Seitenwind Woche 3: Schreib, was du siehst

Die Begegnung
Schreib was Du siehst
Ich sitze im Straßen Cafe in der Leopoldstraße, in Münchens Schwabing. Während ich meinen Espresso schlückchenweise austrinke, sehe ich die Autos vorbei flitzen. Visavis, blinkert die Leuchtreklame, über den oberen Etagen der Firmen, unterbrochen, von den Zypressen, die den Rand der Strasse säumen. Hinter mir ziehen die Nachtbummler vorbei, die ebenso wie ich, auf ein Erlebnis hoffen. Leider setzt sich Niemand zu mir und ich hätte mich so gerne unterhalten. Ich bezahle und stehe auf, gehe weiter. Die Zehen und Fingernägel rot lackiert, die Naturkrause des Haares, vom Friseur gesteilt, die Füße in hochhakigen Schuhen, stolziere ich dahin, mein Hüftschwung wäre Marylin Monroe, würdig gewesen. Pfiffe hinter mir, gelten wohl mehr meiner Schönheit als mir selbst.
Da kommt mir ein Mann entgegen, hochaufgeschossen, gut aussehend. Er steuert auf mich zu, unsere blicke kreuzen sich. Mir ist als hätte mich der Blitz getroffen, Der und kein anderer soll es sein. Da fasst er mich an der Hand, hätten Sie nicht Lust, mit mir ins Cafe Luitpold, tanzen zu gehen? Mein Herz macht ein paar schnelle Sprünge. Nur zu gern, ich fühle mich ohnehin etwas einsam.
Na dann los, kommen Sie mit und führt mich zu seinem Porsche, den er in einen Nebenstraße geparkt hatte. Während des Tanzens, hat er nur Augen für mich
Ich wär überglücklich als er, der großartige Mann, mir später einen Antrag machte und mich heiratete.
Doch die Märchen beginnen alle, mit es war einmal.

Aus welcher verfluchten Ritze dieses Erdballs, ist das dumpfe Ding in mich hineingekrochen? Wo muss ich noch überall hineinstechen und schneiden, um ihn aus meinem Leib zu sezieren. Mit wie viel Zigarettenglut brenne ich diese Teufelsbrut aus dem Fleisch?! Musik! Dreh auf!
Hör auf, dir das Gesöff aus dem angegrauten Wikingerbart zu wischen, und beiß die Kiefer zusammen zum Takt der Musik!
Zisch leise durch die weißen Zahnreihen. Der Schmerz versteht dich und Dein Schreien glättet die Krähenfüße. Der Geruch verbrannter Brötchen wabert gen Autohimmel. Versengte Haare stinken elend! Ein neuer Aschekrater, begleitet von konfusen Entwurzelungsgefühlen. Dieses Ding, es hat dir dein Selbst samt Wurzelballen herausgerissen, dich hochprozentig eingelegt und für dich unauffindbar, im Keller deiner Seele angekettet. Ich schiele in den beschlagenen Rückspiegel. Die sonst so baugebräunte Haut wirkt kalkig, einer gelbmatten Maske gleich. Nein, nein! Ich bin das nicht, nicht das da!
Ja, verdammt! Wenn ich nüchtern bin, weiß ich, dass Doc. Weißkittelchen recht hat! Ich bin nicht nur ausgebrannt, ich bin verpufft. Verpufft in einer gewaltigen Implosion.
Schwarzsehen heißt der hellstmögliche Zustand.
Mein Spiegelbild siezt mich, bevor es sich schamhaft umdreht, mir einen Finger zeigt und vor meiner Fremdartigkeit flieht. Ein grüngraues Gaffen verfeindeter Pupillen. Das Weiße rotgerieben, als wären Tränen aus Zwiebeln und Kalk. Das zerrupfte silberblond des Haaransatzes beginnt sich wuchernd, wie eine Grauflechte, über den Kopf hinweg auszubreiten. Ich habe nicht einmal mitbekommen, dass mir ein Zopf gewachsen ist. Mein Frisör scheint zu streiken? Oder habe ich nur seine Nummer verlegt oder sogar seinen Namen vergessen, wie so viele andere Namen auch, die ich einfach vergessen will!

Bad Boy

Er ist der Albtraum aller Schwiegermütter. Zugegeben, nicht auf den ersten Blick. Zumindest nicht, wenn man ihn morgens, meist gegen neun, auf dem Land in der Nähe seines Hauses begegnet. Vielleicht, weil sein Bauch oder sein Viralfett, wie meine Ärztin sagen würde, bei seinen Spaziergängen voranzugehen scheint. Oder, weil seine Haare zwar noch immer lang, aber unverkennbar schütterer und zunehmend grau wie Spaghetti auf seinen Schultern liegen. Mit einer positiven Grundeinstellung und etwas Bemühen kann man hier im Ländle in seinem sonst eher stechendem Blick sogar ein Hauch von Freundlichkeit entdecken und an guten Tagen sogar ein Schwätzchen mit ihm halten. Man ist fast versucht, zu denken, er sei wie du und ich und alle anderen Nachbarn in unserer Straße und eigentlich gar nicht so unsympathisch. Doch das täuscht.
Trinken mit ihm, das macht er klar, das hatten schon einige auf dem Plan, doch er ist hardcore. Er schafft sie alle. Irgendwann liegen sie alle unter dem Tisch. Er lacht und mir fallen all diese Geschichten ein, die man sich über ihn erzählt.
In Hockenheim haben Achtzigtausend gebrüllt. Achtzigtausend, ungelogen, die meisten mit finsterem Blick, Lederjacken, einer Harley unterm Hintern und Eiern in der Hose. Achtzigtausend im Rausch der Musik. Auf der Bühne war er autark und sein Bauch verschwand hinter seiner Stimme, hinter seinen Tattoos und seinen Liedern. Heute versucht er sich von so manchen frühen Texten zu distanzieren, doch einmal in der rechten Schublade, kommt man schwer wieder heraus.
Melde dich doch, Junge, lautete eine Überschrift in einer bekannten Sonntagszeitung. Vor mir musst du dich doch nicht verstecken. Seit er nach einem schweren Unfall Fahrerflucht beging, betrunken, wie man sich erzählt, hat er sich nicht mehr bei seiner Mutter gemeldet.
Sein Sohn war ein Geschenk, unerwartet und spät und nicht für jeden willkommen. Deshalb hat er sich scheiden lassen, aber er kümmert sich, finanziell, will nicht, dass es ihr schlecht geht. Der Achtzehnjährige fährt jetzt den Maybach, als wäre es sein eigener, aber der würde ja eh nur rumstehen, seit er den Führerschein abgeben musste. Seitdem steht der Wagen nur noch selten in der Einfahrt. Wenn man am Abend an seinem Haus vorbeigeht, sieht man seine Gestalt oft schemenhaft im Schein einer entfernten Lichtquelle im Wintergarten sitzen. Allein.

Verloren zwischen den Zeilen

Die Sonne versuchte, sich durch die dunklen Wolken durchzuschieben und alles um sie herum zu erhellen. Nicht erhellen…zum Leben zu erwecken. Die ersten Vögel fangen an, wild und rege sich untereinander zu unterhalten und neben mir schnarcht verschlafen mein Freund. Eine widerspenstige Haarlocke hat sich zu seinem Auge gesellt, als wollte es „Hallo“ sagen. Im dämmrigen Licht nahm ich meine Bücher wahr und sehnte mich danach, mich zwischen den Zeilen zu verlieren. Nachdem meine Augen sich an das Dunkel um mich herum gewöhnt hatten, griff ich zur Nachttischlampe und knipste sie an. Ein Blick auf meinen Freund sagte mir, dass er noch immer tief und fest schlief. Ich atmete erleichtert aus. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich den Atem angehalten hatte, doch in meinem Kopf hallte ein Gedanke nach. Hoffentlich kann ich noch eine halbe Stunde mich in die Geschichte verlieren, bevor ich die ganze Hausarbeit sehen muss
Ich schlug das oberste Buch meines Stapels auf und ließ mich einfach so, ohne Widerstand, in ihre Geschichte hineinziehen.

An deinem Grab

Der Wind weht durch die welken Blätter der Bäume. Er spielt mit ihnen und lässt sie tanzen. Dazu trägt er die Wolken weiter und gibt die Sonne frei.
Ich schaue mich um und lasse das goldene Licht auf mich wirken.
Nach einer Weile schweift mein Blick auf deinen Namen herab. Seit zwei Jahren steht er nun hier in diesen Stein gemeißelt. Zusammen mit deinem Geburts- und Sterbejahr.
Du warst gerade mal einunddreißig Jahre alt, als du diese Welt verlassen musstest.

Ich sitze da, starre auf deinen Namen und erinner mich. Ich erinnere mich an die Zeit, in der wir gemeinsam zur Schule gingen.
Du warst der ausgeflippte Kerl, der absolut nicht in das gesellschaftliche Bild passte und ich die Brave, die Streberin.
Wie sollte es da anders sein, dass unser Klassenlehrer uns immer zusammen in eine Gruppe steckte? Immerhin konnte ich so gut wie alles und du so gut wie nichts.
»Gegensätze ziehen sich an«, sagte unser Klassenlehrer immer.
»Ihr macht das schon«, bekamen wir jedes Mal zu hören, wenn wir in andere Gruppen wollten. Also machten wir das Beste daraus.
Irgendwann hatte ich jedoch die Nase voll und weigerte mich, dir weiter zu helfen. Dadurch ging unsere Freundschaft wohl zu Bruch.

Ein paar Jahre lang habe ich dich nicht mehr gesehen. Irgendwann kamst du aber wohl zurück hierher, in meine Heimat, und wir liefen uns ein paar Mal über den Weg. Doch wir sprachen nicht miteinander.
Ich traute mich nicht, dich anzusprechen und du, du wolltest wohl nicht mit ihr reden. Denn dein Blick wich mir jedes Mal aus, wenn wir uns trafen.

Und was ist jetzt? Jetzt sitze ich hier, an deinem Grab und wünsche mir, dass ich damals anders reagiert hätte. Dass ich den Mut zusammengenommen hätte und ein letztes Mal mit dir gesprochen hätte.
Doch es ist zu spät. Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen. Ich kann nicht in die Vergangenheit reisen und meine Fehler wieder gut machen.
Aber ich kann hier herkommen, an dein Grab, und hoffen, dass es dir da, wo auch immer du jetzt sein magst, besser geht.
Denn du warst von Geburt an krank. Und am Ende, war dein Körper zu schwach für deinen Geist. So viel habe ich in Erfahrung bringen können. Mehr aber auch nicht.

Sollten wir uns eines Tages wiedersehen, so habe ich nur einen Wunsch.
Ich hoffe, dass wir uns dann gegenseitig in die Augen sehen und uns aussprechen können.
Bis dahin, Ruhe in Frieden mein verlorener Freund.

Scheinbar unscheinbar

Feierabend! Der Himmel begrüßt mich in einem milchigen Blau. Die Sonne strahlt durch die Windschutzscheibe und blendet. Die Scheibe ist verschmiert. Wollte ich schon lange mal putzen. Was koche ich heute zum Abendbrot? Einkaufen muss ich noch. Die Ampel ist rot.

An der Fußgängerampel stehen fünf junge Menschen. Um die zwanzig. Unscheinbar. Du fällst mir durch deinen stechenden Blick auf. Du bist jung. Sehr jung. Deine Haare liegen in weichen Wellen auf deinen Schultern. Eine schmutzig blaue Strähne stört die Harmonie. Die Kapuze deines schwarzen Hoodies fällt dir tief in die Stirn. Auch sonst ist alles an dir schwarz. Außer die Weste.

Die Fußgängerampel wird grün. Warum tragt ihr alle Warnwesten? Da sitzt ihr auch schon auf der Straße. Festgeklebt! Du direkt vor meinem Auto. Meine Gefühle überrollen mich wie eine Lawine. Ein Hupkonzert reißt mich aus meinen Gedanken. Ich frage mich, ob du Ohrstöpsel trägst. Gerade noch habe ich irgendwo gehört, dass manche von euch Schlafmasken aufsetzen. Gegen die wütenden Blicke der Autofahrer?

Dein Blick ist jetzt ganz leer. Du schaust an mir vorbei. Ich lehne mich zurück und drehe die Musik lauter. Ich wünsche mir eine Schlafmaske. Ich halte das aus. Du senkst den Kopf. Schaust weg!

Schichtwechsel

Er steht direkt vor mir und unterhält sich mit seinem Kollegen. Groß ist er, bestimmt zwei Meter, und hager. Aber die Uniformjacke unterbindet jeden Anflug von Schlaksigkeit. Überhaupt ist seine Kleidung tadellos. Die Hose hat tatsächlich dieselbe Farbe wie die Jacke. Wie lange er die wohl gesucht hat? Leuchtend gelb strahlt der Name des Unternehmens auf der rechten Brusttasche. Aber Moment, hatten die nicht vor einigen Jahren mit einer anderen Firma fusioniert? Die heißen heute doch ganz anders.
Er trägt eine Sonnenbrille wie Tom Cruise in Top Gun, die Frisur ist auch ähnlich akkurat. Mit der linken Hand hält er sich am Entwerter direkt vor meinem Gesicht fest. Dabei trommeln seine dünnen Finger unruhig auf dem Gerät herum.
An der nächsten Station ist der Betriebshof. Dort wird er aussteigen und seinen Bus in Empfang nehmen. Er wird seine Schicht zur vollsten Zufriedenheit ausführen.

Übertragung und Gegenübertragung

Du sitzt auf unserem grauen Familiensofa mit einer Tasse Tee in der Hand. Deine Haltung wirkt angespannt. Die Finger presst du in das Gefäß, als hättest du Angst, jemand würde kommen und es dir wegnehmen. Du bemerkst nicht, wie du vom Küchentisch von mir beobachtet wirst. Ein Gedanke nach dem anderen lässt dich immer weiter in deine Welt eintauchen.

Die Augenbrauen ziehen sich gemächlich zu einem Gekräusel zusammen. Es bilden sich leichte Falten auf der Stirn. Die vorher offenen und leeren Augen verformen sich zu einem misstrauischen Blick. Deine Hände, welche die Tasse umschließen, zittern etwas. Aus den vollen Lippen entsteht ein gerader Strich. Die Brust hebt und senkt sich schneller. Das Grübeln hinterlässt nach und nach seine Spuren auf deinem Gesicht. Ich fühle, wie auf atomarer Ebene alles in dir nervös vibriert. Du nimmst einen Schluck vom Tee und auf deiner Stirn entstehen Berge und Schluchten aus Hautfalten. Die Kiefermuskeln presst du mit vollem Einsatz zusammen.

In dir bebt ein Sturm. Du bemerkst weder die Wärme der Tasse noch den Geschmack des Tees. Deine Welt wird dunkler. In meiner Brust fühle ich deutlich einen stechenden Schmerz, der nicht meiner ist. Ein Knoten bildet sich in meinem Hals. Schnell bringe ich mein inneres Kind in Sicherheit und imaginiere in die Erde wachsende Wurzeln aus meinen Füßen.

Diese Finsternis hat nichts, mit mir zutun. Langsam breitet sich ein warmes Gefühl in mir aus.

Du nippst an deinem Tee und drehst den Kopf in meine Richtung. Unsere Blicke treffen sich. Meine Abgrenzung von deiner Dunkelheit, das Zurückkehren zu mir selbst, schenkt mir die Fähigkeit, dich aufrichtig anzulächeln.

Allmählich entspannt sich jeder Muskel auf deinem Gesicht. Die Berge und Schluchten auf deiner Stirn verwandeln sich langsam in leichte Wellen. Deine Mundwinkel ziehen sich entgegen aller Negativität ein wenig nach oben.

Du lächelst.

Die Schöne am Fenster

Die Ansagefür den Intercity reißt mich aus meinem Tagtraum, den ich mir in der Wartezeit gönnte. Im Abteil verstaue ich Koffer und Tasche, lehne mich entspannt zurück und betrachte die Menschen hier. Die Frau am Fenster fällt mir auf, sie sitzt mir schräg gegenüber. Der Rest berührt mich nicht weiter. Sie zeigt keinerlei Regung, schaut geradeaus, ohne etwas Bestimmtes zu fixieren. Döst sie wie die anderen? Wenn ja, wirkt es bei ihr jedoch nicht wie das Absitzen verlorener Zeit. Irgend etwas arbeitet in ihr. Im Moment scheint sie nach innen gewandt zu sein, wendet dann ihr Gesicht zum Fenster. Vielleicht registriert sie unbewusst die Landschaft, die grünlich verwischt, mit gelbaufleuchtenden Streifen draußen vorrüberfliegt. Nach einer Weile nimmt sie eine bequeme Haltung ein, lehnt den Kopf an und streckt ihre Beine ein wenig. Da nehme ich ein kurzes Aufblitzen ihrer Augen wahr. Sogleich schließt sie sie wieder. Sie waren das Erste an ihr, was mich anzog, katzenhaft geschnitten und graugrün. Die kleinen Unvollkommenheiten im Ebenmaß ihrer Züge, geben ihrer Ausstrahlung Individualität. Die Wangen stehen etwas kräftig im sonst sanften Oval ihres Gesichts. Die Nase dafür zierlich gestaltet, fast hypnotisch ihr Mund. Er weckt Begierden. So hält sie meine Sinne gefangen, die Schöne am Fenster. Die Fortsetzung meines begonnenen Tagtraums werde ich verschieben. Umgeben wird dieses Gesicht von Haaren, die in dunklem rotbraun, seidig weich, auf die Schultern fallen. Ihr bisher verinnerlichter Gesichtsausdruck löst sich, sie kehrt zurück ins Diesseits. Inzwischen steht die Sonne tiefer, wirft ihr Licht in einer Trassenkurve von der Seite her auf die Frau. Das Streiflicht lässt den Eindruck entstehen, dass ihr Mund Trauer trägt. Wie ein Schattenrelief ziehen sich die Mundwinkel nach unten, sehen jetzt verspannt aus, wie ihre Augenpartie. Trotz allem wirken ihre Attribute auffordernd und reizvoll auf mich. Ab und zu schaut sie kurz zu mir rüber. Bewege ich mich auf sie zu, mich öffnend, verschließt sie sich umso mehr, uneins mit sich. Sie findet wohl die Lösung darin, sich einzukapseln, kein Gespräch, keinen Zugang zulassend. Lasse ich Raum, halte Distanz, sendet sie stumme Hilferufe. Mir fallen ihre filigranen Finger auf, mit denen sie jetzt ihre Schläfen massiert. Ihre Züge zeigen Resignation, um gleich darauf flehend aufzuflammen. Manchmal wird ihr Mund schmal, ihre Augen starr, wie bei einer Katze, die einen Angriff vorbereitet. Doch jetzt kuschelt sie sich anmutig in die Ecke ihres Sessels. Ihr Gesicht verbirgt sie hinter ihrer Jacke, die dort am Haken hängt. Diese Bewegung zog das gelbe Seidenhalstuchetwas heraus. Jetz liegt es lose auf ihren schmalen Schultern. Na gut, dann kann ich ja meinen Tagtraum wieder hervorkramen.

Ersetze diesen Text mit deinem Beitrag.

Wieso stolpert sie nicht? Akkurat und in Zeitlupe balanciert Lisa mit all ihren Gelenken die fehlende Bodenhaftung aus. Nicht wie eine Seiltänzerin, sondern wie eine Steintänzerin. Die mit Gras verwachsene unebene Pflastersteinstrecke ist für sie eine Herausforderung. Ihre hellen Knöchel umspannt schwarzes Lederband und hält samtige elegante Schuhe an ihren Füßen. Ein unglaublich hoher Absatz knickt den Fuß genau dort ein, wo der Rand des Leders ist. Das muss schmerzhaft sein. Lisa lacht, als sie meinen Blick sieht, wedelt leicht und ruhig mit den Armen und bleibt stehen. Ihre kippelnden High Heel Pumps schicken noch Schwingungen über Füße und Beine in ihre Beckenmuskulatur, die diese elegant abfängt. Eine enganliegende dunkle Hose betont die sich bewegende Kontur ihres Körpers.
„Ich bin sofort nach dem Kongress schnurstraks hierhergefahren, weil ich frische Luft, Bäume und unverkrampfte Typen dringend benötige.“ Lisa strahlt mich an und stopft die Hände in die Taschen ihrer leicht verschlissenen Weste. Dabei fällt sie nach vorn und ich fasse sie an den Schultern. Während ich in ihr Gesicht sehe, tariere ich sie auf ihrem Schuhwerk zurecht. Sie hat einen feinen Duft. Dieser verwirrt mich etwas. Er mischt sich mit dem Tiergeruch, der in den Klamotten steckt, die sie wohl noch im Auto getauscht hatte.
Bisher hat diese Frau nicht wirklich meine Aufmerksamkeit erregt. Das Gesicht hätte ich schwerlich beschreiben können, es verlief in streng anliegenden dunkelbraunen Haaren, zusammengehalten zum Pferdeschwanz. Nur ihre Stimme und Sprache war mir aufgefallen, mit dunklem Timbre und sehr exakt, sowohl im Satzbau, als auch der Aussprache von jedem Wort.
„Du brauchst mich nicht halten.“ Lisa löst sich von mir, bleibt aber stehen und schmunzelt. Sie ist geschminkt. Ihre Lippen sind wunderschön, finde ich. Dezent, aber sichtbar. Die Furchen von den Nasenflügeln bis um den Mund herum skizzieren freudige Erregung in ihr Gesicht und die laszive Haarsträhne aus den locker hochgesteckten Haaren erwähnt Sinnlichkeit. Ich bemühe mich, dies sachlich festzustellen. Vor mir steht eine attraktive Frau, jung und reif zugleich.
Dann wendet sie sich ab und stakst in das Stallgebäude.
Eine knappe Stunde später taucht sie wieder auf. Ihre Füße und Knöchel sind in Wanderschuhen verschnürt, Socken reichen über die Reithose. Ihr Schritt ist fest und weit ausholend neben ihrem vierbeinigen Freund, der wippt im Schrittmaß mit dem Kopf.
Ich sehe Lisa nach, als sie auf dem Feldweg zum Wald reitet. Das deutliche Bild ihres Gesichtes mit den Lachfalten schiebt sich vor, ihr Geruch steigt mir in die Nase und irgendwie spüre ich High Heels an den Füßen, dabei stolpere ich.

Thema schreib was du siehts

Pflegenden Angehörige auf dem Weg von Stuttgart nach Feuerbach

Ich bin die zweite pflegenden Angehörige von meinem Erwachsenen Sohn 44 Jahre ., Der durch seine Krankheit Epilepsie, ,die er mit 22 bekommen hatte viel verloren hat… Die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. auch seine Ehe ist durch die Krankheit kaputt gegangen. Und er sieht seinen heuten 12 Jahren alten Sohn sehr traurig . selten und dann nur in Begleitung wegen der Anfälle. Mit uns Großeltern und der Kindesmutter… was ihn sehr traurig macht.

Sonntagmittag 13…45

Wie fast jeden Tag gehe ich zu meinem Sohn. wir spielen fast simmert dann Zusammen Mensch ärgere dich nicht,. Oder wir rufen seine Cousinen an, die für ihn wie Schwestern sind-

Als ich aus der Haustüre hinausging und zu Bushaltestelle lief. .Die fast direkt vor der Haustüre ist; als erstes begegnete mir eine Nachbar Familie mit drei Kindern,: Ungefähr in dem Alter sieben und 10, die beiden Mädchen. und der Junge 12-.:; So wie es aussah war sie auf dem Heimweg., waren schon frühmorgens spazieren…
An der Bushaltestelle standen einige, .die auf den Bus warteten . Hinter mir ein noch sehr junges Pärchen, das sich küsste. Zufällig schaute ich zu der fast 60 jährigen Frau, die auch auf den Bus wartete, und ein wenig entfernt von mir stand, Sie das junge Pärchen , etwas Kopfschütteln ansah.
Als der Bus anhielt haben es einige Fahrgäste versäumt rechtzeitig von ihren Sitzen aufzustehen beim aussteigen. Weil sie zuvor mit ihren Smartphone beschäftigt waren. Im Bus der um die Zeit heute noch nicht voll war . Fahrgäste im verschiedenen Alter und meisten Fahrgäste bis auf einen jungen Mann der ein Buch las-. In diesem Bus waren heute um diese Zeit keine Kinder. die wahrscheinlich zu Hause am Computer saßen oder verreist esst waren in den Herbstferien.

In der U-Bahn 14 Uhr.

In dem Abteil.in dem ich saß in der U-Bahn, waren wieder Fahrgäste verschiedenen Alters. Diesmal auch Familien mit Kindern., Ich sah die Frau die mir gegenüber saß die schon etwas alter war, und so wie es aussah älter wie ich, Aber sie hatte einen sehr modernen Kleidungsstil Jeans und modernen Pullover und Sportschuhe von Nike. Ich schätzte sie auf zwischen 75 oder 80 Jahre alt… Sie lächelte und fragte, wie alt ich sie denn eingeschätzt habe? Ich antwortete so zwischen 75 und 80, ich dachte mir älter als 80 kann sie nicht sein kann. Sie antwortete leider können sie mein Lächeln jetzt nicht sehen wegen der Maske… Ich bin 89 Jahre alt und viele können das kaum glauben, Ich war verblüfft,… Auch einige Fahrgäste schauten zu uns darüber und waren auch verblüfft und schauten zu uns herüber kurz von ihren Handy weg.,

In der Dämmerung

Nicht mehr lange und es würde dunkel werden. Hilde ging langsam den Weg aus Waschbetonplatten entlang, der sie weiter in ihren Garten führte. In jeder Hand eine gefüllte Gießkanne tragend, lief sie auf dem schmalen Weg zu dem hinteren Teil des Bauerngartens. Irgendwie fühlten sich die Kannen heute noch schwerer an als sonst. „Wird wohl am Alter liegen,“ dachte sie so bei sich.
Nächsten Monat näherte sich ihr neunund-siebtzigster Geburtstag. Sie lächelte beim Gedanken daran und rückte ihre silberne Brille zurecht, nachdem sie die Gießkannen abgestellt hatte.
Gedankenverloren strich sie sich über ihr gelocktes graues Haar. Zum Frisör musste sie vorher wohl noch, zum Geburtstag würden schließlich ihre beiden Söhne und ihre Enkelkinder kommen. Nun gesellte sich noch ein kleines Leuchten in ihre Augen zum Lächeln im Gesicht. Sie kniff sich selbst leicht in die rechte Wange, „die Runzeln kriegen die beim Frisör auch nicht weg“, dachte sie so bei sich. Aber Eitelkeit war noch nie ihr Problem gewesen.
Sie strich vorsichtig über die zarten Blütenblätter der roséfarbenen gefüllten Rose vor ihr. Wie üppig sie dieses Jahr blühte…herrlich!
Doch jetzt musste sie sich sputen, die Sonne verschwand schon fast hinter den Bäumen und außerdem konnte sie Heinz nicht so lange allein lassen. Sonst stürzte er womöglich wieder, wenn er versuchte allein ins Bad zu kommen, wie vor zwei Tagen, als sie dann auch noch die Nachbarn bitten musste ihm aufzuhelfen. Sie waren gleich angelaufen gekommen, als sie rief, doch es war ihr unangenehm andere um Hilfe zu bitten.
Bislang hatte sie meist alles allein geschafft, doch inzwischen fiel Heinz öfter mal hin und das überstieg langsam ihre Kräfte. Sie richtete sich etwas mühselig aus ihrer gebückten Haltung auf und schaute wehmütig über die Pflanzen in ihrem Garten. Wie lange das wohl alles noch gut ging?

goldener oktober

das wetter in bulgarien, varvara ist schön, die sonne scheint, die bäume glitzern in allen farben. mein nachbar arbeitet in seinem garten. als allererstes stellt er seine musik an. die läuft den ganzen tag. wenn ich also auch draußen arbeiten möchte, die sonne und die frische Luft genießen, dann höre ich pop musik aus den neunzigern.

er ist so um die 50 würd ich schätzen, grüßt immer, lächelt. schlank und relativ groß, mit einem kleinen bierbauch ansatz, dunkelbraune haare, verschmitzte dunkelbraune augen, braungebrannt in abgewetzter arbeitskleidung. seine hände sind voller schwielen, unter den nägeln ist es schwarz und man sieht, dass diese hände viel leisten.
entweder ist er am holz hacken, feuer machen, sich um obstbäume kümmern, die katzen füttern, am motorrad basteln, …

miteinander sprechen können wir leider nicht. er spricht bulgarisch, ich deutsch. es bleibt beim täglichen gruß und meiner verwunderung über seine liebe zur pop musik, hier am gefühlten ende der welt.

Vernehmungsraum

Warum sie sterben musste, wollte sie wissen. Was ist das denn für eine Frage? Sie war eben genauso kalt und ungemütlich, wie dieser Raum hier. Dunkel ist es hier, wie ihre Augenringe und Haare waren. Gerne würde ich der Inspektorin erzählen, dass sie eine Blondine war, denen man nie etwas Böses zutraut. In diesem Fall war es aber leider eine Brünette. Ihr Schopf war dunkel, lang und es sah sogar gesund aus.
Ich höre die Türe. Ein Klacken, ein Quietschen, ein Krachen.
«Sie bleiben also bei Ihrem Geständnis?»
«Ja, die Welt muss sich nun nicht mehr mit so einer Kreatur herumschlagen.»
«Das ist Ihr Motiv?»
«Wenn Adolf Hitler vor seinen grausamen Befehlen getötet worden wäre, wäre die gute Tat auch nicht als solche Erkannt worden.»
«Wie auch immer. Wie war sie?»
«Gestört. Unberechenbar.»
«Sie sieht sehr freundlich auf den Fotos aus.»
«Das ist es ja. Dieses süsse Lächeln. Dazu noch diese hohe Stimme. Da hätte ich ihr am Liebsten durchgehend die Fresse poliert. Weil sie aber nicht leiden musste, habe ich ihr einen Gefallen getan.»
«Es gibt Menschen, die mögen solche jungen Frauen.»
«Aber keine, die Jekyl und Hyde gleichermassen akzeptieren. Sie war durch und durch böse. Dieser Blick, wenn ihr etwas nicht passte: Durchdringend. So, als könnte sie einem mit ihren Gedanken um die Ecke bringen. Die dunklen, grossen Augen, die exakt zu ihrer dichten Haarpracht passten, veränderten ihren Ausdruck in Millisekundengeschwindigkeit. Diese Sommersprossen, leicht über ihr etwas bausbäckiges, olivhäutiges Gesicht gesprenkelt, konnten dann nicht mehr über ihren wahren Charakter hinwegtäuschen. Mir war von vorne herein alles zu glatt und einfach. Wie ihr Körper. Nicht modelmässig schlank, aber auch nicht dick. Richtig schön im gesunden Gleichgewicht. Alles passte genau, jedes Detail: Die Lippen waren nicht diese Gummibootdinger, wie sie billige Kosmetikerinnen mit Botoxspritzen verursachen, aber auch nicht diese schmalen, die einem normalerweise Misstrauen vermitteln. Dennoch hat sie immer damit verletzt, wenn sie sie bewegt hat. Immer bissige Bemerkungen.»
«Ist es nicht eine harte Strafe? Die Todesstrafe?»
«Seelische Verletzungen werden völlig unterbewertet. Sie machen einen kaputt. Diese Frau, auch ihre Grösse war durchschnittlich, verstand es perfekt zu manipulieren. Ihr Freund hat immer seitlich hinter ihr gestanden und abgewartet, wie sie reagieren würde. Schrecklich.»
«Er ist nun aber auch in Trauer.»
«Weil er eben nicht weiss, dass er gerettet wurde. Sie war unfähig in einer Gruppe zu leben. Ihre Kacke klebte nach ihrem Toilettengang noch in der Muschel, ihre langen, glatten Haare, zusammen mit ihren kurzen gekräuselten Schamhaaren verteilten sich nach dem Benutzen der Dusche in der Wanne. Der Boden im Badezimmer war patschnass. Nachdem ich sie gebeten hatte, den Bodenlumpen zu nehmen, um wenigstens trocken zu wischen, hat sie ihren Freund geschickt und mich mit einem vernichtenden Blick gestraft. Das war MEIN Haus, verdammter Mist nochmal. MEIN Haus!»
«Nun, sie hatten sie eingeladen.»
«Ja, um im Team zu arbeiten. Dann hat sie aber nichts mit mir und meinem Mann gesprochen. Kein Wort. Sie hat, wenn wir sie etwas gefragt hatten, nur ihren Kopf leicht in Richtung ihres Freundes gedreht, eine Augenbraue nach oben gezogen, an ihm vorbeigestarrt und er hat übersetzt. Zwar hatte sie unsere Sprache üben wollen, aber das ganze ohne sie zu benützten. Wenn es aber darum ging zu meckern, hat sie zwischendurch etwas verstanden. Sie konnte insgesamt mit der Freiheit, die wir in unserer Arbeits- Wohngemeinschaft hatten, nicht umgehen. Sie hat jegliche Art von Arbeit vermieden. Sie ist niemals ohne ihren Freund aus dem gemeinsamen Zimmer gekommen. Wenn, dann hat sie unsere Blicke vermieden. Gegrüsst hat sie nur, wenn man sie ganz direkt mit einem Gruss konfrontierte. Sie hat in ihrer Sprache vor uns allen über uns hergezogen. Dumm nur, dass ich am Ton, sowie an einigen Sätzen, die ähnlich formuliert werden, wie die Sprache der gleichen Sprachfamilie, die auch ich spreche, verständlich wurde, worum es ging.»
«Sie hören sich an, wie eine beleidigte Leberwurst.»
«Hören Sie mir nicht zu?»
«Doch, sie hatten es ganz offenbar mit einer unsicheren Person zu tun, die nicht wusste, wie man sich benimmt.»
«Aus ihrem Mund klingt das harmlos.»
«Nun, dieser schwache Charakter ist ohnehin eine Strafe fürs Leben. Die wäre immer wieder angeeckt, weggeschickt worden.»
«Ja, aber davor hätte sie immer und immer wieder Schaden angerichtet. Das hat sie auf der Arbeit gemacht und zu Hause. Weil sie kein Interesse zeigte, keine Empathie hatte, hat sie einfach irgendwas gemacht und damit unsere Vorarbeiten kaputt gemacht. Sie hat dann eine einfache Arbeit bekommen. Staubsaugen auf einer Baustelle. Nur den gröbsten Dreck. Sie hat es so genau genommen, als sollten wir von den Böden essen. Zu Hause wäre ihr das niemals in den Sinn gekommen. Totale Zeitverschwendung. Zweimal täglich musste sie duschen. Am Morgen und nach der Arbeit. Der Föhn war öfters zu hören, wie das Klappern des Geschirrs.»
«Hört sich nach Zicke an.»
«Ja, genau.»
«Benutzen Sie Parfums?»
«Wie kommen Sie jetzt darauf?»
«Der Geruch, der im Raum zu vernehmen war, als man sie fand.»
«Das war ihr billiges Parfum. Kaum zu ertragen. Süsslich, nuttig mit einem Hauch Putzmittelnote.»
«Ok. Wie dem auch sei. Sie bleiben erst mal in Untersuchungshaft. Das ist ihrer Beschreibung nach einfach nur kaltblütiger Mord und keine Selbstverteidigung.»
«Das Opfer wollte ich ja nie sein, also habe ich mir eben selbst geholfen.»
«Ja und wir helfen der Welt, indem wir sie wegsperren.»

Ein Mann der Tat

Endlich klingelte es an der Tür. Seit sieben Uhr wartete ich auf den Handwerker. Ohne Zögern, um die ganze Sache so schnell wie möglich hinter mich zu bringen, öffnete ich.
„Tach! Na bei Euch kriecht man aber ooch schlecht n Parkplatz,wa? Die Hausverwaltung schickt mich. Ick soll mir det Problem ma ankiekn!“
Ohne Aufforderung betrat der Mann den Flur meiner Wohnung. Ich hatte ihn schon mehrfach bei uns in der Hausgemeinschaft gesehen. Er war vermutlich so etwas wie der Haustechniker.
„Kommen Sie ruhig rein“ bat ich ihn trotzdem höflich. Meine erstklassige Erziehung ließ grüßen.
Über seiner Schulter hing eine altmodische Werkzeugtasche. Seit meiner eigenen Lehrzeit, vor fast über dreißig Jahren, hatte ich diese Art von Taschen nicht mehr gesehen. Soweit ich mich erinnerte, konnte man nicht viel Werkzeug in ihnen unterbringen. Erst recht nicht, wenn man zusätzlich noch ein oder zwei Flaschen Bier dazu gepackt hatte.
„Ick bin übrijens Jens! Worum jeht`s denn“ fragte er in Berliner Dialekt, stellte die Werkzeugtasche ab und kratzte sich geräuschvoll an seinem unrasierten Kinn.
In kurzen Worten erzählte ich ihm, sein Name war mir jetzt schon wieder entfallen, von dem Wasserschaden in meiner Wohnung. Ich zeigte ihm die Dielenbretter im Flur und im Schlafzimmer, die aufgenommen werden mussten, damit die Trocknung durch die Spezialfirme erfolgen konnte.
Er hörte meinen Ausführungen aufmerksam zu. Danach zog er umständlich mit der linken Hand eine Baseballkappe aus seiner Jacke und setzte sie auf.
Beeindruckt durch diese Art Zaubertrick fragte ich ihn, ob er etwas trinken wolle.
„Nee, danke! Ick hab allet dabei! Na, dann lass uns ma kiekn“ antwortete er, ging auf die Knie und öffnete seine Werkzeugtasche. „Is doch keen Problem, oder?“ Fragte er und holte zwei Flaschen Bier raus.
Sprachlos schüttelte ich den Kopf. Solange er seinen Job erledigte und die Dielen demontierte, war es mir egal.
„Was ist denn jetzt mit den Brettern?“ Langsam wurde ich ungeduldig, denn ich hatte am Nachmittag ebenfalls einen Termin.
Daraufhin fasste er, diesmal mit der rechten Hand, in die Innentasche seiner zu groß geratenen Armeejacke und zauberte eine Brille hervor, die er sich auf die Nase setzte. Dann griff er in die Werkzeugtasche und entnahm ihr einen Notizblock sowie einen Kugelschreiber.
„Es verhält sich folgendermaßen“ begann er seine Erklärung in reinstem Hochdeutsch, „um die Bretter vom Boden abzuschrauben, muss ich zuerst die Fußbodenleiste entfernen. Danach kann ich mit einem geeigneten Schrauber die Dielen von den Balken abschrauben. Das wird ungefähr zwei Stunden dauern Außerdem brauche ich Werkzeug dazu!“
Ich schaute auf die Uhr. Wenn er jetzt anfinge, dann wäre mein Termin am Nachmittag locker zu schaffen.
„Na, dann mal los“ ermutigte ich ihn.
„So einfach ist das aber nicht! Ich habe gar kein Werkzeug dabei!“
Ungläubig blickte ich auf seine Werkzeugtasche. „Aber in Ihrem Auto ist doch sicherlich welches, oder?“
„Nee, tut mir leid,wa! Ick bin mit der Bahn hier!“ Er verfiel wieder in seinen Berliner Dialekt. „Die Hausverwaltung wird sich bei Dir melden, wegen Termin und so. Ick kann erstma nischt machen!“
In Gedanken legte ich meine Hände um seinen Hals und drückte so fest zu, wie ich nur konnte.
„Ja,alles klar!“ Ich antwortete fassungslos und öffnete die Wohnungstür. Er ging, ohne sich zu verabschieden. Seine zwei Flaschen Bier ließ er bei mir stehen.

                                                 Ende

Regungslos lehnte sie an der Basaltsäule auf der Steininsel in der Mitte des kreisrunden Platzes. Als sei sie ein Teil davon. Hochgewachsen, schlank, schiefergrauer Jeansanzug, den Kopf leicht gebeugt.
Das Haar - lang, glatt, in der Farbe rostbraunen Herbstlaubes - bedeckte zur Hälfte ihr Gesicht, fiel wie ein Vorhang bis zur Schulter. Auf der anderen Seite über dem Ohr ausrasiert, sah man ihre hohen Wangenknochen und die scharf geschnittene Kinnlinie.
Sie nahm keine Notiz von ihrer Umgebung. Nicht von mir, die ich sie aus weniger als zwei Metern beobachtete und nicht von dem Pärchen, das kichernd vorbei lief.
Außer uns war niemand auf dem Platz.
Normalerweise fährt die Straßenbahn um die Säuleninsel herum. Um diese Zeit nicht. Es ist die Stunde Pause, zwischen Traum und Tag, in der die Nacht sich leise verabschiedet und der Tag allmählich erwacht. In der das Licht blau ist.
Blau lackiert waren ihre Fingernägel, blau auch das Handy, das sie umklammerte.
Sie starrte darauf, als wolle sie es hypnotisieren.
Nichts geschah.
Sie rührte sich nicht.
Lebte sie? War sie eine Puppe? Eine Illusion?
Ich konnte den Blick nicht von ihr wenden. Suchte nach einem Lebenszeichen.
Passte mich ihr an. Stand ebenso regungslos wie sie. Spiegelte sie. Wie lange?
Ich weiß es nicht.
Plötzlich gab das Handy einen klagenden Ton von sich und sandte ein blaues Licht aus. Da kam Leben in sie.
Sie blies gegen den Haarvorhang, so dass die Haare wie Federn flogen. Gleichzeitig wechselte sie die Standposition, von einem Bein auf das andere. Knickte in der Hüfte und stand wie eine antike Statue im Kontrapost. Nicht eine Mikrosekunde wackelte sie, obwohl ihre Füße in verkappten Folterwerkzeugen steckten.
High Heels, dünn, spitz, mindestens 20 cm hoch, getarnt als Stiefeletten in Veloursleder, leuchtend blau, auf der Seite geschlitzt, gefährlich und schön.
Wie vermochte sie nur auf diesen Mordinstrumenten stehen, ohne zu zittern? Wieder in derselben Position verharren? Und warum? Wie lange diesmal?
Warten. Zwei Minuten? Drei? Fünf? Man verliert das Gefühl für die Zeit, wenn man wartet.
Endlich ertönte wieder dieses klagende Seufzen. Sie erwachte aus ihrer Erstarrung, hielt sich das Handy ans Ohr. Lauschte. Dann sprach sie im Staccato ins Mikro. Unverständliche Worte. Unterbrach sich, hörte dem unsichtbaren Gesprächspartner zu. Sah hinauf zum Dach des gegenüberliegenden Hauses und rief laut und deutlich: „Nein! Nie mehr Blue! Nicht heute, nicht morgen, nicht übermorgen! Nicht in diesen Schuhen! Nicht mehr mit mir!“
Dabei schüttelte sie das Handy so heftig, dass es ihr aus der Hand glitt. Sie schoss es wie einen Fußball über die Blumenrabatten. Dann riss sie sich die Schuhe von den Füssen, lief barfuß in die schmale Seitenstraße und war verschwunden.
Wen hatte sie auf dem Dach des Hauses gesehen? Nichts regte sich. Da war niemand.
Am nächsten Tag ging ich wieder zur selben Zeit zum Säulenplatz. Hoffte sie zu sehen. Sie war nicht da. Auch am übernächsten Tag nicht. Und den darauffolgenden Tagen.

Blue ist nicht nur eine Farbe.

MagicCon - Fantastische Wesen in der realen Welt

Ein Raum von der Größe eines typischen Klassenraumes. Vornehmer als ein Klassenraum. Rotbraune Tische und Wandtäfelungen aus Holz, kassettiert. Der Boden ist ein wässriges Blau, Teppichboden, es sind Schleifen darauf wie wenn man Luftschlangen aufpustet, nur nicht so bunt, nur ein Beigeton und ein dunkleres Blau. In dem Raum stehen acht Tische zu 2-er Gruppen zusammengeschoben und drei einzelne Tische an denen jeweils Leute sitzen. Auf Stühlen mit Armlehnen und jeweils ca. einen Meter auseinander, coronabedingt, immer zwei Menschen pro Tisch. Überwiegend Frauen, ungefähr im Verhältnis ¾ zu ¼, ich bin eine davon. Am vorderen Ende ein „Lehrertisch“ mit Technik darauf, ein Beamer und Kabel. Und ein einzelner Tisch, an den sich keiner getraut hat sich zu sezten. Dafür ist der Boden nun auch voll mit Menschen, da nicht genügend Stühle im Raum sind, 15 Leute sitzen dicht an dicht auf dem Teppich. Von den anwesenden haben sieben einen Block vor sich liegen und warten auf den Anfang des Worshops. Mir gegenüber sitzt eine Maleficent, die Kleidung komplett in schwarz, ein kurzes Kleid, es endet etwas über ihren Knien, schwarze undurchsichtige Strumpfhosen, die Schuhe kann ich nicht sehen, eine schwarze Maske und auf dem Kopf schwarze Hörner aus plastik, nach oben gebogen, von der Art der Hörner wie sie bei Ziegen vorkommen, die Haare sind nicht zu sehen. Sie tippt auf dem Handy, ein etwas ungewöhnlicher Anblick.
Von mir aus gesehen links nebem Maleficent sitzt ein Blumenmädchen. Sie hat ein mintfarbenes Kleid an, bodenlang, die Farbe ein wenig wie ein Bonbon, sie trägt einen Blumenkranz auf dem Kopf mit Strahlen dazwischen, wie es auf einigen Heiligenbildern dargestellt ist, passend dazu sind ihre Haare blond. Das Lanyard um ihren Hals sticht von der Farbe her, ein kräftiges Türkis, von ihrem pastelligen Kleid ab, das Conticket in braun passt nicht ganz in die restlichen Farben des Ensembles. Auch sie hat ein Handy in der Hand, es steckt in einer aufklappbaren roten Lederhülle. Neben ihr auf dem Tisch steht eine graue Leder- oder Lederimitat Tasche, auf der mir zugewandten Seite blickt mich ein kleines weiß-schwarzes Plüschkätzchen an.
Links neben mir sitzt ein Mädchen in einem bodenlangen dunkelgrünen Kleid mit Blumenmuster. Auch sie ist blond, wendet ihr Gesicht aber ab, viel mehr kann ich von ihr also nicht erkennen.
Hinter dem Blumenkranzmädchen auf dem Boden vor der Tür sitzt eine weitere Maleficent, ihr Kleid ist auch schwarz, aber das ist bodenlang und herrschaftlich, mit Stickerein und
Pailletten. Ihre Hörner sind mit Samt bezogen, auch ihre Haare sind nicht zu sehen. Sie unterhält sich mit einer Königin, ihr sitzt ein kleines goldenes Krönchen auf dem Kopf, von einer Seite der Krone zur anderen fallen goldene und kristallig-glitzernde Ketten um das schmale, weiße Gesicht. Sie trägt ein silbernes Kleid mit silbern glänzenden Epauletten auf den Schultern und einem Aufsatz vor der Brust, der an ein Korsett erinnert. Die glitzert und glänzt, wann immer sie sich bewegt.
Hinter den beiden sind weitere Personen, Jungen, Mädchen, Frauen und Männer, an einer Tischgruppe, sie sind normal gekleidet, soweit das über den Köpfen der am Boden sitzenden zu erkennen ist. Man erkennt eigentlich nur verschiedene Frisuren, darunter Augen, manche mit Brillen, der Rest der Gesichter wird von den obligatorischen Masken verdeckt. Am Tisch daneben sitzt ein Mädchen mit einem blonden Bubenhaarschnitt. Sie trägt ein weißes Hemd, darüber ein weites rotes ärmelloses Hemd, beides in mittelalterlichem Stil, das Kettenhemd liegt vor ihr auf dem Tisch, der Helm, beides silbern, ebenfalls.
Maleficent 1 und der Blumenkranz unterhalten sich während dessen über ihre Kopfbedeckungen. Blume: „Hast du die Hörner selbst gemacht?“ Zauberin: „Nein, die sind bestellt, ich habe es mal versucht, aber das sah nicht gut aus, dann wusste ich nicht, wie ich es hinkriege, damit es besser aussieht. Ich habe aber noch ein anderes Paar zu Hause, die sind aber schwerer, ich habe heute die leichteren an. Aber nach einem ganzen Tag damit werden die auch schwer.“ Blume: „Ja das kenne ich, das geht mir auch so.“ Maleficent: „Ich habe eben schon im Panel gesessen und gemerkt wie der Kopf immer weiter nach unten kippt und ich nach vorne sacke.“
Am Tisch neben dem ausgezogenen Kettenhemd sitzt eine Frau/ ein Mädchen mit einem blassfliederfarbenen Kleid. Ihre Großen Augen finden in dem nach oben etwas breiteren Gesicht gut Platz, der Blick ist eine Mischung aus leer, abweisend, müde, deinteressiert.
Am Tische rechts daneben sitzt ein blondes Mädchen mit langen Haaren in einem blauen Cape, sie mustert den Raum aufmerksam. An dieser Tischreihe, die von der gegenüberliegenden Wand wieder zur Wand in meinem Rücken zuläuft sitzen noch ein Wuschelkopf mit dunkelblonden Locken, das Gesicht ist mädchenhaft, die Stimme verrät aber, dass es ein Junge ist, wenn er sich mit dem Jungen mit der grünen Strähne neben sich unterhält und den Kopf bewegt, sieht man einen Nasenring aufblitzen.
Weiter vorne in der Reihe auf Stühlen ohne Tisch sitzt ein Mädchen in einem Hufflepuff Umhang, als wäre sie gerade aus Hogwarts auf die Con appariert, neben ihr noch eine Prinzessin Leia.

Ich setzte mich zum Mittagessen in die Cafeteria und beobachtete den Mann, der gerade noch bei mir zur Behandlung war.
Er bewegte sich in seinem Rollstuhl zu dem Essplatz, der für ihn bestimmt war. Der Oberkörper weit nach vorne gebeugt, die Ellbogen an den Armlehnen abgestützt, die von kleinen Flecken überzogenen Hände gefaltet. Schwarze Lederschuhe drippelten über den Boden und zogen damit den Rollstuhl Meter für Meter weiter.
Eine junge Frau beugte sich im Vorbeigehen zu ihm hinab und bot ihm ihre Hilfe an. »Es geht schon, danke«, lehnte er mit freundlicher Stimme ab, die Mimik dabei kaum vorhanden.
Er legte zwei Servietten an den linken und rechten Tellerrand und platzierte die Unterarme darauf. Langsam hantierte er mit zitternden Händen mit Messer und Gabel, senkte den Kopf zu jedem Bissen herab.
Ich hatte nur noch wenige Minuten bis zum Ende meiner Mittagspause. Er hatte es geschafft. Der Mann schob den leeren Teller zur Seite.
Seine rechte Hand kramte hinter seinem Rücken ein Kreuzworträtsel und einen Stift hervor. Er setzte den Stift an, die Hände ruhig und ein Lächeln auf den Lippen.

Herbstzeit

Buntes Herbstlaub taucht die Landschaft in warme Farben.

Ich fahre diese eine Straße entlang, die für mich schönste Straße im Ort.
Eine Allee, gesäumt von kräftigen Bäumen am Straßenrand, die zu jeder Jahreszeit das Auge und die Sinne erfreut.
Aber ganz besonders im Herbst. Die Sonne scheint, es ist angenehm warm und sie steht so tief am Himmel dass ihr Licht in die Bäume fällt, die es in warmen Gelb, leuchtendem Orange und kräftigem Rot erstrahlen lässt. Eine wohlige Wärme durchströmt den Körper bei diesem einmaligen Anblick der Natur. Es ist ein Anblick der Ruhe, des Heimkommens. Etwas fernab höre ich spielende Kinder die Spass daran haben in einen aufgetürmten Blätterhaufen zu springen, und amüsiere mich an Anblick von zwei sich raufenden Hunden, die sich genüsslich im noch satten grünen Gras wälzen und Freude an sich selbst und den warmen Sonnenstrahlen haben.
Leider bin ich schon zu Hause von der Fahrt durch meine Allee, ich könnte noch einmal zurückfahren und wieder her, nur um diesen Anblick immer und immer wieder vor Augen zu haben, den ich so liebe.
Ich komme aber auch gerne in dieser Herbstzeit zu Hause an. Es ist die Zeit des Feuermachens, des Teetrinkens und der Vorfreude auf die kalte Jahreszeit. Keiner schreit dich an du sollst ständig raus und etwas unternehmen. Das Kaminfeuer prasselt, es ist fast schon zu heiß im Raum, aber ich mag diesen Geruch der offenen Flammen und das Licht welches von dem Feuer ausgeht. Die Kinder basteln aus Kastanien Figuren und streiten sich wer wohl mehr Kastanien zu kriegen hat. In der Luft liegt der Duft von Kräutertee und süßem Gebäck welches jetzt schon für Weihnachten parat liegt, denn da schmeckt es am besten.
Meine Couch, meine Decke und mein spannendes Buch warten auf mich und laden mich zum Entspannen ein, in meine einmal im Jahr im wiederkehrende Herbstzeit.

(Aus meinem neuen Projekt „Kurt im Spiegel“)

Als er einige Wochen nach der ersten Begegnung für einige Tage frei hatte, nutzte er die Prognose des Wetterberichts, der einen sonnigen Tag im Frühsommer versprach, und fuhr kurzerhand nach Berlin, um den Fernsehturm zu besuchen, eine Runde im Restaurant zu drehen, oder besser: sich drehen zu lassen. So war jedenfalls der Pan.
Schon auf dem kurzen Weg vom Tresen zum Tisch, fuhr es ihm ins Mark. Ist sie es? Er sah nur ihren Rücken. Die Farbe und die Länge des gewellten Haars passten jedoch perfekt zu seiner Erinnerung. Ihr gegenüber saß eine junge Frau im passenden Alter. Beide Frauen unterhielten sich so angeregt, dass sie Kurt nicht einmal bemerkten. Das Restaurant war sehr gut besucht. Er war lediglich einer der vielen Gäste. Der Nachbarbartisch hatte einen freien Platz, lag direkt am Fenster und ließ den Blick in den Raum zu. Auf dem Weg zum angesteuerten Platz gab der Blick langsam das Profil ihres Gesichts und ihrer Figur frei. Sie war es. Der Zufall! Kurt genoss dieses Gefühl und die Erinnerung an ihre erste Begegnung, hatte jedoch Mühe, sich äußerlich nichts anmerken zu lassen. Als er seinen Platz am Fenster einnahm, war sein Blick nach draußen, der eine Reichweite gefühlt bis in den Spreewald freigab, irgendwie nur noch ein Alibi. Kurt wünschte, dass sich ihre Blicke trafen. Irgendwie sehnte er sich sogar danach und wunderte sich etwas darüber. Das erste Aufeinandertreffen dauerte kaum eine viertel Stunde. Trotzdem vibrierten Saiten in ihm. So etwas war ihm noch nie passiert – nicht nach einer so kurzen Begegnung. Und so konnte er nicht anders, als immer wieder zum Nachbartisch zu schauen - mit dem Wunsch, sie hätte auch diesen flüchtigen Moment einer Zufallsbekanntschaft in ihr Herz geschlossen. Würde sie sich an ihre eigene kesse Bemerkung bezüglich Schüchternheit und Heiratswunsch erinnern? Und an den Blick durch die Heckscheibe? Schon damals hatte er das Gefühl, die Begegnung wäre viel zu wertvoll, um ein bedeutungsloser Wimpernschlag in der Geschichte seines Lebens zu sein. Ist das Fahrrad längst repariert? Sie hatte es ihrem Vater gegenüber deutlich angemahnt.
Für Kurt war es eine gefühlte Ewigkeit, bis sich ihre Blicke in dem sich drehenden Restaurant zum ersten Mal trafen. Die Unterhaltung der beiden jungen Frauen unterbrach abrupt für einen Augenblick. Einen Moment lang hatte Kurt das Gefühl, Selmas Freundin, die ja mit dem Rücken zu ihm saß, wäre versucht, sich nach hinten umzudrehen. Mit einem kurzen, aber für Kurt nicht zu verstehenden Redeschwall Selmas, wurde das Umdrehen schon im Ansatz unterbrochen. Auffällig unauffällig gaben sich die jungen Frauen nunmehr ihrer Unterhaltung hin, während Kurt immer wieder – ebenfalls hoffentlich unmerklich – versuchte, einen Blick Selmas zu erhaschen.
Als sie die Rechnung erhielten, bezahlten und sich langsam daran machten aufzubrechen, kritzelte Selma etwas kurz auf die Quittung, was Kurt jedoch nicht identifizieren konnte. Lediglich Selmas rechter Arm ließ eine vielleicht schreibende Bewegung erahnen. Ihre Freundin versperrte mit ihrem Rücken die Sicht. Brachen beide Frauen etwa schon auf? Jetzt schon? Ein wenig enttäuscht fühlte sich Kurt. Warum hatte er sie nicht angesprochen? Er war nie der Typ, der, vor Selbstbewusstsein strotzend, einen Drink bestellt hätte, und diesen mit einer deutlichen und - wozu auch immer – einladenden Bemerkung, von der Kellnerin überreichen ließ. Nur einmal dieses Selbstbewusstsein, nur ein einziges Mal, Kurt! Als würde sein Unterbewusstsein ihn geradezu ermahnen, schoss ihm dieser Gedanke durch den Kopf. Unzählige Frauen lassen sich auf diese Herangehensweise ein. Ob sie damit glücklich werden, stünde auf einem ganz anderen Blatt. Aber Kurt, du fühlst doch etwas. Dein Innerstes sagt dir etwas! Deine Intuition lebt! Kümmere dich! Regelrecht ernüchtert und irgendwie über sich selbst enttäuscht, registrierte er, wie die Frauen ihre Rechnung beglichen, aufstanden und sich ihre leichten Jacken anzogen. Wenigsten deutete einiges darauf hin, dass sie den direkten Weg zum Ausgang nehmen würden. Damit müssten sie auch an seinem Tisch vorbei. Es bestand die reelle Chance, ihr wenigstens noch ein einziges Mal in die Augen schauen zu können. Würde Kurt diese letzte Chance nutzen und Selma ansprechen?
Während sein Innerstes den Kampf mit der Schüchternheit aufnahm, wurde ihm die Entscheidung abgenommen. Selma kam zu seinem Platz, legte ihre Hand auf seine Schulter. Sie setzte an, ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Gleichzeitig legte sie ihre Quittung mit der Rechnungsseite nach oben vor ihm auf den Tisch. Kurt registrierte, dass die Rückseite beschrieben war. Ins Ohr sagte sie ihm, sie wäre mit ihrer alten Freundin Simone heute hier auf dem Fernsehturm, um diese wunderbare Aussicht zu genießen. Es hätte sich wirklich gelohnt, sie wäre nicht enttäuscht worden. Eigentlich besuche sie nur ihre Großeltern in Lübbenau. Auch Simones Familie hätte ihre Wurzeln im Spreewald – falls es ihn interessiere… Verschmitzt ist sie also noch immer, schoss es Kurt - ihrer Bemerkung folgend - direkt durch den Kopf. Noch bevor er auch nur angemessen reagieren konnte, warf sie ihm einen geradezu einladenden Blick zu, nahm die Hand von seiner Schulter, verabschiedete sich und Simone geradezu förmlich, und verschwand mit ihr im Ausgang.
Super! Gut gemacht, Kurt! So lernt man Frauen kennen! So klein ist der Spreewald nun auch wieder nicht, dass man sich mittig im wirklich weitläufigen Kanalsystem der Spree in einen Kahn stellen und mit zum Megafon geformten Händen ausrufen könnte: Selma, ich bin heute hier! Bist du da?
Ihrer Hand auf seiner Schulter nachspürend, nahm Kurt die vor ihm liegende Quittung, drehte sie um und las. Die flüchtig notierte Adresse, die er vorfand, hatte er zwar noch nie besucht, sie zu finden sollte jedoch für ihn – als gebürtigen Groß Beuchower – ein Leichtes sein. Einfach klingeln! Da keine Telefonnummer darauf stand, konnte nur die Türklingel gemeint sein. Für morgen hatte er Termine. Außerdem wäre es ihm zu forsch vorgekommen, sich unmittelbar nach dem Kontakt an ihre Fersen zu heften. Aber er freute sich so sehr! Er spürte eine Resonanz in seinem Innersten, eine Resonanz, die sich so real, so wahr anfühlte, wie eine Kugel rund ist. Der Zauber der ersten Begegnung war wieder da – besser noch: Ein Zauber hielt Einzug, Einzug in sein Leben. Der Herausforderung, zum ersten Mal an dieser Haustür zu klingeln, wollte er sich gerne stellen. Für den Rest des Tages war sein Geist auf Wanderschaft. Das Erlebte wollte verarbeitet werden.