Mangold Schmitt
Und sein erstes Abenteuer
Mangold Schmitt war ein völlig durchschnittlicher, unauffällig kleiner Kerl mit hagerem Gesicht und riesigen blaugrüngelben Funkelaugen, welche sich hinter einer kaputten Rundglasbrille versteckten. Er sah seiner Mutter – die leider längst nicht mehr lebte – zum Verwechseln ähnlich, wie ihm ständig mitgeteilt wurde. Sie trugen denselben Topfschnitt, dank seiner Tante.
Das Leben von Mangold war auch ansonsten schwer. Sehr schwer.
Durch den frühen Tod seiner Eltern kam er nicht umhin, bei seinen schauderhaften Verwandten zu leben.
Ein grässlicher Haufen.
Er bestand aus Onkel Klaus, Tante Primel und seinem ätzenden Cousin Paddy. Letzterer lebte für Mobbing, obwohl er nicht einmal imstande war, drei Worte in einem Satz aneinanderzureihen.
Seine Tante Primel hingegen liebte es, den Nachbarn hinterherzuspionieren. Sie zwang Mangold dazu, die ausgeleierten und verwaschenen Klamotten seines verfressenen Cousins zu tragen, wodurch er Ähnlichkeiten mit einem Bettler aufwies. Aber scherte sich ja niemand um den Ruf in so einem Vorstadtkaff.
Und dann war da sein Onkel Klaus. Außer der Zeitung, Grunzen und fiesen Kommentaren unternahm dieser reichlich wenig, solange es nicht darum ging, Mangold das halbe Leben zu verbieten. Wenigstens ein- und ausatmen waren erlaubt. Hurra.
Doch dann, an seinem elf einhalbsten Geburtstag geschah es, dass sich sein gesamtes Leben veränderte. Ein winziger Kerl – kaum größer, als eine Stecknadel - suchte ihn auf. Dieser erzählte ihm, dass er einer waschechten Zaubererfamilie entstammte.
Zauberer!
Seine Eltern waren überhaupt nicht überfahren worden (wie man ihm jahrelang einredete), sondern durch einen bösen Zauber ermordet!
Indes sich Mangold also auf den Weg zu Gleis fünfeinhalbvorzwei begab – so hatte es ihm die Stecknadel befohlen – schwor er bittere Rache.
Zu diesem Zeitpunkt wusste er ja noch nicht, dass er ein ausgewählter Erretter sein musste, damit kein Erwachsener gezwungen war, einen Krieg in der Zauberwelt zu führen. Was für einen Krieg? Na, jenen Krieg, welcher in der Zukunft vor der Tür stand. Dazu mehr in einem anderen Kapitel.
Mangold fand nach einiger Sucherei, über diverse Tage hinweg, endlich das vermaledeite Gleis und folgte einem schmatzenden Jungen mit knallroten Haaren. Jener schien mindestens fünfzehn Geschwister zu haben.
Seltsam.
Aber so völlig ohne Freunde, beschloss er, sich wenigstens mit dem Rotschopf anzufreunden.
„Ich bin Mangold Schmitt“, stellte er sich etwas unbeholfen vor, nachdem sie sich gegenüber im Zug saßen. „Und ich habe gerade erst heute erfahren, dass ich super reich bin, weil meine Eltern ein krass großes Verlies mit Goldstücken besessen haben. Wenn du mich fragst, hätte ich ja alles auf ein Girokonto eingezahlt, aber na ja, Zauberer, was?“ Ja, Mangold versuchte, verkrampft witzig zu sein. War er nur leider nicht.
Sein Gegenüber glotzte verdattert drein, nickte dann aber mit einem hohlen Lächeln, während er sich eine Handvoll Sahnebonbons in den Mund schob. „Schreut mich! If bin Schroman Wiefel“, sabberte er mehr, denn zu sprechen.
Ekel kroch in Mangold hoch, dennoch umfasste er die klebrige Hand.
„J-ja, mich auch.“
Hoffentlich war das kein Fehler. Der andere wirkte so, als bestünde die Möglichkeit, er könne ihm später vieles an neiden und aus Prinzip alles falsch verstehen. Aber was wusste er schon? Seine Menschenkenntnis existierte faktisch nicht.
„Tag auch! Ich bin Herolde Gustavs und ich suche einen weggelaufenen Toaster. Habt ihr ihn gesehen? Und natürlich ist es nicht seltsam, dass ich hier aufdringlich in euer Abteil hineinplatze.“
Ein Mädchen mit wirrem Blick, wildem Haar und riesigen Hasenzähnen stand in der Tür des Zugabteils und starrte erst Mangold und danach Schroman abschätzig an.
„Ach du liebe Güte!“, schrie sie plötzlich dermaßen laut, dass Mangold um ein Haar an einem Infarkt gestorben wäre. War die bekloppt? „Du bist doch Mangold Schmitt!“
Hä?
Häää?
Woher kannte diese verrückte Hexe seinen Namen? Und wieso setzte sie sich jetzt neben ihn, um ihm die Hand zu tatschen? Durfte die das?
„Schwatsch! Wenn dasch Mangolsch Schmidtsch wäre, hättsch dasch doch bemerscht!“, schmatzte Schroman mit verklebten Mund.
Herolde und Mangold schenkten ihm einen Moment denselben Blick, ehe Herolde sich wieder an Mangold wandte.
„In der Zauberwelt bist du berühmt!“
„Wieso das denn?“ Da war Mangold jetzt aber echt baff.
„Na wegen deiner coolen Narbe! Und weil du so nen langweiligen Fluch überlebt hast! Aber vor allem wegen der Narbe!“
Die geriet ja richtig ins Schwärmen. Aber irgendwie gefiel es Mangold. Er war nie cool oder was Besonderes gewesen. Das war klasse! Zu seinem Glück wusste er bis dato nichts von all dem Kummer und Verlust, die er in Zukunft ertragen musste, ausgelöst durch einen wahnsinnigen Kerl, über siebzig, der jahrelang versuchen würde ihn zu töten. Wenigstens bekam er in dieser Zeit aber auch eine unnötige Lovestory.
Ohne andere Optionen, befreundete sich Mangold, während der endlosen Zugfahrt von fünfzig Minuten, mit Roman Wiesel (der hieß gar nicht Schroman Wiefel, die Sahnebonbons hatten ihm bloß den Mund verklebt).
Als die Zugfahrt endete, sprang Mangold hoch, wie vom Werwolf gebissen. Um ihn herum lagen Unmengen an Süßigkeiten, die sie zu zweit verputzt hatten. Sein Bauch schmerzte deshalb etwas. Mangold schüttelte sich und verschwand aus dieser süßen Hölle, indem er sich den anderen unauffällig kleinen Jungs und Mädchen anschloss, die offenbar wie er zum ersten Mal das baufällige Schloss ‚Wankelstein‘ sahen.
Um ihn herum ertönten zumindest viele „Oh“s und „Ah“s. Im Hintergrund fielen einige hohle Steine aus dem Gemäuer in den schwarzen See.
Neben ihm blieb ein Junge stehen, der einen abschätzigen Ton von sich gab. Aus dem Off brüllte ein Mädchen mit nerviger Quietschstimme dessen Namen.
„Damien Rucola!“
Der Name erschien ebenso einfallslos, wie dieses unverschämt glänzende, platinblonde Haar, welches weich und unnatürlich geschmeidig, auf dem runden Kopf klebte.
„Bist du nicht Mangold Schmitt?“, schnarrte er fast schon freundlich.
Mangold sah ihn angewidert an: „Was gehts dich an?“, blaffte er aus unerfindlichen Gründen.
Damien löste etwas in ihm aus.
„Du solltest dich nicht mit solchem Abschaum abgeben“, sagte der Junge, mit dem silbrig glitzernden Sternenhaar, wobei Mangold auffiel, wie sturmgrau dessen wunderschöne, leere Augen waren und von welch dichtem Wimpernkranz umrahmt.
„Danke, aber ich entscheide selbst, mit wem ich mich anfreunde!“, schnappte Mangold aufgebracht. Im Hintergrund half Roman Herolde aus dem Zug, wobei sie sich so tief in die Augen sahen, dass seine verputzte Schokospinne um ein Haar wieder ‚Hallo‘ sagte.
Bäh.
Spätestens im fast erwachsenen Teenageralter und nach tausend unnötigen Dramen, fielen sie garantiert wie zwei wilde Karnickel übereinander her.
Mangold verdrehte die Augen seine Entscheidung, mit diesen beiden all die kommenden Abenteuer zu durchleben, sollte er wohl nochmal überdenken. Damien allerdings stapfte bereits eingeschnappt weg.
Und endlich erkannte Mangold, was ihn so an dem Kerl reizte.
‚Süßer Knackpo!‘, dachte er sich mit einem Grinsen.
Natürlich konnte er diesen auch unter dem wehenden Umhang bestens erkennen.
Die nächsten Jahre sollten lustig werden und gespickt sein mit gewiss absolut zufälligen und nicht provozierten Begegnungen. Mit Mengen an Körperkontakt.
Bei Kämpfen.
Verstand sich von selbst.
Ja, ich weiß, ich weiß, aber als absolute Potterhead, die selbst nur Fantasyzeugs liest und schreibt, ist es leider doch Harry Potter geworden. Shame on me. Mit einem Hauch von Fanfiktion. Cheers