Seitenwind Woche 1: Gäste im Geisterhaus

Mein erster Text seit langem, die Schreibaufgabe hat mich sofort inspiriert!

Schädlingsbefall

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(Im Oktober. Das Telefon läutet.)

JABLONSKI: Guten Tag, sie sind verbunden mit Jablonski Ex & Hop Schädlingsbekämpfung – ihre Experten bei Schädlingsbekämpfung, Jablonski am Apparat. Wie kann ich ihnen helfen?
ÜBERBLICK: Ja, hallo, Überblick hier, spreche ich mit der Schädlingsbekämpfung?
JABLONSKI: Ja, Jablonski Ex & Hop Schädlingsbekämpfung.
ÜBERBLICK: Ja.
JABLONSKI: Ja.
ÜBERBLICK: Ja.
JABLONSKI: Wie können wir ihnen helfen?
ÜBERBLICK: Ja, hören sie. Ich denke, wir haben hier einen Schädlingsbefall.
JABLONSKI: Da sind sie bei Ex & Hop an der richtigen Adresse. Wir sind Experten für das Thema Schädlingsbekämpfung.
ÜBERBLICK: Hören sie, wir haben seit einigen Tagen Hinterlassenschaften im Flur. Und Geräusche.
JABLONSKI: Können sie da etwas konkreter werden?
ÜBERBLICK: Ja, die Mistviecher scheinen mit Sack und Pack eingezogen zu sein, eine ganze Familie oder so.
JABLONSKI (notiert sich): Sack und Pack?
ÜBERBLICK: Ja.
JABLONSKI: Wir von Ex & Hop gehen solche Probleme gern systematisch und ganzheitlich an. Was für Hinterlassenschaften haben sie denn bemerkt?
ÜBERBLICK: Auf dem Vorplatz steht seit einigen Tagen ein Lieferwagen, hören sie. Ich habe ja auch viel zu tun hier, und in der Eingangshalle stehen einige, ich sag mal, Kartons und Reisetaschen.
JABLONSKI (zu sich selbst): Oh, das wird teuer.
ÜBERBLICK: Wie meinen?
JABLONSKI: Das können sie später alles absetzen, von der Steuer.
ÜBERBLICK (stöhnt auf)
JABLONSKI: Wo stehen sie denn?
ÜBERBLICK: In der Eingangshalle.
JABLONSKI: Ja, ich meine, wo stehen s i e.
ÜBERBLICK: Ja, im Rabenweg.
JABLONSKI: Beim Rewe?
ÜBERBLICK: Rewe, ja.
JABLONSKI: Wir hören aktuell häufiger von solchen Fällen in dieser Jahreszeit.
ÜBERBLICK: Was schlagen sie also vor?
JABLONSKI: Haben sie schon einen unheimlichen Hausverwalter?
ÜBERBLICK: Ja, die Cecilia, garstiges Frauenzimmer. Aber sie ist auch nicht mehr die Jüngste. In ihrem Alter hat sie fast mehr Angst vor diesen Mistviechern, als die vor ihr.
JABLONSKI: … rostiges Schlüsselbund, gammelige Lebensmittel …?
ÜBERBLICK: … sind wir bisher immer gut gefahren mit …
JABLONSKI: … Bibliothek mit verbotenen Büchern …?
ÜBERBLICK: Hören sie, unser Platz ist begrenzt.
JABLONSKI: Wir haben da auch gerade ein attraktives Angebot unserer Hausmarke! Räume, die innen viel größer sind als außen. Da fängt man die kleinen Neugierigen fix wie nix. Ex & Hop geradezu.
ÜBERBLICK: Und wenn die da drinnen verenden? Fangen die dann nicht an zu stinken?
JABLONSKI: Netter Nebeneffekt. Geht aufs Haus.
ÜBERBLICK: Ich weiß ja nicht, ich suche eigentlich etwas mit weniger Aufwand. Hören sie, in der Vergangenheit haben wir die Dinger kurzerhand vergiftet.
JABLONSKI: Man bekommt ja nichts gutes mehr frei verkäuflich.
ÜBERBLICK: Deswegen rufe ich an.
JABLONSKI: Wollen sie Köder auslegen?
ÜBERBLICK: Naja, wenn einer geht, kalter Auszug, sie verstehen, kommen später seine Freunde zur Beerdigung. Das geht dann ja heutzutage alles viral.
JABLONSKI (notiert sich): …geht dann alles v i r a l…
ÜBERBLICK: Ja.
JABLONSKI: Ja.

(Gesprächspause. Es rauscht ein wenig in der Leitung. Im Hintergrund ruft eine Frau: „Kinder, kommt bitte, Essen ist fertig!“)

ÜBERBLICK: Bisher war jetzt noch nichts dabei, was wir nicht schon probiert haben. Können sie sich das nicht vor Ort mal angucken?
JABLONSKI: Sie meinen einen Hausbesuch?
ÜBERBLICK: Ja.
JABLONSKI: Sind sie denn ans Grundstück gebunden?
ÜBERBLICK: Wir sind angeschlossen hier, an einen vergessenen, keltischen Friedhof, Rabenweg 3 bis 11.
JABLONSKI (notiert sich): …F r i e d-hof…
ÜBERBLICK: …
JABLONSKI: Ich fürchte, sie kommen nicht drum herum, sich etwas zu bewegen … Eine Transplantation an der offenen Haustür, sozusagen (lacht über seinen eigenen Witz).
ÜBERBLICK: Ich bin nicht in der Stimmung, das so locker zu sehen. Die bereiten fürs Wochenende eine Einweihungsparty vor. Hören sie, wir stehen hier seit 120 Jahren!
JABLONSKI: Unsere Auftragsbücher sind voll, sie kennen doch den Markt für Fachhandwerker.
ÜBERBLICK (resignierend): Ich denke, wir versuchen es nochmal weiter mit Hausmitteln.
JABLONSKI: Aber, wo ich sie gerade in der Leitung habe, kann ich sie für ein Renovierungspaket begeistern? Mein Schwager hat da,… hallo?

(Aufgelegt.)

Das gute Haus

Ja, ich merke die Jahre.
Das mächtige Dach, dessen Gauben sich halsbrecherisch zu meinen Flanken hinauswagen, drückt auf meine steinernen Schultern, seine krummen Balken schneiden tief in mein Fleisch. Sein Gewicht gräbt, begünstigt durch den Wechsel von Hitze und Kälte, mein von Feuchtigkeit brüchiges Fundament tiefer und tiefer in das Erdreich hinein. Lange werde ich es nicht mehr tragen können, werde es abwerfen, wie im vorigen Winter meine letzten Fensterrahmen.

Nun fährt der Wind durch mich hindurch, stöhnt in meinen Räumen, schaurig und hohl. Seit ich mich in diesem desolaten Zustand befinde, gelte ich in der weiteren Umgebung als Spukhaus!
Das ist Unsinn, ich bin ein Haus, in welchem Gelächter und Fröhlichkeit zuhause waren. Heute aber berge ich nichts außer Todesstille, lausche hinaus, ob sich etwas tut, das mich von meiner Langeweile erlösen könnte, die mir meinen Sterbeprozess erschwert.
Überlege, ob es nicht ganz lustig wäre, ein ganz klein wenig böse zu sein.

Ich beobachte aus dem westlichen Giebelfenster, wie die letzten Sonnenstrahlen den Horizont zu einer Linie aus Kohle verbrennen, aus der sich eine weitere Nacht erhebt. Sie bringt erst Wolken, dann Wind, Regen und Kälte, ein unwillkommenes Quartett, das meine Holzdielen zum Knarren bringt.

Als es vollkommen dunkel ist, höre ich Stimmen!
Frage mich, ob dieser Umstand meiner Einsamkeit oder meinem Alter geschuldet ist.
Aber nein, jemand nähert sich meinem Gartentor!
Zwei Männer und zwei Frauen!
Mein Atem beschleunigt sich, fliegt durch die leeren Räume, mischt sich mit dem Wind.
Heute gilt’s!
Ich singe, stöhne sie herbei.
Hoffe, dass sie sich dazu entschließen, durch meine - noch - intakte Haustür zu treten, um sich meinen tollpatschigen Versuchen der Bösartigkeit zu stellen.
Regen ergießt sich in meine löchrigen Dachrinnen, schießt darüber hinaus, fällt in rauschenden Kaskaden in die Tiefe, welche in ihrem Sturz meine ohnehin feuchte Hauswand durchnässen.
Ich kann das Wasser schon lange nicht mehr halten.
Gespannt warte ich ab.
Jetzt, jetzt spüre ich, wie eine behandschuhte Hand die Klinke herunterdrückt. Mit grässlichem Gejaule fegt die aufschwingende Tür das Laub beiseite, das sich über das Jahr hinter ihr angesammelt hat.
Mehrere Köpfe schauen hinein.
„Jetzt geh‘ endlich rein, Lona. Ich bin schon ganz nass!“ quengelt die Frau, die hinter ihr steht. Der Wind trägt ihre Stimme in mein Innerstes.
Aber die Frau, die Lona heißt, macht keine Anstalten, sich zu bewegen. Ihr mitleidiger Blick begutachtet meine Armseligkeit, die sich in abblätternder Wandfarbe, hängenden Tapeten und brüchigem Putz manifestiert.
„Alles wirkt so traurig!“ sagt sie. Einer der Männer drückt sie sanft beiseite und tritt ein. Schwere Stiefel hinterlassen schlammige Abdrücke auf meinem einst blank gewienerten Parkett.
„Ein Spukhaus!!“ ruft die andere über ihren Kopf hinweg in meinen sterbenden Leib. Sie macht sich nicht die Mühe, meine wahre Seele zu erkennen.
„Das meinte ich nicht“ sagt Lona. Zögernd treten sie ein, bohren ihre Blicke in die von Dunkelheit verhangenen Ecken meiner geräumigen Diele.
Einer der Männer ruft „hallo“ in meine Finsternis, verursacht ein übermütiges Echo in meinen seelenlosen Räumen, das mich an die alten Zeiten erinnert, als Kinder unter fröhlichem Gekreische von Zimmer zu Zimmer, treppauf und treppab rannten.

Um meinem unguten Ruf gerecht zu werden, klappere ich mit den noch vorhandenen Türen, zweckentfremde ihre zugigen Öffnungen, spiele virtuos auf ihren Türblättern, wie ein Flötist, der seinem Instrument die schaurigsten Töne zu entlocken versucht.
„Es ist nur ein altes Haus, das seinen Atem aushaucht!“ erwidert der andere Mann. „Nichts, wovor man sich fürchten müsste. Wir warten hier den Regen ab und wandern dann zu unserer Pension zurück!“
Sie nehmen mich nicht ernst!
So kräftig ich kann, blähe ich die Gardinen, die aus der Zeit gefallen vor den Fensterlöchern hängen, lenke den Wind in sie hinein, sodass sie wie geisterhafte Schatten im Zimmer flattern, dann knalle ich die Eingangstür zu.
Ziemlich imposant, finde ich!
Endlich entfährt Lona ein Schrei, erschrocken guckt sie zur Tür.
„Das ist nur der Wind, Liebling!“
Der Mann, der sie Liebling nennt, legt ihr lächelnd den Arm um die Schultern. Die andere Frau ergreift die Hand ihres Partners.
Jetzt heißt es dranbleiben!
Ich erzeuge ein besonders hohles Stöhnen, das jedem normal Sterblichen das Blut in den Adern gefrieren ließe. Aber nicht diesen Besuchern.
„Das ist ein wunderschönes, altes Haus.“ flüstert Lona. „es hat so viel erlebt…davon erzählt es uns. Es strahlt etwas Gutes aus!“
Ich spitze meine Ohren, bin sprachlos, lasse den Vorhängen irritiert die Luft raus.
Die junge Frau geht hinüber in meine Küche, zieht ein Feuerzeug aus ihrer Jacke hervor, entzündet die eine Kerze, die seit Jahren halb heruntergebrannt auf dem Tisch ihr Dasein fristet, den Docht erwartungsvoll aufgerichtet, ergreift den Leuchter, hält ihn ausgestreckt vor sich. Kurz überlege ich, die Flamme effektvoll auszublasen, bin aber zu verwirrt, zu neugierig und unterlasse es.
Lona nimmt ihren Mann an die Hand und steigt mit ihm die Treppe hinauf. Das andere Paar folgt ihnen schweigend.
Ich könnte die lose Stufe aufstellen, gerade dann, wenn ihre Füße sie berühren…oder mit dem Geländer knarren. Die quietschende Tür zum Keller, die nach dem Öffnen das unheimliche Tropfen und den grünlichen Schimmer im Gewölbe dort unten an die Dunkelheit im Erdgeschoss verraten würde, wäre ebenfalls eine Option…
Die Besucher scheren sich jedoch einen feuchten Dreck um meine Bemühungen, böse zu sein und betreten die Zimmer der oberen Etage. Lona bricht in Schreie des Entzückens aus!
„Das ist es!“ ruft sie gegen das Prasseln des Regens vor den Fenstern an, ihre Begeisterung bremst den Wind aus. „Unser Landhaus, nach dem wir schon so verdammt lange suchen! Meinst du, wir könnten es wieder herrichten, Tom?“
Ich halte den Atem an.
Ihr Mann schaut sich prüfend um.
„Ich müsste am Tag überprüfen, wie hoch der Aufwand wäre. Wenn es überhaupt zu verkaufen steht…aber grundsätzlich wäre es möglich, denke ich.“
„Ich bin zu verkaufen!“ stöhne ich, so gut ich kann.
„Dann lass‘ uns gleich morgen alles klären!“ Liebevoll fahren Lonas Hände über meine stockfleckigen Fachwerkbalken.
Der Regen hört auf.
Die Besucher bewegen sich schwatzend und lachend die Treppe hinunter. Noch einmal dreht Lona sich zu mir um.
„Bis morgen, Haus!“ sagt sie, wirft mir einen wärmenden Blick zu, bevor sie gehen.
Die Haustür zieht sie sorgfältig hinter sich zu.

Und ich?
Ich darf hoffen in dieser Nacht.
Auf Leben, das mich bald schon erfüllen wird.
Auf Gelächter und Gesang.
Auf Kinderlärm und Wärme.
Denn ich bin ein gutes Haus.
Ich höre, wie die Tür zum Keller sich öffnet.
Und ängstige mich.

Ich habe Mensch

Ich habe Mensch. Es geht mir nicht gut. Ein Hund könnte sich schütteln, um das Ungeziefer loszuwerden. Aber schüttel Du mal mit alten Fenstern, die schon bei einem Windstoss aus dem Rahmen fliegen, und es dann durch Deine Eingeweide pfiffe, als hätten Menschen Bohnen gefressen. Vor Covid war ich noch immun, mit Türen gesegnet, aber seit der ZwangsPerforation greift jeder durch und schwups sind sie drin, die Menschen, und machen sich breit, kriegen Junge und blähen Dich mit Müll, den sie anschleppen, weil Müll anschleppen irgendwie cool ist und scheinbar die Hackordnung dieser Amöben bestimmt. Survival of the fittest. Wer am meisten Gerümpel hat, verteidigt seinen Platz durch Statik bis der Boden bricht und alle im Keller heulen zwischen den Toten und solchen die auslaufen und dem Gerümpel, dass Du kein Kamin mehr zukriegst. Ich sage Dir, das geht zu Ende mit mir. Das wirst Du im Alter nicht mehr los. Das Gesindel bleibt und stirbt erst mit dir…

Hilfe ist unterwegs!

Marlene sitzt am Küchentisch und betrachtet mit leerem Gesicht das Messer, mit dem Paul sie erstochen hat. Danach ist er geflohen, an Ulf vorbei, der im Garten das immer selbe Stück Holz spaltet wie damals, als seine Frau ihm vorgeworfen hat, er würde sich gar nicht für sie interessieren. Wilhelm liegt in der Badewanne, Bertha weint hinter der Mauer im Keller.
Alle haben einmal in mir gewohnt, allen habe ich helfen wollen. Jetzt sind sie ewige Gefangene. Ich bin leider nicht gut darin, Leuten zu helfen.
Vier Jugendliche, die das nicht wissen, kommen zu Besuch. Sie bringen Kameras, Salz und blinkende Magnetfeldmesser mit. Sie suchen nach Geistern, sehen die aber nicht, die direkt vor ihnen sind. Dafür raunen sie begeistert, als ich eine meiner Türen ins Schloss fallen lasse, weil sie Jakob und seiner Schreibmaschine wirklich nicht begegnen müssen.
Wenn sie ein bisschen Spuk toll finden, dann sollen sie doch mehr davon haben. Ich stupse die Füße des Flügels an, bis er eine traurige Melodie zu spielen beginnt. Die Fensterladen lasse ich quietschend schwingen. Knackende Balken, knarrende Dielen, knarzende Wände, das volle Programm. Die Truppe wird aufgeregt. Sie machen Fotos und kreischen jedes Mal aufs Neue auf, wenn ich eine Ratte in ihre Richtung schicke. Herrlich. Und dann lachen sie und ich bin froh darüber. Ich helfe gerne.
Ich schüttele einen Kronleuchter und der löst sich ein Stück, sackt mit einer Staubwolke ein wenig ab. Die Jugendlichen schreien und springen zu allen Seiten. Ein Mädchen stolpert und stürzt rückwärts die Kellertreppe nach unten, die Kamera zerschellt. Die Freunde eilen zu Hilfe und ich bin besorgt. Vor allem, als sie mit einem Mal wieder nach oben rennen. Sie hauen ab, zu dritt.
Das Mädchen, das ich von nun an Daniela nennen werde, steht langsam auf und kommt die Treppe wieder nach oben. Dort fängt sie an, mit einer Kamera, die nicht existieren dürfte, den Kronleuchter zu fotografieren. Wieder und wieder und wieder.
Eine neue Bewohnerin. Eine neue Gefangene. Hach, ich bin wirklich nicht gut darin, Leuten zu helfen.

Gloomthorn Manor: Ich atme, also bin ich

Der modrige Geruch von feuchtem Holz und verfallenem Stein durchzieht meine Gemäuer, als wäre die Einsamkeit selbst zu einem Duft geworden. Der Wind, mein einziger Besucher, pfeift durch die zerbrochenen Fenster, die wie hohle Augen in meine Seele blicken. Die Gesichter der Ahnengalerie und ihre traurigen Geheimnisse liegen tot unter staubigen Spinnweben.

Mit Einbruch der Dunkelheit höre ich Schritte. Eine Gruppe Kinder, bewaffnet mit Taschenlampen und einer aufgeregten Überdosis Mut, klopfen an meine Tür. Der Klang des alten Messingrings durchfährt meine verlassenen Hallen wie ein lautes Knurren einen hungrigen Magen. Mit dem letzten Schlag lass ich die Tür aufspringen. Das Mondlicht fließt herein und taucht ihre Gesichter in ein bleiches Licht. Für einen Moment verharren sie, als wären sie auf der Schwelle zwischen zwei Welten gefangen. Dann tritt einer mit frechem Gesicht mutig vor, während die anderen ihm mit einem Anflug von Unsicherheit folgen." Ich habe gehört, dass hier Geister leben", ruft er übermütig in die Dunkelheit. „Aber ich wette, das ist alles nur Unsinn!“

Nein, keine Geister“, sagt ein Mädchen mit glockenheller Stimme. „Man munkelt, es gibt ein altes Geheimnis.“

„Ihr seid also hier, um mir mein Geheimnis zu entlocken.“, murmle ich so leise, dass es wie ein Windhauch durch den Raum weht. Sie hören es nicht, das Knarren der alten Dielen unter ihren Füßen übertönt mich.

Sie durchstreifen meine Korridore, tasten sich durch die Dunkelheit. Der Junge mit dem frechen Gesicht zieht seine Taschenlampe hervor und leuchtet in jede Ecke, als suche er nach einem versteckten Schatz. Das Mädchen mit der hellen Stimme hält ihre Taschenlampe fest umklammert und bewegt sich vorsichtig, als spüre sie die Last der Geschichte, die in meinen Wänden ruht. Das dritte Kind scheint fast respektvoll, als es durch meine Hallen schreitet, als wüsste es um die Tragödien, die sich hier abgespielt haben.

Das Mädchen hält einen Moment inne. „Spürt ihr das auch? Es ist, als würde das Haus atmen.“ Das Licht ihrer Taschenlampe tanzt wie ein morbides Ballett über meine Wände. Jeder Schritt über die Dielen ist ein Schritt näher heran an mein dunkles Geheimnis.

Soll ich sie in einen unheilvollen Untergang stürzen, oder soll ich ihnen den Weg zu dem Geheimnis weisen, das selbst meinem stolzen Erbauer, dem Earl of Gloomthorn, keine Ruhe gelassen hat? In diesem Moment spüre ich die Neugier und den Respekt, den die Kinder für meine Geschichte aufbringen. Es ist, als würden ihre Herzen zu mir sprechen, und ich erkenne, dass sie nicht wie die vielen anderen Menschen sind, die nur gekommen sind, um zu plündern oder zu zerstören. Meine Wände beben, ein unmerkliches Zittern, das den Augenblick der Entscheidung näher rücken lässt. Mit einem unerwarteten Hauch von Klarheit wird mir bewusst: Diese Nacht könnte mein einsames Schicksal beenden.

Und so öffne ich die Türen zu dem Raum, in dem das Unausgesprochene lauert, eingehüllt in den Staub der Vergessenheit. Ein Geheimnis so alt wie die Zeiten selbst, bereit, endlich ans Licht gebracht zu werden. Es ist ein stilles Versprechen, ein Pakt zwischen mir und denen, die sich trauen, in die Tiefen meiner Seele einzudringen.

„Eines dieser Bücher könnte der Schlüssel sein.“, flüsterte die Mädchenstimme, während dünne Finger den Staub von meinen Büchern abstreifen.

„Seht mal, was hier ist!“ Zittrige Mädchenhände ziehen ein uraltes in Menschhaut gebundenes Buch aus dem Regal. Fingerspitzen streichen über das Gesicht eines Schrumpfkopfes vorn auf dem Deckel. „Wie kann man nur … das war ein Mensch.“ Der Glanz in ihren Augen ertrinkt fast. "Ich spüre, dass das Buch gelesen werden will. Was meint ihr?“

In diesem Moment fühle ich, wie ein Schauer der Erleichterung durch meine Wände zieht. Es ist, als hätte das Buch selbst auf diesen Augenblick gewartet, um seine Geschichte preiszugeben. Ich murmle so leise, dass es wie ein Windhauch durch den Raum weht: Lest es, bitte, lest es. Es ist an der Zeit.

„Wieso nicht? Ist doch cool, Gruselgeschichten in einem Geisterhaus zu lesen,“ klingen Worte aus einer anderen dunklen Zimmerecke.

Die maroden Sessel in meiner Bibliothek ächzen und stöhnen unter ihren Körpern. Ein Hoffnungsschimmer kriecht an meinen Wänden entlang.

Das Buch wird aufgeschlagen. „Die Geschichten der Verlorenen“, beginnt die Mädchenstimme auf der ersten Seite zu lesen.

Die ganze Nacht wechseln sich die verschiedenen Stimmen der Kinder ab und lesen die Geschichten der Stammesmitglieder, die von der Familie des Earls entführt und versklavt wurden, laut in meinen Raum hinein. Den letzten Satz spricht die Stimme des Mädchens: „Ich, Earl Thorne Wraithmoor of Gloomthorn Manor, schreibe diese Geschichten im Angesicht meines Todes auf. Ich bin mir des Unrechts bewusst, dass meine Familie diesen Menschen angetan hat. Ich hoffe, dass eines Tages bessere Menschen kommen und dies lesen. Mögen alle Seelen dann Frieden finden.“

Die Lichter einiger Taschenlampen flackern. Ein erster Sonnenstrahl scheint durch die zerrissenen Vorhänge in die Bibliothek. Stumm wie das Strahlen des ersten Lichts am Morgen lösen sich schemenhafte Gestalten aus meinen Wänden. Männer, Frauen, Kinder. Wie lichtdurchflutete Geister schweben sie im Raum und legen dankbar ihre Hände auf die Schultern der Kinder.

Ich spüre, wie sich die Schwere, die meine Wände jahrhundertelang belastet hat, langsam dahinschmilzt. Für einen Moment herrscht vollkommene Stille.

Sonnenlicht fällt auf meine Fassade. Ich bin immer noch Gloomthorn Manor, der modrige Geruch der Einsamkeit mag immer noch in meinen Gemäuern wohnen, aber jetzt habe ich Hoffnung. Hoffnung, dass eines Tages freundliche Menschen kommen und diese alten Mauern sich an hellem Lachen und fröhlichem Getümmel erfreuen können.

Ich soll weg, haben sie gesagt.
Ich bin zu alt, haben sie gesagt.
Ich spuke, haben sie gesagt.
Ich tauge zu nichts, haben sie gesagt.

Ich liebe und beschütze meine Familie. Schon seit 200 Jahren. Ich war immer dabei. Bei Geburten, Hochzeiten und Tod. Große Gartenfeste gab es, da wurde ich stolz den Besuchern vorgeführt. Meinen wunderbaren Garten und auch die kleine Kapelle mit der Glocke aus Bronze haben sie bewundert.

Nun bin ich schon lange allein. Den letzten Bewohner haben sie in ein Heim gebracht. ICH bin doch sein Heim! Hier, bei mir, ist er nicht!
Ich verstehe das nicht. Ich werde auf ihn warten. So lange passe ich auf.

Ich habe aufgepasst, als der Dieb hier war. Die schönsten Dinge der Familie steckte er in eine große Tasche. Er durchsuchte alles. Und dann ging er in den Keller. Ich konnte ihn hören. Da habe ich die Kellertür ganz fest zugehalten und über die Zeit, hatte ich ihn vergessen.

Monate später kamen endlich Besucher und mir fiel wieder die Kellertür ein. Ich ließ sie los. Seit dem heißt es: Ich spuke. Wie könne es sonst sein, dass ein junger, gesunder Mann verdurstet vor einer offenen Kellertür sitzt?

Es kamen danach viele Besucher. Ich erinnere mich noch an die feine Dame. Sie wollte aus dem Wohnzimmer mit seinem hübschen, schon für ein knisterndes Feuer vorbereiteten Kamin, einen Salon machen. Dafür wollte sie diese und jene Wand abreißen. Vor lauter Schreck ist mir da ein Pups entfahren. Ja, es ist mir peinlich. Drei Tage lang stank ich nach toter Ratte. Die feine Dame kam nicht wieder.

Dass der dicke Makler, mit Zollstock und Zigarre, durch die schöne Holztreppe brach, dafür kann ich nichts. Ehrlich.

Als die Jugendlichen versuchten, meine Fensterscheiben einzuschmeißen, da habe ich ein paar Dachziegel fallen lassen. Den einen habe ich getroffen. Es heißt, er wird nicht mehr so wie vorher.

Wir haben heute einen fürchterlichen Schneesturm. Drei kleine Kinder haben sich verirrt und an meine Tür geklopft. Sie sitzen jetzt am warmen Kamin. Das fühlt sich wieder wie Familie an. Meine Familie soll glücklich sein. Die Kinder fragen nach den Eltern. Die rufe ich jetzt. Ich läute die alte Glocke der Kapelle.

Am Ende des Weges

Am Ende des Weges

Meine Fenster regennass,

blind und meine Läden schwer,

oft frag ich mich gegen was

ich mich eigentlich noch wehr’…

Aus den Fugen rieselt Putz,

Mauern bröckeln, kahl und rau.

In den Zimmern schimmelt Schmutz,

die Fassade blass und grau.

Brettvernagelt der Kamin

und das Oberstübchen auch.

Untenrum stinkt’s nach Urin,

Fäulnis, Katzenkot und Rauch.

Rost an jedem Türscharnier.

Das Gebälk, es knarrt und knackt.

Und mein Fundament ist mir

schon vor Jahren abgesackt.

Heut’ ist wieder so’ne Nacht,

wo der Sturm den Hagel drischt.

Ziegel scheppern, Donner kracht,

Blitz auf Blitz zuckt … und erlischt.

Vielleicht fack’le ich bald ab …

Frag mich ständig welchen Zweck

ich Baracke wohl noch hab’

  • da durchfährt mich jäh ein Schreck!

Jemand klettert übers Tor!

Drei Personen, tropfend nass,

stellen sich vermutlich vor,

dass ich sie ins Trock’ne lass.

Weit und breit kein and’res Dach,

als mein schiefer Ziegelhut.

Doch, verzeiht mir, wenn ich lach’:

Jetzt, auf einmal bin ich gut?

So oft wurd’ ich ausgeräumt!

Hab’ geächzt, gebebt, gebangt.

Heute hab’ ich ausgeträumt,

holzwurmmorsch und dornberankt.

Mietnomaden und ein Mord!

Meinen Schutz habt ihr missbraucht!

Menschenpack, schert euch hier fort!

Oh, der Zorn ist nicht verraucht!

Sack-Zement! Sie sind schon da!

Doch ich weiß nun, was ich tu’!

Zeit der Rache – jetzt so nah,

bin bereit zur letzten Ruh’.

Nordsturm, auf! Erhebe dich!

Breche Glas und peitsch’ den Stein!

Heute Nacht ergeb’ ich mich,

stürz vor ihren Augen ein!

Tretet ein

Ein Heulen bahnt sich den Weg durch die Dielen, ein Knarzen begleitet es. Meine Stimme, zehrend und drohend zugleich, entweicht den Ritzen, dröhnt den fünf Personen entgegen, die vor der Eichentür verharren.

»Schatten wabern in mir, hell im Vergleich zu der Dunkelheit, die in den Ecken schlummert. Warten nur auf Ihresgleichen, um sich zu nähren und zu mehren.
Tretet ein in dieses Heim.
Tretet ein, doch seid gewahr: eure Schatten sind euer Preis. Eure Schatten sollen zu meinen werden, meine Dunkelheit erhellen. Und eure offenbaren.
Kommt nur herein, wie all die Menschlein vor euch. Kehrt hinaus euer Innerstes, erfüllt meine Räume mit euren Abgründen, stopft meine löchrigen Wände mit euren düsteren Gedanken und flüstert im Einklang mit den Geistern eure schaurigen Wünsche.
Tretet ein und erzittert.

Wagt ihr den Schritt?«

Besessenheit

Er sieht aus wie ER!
Wie kann das sein?
Rasch wende ich mich zur Krypta, die wie immer versteinert daliegt.
Wie oft habe ich mir gewünscht, dort eine Regung zu sehen, seit Eduard 1893 beigesetzt wurde.
Doch sein Geist verschwand direkt gen Himmel statt bei mir zu bleiben.

Und jetzt steht er wieder vor mir - Wiedergeboren? Wie kann das sein?
Er sieht mich an als sei ich ihm fremd und doch irgendwie bekannt.
Er tritt näher, schaltet das Licht ein.
In seiner Hand hält er eine Zeichnung von mir. Oh die Aufregung lässt mich erzittern!
Aber nein doch! Nicht erschrecken! Bleib!
Ich beherrsche mich und bleibe still. Versprochen. Bleib!

Er hebt die Abdeckung hoch und erstaunt beim Anblick des herrschaftlichen Sessels.
Es kann kein Zufall sein. Auf diesem Sessel hatte Eduard auch am liebsten gesessen.
Er setzt sich hin, auf die gleiche Weise, mit erhobenem Kopf und entspannten Schultern, die Füße fest am Boden.
Oh die Besessenheit flammt in mir auf!

Dann liest er die Briefe vor. Briefe von Eduard. Und ich erstarre.
Die Briefe waren nicht an mich gerichtet.
Sondern an Hyacinthe.
Sie war keine Blume.
Sie war eine Frau!

Wie konnte mir das damals entgehen?
Habe ich nicht mit aller Feinheit ihre Unfälle geplant.
Seine erste Liebe, Maria. Stolperte an der obersten Treppe in den Tod. Grandios, als ihr Genick brach!
Seine zweite Frau, Helena, die ich nachts in den Wahnsinn trieb bis sie sich selbst aus dem Fenster in den Tod stürzte.
Nie vergesse ich die schreie von Luise, als die Glassplitter des Kronleuchters ihre zarte Haut durchbohrten und sich alles um sie rot färbte.

In der ganzen Gegend goltest du als verflucht. Trotz deines Reichtums wollte sich keine Dame mehr auf den Tanz mit dem Teufel einlassen.
Du warst endlich meins.

Bis du auf Reisen gingst und mich nur noch im Winter besuchtest.
Warum musstest du mit mir brechen, nach all dem, was wir zusammen erlebt hatten?
Schließlich hattest du mich erschaffen! Von Grund auf geplant, aufgebaut, eingekleidet.
Dein halbes Vermögen hast du an mir ausgegeben.
Jedes Detail an mir war genau so, wie du es dir vorstelltest. Alles an mir gefiel dir.
Warum war ich dir nicht genug?

Und als deine Lippen im Schlaf Hyacinthe murmelten, ließ ich sie für dich im Garten erblühen.

Aber dann verstarbst du und meine letzte Erinnerung an dich ist dein Weg in der mit Hyazinthen geschmückten Palisanderkiste in die Tiefen der Krypta.
Kein Abschied. Deine Seele war fort, während ich hier einsam das Jahrhundert vorbeiziehen sah und vergessen wurde.

Bis heute.
Ich sehe am Leuchten deiner Augen, dass ich dir gefalle.
Du nimmst jedes Detail von mir in dir auf.
Du sagst: und das gehört alles mir!
Nein! Sei nicht töricht! Du wirst mir gehören.

Doch diesmal werde ich schlauer sein.
Du wirst bei mir einziehen und mich wieder herrichten.
Ich werde es ertragen, dass du in deinem Leben hier liebst wen du willst. Dann werde ich dich dazu bringen, zu morden.
Und dann, wenn du neben deinen Urururgroßvater in die Krypta gelegt wirst, steigst du nicht in den Himmel auf. Dann gehört dein Geist die nächsten Jahrhunderte mir!

Lost place

Was auch immer die Leute in den Gebäuden zu finden hoffen, wenn sie verlassene Orte aufsuchen……mir ist es egal, ich bleibe relaxt und überstehe auch diese Gruppe Neugieriger. Ich habe bereits die seltsamsten Typen kennengelernt. Von gelangweilten Hausfrauen über ehrgeizige Fotografen bis zu depressiven Schauspielern habe ich jede Art Mensch hier getroffen. Mich bringt so schnell nichts aus der Fassung, aber diese Beamten, die einen Ausflug in mein Reich zur Teambildung gebucht haben, die haben es fast geschafft.
Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, um ihnen den Aufenthalt so gruselig wie möglich zu gestalten. Zu Beginn bat ich meine Freundin, die knorrige Kastanie, einen Ast auf die Stromleitung zu katapultieren.
„Ohne Licht ist es gleich viel gemütlicher“, fand der Oberbeamte und holte eine Taschenlampe samt Brotdose aus dem Rucksack. Ok! Ich kann auch anders dachte ich mir und lies den Schwarm Fledermäuse mit circa 500 schwarzen Vampiren vom Dachboden auf die Gruppe aus dem Bauamt stürzen. Aber weit gefehlt die Beamten waren in ihrem Element und zählten die Fledermäuse. Dann erstellten sie eine Statistik darüber wie oft die Fledermäuse vor die Türen und Fenster flogen, wenn sie abgelenkt wurden durch lautes Händeklatschen.
Ich wollte noch einen tragenden Holzbalken brennen lassen, aber ich verspürte keine Lust mehr. Eine ungemeine Müdigkeit in meinen Gemäuern lies mich träge und gleichgültig werden und so schloss ich die Fensterläden und überlies meine Räume den Staatsdienern zum Betrachten, Begutachten und Bewerten.
So eine Langeweile habe ich selten mit meiner Kundschaft verspürt, ich werde mich beschweren auf Instagram.

Ruhe sanft

Mit fortschreitender Nacht war meine wohlverdiente Ruhe mit einem Schlag vorbei.
Graf Trollwick schwebte mit lautem »Huhuuuu« durch den alten Tanzsaal und drehte sich dabei um eine unsichtbare Tanzpartnerin. »Huhuuuu«, äffte ich ihn nach. »Fällt dir nicht mal was Neues ein?«
Er antwortete nicht. Er antwortete nie. Stattdessen zog er spielerisch an dem Dolch, der aus seiner Brust ragte und grinste mich aus leeren Augenhöhlen an. Ich ächzte in meinem Gebälk und rüttelte die Fensterläden auf. »Ruhe«,brüllte ich. Aber es war sinnlos. Ein paar magere Ratten huschten erschreckt aus ihren Löchern und rannten quiekend um Trollwicks Füße. Spielerisch trat er auf eine und seufzte, als ihm das wie immer nicht gelang.
»Geister können nicht treten. Sie sind körperlos«, murmelte ich. Meine Laune war inzwischen so übel, wie der Geruch frischer Luft, der durch die glaslosen Fenster hereindrang.
Trollwicks fleischloser Kiefer klappte herunter und er sah noch alberner aus, als sowieso schon. Die Ratten spielten unbeeindruckt ihre völlig sinnlosen Spiele. Intelligent sollten sie sein – so war es seit Jahrhunderten überliefert. Ich glaubte den Unsinn nicht. Sie waren so dumm wie das Stroh, das bereits kurz nach dem Tod meines letzten Bewohners verfault war.
Gräfin Trollwick schwirrte herein und kicherte albern. Ich konnte sie schon vor zweihundert Jahren, als sie noch lebte und jedermann auf die Nerven ging, nicht leiden. Ich kann euch versichern, Abneigung wird nach dem Tod nicht besser. Im Gegenteil. Sie sauste wie ein Derwisch in ihrem weißen Nachthemd, in dem sie im Alter von neunundsiebzig verstorben war, durch den Saal, direkt auf den Grafen zu, der erschrocken zur Seite wich. »Huhuuuu«, rief er. Sein Weib machte einen Knicks und er reichte ihr seine Hand. Sie drehten sich zu unhörbarer Musik. Zum Glück unhörbar. Das hätte mir noch gefehlt.
Draußen schrie eine Eule. »Huhuuuu!«
»Ja, fang du auch noch mit diesem Unsinn an«, schrie ich hinaus und sie flog lautlos davon. Es gab nicht mehr viele Wesen, die mir den Respekt zollten, den ich in meinem Alter verdiente.
Endlich sah ich durch die Ritzen meines Gebälks die ersten Strahlen den nahenden Tag verkünden. Ich brauchte wieder Ruhe. Auch der Graf und seine Gattin spürten die Veränderung. Sie glichen inzwischen nur noch nebelhaften Schatten. Die Ratten huschten zurück in ihre Löcher und kitzelten mich in den Balken, in die sie ihre Behausung genagt hatten.
Nicht mehr lange.
Der Graf dematerialisierte sich zuerst, bis nur noch der Dolch zu sehen war. Die Gräfin folgte ihm.
Dann war endlich wieder Stille. Ich klapperte die Fensterläden wieder zu, knarrte ein letztes Mal in den Balken und begab mich zur Ruhe.

Du kriegst die Tür nicht zu

»Habt ihr das gehört?«, wispert die eiserne Eingangstür.

»Was denn?«, nuschelt die Tür zur Speisekammer mit vollem Mund.

»Na, das Gerede da draußen, da kommen welche. Kaum zu glauben, Du kriegst die Tür nicht zu. Soll ich meine Klinke schon mal leicht runterdrücken? Dann können die schneller reinkommen.«

»Oh ja, können wir dann wieder das Besucherspiel spielen? Ihr wisst schon«, sagt die Küchentür und klappert voller Vorfreude vor sich hin.

»Ruhe!«, poltert die Wohnzimmertür. »Ich habe gerade zugemacht und wollte mich für die Nacht ins Schloss legen.«

»Aber ich bin noch gar nicht müde«, beschwert sich die Kinderzimmertür und hüpft in ihren Scharnieren auf und ab.

Da öffnet sich mit lautem Knarzen die Tür der Bibliothek einen Spaltbreit und sagt: »Gut, aber danach ist Ruhe und nur ganz kurz.«

»Aber das Besucherspiel ist doch immer schnell aus und vorbei«, meint die Speisekammertür und kichert.

»Wohnzimmertür, darf ich dieses Mal mitspielen? Wie geht denn das Besucherspiel?«, erkundigt sich die Kinderzimmertür.

»Bisher ist noch kein Besucher bis nach oben gekommen. Das Spiel war bereits hier unten recht schnell aus und vorbei.«

»Wieso, wie spielt ihr denn?«

»Nun, jeder Besucher will unser Haus erkunden und betritt deshalb immer eins unserer Zimmer. Betritt jemand das Wohnzimmer, erwartet der Kamin die Person mit wonniger Wärme, ist es die Küche, dann warten die geschliffenen Küchenmesser, in der Speisekammer die scharfen Fleischerhaken unter der Decke. Und wer meint, sich weiterbilden zu wollen, der wird aufs herzlichste von der Bibliothekstür empfangen und fühlt sich nach Eintritt von den vielen Büchern erschlagen.«

»Mich hast du vergessen«, mischt sich der Dielenschrank in diesem Moment ein. »Beim letzten Mal habe ich das Besucherspiel gewonnen!«

»Nun halt mal deine Klappe, äh, deine Klappen wollte ich sagen«, poltert die Wohnzimmertür zurück. »Bilde dir nur nichts darauf ein, dass du seit dem letzten Besucher nicht mehr alle Tassen im Schrank hast.«

»Das klingt doch total lustig«, freut sich die Kinderzimmertür. »Ich will auch mitspielen!«

»Nein, auf keinen Fall«, antwortet die Wohnzimmertür. »Das kommt überhaupt nicht infrage!«

»Aber warum denn nicht?«

»Wenn ein Besucher deine Tür öffnen würde, dann fielen ihm die ganzen Puppen aus deinem Puppenspiel entgegen. Diese Aussicht wollen wir den Besuchern ersparen, wir wollen sie doch nicht erschrecken, oder? Ich verspreche dir jedoch, du bekommst nach dem neuen Spiel wieder eine Puppe hinzu. Mindestens eine.«

»Echt?«, fragt die Kinderzimmertür mit leuchtenden Augen.

»Mit Sicherheit echt, ganz echt.«

Das Haus am Hang

Das Haus steht reglos am Hang eines von Nebelschwaden durchzogenen Tals und träumt. Manchmal, wenn die Jahreszeit abrupt wechselt, erwacht es und blickt gedankenverloren auf das geschäftige Treiben der Talbewohner herab. Menschen, klein wie Ameisen, wuseln darin umher und bieten all ihre Kraft auf, um ihre Heimat in einen unbewohnbaren Ort zu verwandeln. Plumpe Hotels vermehren sich wie Unkraut, während elegante Villen unter der Last ihrer Jahre in sich zusammen stürzen. Ein Feuer bricht aus, ein Fluss tritt über seine Ufer. Casinos schießen wie giftige Pilze aus dem Boden und ihre Leuchtreklamen machen die Nacht zum Tag.

Doch das Haus am Hang kümmert das alles wenig. Es lässt seinen Blick wandern, träumt und wartet.
Am Abend bekommt es Besuch von den Vögeln, sie singen Lieder über die bedauernswerten Geschöpfe unten im Tal. Sie beklagen das himmelschreiende Getöse und das grelle Licht, das aus den großen Nestern der Menschen dringt, und versuchen ihrerseits, mit lautem Gezänk den Lärm der Städter zu übertönen. Wenn sich dann doch einmal ein Teppich aus Ruhe und Dunkelheit über dem Tal ausbreitet, zerschneiden wenige Augenblicke später schrille Sirenen die Stille und machen die Hunde verrückt. Ihr lautes Gebell schallt von den Felswänden wider und weckt Artgenossen aus weit entfernten Tälern, die verzweifelt in den schaurigen Chor miteinstimmen. Und wenn Mensch und Tier endlich eine Atempause einlegen, dann meldet sich Mutter Natur zu Wort und schickt Starkregen, Hagel und Sturm über das Tal, während sich die Städter von Alpräumen geplagt in ihren Betten hin- und herwälzen.

Was denn das Haus am Hang von all dem hielte, fragen es die Vögel.
Dem Haus ist das alles gleich. Nicht die Vögel sind es, auf die das Haus wartet. Weder das undurchsichtige Treiben der Menschen unten im Tal, noch Mutter Natur kann ihm etwas anhaben. Ob sengende Hitzewellen im Sommer seine Wände verbrennen oder sintflutartige Regenfälle im Frühjahr und Herbst tagelang auf sein Dach niederprasseln, sein Inneres bleibt davon gänzlich unberührt. Nur im Winter zieht es sich manchmal vor Kälte zusammen und klappert im feuchten Nebel leise mit den Ziegeln.

Der Winter.

Zu dieser Jahreszeit wird die Leere und Stille quälend, die Sehnsucht nach seinen Bewohnern unerträglich. Dann träumt sich das Haus in die Vergangenheit zurück. In eine Zeit lachender Kinder, fröhlich knisternder Kaminfeuer und köstlicher Küchendüfte, die an Sonntagen durch das Haus wehten. Zurück in eine Zeit, in der die Träume seiner Bewohner noch bunt und vielfältig waren. Manchmal verschwanden seine Bewohner und überließen das Haus sich selbst, um sich mit neuen Träumen einzudecken. Doch stets kehrten sie innerhalb derselben Jahreszeit zurück, leerten ihre Koffer aus und betrachteten voller Stolz die Dinge, die sie aus fernen Ländern und fremden Häusern mitgebracht hatten.

Heute kommen seine Bewohner nur selten, um nach dem Haus zu sehen, und bleiben nur wenige Tage. Die Luft ist dann zum Schneiden dick. Spitze Worte, doppeldeutige Gesten und enttäuschte Augen lassen die Wiedersehensfreude schnell vergessen. Seine Bewohner haben sich verändert. Sie sind jetzt verängstigt, engstirnig und so mit sich selbst beschäftigt, dass sie den Wundern um sich herum keinerlei Beachtung mehr schenken. Vielleicht hatten sie eines Tages die falschen Träume im Gepäck.

Der Vernachlässigung und dem Alter zum Trotz gibt sich das Haus große Mühe, ansehnlich zu bleiben. Sind Vogeleltern so mutig, ihre Nester unter der Regenrinne zu bauen, so schüttelt das Haus die Vogelhäuser sanft aber mit Nachdruck ab. Wollen Türen oder Fenster nicht mehr richtig schließen, hebt sich das Haus ganz sacht um einige Millimeter an, bis sie wieder schließen. Möchten Bäume auf dem Anwesen nicht mehr gerade wachsen, so redet ihnen das Haus in den Abendstunden gut zu. Bis die Bäume sich recken und strecken, um im Sommer wieder kühlen Schatten zu spenden.

Ein Kichern lässt das Haus aus seinen Gedanken aufschrecken.

Kinder aus dem Dorf haben sich in der Abenddämmerung durch eine Lücke im Mauerwerk gezwängt und sich so Zugang zum Anwesen verschafft. Sie spielen Verstecken, als gäbe es kein Morgen und keine Eltern. Erbost möchte das Haus ausholen und vielleicht einen Dachziegel auf sie herabfallen lassen. Doch das glockenhelle Lachen des Mädchens und der konzentrierte Ausdruck des Jungen, der Unkraut mit einem Stock bearbeitet, verjagen die Einsamkeit und das Haus lässt sie gewähren. Vorsichtig nähern sich die beiden Kinder jetzt der Eingangstür und drehen am Knauf. Verschlossen. Den Schlüssel haben die Besitzer mitgenommen in ihre fremden Häuser in den fernen Ländern. Doch da durchzuckt das Haus eine Erinnerung. Aufgeregt schickt es seine Gedanken zur Rückseite des Hauses. Dort, unter einer verwitterten Tonvase liegt ein weiterer Schlüssel, der darauf wartet, gefunden zu werden.

Wie sich das Haus danach sehnt, betreten zu werden!

Wagemutig bittet das sonst so verschlossene Haus die wilden Erdbeeren um Hilfe. Sie neigen ihre roten Köpfe zum Weg hin und die Kinder vernaschen im Mondlicht begeistert die süßen Früchte. Immer näher kommen sie der Vase, während eine Erdbeere nach der anderen in ihren Mündern verschwindet. Bis die Kinder über ihre eigenen Füße und das Versteck stolpern und schließlich staunend den Schlüssel in Händen wiegen. Aufgeregt zwitschernd wie kleine Vögel beraten sie sich, fassen einen Entschluss. Sie kehren zur Eingangstür zurück und stecken den Schlüssel ins Schloss.

Das Haus seufzt wohlig bei dem vertrauten Klang. Zögernd betreten die Kinder das Haus und genießen den Reiz des Verbotenen. Immer ausgelassener durchstreifen sie knarrende Flure und verstaubte Zimmer. Sie öffnen Türen und Fensterläden und der befreiende Duft von Eukalyptusbäumen dringt in jede Zimmerecke und vertreibt schlechte Erinnerungen und den moderigen Geruch der in die Jahre gekommenen Teppiche und Polstergarnituren. Das hineinströmende Mondlicht und die warme Luft erwecken das Haus zum Leben. Es jubelt, knarzt und winkt fröhlich mit den Gardinen. Nun weht auch noch der süßliche Duft der Zitronen- und Orangenbäume zu ihnen hinein und Haus und Kinder nehmen beglückt einen tiefen Atemzug.
Wir kommen wieder, versprechen die Kinder einander und halten sich an den Händen. Bitte kommt wieder, raunt das Haus am Hang ihnen zu.

Das Haus

„Oh, ich habe viel gesehen. Was habe ich viel erlebt.“
Erbaut in einer mystischen Zeit, bei der es schon viele Spekulationen gab. Warum gaben die Ziegel nach und ließ die Mauer einstürzen? Warum musten, fast dreißig Menschen sterben, als das Haus gebaut wurde? Keiner wusste es und niemals würde es jemals einer wissen. Nach der Fertigstellung wurde das Haus bezogen. Eine wohlhabende Familie mit drei Kinder.
Der Mann wurde bald darauf krank und eines der Kinder verschwand. Man suchte überall, doch vergebens. Laut der Geschwister ging es in den Keller, wo die Tür sich mit einem lauten Knall schloss. Sie ließ sich nicht wieder öffnen. Als diese Tür sich dann von allein wieder auftat, war der Raum leer. Die Herrin des Hauses wollte danach nicht mehr bleiben. Leider blieb ihr Mann stur und verstarb dort. Bald ging das Haus in neue Hände. Doch es wurde nicht besser. Dem neuen Eigentümer sagte man nach, er sei wahnsinnig. Allein durch ihn, starben mehrere Menschen dort. Als man ihn verhaftete, sagte er, dass ihm das Haus es befohlen hätte. So ging es immer weiter.
Zweihundert Jahre später stehe ich hier, habe viel gesehen und erlebt. Stehe immer noch und scheine Vergessen zu sein. Pflanzen wachsen an mir hoch, an manchen Stellen in mich hinein. Meine Fassade bröckelt und einige der Fensterläden sind schon abgefallen. Ein paar meiner Dachziegel sind heruntergefallen. Der kalte Wind greift immer wieder darunter. Raben nisten hier und Fledermäuse schlafen dort. So langsam wird es Nacht und der Wind legt sich. Während der Halbmond aufsteigt, hört man Stimmen. Der Weg zu mir ist zu gewachsen, doch man kämpft sich durch. Vier junge Menschen, eine Frau und drei Männer, mit seltsamen Geräten und Kameras sind gekommen und reden über Lost Place und Geisterjagd.
Vorsichtig nähert sich die Gruppe. Sie sind erstaunt mich zu sehen und spekulieren, wie lange ich hier stehe. Sie beginnen damit einen Eingang zu suchen und finden bald ein Fenster, das bereits eingeschlagen ist. So stehen sie in der Küche. Besser gesagt, was davon noch übrig ist. Schimmelige Wände, die Tapete, die fast nicht mehr existiert und Schränke, die teilweise eingefallen sind. Die Gruppe staunt und seinen darüber überrascht zu sein, dass das Geschirr und Kochutensilien noch da sind. Sie unterhalten sich darüber, wie gut es noch zum Teil aussieht, und wundern sich, warum alles zurückgelassen wurde. Dann knarzt eine Tür. Es ist nur leise und zeugt von dem Wind, der hindurchfährt. Die Frau erschrak davon leicht. „Habt ihr das gehört?“, fragte sie ihre Begleiter, doch sie hatten es nicht. „Nein, was dann?“, fragte der Eine. „Ne Tür hat geknarzt, glaube ich.“, erwiderte sie. Die Männer taten dies als Einbildung ab. So gingen sie weiter. Sie liefen durch meine Flure, durch das Wohnzimmer, fanden das Kaminzimmer und dort zerstörte Möbel. Nur ich kann erzählen, was dort geschehen war. Sie stellten Fragen und versuchten, mit ihren Geräten Antworten aufzuzeichnen. Ich weiß nicht, ob sie welche bekommen. Sie laufen in das erste Stockwerk und erkunden dort alles. Auch trauen sie sich in den Keller. Sie gehen dorthin, wo schon einmal jemand verschwand. Dort schlug die Tür zu, direkt hinter ihnen und sperrte die Vier ein.
„Oh, ich habe viel gesehen. Was habe ich viel erlebt.“, flüsterte ich.

Cottage des Grauens

Dichter Nebel legte sich wie ein seidener Teppich um die Hecken meines Grundstücks. Schon von Weitem sah ich sie. Diese Spezies, die sich Menschen nannte. Es waren drei. Ihre Taschenlampen warfen ein diffuses Licht auf meine 200 Jahre alte Fassade. Sie konnten nicht ahnen, dass auch sie, wie der alte Meadow vor zehn Jahren, im roten Zimmer ein jähes Ende finden würden. Es gab nur einen Zeitungsartikel von damals aus der Times. Sonst nichts. Und seitdem haben sie, diese Menschen, es vermieden, auch nur einen Schritt auf mich zuzugehen. Doch diese drei wollten es genau wissen.

Einer von ihnen, er nannte sich Patrick, war der Erste, dem ich eine Gänsehaut verschaffte. Die Scharniere meiner Tür quietschten und mit dem Öffnen übertrug ich meinen modrigen und muffigen Atem. Seine Schritte auf meinen Dielen waren wie das Ächzen vor Schmerzen eines alten Mannes, der nach Luft schnappte. Patrick ging stumm voraus. Das Licht seiner Taschenlampe strahlte die alte Standuhr an. Sie tickte noch. Auf ihr lag der nackte Schädel des alten Meadow. Gleich, dachte ich, gleich. Mit jedem Schritt kam er näher. Unbewusst und mit starrem Blick griff er an die Klinke meines verruchten Zimmers. Jetzt. Unter einem tiefen und dumpfen Schrei öffnete ich die Tür und sog ihn ein. Endlich. Ich konnte wieder anfangen richtig zu leben.

Meine Aufgabe war schon immer Leben retten. PH 4, so lautet meine amtliche Bezeichnung, kommt wohl aus der alten Zeit, damals, als man mich erschuf, um den Walfängern nach Hause zu leuchten, an den Klippen vorbei, heim, zu den wartenden Liebenden und deren einsamen Betten.
PH, wie Gott Phallus vielleicht, phallisch überragend, Wohl und Wehe der Menschen meiner Gegend verantworten, das ist seit Generationen meine Aufgabe, hier, wo der Rabenweg sein Ende an den Klippen findet, dort, wo sich Hund und Katz nicht hinträumen und schon gar nicht gute Nacht wünschen würden. Wo der blanke Hans dein verfluchter Dauergast ist.
Mit Heimleuchten ist es seit langem schon vorbei, dem Feuer folgte Strom, dann die Abwanderung und Arbeitslosigkeit und ich wurde einsam und vielleicht etwas unausstehlich.
Was habe ich es früher genossen, wenn ich Gäste beherbergte. Vor langer Zeit einen jungen französischen Maler aus Übersee, vornehm, aber mit der Zeit auch très triste und über die Jahrzehnte zunehmend depressiv. Ich versuchte alles, um ihn nicht zu verlieren, veritable Treppenstürze federte ich durch sein Matratzenlager ab, ließ mehrere Seile reißen, verschüttete auch seinen Schierling. Und dennoch, er wollte mich verlassen und ich willigte mit einem Stromschlag ein. Ich litt wie ein Hund, bis endlich ein junges Paar sich meiner annahm und sich mit der Zeit prächtig in mir ausbreitete und uns chic einrichtete.
Liebe ist romantisch, aber mit der Zeit auch brutal, so musste ich lernen. Und nur dabei sein und nicht Partei ergreifen, das fiel mir auf Dauer schwer. Und so warf ich irgendwann beide zum sprichwörtlichen Tempel hinaus und genoss wieder ein Eremitendasein.
Vor einigen Monaten hatte ich zärtlichen Besuch. Ein Virtuose am Malerpinsel, streichelte mir dieser eine neue farbige Außenhaut. Ein Zauberer seines Fachs, geduldig saß dieser auf seinem Gerüstbrett, mit Farbeimern und Vesperdose bewehrt, zog sich am Flaschenzug mal hoch, dann mal wieder zur Seite und schaukelte zu guter Letzt aus Vergnügen oder Stolz ob seines Werkes in großer Höhe meiner Erscheinung. Nunja, Übermut tut selten gut, ich konnte seinen Absturz so gerade noch verhindern, und Daniel, der meine Intervention glücklicherweise nicht unmittelbar als solche erkannte, stieg erschöpft aber glücklich, seinem Ende gerade noch einmal entkommen zu sein, durch die Fensterklappe auf Stiegenhöhe 188 zurück in mein Inneres, um den Feierabend zu begehen.
Ach, wie ist das schön, wenn ich in meinen Erinnerungen schwelgen kann, besonders in der dunklen, stürmischen Herbstzeit, wenn die Gischt der tobenden Brandung bis hoch zu meinen Fenstern reicht und sich die Bewohner im Ort vor Blitz, Donner und Sturm fürchten und niemand mich hier oben belästigt.
Ach ja, vor Tagen, da näherte sich mir ein recht makabres, vermummtes Gesindel, es wurden ominöse Schilder und Transparente vor sich hergetragen. Vereinzelt wurde sogar mit Steinen und Dreck auf mich geworfen, als man auf mich zumarschierte, es konnte einem sogar fast Angst und Bange werden.
»Der Leuchtturm muss weg, Freiheit für neue Häuser, alte Leuchttürme haben ausgedient!« , so habe ich es dem Gegröle entnommen.
Als gastfreundliches Haus öffnete ich jedenfalls meine stählerne Eingangstür, per Hinweisschild lud ich in meine Kellerräume ein, wo für derart wackere Kerle eine kleine Stärkung nebst Getränken bereit stehen sollte.
Vom Tross der Lemminge hat man nie wieder gehört.

Der Geist ist raus

Es wird nicht mehr lange dauern und dann werden sie mich holen. Vielleicht morgen früh? Stück für Stück werde ich dann abgetragen, zerteilt und fortgeschafft. Auf den Haufen des Vergessens.
Was kann ich dagegen tun? Ich bin es leid, müde und steif. Es vergeht kein Tag, an dem es mir nicht schwer fällt meine trockenen Augen offen zu halten.
Droht Gefahr? Es ist mir einerlei. Was habe ich nicht alles gesehen. Ich war jung, frisch und adrett. Adrett, ein komisches Wort aus vergangenen Zeiten. Adrett, so nett.
Adrett so nett hat jedem Sturm standgehalten. Jeden Angriff überlebt. Hat willkommen geheißen und auf Wiedersehen gesagt. Immer wieder.
Mein Magen ist so leer, dass es schmerzt. Mein Herz auch. Was kann ich also dagegen tun?
Ich könnte den Bauch einziehen und sie mit meinen Magenwänden zerreiben und dabei die Räume zwischen uns verkleinern? Der schimmelige Magensaft könnte sie verdauen? Oder etwa nicht?
Ich weiß es nicht, denn ich habe keine Lust mehr. Mein Kopf ist hohl. Übersät mit krebsähnlichen Gewächsen. Ich bin hässlich geworden. Altersmilde und nicht mehr die beste Adresse. Was ich zu erzählen habe, interessiert niemanden, denn mein Vokabular ist veraltet.
Sollen sie mich doch platt walzen und auf meinen Überresten ein neues Haus bauen.
Vielleicht komme ich es dann besuchen. Wer weiß?

Nicht meine Schuld

Glockenschläge zerreißen die Stille der Nacht. Mitternacht. Geisterstunde.
Fast hätte ich verschlafen. Wie peinlich.
Früher wäre mir das nie passiert. Da wäre ich mit Einbruch der Nacht bereit gewesen. Wäre noch einmal meine nächtliche Strategie durchgegangen. Hätte alles doppelt und dreifach überprüft. Die Türen, die Fensterläden, die Dielen, die Treppe, das Kaminfeuer, die Waffensammlung … alles.
Aber diese Zeiten sind lange vorbei. Ich brauche nichts mehr vorbereiten. Meine einzigen Bewohner und Besucher sind Ratten. Und die lassen sich nicht erschrecken. Ich habe es versucht.
Es ist also Mitternacht. Oh, sogar Vollmond und Wind. Hu, schaurig. Perfekte Bedingungen. Schade, dass niemand mehr vorbeikommt. Übrigens: Nicht meine Schuld. Kann ich doch nichts dafür, dass …
Oh, was war das? Sollte etwa … ja, das war das Gartentor! Dieses Quietschen der rostigen Klinke, das Scharren über den Kiesweg, diese tapsenden zögernden Schritte … ich bekomme Besuch!
Jetzt aber schnell: Was macht die Eingangstür? Knarzt beeindruckend. Die Fensterläden? Gut, einer weniger seit letztem Mal, aber klappern zufriedenstellend. Die Dielen? Knarren wie sie sollen. Das Kaminfeuer? Ähm, ja, das wird nichts. Zu feucht. Blöder Dauerregen letzte Nacht. Die Treppen? Mhm, nicht im besten Zustand. Sollten besser wirklich nur von Ratten benutzt werden. Die Waffensammlung? Verflixt, liegt überall und nirgends. Kriege ich das noch hin? Nein. Egal, wird schon.
So, Auftritt der Eingangstür … perfekt, der erste Angstschrei der Nacht. Na, will schon einer umkehren? Nein? Bitte schön, hereinspaziert. Warten, warten, gleich haben sie die Mitte der Eingangshalle erreicht … zweiter Auftritt der Eingangstür. Rumms. Ha, der zweite Schrei. Da ist aber wirklich jemand wunderbar schreckhaft. Nichts da, die Eingangstür bleibt zu. Also wirklich, wir haben doch gerade erst angefangen.
Richtig, da geht es jetzt nicht raus. Also, wo lang? Ah, nach rechts zum Salon.
Gute Wahl. Vorbei an der Rüstung vom alten Heinrich mit seiner schicken Hellebarde. Das Teil ist bestimmt immer noch scharf. Und sie funkelt so schön im Mondlicht. Möchte jemand anfassen? Nein? Dann kann ich dem guten Stück ja jetzt einen Schups geben … Meisterleistung, sauber den Rucksack vom Rücken getrennt. Und der erste Ohnmachtsanfall der Nacht. Läuft gut, würde ich sagen.
Na, wo lang jetzt? Ohne-Rucksack will nicht weiter … dann darf Heinrich noch mal in Aktion treten … ui, die können aber rennen. So schnell komm ich gar nicht mit dem Wackeln der Gemälde hinterher. Und die Aufhängung dieser Dinger ist nicht mehr die Beste … oh, mein Fehler. Ja kommt, zieht ihn unter der ehrwürdigen Giesegunde hervor. Na guck, er steht doch noch. Ja, die Nase blutet ein bisschen … zweiter Ohnmachtsanfall. Echt jetzt? Kann kein Blut sehen und geht in eine Gruselvilla? Erinnert ich mich an den Typen der unbedingt in der eisernen Jungfrau verstecken spielen musste. Die Flecken sind immer noch im Parkett.
Ohne-Rucksack und Platte-Nase wollen umkehren. Mister Angstschrei traut sich weder vor noch zurück und Nr. 4 marschiert entschlossen auf die Treppe zu. Ungünstig. Der sieht schwerer aus als eine Ratte. Ja, er war schwerer als eine Ratte. Meine schöne Treppe.
Nun guckt nicht so. Der brüllt doch noch. Aber er sollte zusehen, dass er da wegkommt. Die Ratten mögen es nicht, wenn man in eines ihrer Verstecke plumpst. Ja, ich weiß, viele Ratten. Mit der Zeit ist man nicht mehr wählerisch bei seinen Mitbewohnern. Nr. 4 sollte aber etwas wählerischer bei seinen Freunden sein. Tsstss, haben ihn da einfach liegen lassen. Nein, sowas tut man nicht. Die Eingangstür bleibt zu. Basta. Nein, auch nicht mit der Hellebarde. Das ist mein Spielzeug. Finger weg, sonst ab. Mann ey, ich hasse diese Flecken im Parkett.
Halt, nicht durch das Fenster springen … oje, zu spät. Die Rosen wurden doch seit Jahrzehnten nicht mehr geschnitten.
Und wenn Mister Angstschrei so weiter kreischt … das war mein letzter Kronleuchter!
So, ich will nochmal betonen: Nicht meine Schuld. Kann ich doch nichts dafür, dass diese Menschen so zerbrechlich sind.

Rabengesang

Corvus, der Anführer meiner Rabenfreunde, landet schwungvoll auf meinen losen Dachziegeln und verkündet mit verheißungsvollem „Kraa, Kraa“ das Ende der jahrelangen Langeweile. Ich spüre ein hitzewallendes Prickeln, das sich lockend verführerisch durch mein morsches Gebälk zieht. Besucher kommen… so lange schon hat sich niemand mehr in meine Nähe gewagt. Sind es nur dummdreiste Neugierige, die im Dorf die alten Gerüchte gehört haben? Oder halbgare Geisterbeschwörer, die auf ein Stelldichein nebelschwadentriefender Untoter hoffen? Mir soll es recht sein. Ich lade sie alle ein, über meine Schwelle zu treten. Ich zeige allen, dass ich weder Geister noch Untote in meinen Gemäuern brauche, um einer kleinen Menschenseele das Fürchten zu lehren.

Der Besuch

Ha, endlich! Endlich kommt wieder jemand zu Besuch. Seit dem letzten Mal ist viel Zeit vergangen. Hier am Ende der Straße kommen eh kaum Menschen vorbei, und wenn es dann einmal soweit ist und ich sie freudig mit klappernden Fensterläden begrüße oder sogar die Tür für sie öffne, nie kommen sie herein. Sie reißen nur ihre Augen auf, schütteln sich und rennen davon, als würde ich ihnen wer weiß was antun. Dabei möchte ich doch nur ein wenig Gesellschaft.

Heute scheint es endlich soweit zu sein. Direkt eine ganze Gruppe an Leuten, jung und lebhaft. Ich halte mich etwas zurück und lasse die Haustür nur einen kleinen Spalt aufschwingen. Einer der Menschen zuckt kurz und stößt einen spitzen Schrei aus, aber die anderen lachen. „Nur der Wind“, sagen sie.

Jetzt sind sie drin. Langsam und voller gruseligem Staunen schauen sie sich um. Fünf sind es insgesamt, zwei Frauen und drei Männer. Taschenlampen haben sie mitgebracht. Warum kommen sie nicht einfach bei Tag, dann könnten sie auch ohne sehen. Mir ist es egal. Ob Tag oder Nacht, wenn jemand über meine Dielen läuft oder an einer meiner Wände entlangstreift, weiß ich genau wo sie sind. Ihre Stimmen schallen in meinen Räumen, ich höre alles was sie sagen. Ihr Atem bewegt den Staub in mir, er zeigt mir genau, ob sie vor Angst keuchen oder die Luft anhalten. Ich mag vielleicht keine Augen haben, aber ich sehe ALLES.

Zum Beispiel, dass einer der Männer gerade alle Schubladen des alten Wandschranks im Salon öffnet. Eine nach der anderen zieht er raus, wühlt darin herum und lässt sie offen stehen. Ärgerlich lasse ich ein paar Türen quietschen. Hat er denn keine Manieren? Die anderen Gäste erschrecken und schauen sich mit großen Augen um. Nur der Rüpel wühlt weiter in den Schubladen. Vor Wut lasse ich die Bretterdielen unter ihren Füßen erbeben. Auf solche Besucher kann ich verzichten!

„Steve, lass das!“, zischt eine Frau dem Frechling zu. Ihre langen Haare wehen meinen Staub hin und her. „Ich glaube das Haus mag nicht, wenn du hier Sachen veränderst.“ Ich bin freudig überrascht. Selten habe ich Gäste, die so einfühlsam sind. Steve zum Beispiel gehört nicht zu dieser Sorte. Er lacht nur verächtlich und wühlt weiter in den Schubladen. In MEINEN Schubladen. Der alte Schrank steht hier schon seit mehr als einhundert Jahren. Genau wie die Familie, die ihn hier eingebaut hat, ist er zu einem Teil von mir geworden.

Ich habe genug von dieser Dreistigkeit und knalle die Schublade, in der er gerade seine diebischen Finger gesteckt hat, mit voller Wucht zu. Das Knacken seiner Knochen löst ein zufriedenes Quietschen der Salontür aus. Dann gibt es ordentliches Geschrei. Normalerweise mag ich das nicht gern, aber für eine kurze Zeit finde ich Steves lautes Geheule recht angenehm. Seine Hand steckt immer noch zur Hälfte in der Schublade und er versucht verzweifelt, sie mit seiner anderen herauszuziehen. Rotz und Tränen tropfen auf meine Dielen, direkt neben seinen Füßen.

Die beiden anderen Männer springen ihm zur Hilfe und rütteln an der Schublade. Ich halte sie noch ein wenig fest (manchmal kann ich echt fies sein), dann lasse ich los. Die Finger scheinen noch dran zu sein. Jedenfalls sind keine im Schrank verblieben. Aber Steve kreischt immer noch, als hätte er gerade seine ganze Hand verloren. Um dem Geschrei gerecht zu werden, lasse ich eine der Diehlen unter seinen Füßen splittern, sodass er mit seinem Bein darin einbricht. Die scharfen Kanten reißen seine Haut auf und warmes Blut tropft auf den Boden im Raum darunter. Ich hätte es nicht gedacht, aber Steve kann tatsächlich noch lauter heulen.

Die anderen Besucher haben mittlerweile in das Geschrei eingestimmt. Einer der Männer und die Frau von vorhin helfen Steve, das Bein wieder herauszuziehen. „Lasst uns verschwinden!“ Alle atmen sie keuchend und abgehackt und können gar nicht schnell genug zum Ausgang kommen. Mir wird es langsam zu laut. So habe ich mir den Besuch nicht vorgestellt! Dann konzentriere ich mich auf die Frau, die als einzige vernünftig zu sein scheint. Auch sie hat Angst, aber ihre Bewegungen sind nicht panisch, sondern kontrolliert und zielgerichtet. Sie läuft als letztes in der Gruppe, dicht hinter Steve. Hm. Ich glaube, sie allein wäre ein guter Gast.

Die Gruppe ist in der Eingangshalle angekommen und ich öffne die Tür so weit es nur geht. Sie sollen ruhig wissen, dass sie verschwinden sollen. Als sie auf den Ausgang zustürmen, sorge ich für eine kleine Stolperfalle. Natürlich nur für die Frau. Sie fällt und knallt auf den Boden. Ich habe den Sturz extra so gewählt, dass sie auf den weichen Teppich fällt. Nett sein kann ich auch manchmal.

Steve stürmt weiter ohne zurückzublicken, ich muss sagen er kann ziemlich schnell humpeln. Einer der anderen Männer will kehrt machen und der Frau aufhelfen. Da er aber schon in Reichweite der Tür ist, wird er unsanft nach draußen befördert, als ich diese mit ordentlichem RUMMS zufallen lasse.

„Colleen!“ schreit er von draußen und schlägt und tritt gegen die Tür. Aha, so heißt sie also. Colleen rappelt sich auf, springt zur Tür und rüttelt an dem Knauf. Nutzlos. Niemand macht diese Tür auf, wenn ich es nicht will. Und ich will nicht.

Das Rütteln geht noch eine ganze Zeit weiter, bis ich irgendwann beschließe, den Menschen draußen vor der Tür ein paar Dachschindeln um die Ohren zu hauen. Einer schreit auf. Ich muss ein bisschen kichern. Diesmal war es nicht beabsichtigt, aber es hat mal wieder Steve erwischt. Irgendwann geben sie auf und schreien noch etwas davon, dass sie Hilfe holen und zurückkommen werden. Nun ja. Das können sie gerne tun. Ich kümmere mich nun erst einmal um meinen Besuch. Ich bin ein guter Gastgeber. So gut, dass die meisten Gäste bei mir bleiben. Für immer.