Die Mandoline
Um es gleich zu sagen: Es war keine Mandoline. So sehr dieses Etwas – ein Gebilde aus kaum zu definierenden Materialien – darauf aus zu sein versuchte, es konnte ihm nicht gelingen. Bleiben wir der Einfachheit halber bei dem Begriff Mandoline. Sie muss schon zum Zeitpunkt ihres Entstehens wie mehrere hundert Jahre alt ausgesehen haben, so alt jedenfalls, dass ein weiteres Altern kaum möglich zu sein scheint.
Bevor wir ihrer ansichtig wurden, kam zuerst unser Sänger – ich nenne ihn Don Pedro – in die Bar ›Pino de la Virgen‹, einem gastlichen Ort mit einem lauschigen Innenhof in dem Dorfe Puntagorda im nordwestlichen Teile der Insel La Palma. Es war der Tag nach der großen Fiesta von Pfingsten. Die Gitarre, die Don Pedro mitbrachte, sah aus, als hätte er die letzten Jahre im Steinbruch gespielt. Ebenso hatte seine Stimme einen staubig-rauen Anklang, dem sowohl die ausgiebige Fiesta als auch das sich verflüssigende Blau seiner Augen, aus denen das Übermaß des Weines Ausflucht suchte, Erklärung bot. Don Pedro war kontaktfreudig, um nicht zu sagen, bedürftig, setzte sich zu uns, seine gedämpfte Redseligkeit immer wieder entschuldigend: »Mas vino …« Er griff, nachdem er einen Krug Wein bestellt hatte, in die staubigen Seiten, und sang mit seiner trotz aller Strapazen immer noch schönen Stimme.
Dann tauchte Manolo auf – ich nenne ihn so seines Instrumentes wegen – und setzte sich in Begleitung seiner Mandoline, und einer zu ihr in starkem Kontraste stehenden schönen Dame, zu uns.
Nun war sie da, diese Mandoline, dieses Gebilde, das jedem Bild eines Instrumentes, dem Musik einmal nahegekommen war, spottete, dem aber, wie sich bald herausstellte, eine solche Absicht innewohnte. Auffallend an dem Korpus – man möchte fast sagen: delikti – über den schräg und chaotisch eine Handvoll Drähte verliefen, die Saiten imitierend, bis zu einem krummen Halse herauf laufend und an dessen Ende untertauchend – war eine große Klappe.
Die meisten Klappen, besonders die großen, sind dazu angetan, mehr zu offenbaren, als allseits gewünscht ist, diese hingegen sollte verbergen. Denn dem scharfen Beobachter entging nicht, dass hinter dieser Klappe ein Innenleben verborgen war. So begann dieses Instrument, kurz nachdem Manolo unauffällig die Klappe geschlossen hatte (die Klappe der Mandoline), sich in virtuosen Akkorden zu ergehen, eine ansehnliche Begleitung, zu der Manolo, emsig die Finger über die besagten Drähte bewegend, seinerseits ohne eine weitere Klappe zu benötigen, aus vollem Munde mit schöner Stimme sang. Don Pedro stimmte mit ein. Seine Finger griffen voll in die Saiten, und wann immer die Lider seiner feuchten Augen ihrem Gewicht nachgaben, und seine Stimme Morpheus Nähe zu spüren schien, gab er sich einen Ruck, schwang sich zu einem neuen Forte auf, unterstrichen von dem markanten Vibrato italienischer Tenöre. Ein solcher Ruck war es wohl, der den Stein ins Rollen brachte, oder besser gesagt, eine gewisse Umschichtung seines Körperinhaltes auslöste, wobei die, durch welche Umstände auch immer, irrtümlich in ihn hineingelangte Luft, sich eruptiv durch seine Kehle die Freiheit zurückeroberte, dabei laut mit den Tönen des Gesanges konkurrierend. Es wäre fehl am Platze, hier von einem profanen Rülpser zu sprechen angesichts einer solchen Stimmgewalt. Diese unvorhergesehene Modulation in der Melodieführung brach den harmonischen Bann der Musik, und alle brachen in schallendes Gelächter aus. Mit Ausnahme von Don Pedro, dessen Augenlider an Hand dieser spontanen Entspannung ihrem Gewicht nachgaben, und den sich darunter befindlichen Körper in Ruhe hüllten, nachdem der Kopf, eine langsame Verbeugung beschreibend, den Tisch erreicht hatte. Das war dann Schlussakkord und Zugabe in einem, und was zu singen übrig blieb, das sollte ein andermal gesungen werden.