Fahrkartenkontrolle
Reisen mit drei Kindern und der Mutti im Gepäck ist eine Herausforderung. Nach dreimaligem Umsteigen von der Regionalbahn, in den überfüllten Regionalbahnexpress und schließlich in den Intercity mit schwerem Urlaubsgepäck, braucht man definitiv Urlaub vom Urlaub und freut sich auf die gemütliche, heimische Sofalandschaft.
Unser Zielbahnhof wird endlich angezeigt als der Schaffner eine erneute Fahrkartenkontrollrunde durch den Zug startet: „Fahrkartenkontrolle! Ist jemand von Ihnen zugestiegen?“. Plötzlich wird der Schaffner lauter und verlangt wiederholt die Fahrkarte von einem Fahrgast, der nun in mein Blickfeld gelangt. Seine Hautfarbe ist sehr dunkel. Seine schwarzen, krausen Haare sind kurz geschoren. Die hagere Gestalt des Mannes ist unauffällig aber karg bekleidet. Sein Reisegepäck besteht lediglich aus einer kleinen Plastiktüte mit benutzten Imbissutensilien. Der Mann blickt weiterhin ungerührt zum Schaffner, der ihn bereits eindringlicher fragt, ob er überhaupt verstanden wurde. Schließlich weist der Schaffner den Weg zum Ausgang und macht ihm deutlich, dass er beim nächsten Halt auszusteigen hat. Der Mann nickt teilnamslos. Sein Gesicht ist schlicht ohne Emotionen. Ich kann nur Vermutungen anstellen, was seine Herkunft betrifft und wohin sein Weg ihn führt. Vielleicht durchquerte er bereits auf lebensbedrohlichen Pfaden die Sahara und floh auf einem schwankenden Fischerboot über das Mittelmeer. Ich bekomme ein schlechtes Gewissen, weil ich mit meinen Luxusproblemen, wie Umsteigen mit schwerem Gepäck schon überfordert bin. Der Schaffner führt seinen Kontrollweg weiter. Der Zielbahnhof ist erreicht. Mit einem letzten, rückwärtigen Blick erhasche ich den Mann ohne gültigen Fahrausweis, wie er in der Tür mit den Buchstaben WC über den Tührrahmen verschwindet. Insgeheim wünsche ich eine gute Weiterreise und hoffe für meine Familie und mich, nie in die Lage der ewigen Flucht zu geraten.