgendwann diese Explosion, die mir in alle meine Träume folgt, zerreißen.

Beitrag:

Das Interview

Noch leicht benommen von der hektischen Fahrt durch den chaotischen Berliner Feierabendverkehr stieg ich reichlich zwanzig Minuten verspätet aus dem Taxi.

Vor mir lag das gerade in der Szene angesagte Café Luzia, eine Mischung aus Café und Bar. Schon von außen machte ein im Fenster hängendes Stück Tuch mit der Aufschrift KREUZBERG AGAINST TRANSPHOBIA AND HOMOPHOBIA wie eine Hausordnung die Erwartungen an Besucher klar. Nichts Besonderes für Berlin.

Nach dem gleißenden Licht dieses heißen Augusttages mussten sich meine Augen erst an die Dunkelheit gewöhnen.

Ich sah mich nach meiner Interviewpartnerin um, deren Namen man mir vor einer Dreiviertelstunde auf einem gelben Post-it zugesteckt hatte. Nichts zu sehen.

Roh verputzte lehmfarbene Wände mit durch von Stuhllehnen abgeschabter Wandfarbe wurden durch Tische mit sich auflösenden Holzoberflächen, vermutlich hatte man hier nachgeholfen, ergänzt. Nur in einem entfernten Winkel fand sich eine Stehlampe, deren drei gebogenen Messingarme mit Lampenschirmen aus den Fünfzigerjahren etwas farbiges Licht spendete.

Dort suchte ich mir einen Platz mit Blick auf den Eingang.

Am Tresen saßen ein paar Mittzwanziger mit Bier und Cocktails vor sich. Dahinter ein Kellner von vielleicht dreißig Jahren mit Bartstoppeln und einem Oberlippenbart unter einer großen dunklen Hornbrille. Auffällig waren, abgesehen von einem dunklen Netzhemd sowie den geschminkten Lippen und Augen, eine Art Federboa über den Schultern. Seine Unterarme dunkel behaart.

In diesem Moment betrat eine schlanke junge Frau in einem klassischen kornblumenblauen Kleid mit weißen Punkten, das eine Handbreit über ihren Knien endete, auf hohen blauen Louboutins das Café und schaute sich suchend um.

Ich wollte gerade aufstehen und ihr winken, als der geschminkte Kellner an meinen Tisch trat. „Sorry, wir hatten gerade Schichtwechsel und meine Ablösung kam etwas verspätet. Ich bin Kim. Du bist hier um mich zu interviewen?“ Ich starrte die Bedienung an, während sie mit dunkler maskuliner Stimme sagte: „Ich bin froh, dass mal einer von ausgerechnet eurer Zeitung mit den vier Buchstaben nicht in dieser heteronormativen Matrix mit ihrem patriarchalen Schönheitsideal denkt.“

Und während die junge Frau im kornblumenblauen Kleid zu den anderen an den Tresen ging, schluckte ich schwer und versuchte vermutlich vergeblich, mir nichts anmerken zu lassen. Künftig würde ich Zeit in die Recherche vor meinen Interviews investieren.

Bodyguards?

Ich warte vor dem Hotel auf mein Taxi. Ein paar Meter weiter hält ein kleiner Kerl mit schütterem hellen Haar eine Packung Zigaretten in der Hand und streckt sie seinem Gegenüber jovial entgegen. Ein Bus fährt vorüber und ich trete vorsichtshalber einen Schritt zurück. Der dunkle Stoff des Sakkos spannt an den Oberarmen des größeren Mannes. An der Art, wie sich seine Lippen bewegen und der abwehrenden Geste vermeine ich ein, „Ich rauche nicht“, abzulesen. Gleichzeitig wendet er sich von seinem Gegenüber ab. Los wird er den anderen dadurch nicht. Ich sehe, wie der Kleinere ihm folgt und gestikulierend etwas erzählt. Sein ganzes Gehabe wirkt dabei unsympathisch. Oder lasse ich mich durch den missbilligend nach unten gerutschten Mundwinkel des Großen beeinflussen?
Ein Streifenwagen fährt langsam vorbei. Beide Männer sehen ihm betont gleichgültig nach.
„Ich wollte als Kind immer Polizist werden und eine Waffe tragen. Wenn du mit einer Pistole ankommst und die Tür eintrittst, sind immer alle nett“, trug der Wind die Worte des Rauchenden leise zu mir rüber.
Teilnahmslos ignoriert ihn der Angesprochene. Er sieht aus, als würde er gleichzeitig innerlich aufseufzen. Nur mir fällt auf, dass er ganz offensichtlich an keinem Gespräch interessiert ist. Wieder bewegen sich die Lippen des abstoßend wirkenden Kerls, aber der Straßenlärm verhindert abermals, dass ich höre was er sagt. Die Antwort des sportlichen Typs besteht aus einem Schulterzucken. Ich habe nichts Wichtiges versäumt.
Ein weiterer Anzugträger tritt aus der Lobby. Sein Blick streift die zwei Männer. Im Vorbeigehen sagt er leise etwas. Vielleicht, wohin er will. Es sieht aus, als kontrolliert er die Lage. Ehrfürchtig lässt der Kleinere die Zigarette unauffällig verschwinden. Wie ein Schatten folgen ihm die von mir Beobachteten und ein vor mir haltendes Taxi lenkt meine Aufmerksamkeit ab.

Drauflosgeschrieben ohne die Aufgabenstellung richtig zu lesen - da so nicht passiert - und jetzt trotzdem gepostet :wink:

Wie viel kann das äußere Erscheinungsbild eines Menschen verraten? In diesem Fall, so vermute ich, wohl recht viel. Schon als sie in das Café schreitet, zieht sie alle Aufmerksamkeit auf sich. Ihrem Auftreten nach zu urteilen möchte sie das auch. So und nicht anders. Warum sonst sollte man sich an einem Ort wie diesem – ein unscheinbarer Laden in einer Kleinstadt – dermaßen aufbrezeln? Schneeweiße Bluse, schwarzer Bleistiftrock. Schreit geradezu nach Karrierefrau. Allerdings sprechen die glänzend polierten Highheels eine andere Sprache. Weinrot, ebenso wie ihre Lippen. Immer noch elegant genug, um in einer Kanzlei oder dergleichen zu arbeiten. Einzig der Goldschmuck spricht dagegen. Da hat sie eindeutig etwas zu dick aufgetragen. Nicht nur ist er weniger klassisch und mehr ausgefallen, nein, er ist auch noch viel zu stark vertreten. An den Ohren, am Hals, um beide Handgelenke, ja sogar die Schnalle ihres Gürtels. Sie ist definitiv jemand, der sich gerne kleidet.
Die dunklen Haare sind ironischerweise zu einem recht unordentlichen Zopf zusammengeknotet. So wirr, dass es schon wieder elegant aussieht. Einzelne Strähnen hängen heraus und rahmen ihr Gesicht wie absichtlich ein. Mir wird klar, dass die Frisur nur den Anschein erwecken soll, sie sei schnell und unkompliziert entstanden. Doch an dieser Frau ist ganz sicher nichts willkürlich.
Ich stutze als die Bedienung ihr ohne jegliche Aufforderung eine bauchige Tasse samt Untertasse serviert. Sogar ein kleiner in Plastik verpackter Keks ist dabei. Eigentlich sollte es mich nicht wundern, dass die Angestellten sie kennen und sogar wissen, dass sie immer das Gleiche bestellt. Jemand wie sie hinterlässt einen bleibenden Eindruck.
Sie lächelt der Kellnerin nur flüchtig zu, weil sie viel zu beschäftig damit ist, auf ihrem Handy herumzutippen. Ich höre das dumpfe Geräusch ihrer langen Fingernägel auf dem Display bis hierher. Vielmehr stört mich jedoch ihre Geste zuvor. Nicht einmal ein Danke? Sie scheint nicht nur arrogant auszusehen – sie ist es auch.
Das denke ich bis zu dem Augenblick, da eine alte Dame das Café betritt. Noch ehe ich aus ihrem ganz und gar altrosafarbenen Outfit darauf schließen kann, dass die beiden zusammengehören, springt die Businessfrau mit einem breiten Grinsen auf.
»Oh, Oma«, höre ich sie geradezu gerührt von sich geben, als sie eben dieser um den Hals fällt. »Bin ich froh dich zu sehen. Wie geht es dir?«
Und während sie mit ihrer Großmutter im Schlepptau an den Tisch zurückkehrt, fühlte ich mich wie der größte Idiot. Denn plötzlich hat sich mein Blickwinkel um hundertachtzig Grad gedreht und ich stellte fest, dass nicht sie hochnäsig ist, sondern ich.

Sechs Flaschen SAN PELLEGRINO

An der Kasse unseres Tante-Emma-Ladens nickte mir die junge Verkäuferin freundlich zu, dass ich bald dran sei. Ein grossgewachsener älterer Mann versuchte nervös, das Bargeld aus seinem braunroten Lederportemonnaie zu klauben, um damit seinen Einkauf zu bezahlen. Vor ihm stand nur ein mit durchsichtigem Plastik verschweisstes Sechserpack Mineralwasser „San Pellegrino“. Die grünen Flaschen mit der bekannten milchigblauen Etikette und dem markanten roten Stern darauf.
Ich schätzte den Herrn um die siebzig Jahre alt. Er trug über teuren nachtschwarzen Lederschuhen verwaschene Noname-Jeans. Sein blaugrau kariertes Holzfällerhemd hatte er bis zu den Ellbogen hochgerollt, zu heiss an diesen Sommertag. Für sein Alter war das alabasterweisse Haar erstaunlich voll. Seine etwas trüben hechtgrünen Augen wurden durch die dicken Brillengläser wie bei einer Lupe unnatürlich vergrössert. Er schaute mich erleichtert und entschuldigend an, nachdem er die letzte nötige Münze der Kassiererin in die offene Hand legte. Ich gab meinen überschaubaren Einkauf aufs Band und bezahlte.
Der „San Pellegrino-Mann“ schien mit sich selber im Gespräch zu sein. Er versuchte, die Flaschen in seinen zitronengelben Rucksack zu packen. Er sprach dabei leise auf die Verkäuferin ein, ohne eine Antwort zu erhalten. Die Enttäuschung war ihm ins Gesicht geschrieben. Ich nahm meine Ware und verliess das überaus angenehme Kühl des Raumes.
Die Hitze draussen drückte mich zurück in den Laden, als ob man den laufenden Backofen unbedacht versucht zu öffnen. Beim kurzen Abwenden sah ich den Alten ein paar Schritte entfernt, eine erste Pause mit seinem Einkauf einlegen. Er stellte die Flaschen auf den Boden und schien keine Kraft mehr in den Händen zu haben. Ich bot von weiten an, ihn mit dem Auto mitzunehmen. Er hatte meine Worte nicht verstanden, sein cremefarbenes Hörgerät sah ich erst jetzt im Ohr. Er schaute mich verwirrt mit zusammengekniffenen Augen an. Ich wiederholte das Angebot etwas lauter. Sein Ausdruck wechselte unverzüglich auf ein „Bingogesicht“. Wir deponierten den Einkauf im Kofferraum und er erzählte mir während der Fahrt unaufgefordert und voller Freude von seinem bewegten Leben. Lange selbständiger Maler hier im Ort, was ich erst jetzt an seinen von den Lösemittel angegriffenen Händen erkannte. Er verkaufte aber das Geschäft. Andauernde Kopfschmerzen, Vergesslichkeit und so einiges mehr zwangen ihn damals in die Knie. Seit dieser Zeit lebte er von einer kleinen Pension. Auf dem Weg zu seiner Wohnung, er vergass mir bei praktisch jeder Abzweigung rechtzeitig die Richtung zu weisen, bekam ich immer mehr Achtung ob seiner positiven Lebenseinstellung. Vor seiner Haustüre drehte sich der Mann dann nochmals um. In der einen Hand hielt er die sechs Flaschen San Pellegrino, mit der Anderen winkte er mir dankbar zu, wie einem alten Freund.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich ihn sehe. Er ist nicht sonderlich auffällig, doch wenn ich vor ihm stehe, so kann ich nicht anders, als ihn genauestens zu mustern.

Mein Blick wandert über seine eng anliegende, schwarze Hose und sein schwarz-weiß kariertes Hemd, das er offen und betont locker über einem brombeerfarbenen Oberteil trägt. Alles an seinem Outfit ist exakt aufeinander abgestimmt. Ob das wohl auch die anderen Leute sehen? Wahrscheinlich beachtet ihn außer mir niemand. Oder?
Er ist nicht sehr groß, doch sein viel zu schlanker Körperbau lässt ihn schlaksig erscheinen. Bewegt er sich, wirkt er unbeholfen, obgleich er sich Mühe gibt, eine aufgeschlossene und würdevolle Haltung zu bewahren. Hätte er nur ein paar Muskeln mehr, sähe er besser aus. Viele müssten es ja gar nicht sein.

Ich sehe ihm ins Gesicht. Es wirkt jung, jünger als Andere in seinem Alter. Kein Bart, auch keine Anzeichen davon. Aber Augenringe. Bei seiner blassen Haut sieht man sie deutlich hervorstechen. Wenn sie noch etwas dunkler wären, würden sie gut zu seinem Oberteil passen.
Seine Haare hängen ihm leicht ins Gesicht. Dunkelblond sind sie, fast braun. Straßenköterblond. So hatte meine Kollegin diese Haarfarbe immer scherzhaft genannt.
„Das Gesicht müsste etwas länglicher sein, dann sähe es wohl gar nicht mal schlecht aus.“, denke ich und trete einen Schritt zurück.
Er öffnet den Mund leicht und legt den Kopf schief. Seine Zähne könnten gepflegter aussehen, seine Lippen ein wenig dunkler.
Nun mustere ich die Augenbrauen. Sie sind ziemlich dick, irgendwie unpassend für sein sonst viel zu zartes Gesicht. Auch die Nase wirkt etwas größer, als sie sein müsste. Eine Stupsnase würde wohl besser passen.

Unsere Augen treffen sich. Grün sind sie. Und wenn das Licht sich so darin widerspiegelt, sehen sie sogar sehr hübsch aus. Ich lächle leicht. Er lächelt zurück. Es ist mir, als höre ich eine Stimme, die mir zuflüstert: „Lass ab von all dem „hätte“, „wäre“, „müsste“ und „würde“! Er sieht gut aus. So wie er ist. Einzigartig und wunderbar geschaffen. Wie jeder Mensch.“
Ich lache leise in mich hinein und schalte das Licht aus. „Vielleicht ist der Spiegel ja doch nicht der ärgste Feind des Menschen…“, denke ich und ziehe die Badtür hinter mir zu.

Der erste Eindruck
Samstag. Markttag. Ich sitze im Bus und fahre in die Stadt. Mir gegenüber sitzt ein älterer Herr. Sein Gesicht ist von Arbeit und Sonne gezeichnet. Spuren, die sich eingegraben haben. Sein Haar ist voll und grau. Die verwaschene dunkle Hose und die blaue Sportjacke, die an einem Ärmel einen kleinen Winkelhaken aufweist, haben schon bessere Zeiten gesehen. Wie der Rucksack, der über der rechten Schulter hängt und den er krampfhaft mit seiner Hand festhält.
Freundlich lächert er mich an und fragt: „Fahren Sie auch zum Markt?“ Ich nicke und sage: „Ja, ich will ein wenig Obst und Gemüse fürs Wochenende einkaufen.“ Der alte Herr sucht ein Gespräch, denke ich. Er fährt fort: „Ich fahre seit ewigen Zeiten jeden Samstag in die Stadt und kaufe auf dem Markt ein. Da gibt es gutes und günstiges Obst und Gemüse.“ Er fügt lächelnd an: „Und anschließend kaufe ich bei ALDI den Rest für die nächste Woche ein.“
Mein Urteil ist gefällt. Der alte Mann sucht Gespräche, hat wenig Geld, kauft einmal wöchentlich ein. Scheint nicht ungebildet zu sein. Ich bestätige seine Worte: „Ja, es gibt auf dem Markt günstige, frische und gute Ware.“
„Nächste Haltestelle Markt“, kündigt der Busfahrer an. Der alte Herr steht auf, ist etwas wackelig auf den Beinen. Er drückt seinen Rucksack fester an sich. „Wünsch ihnen noch einen schönen Tag.“ Ich entgegne: „Ebensolchen!“
Wir steigen gemeinsam hinten aus dem Bus. Da verliert der alte Mann den Halt und stürzt auf die Straße. Ich eile zu ihm, helfe ihm auf. Dabei öffnet sich sein Rucksack und ein offener Umschlag mit vielen großen Euroscheinen wird sichtbar. „Oh!“ Entfährt es dem alten Herrn. Er schließt den Rucksack schnell wieder und wir eilen zum Bürgersteig.
Ich überspiele meine Überraschung. Frage, ob er verletzt sei. „Nein, alles gut“ ist seine Antwort. „Ist es nicht gefährlich, soviel Geld zum Einkauf auf dem Markt mitzunehmen?“ Es ist dem alten Herrn erkennbar unangenehm, dass ich das Geld in seinem Rucksack gesehen habe. „Ich will heute noch ein Geschenk für meine Ehefrau kaufen, eine goldene Uhr.“ Mit dieser Erklärung wendet sich der Mann von mir und trottet Richtung Markt. „Hätten sie etwas dagegen, wenn ich sie begleite und ein wenig aufpasse?“ entfährt es mir. Ich erschrak, habe ich dies soeben gesagt? Ein wenig widerwillig antwortet der alte Herr: „Meinetwegen.“
Und so begleite ich ihn bei seinen Einkäufen auf dem Markt und in ein nahes Juweliergeschäft. Er trägt seinen Wunsch vor. Der Juwelier schaut freundlich auf uns beide und legt dem Herrn mehrere goldene Uhren vor. Der alte Herr fragt nach den Preisen und wählt eine recht schlichte Uhr aus. Er öffnet seinen Rucksack und holt das Geld hervor. Ich verlasse das Geschäft, verabschiede mich von ihm: „Nett sie getroffen zu haben, ihre Frau wird sich sicherlich sehr über das Geschenk freuen.“ Er erwidert freundlich „Dankeschön“.
Ich warte auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Erst als der alte Mann das Geschäft verlässt und zur Bushaltestelle geht, wende ich mich Richtung Markt, um meine Einkäufe zu erledigen. Nachdenklich fahre ich nach Hause. Welche Lebensgeschichte verbirgt sich hinter diesem Mann, der selbst ärmlich bekleidet, seiner Frau ein so kostbares Geschenk macht.

Anmerkung: Papyrus hat den Lesbarkeitsindex verbessert (;

Fast zum letzten Mal

Der Weg durch den Märchenwald war steil. Märchenberg hätte es eher getroffen. Doch dieses gut versteckte Ausflugsziel wurde mit viel Liebe zum Detail betrieben. An jeder Ecke des serpentinartigen Aufstiegs gab es ein hübsch verziertes Märchen zu bestaunen.

Erst oben angekommen wurde der Eintritt kassiert und der Besitzer verkaufte noch Kaffee, Kekse und Chips. Ein Schild zeigte auf die Kasse. Es könnte locker aus den Achtzigern sein. Doch gerade stand niemand hinter der Theke. Meine Kinder und meine Frau nahmen derweil an einem der Tische platz und genossen die wunderbare Aussicht über den Rhein.
Keinen Moment später kam ein älterer Mann in Hemd samt Hosenträger um die Ecke stolziert. »Ich komme schon«, rief er mir fröhlich zu und trat hinter die Theke. Ich griff nach meinem Portmonee, um den Eintritt zu bezahlen, und gab noch eine zusätzliche Bestellung auf.
Der Betreiber notierte sich noch zwei Kaffee und eine Packung Leibnitz Schokokekse. Fein säuberlich schrieb er die Zahlen auf einen kleinen Block und summierte fünfundzwanzig Euro zusammen. Auf der Internetseite hatte ich bereits gelesen, dass keine Kartenzahlung möglich war, also sparte ich mir das Nachfragen und überreichte ihm einen fünfzig Euroschein.
Er kramte in seiner Geldbörse und gab mir mein Wechselgeld.
»Den Kaffee mache ich gleich fertig«, sagte er und händigte mir schon einmal die Kekse für meine Kinder aus. »Da hinten ist auch ein Spielplatz«, erklärte er und zeigte mit seiner Hand in Richtung des kleinen Spielbereiches. »Ich glaube das habe ich heute schon drei Mal gesagt«, rekapitulierte er und verschwand mit einem Lächeln in der Kaffeeküche. Die Eltern, die schon länger da waren, schmunzelten mit ihm.

Ich setzte mich zu meiner Familie und teilte die Kekse aus. Keinen Moment später konnte ich den älteren Mann dabei zusehen, wie er die beiden Kaffee vorbereitete. Die Papierbecher mit dem Kaffee stellte er auf Keramikuntertassen, auf die er jeweils gekonnt, mit einem langen Löffel, einen kleinen Keks platzierte. Er nahm sich zeit, trödelte jedoch auch nicht.

Erst zuhause erfuhr ich durch meine Schwiegereltern, dass der Märchenwald zum Verkauf steht und es für den netten und urigen Betreiber der fast letzte Tag war.

Die Saison endet übermorgen.

Ich hasse volle Einkaufszentren. Besonders an einem Samstag. Schlecht gelaunt schiebe ich mich durch die Menschenmassen.
Da erblicke ich Sie.
Millionärsgattin, Anfang 50. Konfektionsgrösse 34/36. Was auch sonst? Ihren perfekten Körper präsentiert sie in einem engen roten Kleid. Der Blazer, die Pumps und
die Gucci-Tasche in schwarz machen das elegante Outfit
komplett. Ihre perfekt frisierten braunen, halblangen Haare umrahmen ihr eingefallenes Gesicht. Der rotgeschminkte Mund ist verkniffen. Ihre Augen blicken starr geradeaus. Sorgenfalten auf der Stirn.
Vermutlich überlegt sie, wieviel Champagnerflaschen sie heute kaufen soll.
Ja, DAS sind echte Probleme!
Sie betritt genau vor mir die Apotheke.
Ich kann ihr starkes Parfüm riechen.
Sie reicht dem Apotheker ihr Rezept.
Ein Blick auf die Packung.
TAVOR. Ein extrem starkes Beruhigungsmittel.
FUCK!!!
Nichts ist wie es scheint…
Ich blicke beschämt zu Boden…