Seitenwind Woche 1: Brötchen mit Soße für 60 Pfennig

Bleibende Erinnerung

Geburtstagskinder beschenkt man. Aber es fällt nicht immer leicht, das Richtige zu wählen und noch viel schwieriger ist es, mit dem Geschenk Freude zu bereiten.

Vor etlichen Jahren, als wir uns dem Geburtstag meiner Mutter näherten, sondierte ich sorgfältig. „Ich könnte doch selber ein Abendessen zubereiten, so ein richtig gemütliches, mit dem schönen Tischtuch und Kerzen auf dem Tisch…“ - Ja, so richtig gute Kalbshaxen zum Kartoffelstock hätten wir schon lange nicht mehr gehabt…, entlockte ich meiner Mutter.

Gewünscht! Getan! – am Geburtstag sitzt dann eine gut gelaunte Runde ums Geburtstagskind am Tisch, als der temporäre Küchenchef, also meine Wenigkeit, eine schöne Gemüseplatte und die Kalbshaxen aufträgt. Das Essen beginnt, das Gespräch verstummt, die Gesichter werden länger und länger, bis jemand schüchtern fragt, wie lange das Fleisch wohl auf dem Herd geschmort habe. – Nun weiss jede Frau, aber nicht ganz jeder „Mann“, dass Haxen eine sehr lange Kochzeit benötigen. Kurz, das Fleisch ist zäh, sehr zäh sogar, um nicht zu sagen ungeniessbar. Die gute Laune ist weg und die Enttäuschung gross.

Folge: Das reich bebilderte Kochbuch mit dem spärlichen Text schickte ich in lebenslängliche Verbannung. - Als Positivum bleibt allein, dass man heute noch von jenem Geburtstag spricht, ganz im Gegensatz zu all den perfekt geglückten Jubeltagen späterer Jahre.

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Bitte mit Ketchup

Der dicke Franz hatte mal wieder große Fresse: »Ohne Mutprobe kommt keiner in die Bande. Haben wir alle gemacht. Stimmt`s, Rollo?«

»Logo! Selbst du hast das geschafft.«
Ich konnte mich gut erinnern, wie er in den Hundenapf vom alten Kretschmann gepinkelt hatte, was nicht viel Mut erforderte, weil der Alte um die Mittagszeit immer pennte. Die Nummer dann direkt nach der Schule durchzuziehen war ein Klacks. Trotzdem hatte sich der Blödmann dabei selbst angestrullt, weil der Dobermann hinter der Terrassentür aufgetaucht war, und, mit hochgezogenen Lefzen einen Höllenlärm veranstaltet hatte. Stresstauglich war der Dicke nicht, das wussten wir längst, aber wenn es darum ging, Schwächeren seine Überlegenheit zu demonstrieren, war er immer ganz vorne mit dabei.

Für die Bande war er gut, weil er stark aussah. Aber leider nur aussah. Wenns wirklich mal drauf ankam und eine Klopperei anstand, war er meistens der Erste, der sich verpisste. Allerdings waren die Fleischwürste, die er aus der Metzgerei seines Vaters anschleppte ein unschlagbares Argument, das seinen Platz sicherte. Wir hatten uns an der alten Wassermühle versammelt, einem unserer Lieblingsplätze, um Basti in die Bande aufzunehmen. Basti war erst seit vier Wochen in unserer Klasse, ein prima Fußballer und den Lehrern gegenüber nicht aufs Maul gefallen.

Franz war ganz versessen darauf, Mutproben zu erfinden. Ein kleines Sadistenarschloch, das immer hoffte, zu triumphieren, um seine eigene Armseligkeit zu überspielen.
Er musste stundenlang im Garten gebuddelt haben und das Ergebnis konnte sich sehen lassen: Eine ganze Dose voller schleimiger, langer, dünner Regenwürmer.
»Also, die Sache läuft so«, der Dicke grunzte fast vor Begeisterung, »wir verbinden dir die Augen und dann musst du zwei von den Dingern essen. Kopf in den Nacken, Klappe auf. Ich werde dich höchstpersönlich füttern.«
Zwischen Daumen und Zeigefinger seiner fleischigen Pranke schlängelte sich ein besonders langes Exemplar, mit dem er Basti vor der Nase herumfuchtelte.
»Echt?« Bastis Gesicht übertünchte sich in der Farbe von ausgekautem Kaugummi.
»Na klar. Ein bisschen was musst du schon bringen, wenn du bei uns mitmachen willst.«
»Gibt auch Ketschup«, sagte Lise lachend und platzierte eine halbvolle Flasche Thomys auf dem verfallenen Mäuerchen neben dem Mühlrad. »Geht dann besser runter, das Zeug.«
»Aber die sind lebendig. Roh!«
»Davon merkt man nix. Ein Biß, einmal schlucken und erledigt.« Franz erblühte in selbstgefälliger Überheblichkeit.
»Komm, brings hinter dich!« Ich band Basti meinen Schal um die Augen und drückte seinen Kopf leicht nach hinten. »Das schaffst du.«
»Okay, aber wirklich nur zwei. Und dann geht in Deckung, weil ich euch sonst vollkotze.«
Sehen konnte er nichts mehr. Ich kannte meinen Schal.
»Dann mal los.« Franz nickte mir zu. Ich war für die Makkaroni zuständig und fischte den Plastikbeutel aus meiner Hosentasche.
Zugegeben, das war ein fieses Spielchen, aber letztendlich waren es Nudeln und keine Würmer. Aber das wussten nur die Eingeweihten.
Um das Ganze noch ekliger zu gestalten, ließ Franz den Wurm ein paarmal über Bastis Gesicht flutschen.
»Bereit?«
»Mach schon!«
Genüsslich ließ Franz eine Makkaroni in Bastis Mund fallen.
Ein kurzes Würgen. Ein Biss. Schlucken und weg. Nicht schlecht.
»Weiter.« Basti japste. »Den Zweiten bitte mit Ketchup.«
Franz angelte sich die Thomyflasche und friemelte die Makkaroni hinein. Irgendwie klappte das nicht. In halb vollen Ketchupflaschen pappt das Zeug gerne am Glas fest. Da hilft nur kräftig Schütteln oder leicht Verdünnen.
»Moment!«
Franz hielt die Flasche unter das Rinnsal, das über das Mühlrad träufelte. Beim Schütteln vergaß er allerdings, die Flasche zuzuschrauben und saute sich sein Schalke-T-Shirt ein.
»Na, super! Du hast es echt drauf«, spöttelte Lise. »Das ist ja noch besser, als vollgekotzt zu werden. Lass mich mal machen.«
Lise ließ die eingetunkte Nudel im Zeitlupentempo in Bastis Rachen gleiten.
Der Kerl war abgebrühter, als ich gedacht hatte. Diesmal kein würgen, eher ein Hauch von genussvollem schmatzen.
»Das wars dann wohl, oder?« Basti zog sich die Augenbinde ab.
»Bestanden?«
»Logo!« Lise klopfte ihm anerkennend auf die Schulter.
»Netter Versuch, Leute.« Bastis Grinsen war breiter als ein Fußballtor. »Beim nächsten Mal bitte gekochte Würmer. Warm schmecken die einfach besser.«

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Fischstäbchen

Fischstäbchen! Ausgerechnet Fischstäbchen! Ich hasse Fischstäbchen. Mir kommt sofort das Würgen, wenn ich Fischstäbchen nur sehe. Ich sitze da und starre auf den Teller. Starre die Fischstäbchen an und plötzlich bin ich wieder 4 Jahre alt.
Ich sitze im Kindergarten beim Mittagessen. Es gibt Fischstäbchen. Alle anderen Kinder sind schon fertig und dürfen spielen, aber ich muss noch sitzen bleiben und aufessen. Der Bissen in meinem Mund weicht immer mehr auf und verwandelt sich in Fischpampe. Mein ganzer Mund ist voll davon. Der Bissen, den mir die Kindergartentante reingestopft hat, war eigentlich viel zu groß für mein kleines Kindermündchen. Und je länger ich drauf herum kaue, umso mehr wird es. Es füllt bereits meinen ganzen Mund aus, da ist kein bisschen Platz mehr. Und es wird trotzdem immer mehr. Ich sollte schlucken, aber es geht einfach nicht. Am liebsten möchte ich alles ausspucken, aber das darf ich nicht. Die Tante hats verboten. Ich hab ihr zwar gesagt, dass da eine Gräte drin ist, aber sie glaubt mir nicht. Sie sagt, in Fischstäbchen gibts keine Gräten, ich solle mich nicht so anstellen und endlich aufessen. Ich spüre sie aber. Bei jeder Kaubewegung piekst sie mich in die Zunge oder die weichen Schleimhäute an der Wangeninnenseite. Ich muss endlich schlucken. Die Fischpampe wird mehr und mehr. Ich versuche mich dazu zu zwingen, aber der Ekel ist so groß, dass es einfach nicht geht. Dazu kommt noch die Angst, beim Verschlucken der Gräte daran zu ersticken. Ich habe Todesangst zu schlucken. Aber ich muss. Okay, gehen wir das Ganze mal vernünftig an. Es muss ja irgendwie runter. Ich versuche mal mit der Zunge zu ertasten, wo die Gräte gerade ist. Ach, da ist sie - und piekst mir schon wieder in die Zunge. So weit, so gut. Jetzt vorsichtig die Gräte von der restlichen Pampe trennen und in einer Wange verstauen. Ich schiebe mit der Zunge in meinem Mund herum, bis die Gräte richtig positioniert ist. Das dauert ein Weilchen, die Tante schaut schon wieder böse herüber. Sie möchte, dass ich endlich aufesse, damit sie wegräumen kann. Nach dem Essen kommt immer die Schlafstunde. Dafür muss aber erst der Essenswagen mit dem schmutzigen Geschirr in die Küche gebracht werden. Dann werden Matratzen auf dem Boden verteilt. Sie wartet schon sehr ungeduldig darauf. Okay, ich habe es geschafft. Die Gräte ist endlich in der Wange verstaut. Jetzt teile ich mit der Zunge die restliche Pampe in kleinere Teile, die leichter runterzuwürgen sind. Stück für Stück und ganz vorsichtig, damit die Gräte nicht wieder aus der Wange rutscht. Ich schiebe wieder mit der Zunge an der Pampe herum und versuche das erste kleine Stück abzuteilen. Ich habe ein Stück abgetrennt, aber es ist zu groß, also nochmal teilen. Für die Zungenakrobatik, die da gerade in meinem Mund stattfindet, müsste ich eigentlich einen Preis gewinnen. Sehr vorsichtig und präzise versuche ich zu schieben und zu teilen. So geschafft, das erste kleine Stück ist abgeteilt, jetzt nur noch schlucken. Ich hole tief Luft und halte den Atem an, während ich mich dazu zwinge die Schluckbewegung auszuführen. Vor mir steht ein Wasserglas, ich überlege die abgeteilten Stückchen mit Wasser herunterzuspülen. Aber dann denke ich, nein, da ist die Gefahr zu groß, dass die Gräte sich aus der Wange löst und mitgeht. Wenn die mir im Hals stecken bleibt, dann ersticke ich. Also lieber kein Wasser. Okay, tief Luft holen und los. Und tatsächlich schluckt mein Mund das Stück herunter, ich spüre im Hals wie es die Speiseröhre runter rutscht. Ich bin unglaublich erleichtert. Es hat endlich geklappt. Und gleich noch ein Stückchen abteilen und schlucken. Kann ja jetzt nicht mehr so schwer sein. Wenns einmal ging, gehts auch nochmal. Ich fummle wieder mit der Zunge im Mund herum, um das nächste Stückchen abzuteilen. Die Tante schaut mich immer noch böse an. Geschafft, und nochmal tief Luft holen und schlucken. Na also geht doch. So mache ich weiter, Stückchen für Stückchen, bis nur noch die Gräte übrig bleibt - die letzte Hürde. Wie bekomm ich die jetzt bloß runter? Ich versuche es nochmal so, wie ich die Stückchen runterbekommen habe. Tief Luft holen, anhalten und schlucken. Nichts bewegt sich. Mein Mund weigert sich zu schlucken. Mist. Andere Taktik. Die Tante guckt immer noch böse herüber. Inzwischen rinnen mir Tränen übers Gesicht. Ich kann doch auch nichts dafür. Ich hab die verdammte Gräte ja nicht in den Fisch getan. Aber sie glaubt mir ja eh nicht, dass da eine ist. Okay, irgendwie muss das letzte Stückchen noch runter. Ich platziere die Gräte mittig auf der Zunge, greife zum Wasserglas und trinke es komplett leer. In einem Zug. Die Gräte wird mitgespült, ich spüre wie sie mir im Hals runter rutscht, bleib bloß nicht stecken. Ich habe Todesangst. Ich will noch nicht sterben. Und schon gar nicht will ich an einer verdammten Gräte ersticken. Aber es geht zum Glück alles gut. Die Gräte ist problemlos runter gerutscht und nicht stecken geblieben. Ich bin so erleichtert. Die Tante hat mitbekommen, dass ich endlich runter geschluckt habe und kommt rüber. Auf meinem Teller liegen noch einige Fischstäbchen. Sie teilt wieder einen Bissen ab - viel zu groß - und versucht ihn mir in den Mund zu schieben. Ich kneife die Lippen zusammen, in dem Versuch den großen Bissen etwas kleiner zu bekommen. Und tatsächlich bricht das Fischstäbchenstück auseinander. Es fällt ein Teil auf den Tisch. Die Tante schaut zuerst bitterböse, aber dann ändert sich ihr Gesichtsausdruck schlagartig. Sie ist erstaunt und sagt, wie zu sich selbst, da ist ja eine Gräte drin. Sie steckt zwischen meinen immer noch zusammengedrückten Lippen. Sie glaubt mir nun. Ich darf den Bissen ausspucken und endlich vom Tisch aufstehen. Mir ist schlecht, mich ekelt, aber ich bin froh. Ich bin so froh, endlich aufstehen zu dürfen und freue mich heute direkt schon auf die Schlafstunde. Aber niemals, den Rest meines Lebens nicht, vergesse ich diesen Ekel und diese Angst. Ich hasse Fischstäbchen und auch jeden anderen Fisch.
Ich sitze immer noch da und starre meinen Teller an. Alle anderen essen bereits. Ich sitze und starre und denke, Fischstäbchen, ausgerechnet Fischstäbchen. Wie soll ich die jetzt bloß runter kriegen?

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Es muss nicht immer Kaviar sein …
Es war ein Tag im Mai anno 1975. An jenem Tag sollte ich das erste Mal mit dieser, zunächst nichts Gutes verheißenden Mahlzeit in Berührung kommen. Ich gebe unumwunden zu, nicht alles Essbare wandert automatisch in meinen Verdauungstrakt, mäkelig bin ich aber ebenso wenig. In diesem zu beschreibenden Falle blieb mir keine Wahl, die Umstände zwangen mich zum Handeln und dies unter dem Ausdruck innigsten Wohlgefallens.
Man stelle sich folgende Situation vor:
Der erste Besuch bei den zukünftigen Schwiegereltern stand bevor. Aufregung pur, die hinter mir liegende Nacht war die Hölle, nicht etwa weil Träume es waren, die mich in den Schweiß brachten, nein Fragen über Fragen durchliefen mein Gehirn. Was nehme ich als der Situation angemessenes Einstiegsgeschenk mit, womit lege ich eine Punktlandung hin? Ein Blumenstrauß und eine Flasche Weinbrand übernahmen die Aufgabe, das Eis zu brechen. Um es vorwegzunehmen, es hat geklappt und das lag dann doch nicht an den Mitbringseln.
Jetzt die Schuhe geputzt, den besten Pullover übergestreift, rein in den Mantel und ab in den DKW F8. Gestern für 10 Mark getankt, hoffentlich reicht der Sprit, mehr war nicht drin.
Eine Stunde später, die Kirchturmuhr meiner anvisierten Stadt schlug soeben 12 Uhr, ein Parkplatz unweit der Haustür ward gefunden, auf in den Kampf.
„Herzlich willkommen, sie kommen zur rechten Zeit, der Mittagstisch ist gedeckt.“ Ich legte den Mantel ab, kämmte die wunderbar langen Haare und begab mich in das Esszimmer. Auf dem Tisch standen zwei Töpfe, einer mit dampfenden Salzkartoffeln und ein weiterer mit heißer Milch. Ergänzt wurde das Gedeck durch einen großen Teller gefüllt mit Scheiben ungarischer Salami, einem Salztopf und Pfeffer. Was das wohl wird, das passt doch nimmer zusammen, warme Milch, Salz, Pfeffer und Wurst. Unwissend der Dinge, die da kommen, versetzte ich meine Mimik in Alarmzustand. Schwiegervater begann diesen kulinarischen Akt zu zelebrieren, indem er die Teller mit Kartoffeln füllte und sie mit reichlich Milch bedeckte. Je nach Lust und Laune ergänzte ein jeder sein Mal mit Salz und Pfeffer, ich war mir meines Zustandes nicht sicher. Dem herzhaften Biss in die bereitliegende Wurstscheibe, gefolgt von einem Löffel angefüllt mit diesem Gemisch aus scheinbar wahllos zusammengemixten Nahrungsmitteln und - Sekunden des Glücks erfüllten Gaumen und Seele. Nach dem dritten geleerten Teller fühlte ich mich dem kulinarischen Himmel ein Stück näher, zwar mit Bauchdrücken aber glücklich.
Schwiegereltern waren sichtlich erleichtert angesichts meiner glänzenden Augen und des leichten Stöhnens ob des strammen Bauches. Die Zeit hat sich längst an ihnen genährt, Milchkartoffeln erfreuen nach wie vor unsere Gaumen, es sei denn, es gibt Bauernfrühstück, aber das ist eine andere Geschichte.

Das verflixte Pilzragout – ein Albtraum

Meine Freundin war schon 14 Tage in Sizilien. Ich musste, eher ich wollte, selbst mein Mittagessen kochen. Es sollte ein Pilzragout mit Kartoffelpüree sein. Das Rezept von Chefkoch im Internet sah für 2 Personen – ich wollte für 2 Tage kochen – nur 250 g Champignons vor. Ich wollte meine 370 g Champignons verwenden, die seit 10 Tagen und mehr im Kühlschrank lagerten. So stimmte dann natürlich die Menge an restlichen Ingredienzen nicht mehr. Ich musste improvisieren, ohne Erfahrung mit Kochen.

Zuerst machte ich das Kartoffelpüree. Also Dunstabzugshaube an und 150 ml Wasser und 200 ml Milch mit Salz in kleinem Topf zum Kochen bringen. Während die Herdplatte das Kochen hervorbringen sollte, schnippelte ich die Zwiebel, ein kleines Stück Knoblauch, von dem ich glaubte, dass es eine Zehe war. Öl in die Pfanne und das Andünsten begann. Dann kamen die Champignons dazu.

Zu meinem Schrecken war an dem Topf mit Wasser und Milch ein weißer Schaum übergequollen und hatte sich an der Herdplatte festgebrannt. Das hatte ich zunächst nicht bemerkt, weil ich mich auf die Pfanne mit den Pilzen konzentrierte. Topf und Herdplatte hatten eine weiße Kruste.

Ich reduzierte die Temperatur für den Kochtopf und füllte das Pulver vom Kartoffelpüree ein. Diesmal gelang das. Der kleine Topf mit dem Kartoffelpüree wurde auf einem Teller in den Minibackofen gestellt, alles mit 80 °C gewärmt.

Mein Pilzragout hatte zu viel Flüssigkeit, da ich 150 ml Gemüsebrühe und 150 ml Crème Fraîche reingegossen hatte. Ich ließ das Ganze 20 Minuten kochen, bis sich die Flüssigkeit reduziert hatte. Dann war das Mahl fertig. Also Kartoffelpüree auf den Teller, dazu das Pilzragout, der zweite Teil in eine Bowl für den nächsten Tag.

Der Geschmack war nicht so gut, wie ich es schon einmal in der Vergangenheit erlebt hatte. Das lag wohl an den alten Champignons (meine Freundin hatte mich gewarnt) und an dem Totkochen der Pilze. Später stellte ich fest, dass ich die Röstzwiebeln, die ich bereitgestellt hatte, in meiner Panik total übersehen hatte, die auf das Püree kommen sollten.

Der Albtraum war dann die Reinigung von dem Topf für das Kartoffelpüree und von der Herdplatte. Alles war verkrustet von der quasi gebackenen Milch. 20 Minuten habe ich für die Reinigung gebraucht! Danach ließ ich mich mit meinen 87 Jahren erschöpft in den Mittagsschlaf fallen.

:blush: Danke für dein Feedback. Das Bedürfnis die Küche aufzuräumen und die Arbeitsflächen abzuwischen teilen wir :sweat_smile:.

Hallo Elisabeth,

ich habe gerade den dritten Beitrag von ein und demselben User gelesen. Ist das Sinn der Sache, dass man mehrere Beiträge posten kann?

Gruß
gui

Meerschweinchenwurst

Mark ist unser erster Austauschschüler – ein Exchangee, wie ihn die Austauschorganisation mit einem Hauch Originalität nennt.
Deutsch-Kenntnisse besitzt er – ja, durchaus. Immerhin hat er in seiner kalifornischen Schule drei Jahre in einer Deutsch-Sprach-AG verbracht. Und doch: Hineingeworfen in den Sprach- und Sprechalltag seines Gastlandes – es braucht Geduld, um von einer Fremdsprache zu einer Bekanntsprache und gar zu einer Freundsprache zu gelangen. Und Erfahrung braucht es, um die feinen sprachlichen Untiefen auszuloten, um nicht an ihnen zu scheitern.

Eine solche Untiefe ist die Meerschweinchenwurst.

Wir saßen ziemlich zu Beginn seiner Gastzeit bei uns am Frühstückstisch. Verschiedene Brotsorten, Honig und Marmelade, Joghurt und Müsli, Käse und Wurst luden ihn und uns zum Start in den Tag ein.
Marks Blick ging kritisch-interessiert in Richtung einer rötlich-braunen Streichwurst. Er nahm sie, beroch sie unauffällig, strich sie sich auf sein schwarzes Brot und biss hinein. Zwischen zwei genüsslichen Kaubewegungen fragte er:
„Wie heißt eigentlich diese leckere Wurst?“
Meine Frau sah ihn mütterlich-zufrieden an: „In meiner Familie nennen wir sie Meerschweinchenwurst.“
Mark fragte ratlos zurück: „Das ist ein Wort, dass ich nicht verstehe. Kannst du es mir übersetzen?“
Meine Frau, ebenfalls ratlos: „Nein, eigentlich nicht. Aber ich versuche es einmal Wort für Wort: Guinea-Pig-Sausage.“
Mark wurde blass, mit einem Finger wollte er angeekelt seinen Mund leeren.
„Nein, nein“, versuchte meine Frau ihn schnell zu beruhigen, „in dieser Wurst steckt kein Guinea Pig, wir finden nur, sie hat die Farbe des Felles eines Meerschweinchens. In unserer Teewurst wird ganz normales Schweinefleisch verarbeitet.“

Mark hat übrigens ab da auf Teewurst verzichtet.
Und wir darauf, unbedacht kreative Wortschöpfungen zu verwenden.

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Antipasti Romantico

Es war ein lieb gewonnenes Ritual. Jeden Dienstag kam Volker gegen 17:00 Uhr zu mir und brachte Sahnetorte mit, am liebsten die, mit Marzipandecke. Nicht dieses Imitat, dieses Persipan, Marzipan aus echten Mandeln.

Nach Kaffee und Kuchen tobten wir uns eine Stunde im Squash-Center aus. Mehr bemüht als gekonnt, aber es ging uns um den Spaß, etwas Ehrgeiz war auch dabei, schließlich waren wir zwei Männer um die dreißig.

Nach dem Squash fuhren in die Innenstadt und kehrten in das „Romantico“ ein. Ein kleines italienischen Restaurant, dem Klischee entsprechend erklangen Eros Ramazotti und Gianna Nannini leise aus dem Lautsprecher, die dunklen Holztische mit rot-weiß karierten Tischdecken belegt. Der Inhaber, der auch bediente, hieß Alessandro und war stets in schwarzer Hose und weißem gestärkten Hemd gekleidet. „Buona sera, Professori“ rief er uns schon von der Theke zu, wenn wir das Restaurant betraten, er nannte alle Gäste so. Wir nahmen, wie üblich, an einem der Vierertische in der Nähe des Tresens Platz.

Wir bestellten die Antipasti, obwohl sie vom Preis „nicht gerade ein Schnäppchen waren.“ Ein Schluck Montepulciano durfte ebenfalls oft nicht fehlen.

Bruschetta mit gewürfelten Tomaten, Tomate Mozzarella mit Basilikum fehlten ebenso wenig, wie eingelegte und gebratene Pilze und weitere Gemüse.

Kurz, bevor wir fertig gegessen hatten, kam Alessandro zu uns. „Va bene?“

Volker schluckte runter, deutet mit dem Messer auf seinen fast leeren Teller und meinte. „Ich bin begeistert, dass die Zucchini, wenn sie unterschiedlich zubereitet wird, so unterschiedlich schmecken kann.“

Alessandro rieb sich die Hände. „Professori, das liegt daran, dass die andere Zucchini eine Aubergine ist.“

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Ich habe den Text mit Papyrus geschrieben. Schade, dass die Originalformatierung hier nicht beibehalten wird. Kann man das ändern?

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jeden mittwoch verbrannte schupfnudeln aus der pfanne. dazu ketchup.

für mich war essen lange zeit nur nahrungsaufnahme. ein notwendiges übel. keinen hunger mehr haben. meine mutter konnte nicht kochen. für sie war es eine qual essen für uns bereit zu stellen.
relativ schnell entschied sie sich einfach immer das gleiche zu kochen, um nicht jedes mal neu nachdenken zu müssen.
in erinnerung geblieben sind mir nur die schupfnudeln.

denn meine beste freundin, deren mutter eine fantastische köchin war, fand es toll mittwochs nach der schule zu mir zu kommen. „heute gibt es schupfnudeln. ich weiß nie, was wir zu essen bekommen.“
mir war es peinlich dieses armselige essen zu teilen. die schwarze kruste, keine beilage, immer der gleiche geschmack.

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Bin neu, weiß auch, wie ich hier meine Geschichten hier einsetzen kann. Allerdings hab ich von HTML Formatierung keine Ahnung und möchte ungern einen Text im Blocksatz oder eben als einen als Klotz reinfügen.

Was gibt es zu beachten ?

:grin: Da gehts mir ganz genauso. Leber igitt. Meine Uroma hat sie oft versucht zwischen dem Gulasch zu verstecken…habs aber immer gemerkt und „aussortiert“ brrrrr…:nauseated_face::face_with_hand_over_mouth:

Der eine Flügel des weiß lackierten Holzfensters steht offen. Ein gutes Zeichen. In dem kleinen Ort hier auf dem Land muss man sich in den Achtzigern noch keine Gedanken über Einbrecher machen. Manche Anwohner der Straße lassen unbekümmert den ganzen Tag ihre Haustüren geöffnet.
Der Anblick des Fensters ist vielversprechend und steigert bei meinem Bruder und mir die Aufregung. Abwechselnd schielen wir um die Ecke des ehemaligen Stallgebäudes, das dem Wohnhaus gegenüber errichtet ist. Noch passiert nichts. Aus dem Inneren ist hin und wieder das Scheppern von Geschirr und das Klappern von Blechen zu hören. Ein süßer Duft weht zu uns herüber und lockt uns. Mein Bruder muss mich an der Schulter zurückhalten und schüttelt den Kopf.
„Noch nicht“, sagt er.
„Meinst du, sie tut es wieder?“, will ich von ihm wissen.
Er zuckt mit den Achseln. „Keine Ahnung. Aber wenn, dann wird es ein Fest.“
Das vertraute Knirschen der Backofentür dringt nach draußen, kurz darauf ein „Autsch, ist das heiß!“ Dann ist es zwei unerträglich lange Minuten still.
„Das wird nix, heute“, sage ich enttäuscht. „Lass uns abbrechen. Wir ziehen das beim nächsten Mal durch.“
Meine Äußerung bleibt auch bei meinem Bruder nicht ohne Reaktion. Er lässt die Schultern hängen.
Fast eine Stunde haben wir hinter der Hausecke ausgeharrt, haben das lautstarke Treiben in der Küche verfolgt. Einmal bin ich geduckt hinübergehuscht, habe mich mit den Händen an der steinernen Fensterbank hochgezogen und vorsichtig über die Kante des Rahmens gelugt. Es war niemand zu sehen. Auf der Küchenplatte standen in wohldosiertem Chaos Schüsseln, offene Eierkartons, ein Handmixer mit vergilbtem Kabel und Teigresten an den Schneebesen sowie eine fast leere Margarinedose. Als sich aus dem Durchgang zum hinteren Bereich des Hauses Schritte näherten, gab ich Fersengeld.
Die Hand meines Bruders reißt mich aus meinen Gedanken. Ich folge seinem Blick und luge ebenfalls um die Ecke.
Im Halbdunkel der Abenddämmerung ist auf der Fensterbank nur schemenhaft ein dunkelbrauner Klumpen zu erkennen. Ein Grinsen stiehlt sich auf mein Gesicht, und ich weiß, meinem Bruder geht es ebenso.
Wir schaffen es gerade eine Minute lang, uns zurückzuhalten, dann schleichen wir geduckt über den betonierten Hof hinüber zu dem Fenster. Mein Bruder zieht sein abgeschabtes Taschenmesser aus der Hosentasche und klappt es auf. Millimeterweise richten wir uns auf. Vor unseren Augen steht das Objekt unserer Begierde, auf das wir so lange gewartet haben. Mein Bruder hebt das Messer.
Der Schock fährt uns in die Glieder. Im Halbdunkel der Küche steht sie mit vor der Brust verschränkten Armen und schaut uns wissend an. Sie lächelt überlegen und deutet mit einem Kopfnicken auf die Fensterbank vor uns.
„Nur zu“, sagt sie. „Greift zu. Ich habe ihn schon angeschnitten, damit ihr nicht wieder so ein Massaker anrichtet wie beim letzten Mal.“
Ein wenig von dem Spaß hat meine Mutter uns damit verdorben. Aber das ist mit dem ersten Bissen in den saftigen und noch warmen Rührkuchen vergessen.

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Mein Vater entdeckte die Liebe zum Kochen und damit sein Talent zu Soßen.
Wenn Vaters Soßen meinen Gaumen passierten, schlossen sich automatisch meine Augen, um noch besser die Feinheiten des Soßengeschmacks mit meinen Geschmackssinnen zu erkunden. Ich entdeckte neue Sphären der Gaumenfreuden.
Vater Klaus war ein Magier, wenn er mit dem Holzlöffel die Soßen rührte. Er sagte immer " du darfst nie den Holzlöffel in der Soße lassen, weil das den Geschmack vedirbt".
In Urlauben suchte Vater grundsätzlich nach außergewöhnlichen Restaurants. Im Hinterland, abseits vom Tourismus, wurde er dann fündig und lud uns darin zum Essen ein. Sei es die Entdeckung eines zubereiteten Kaninchens, was Vaters Gaumen zu Jubelrufen verleitete, und in größte Freude darüber ausarten ließ, oder die Weinbergschnecken im spanischen Garten eines Restaurantsbesitzers. Natürlich stand dieser Leidenschaft große Entbehrungen und Hunger aus der Kindheit im zweiten Weltkrieg gegenüber, womöglich verstärkten diese Erlebnisse seine Lobeshymnen.
An Weihnachten kreierte Vater eine Speisekarte mit fünf Gängen , die am festlich gedeckten Tisch, folgten. Im Laufe seines Lebens, war für ihn ebenso die Qualität und die Herstellung der Nahrungsmittel von großer Bedeutung. Biologischer Anbau ist für ein Essen mit Sternchen eine Vorraussetzung. Man ist, was man ißt.

Rosmarin. Salbei. Thymian.
Die schwammen als pieksige Nadeln und dunkle Flecken in verkochten Kartoffeln, sattreifen Tomaten, geschnippelten Zucchini und gesalzenen Auberginen. Selten begleitet von Meeresfrüchten, von Rindfleisch, von Lamm. Mit Nichten ein Kindheitstraum. Aber Mahlzeiten waren nebensächlich. Stattdessen: Baden im Fluss, Verstecken spielen in engen Gassen, Feigen und schwarze Trauben vom Weinberg klauen. Daraus bestand unsere Sommer.

Nach endloser Fahrt in einem klapprigen Citroën, drei Kinder auf der Rückbank, vergaßen wir für vier Wochen, wo unser Zuhause war, lebten in einem einsturzgefährdeten Häuschen von Künstlerfreunden, mitten in einem provenzalischen Bergdorf. Bäcker, Bar, Kirche, Gemeindezentrum und wir die einzigen Fremden: bestaunt, beglotzt, von zahnlosen Alten belächelt. Wer verirrte sich schon Ende der Siebzigerjahre hierher?
Da war kein Geld für Restaurantbesuche in Papas Tasche, nicht für Einkäufe im Supermarkt, stattdessen tütenweise Gemüse vom Markt, manchmal auch direkt vom Feld und von den Ständen am Straßenrand.
„Wir kochen jeden Tag ein Ratatouille. Ich wette, das schmeckt niemals gleich“, verkündete unser Vater, und meine Mutter rührte im Topf um, was er hineinwarf. Tag für Tag für Tag. Keine Pommes, kein Schnitzel, keine Pfannkuchen. Selten mal ein Eis.

Heute würde man sowas eine Challenge nennen, mit Fotos bebildert, hochgeladen, geteilt, geliket.

Wenn ich am Ende einer Arbeitswoche in der Küche stehe, schnipple ich, was noch im Kühlschrank ist: Kartoffeln, Tomaten, Zucchini, Auberginen, werfe alles in einen großen Topf und lasse es auf mittlerer Hitze kräftig einkochen, wie ich es bei meiner Mutter gesehen habe. Nicht nur in jenem Urlaub. Als pieksige Nadeln und dunkle Flecken schwimmen darin:
Rosmarin. Salbei. Thymian.
Ein Fest. Für meinen Gaumen und meine Erinnerungen.

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Möchtest Du gleich ein Pixi draus machen? :slight_smile:

Hah, das weckt Erinnerungen, denn auch ich bekam öfters diesen Silberling, erinnere mich aber nicht mehr, für welche Leistungen. Allein durch die Farbe machte er was her, etwas, dass die heutige Münze - wie du es sagst - nicht mehr hergibt.

Auch das Brot erzeugt Erinnerungsbilder in mir. Allerdings war es bei mir das Kommissbrot, leicht säuerlich schmeckend. Ich bekam es nirgends mehr, nachdem ich meinem Heimatort den Rücken kehrte und bedauerte es. Nur später, das selbstgebackene Brot - Hausbrot nannte es sich, ebenfalls leicht säuerlich - vermochte es zu ersetzen.

Als ich jedoch rund 50 Jahre später in meinen Heimatort zurückkehrte und erstmals zu dem Bäcker in meiner Nachbarschaft ging, staunte ich, denn im Regal lag ein Kommissbrot, aufgeschnitten, pfundweise verpackt. Würde es einem Test standhalten?

Es bestand den Test mit Bravour, denn die langen Jahre hatten nichts an dem Geschmack verändert, den ich in meinem Kopf abgespeichert hatte. Und seitdem esse ich wieder täglich „mein“ Kommissbrot, und das nun seit über vier Jahren.

Eine schöne Erzählung, petias, für die ich dir danke, und einen Gruß nach Thüringen, aus dem ich zur Hälfte stamme, mein Vater kam daher.

Nie wieder

Wenn wir wüssten, wie lange wir mit einem Menschen verbringen werden oder dürfen, würden wir mit der Zeit, die wir gemeinsam mit ihm verbringen anders umgehen. Bestimmt würden wir versuchen Momente, wie die, die wir mit einem geliebten Menschen verbringen, in irgendeiner Form festzuhalten, mit einem Rezept für einen Kuchen zum Beispiel. Und dann, wenn wir das Rezept wieder anwenden uns der Geschmack ein kleines bisschen an früher erinnert, an die Zeit, in der man den geliebten Menschen umarmen konnte, mit ihm reden und er uns zuhören.

Mein Lieblingsgericht sind die Rosinenschnecken von meiner Oma. Ja, ich weiß Rosinen sind nicht so Jedermanns Ding. Oma bereitete ihre Rosinenschnecken aus Quark-Öl-Teig zu. Für mich ist es bis heute das beste Gebäck. Schob Oma die Teilchen, die sie zum Schluss mit einer Zuckergussschicht bestrich, in den Ofen, duftete das ganze Haus nach Zucker-Zimt und Zitrone. Bis heute habe ich etwas Vergleichbares nirgendwo mehr gefunden. Vielleicht auch, weil das beste Gebäck ohne Oma Thekla keines mehr ist.

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Kartoffeln mit Silbergarnierung

Abends war bei uns stets Hektik angesagt, da mein Vater warm essen musste. Aber meine Mutter war geübt. Meistens halfen wir ihr beim Zubereiten des Abendessens. Ich besonders. Allerdings nicht, wie sie es sich gewünscht hätte.
Zu dieser Zeit entdeckte ich mein Interesse an den Naturwissenschaften. Aus Mangel an einem Labor fanden meine Experimente oft in der heimatlichen Küche statt. So auch an diesem Abend.
Meine Eltern waren eifrig mit Kochen beschäftigt, während meine Schwester schon die Teller aufdeckte.
Mich faszinierten zu dieser Zeit die Themen: Temperatur und Ausdehnung in verschiedenen Materialien. Diesen theoretischen Zusammenhang musste ich experimentell überprüfen.
Ich drängelte mich in der für zwei Personen schon zu kleinen Küche zwischen meine Eltern und den winzigen Herd, um mein Thermometer in den Kartoffeltopf zu halten. Erst einmal wollte ich die exakte Temperatur des Wasserdampfes im Kartoffeltopf messen. Bevor ich den Wert am Thermometer ablesen konnte, machte es „Kling“. Das Quecksilber hatte die Glassäule gesprengt und den Inhalt, samt Glassplitter in den Topf entleert. Und schon waren die vielen silbernen Kügelchen zwischen den Kartoffeln verschwunden. Unbemerkt bekam ich die nicht aus der kochenden Brühe heraus. Die fast fertigen Kartoffeln abschütten und neu ansetzen, ging aus Zeitgründen nicht. Meine Schwester hatte am Abend eine Aufführung im Theater. Das Essen musste in wenigen Minuten auf dem Tisch sein, sonst war ihr Auftritt geplatzt.
Es gab keinen Ausweg, das Abendessen war Gesetz. In der stillen Hoffnung, dass es keiner bemerken würde, schwieg ich. Vorerst ging alles gut. Jeder aß mit Genuss seine Klopse mit Kartoffeln, Erbsen und, verdammt! Mein Vater stochert plötzlich mit seiner Gabel auf dem Teller meiner Schwester herum und fischte etwas heraus, das da nicht hingehörte. Belustigt fragte er sie:
„Was hast du denn da für silberne Kügelchen in deinen Kartoffeln?“ Sie erwiderte seine Heiterkeit nicht. Wie von der Tarantel gestochen schrie meine Schwester, die dummerweise im Chemieunterricht aufgepasst hatte, und wusste, was das war, auf: „Quecksilber! Das ist Quecksilber!“. Ihre tödlichen Blicke durchbohrten mich auf der Stelle. Sie wusste, wer der Übeltäter dieses „Giftanschlages“ sein musste.
Giftanschlag, das war nun die Terminologie für mein, wissenschaftlich begründetes, aber leider missglücktes Experiment. Meine umfassende Erklärung, warum und wie das Quecksilber eine unfreiwillige Zutat wurde, half nicht. Tränenreiches Geschrei und die geforderte strenge Bestrafung des Giftmörders lagen nicht nur unausgesprochen auf den Lippen.
Der Abend endete mit einem strammen Marsch ins Krankenhaus. Die Dienst habende Ärztin betonte die Harmlosigkeit dieser Menge an Quecksilber. Besonders wenn man sie auf vier Personen verteilte.
Das hätte ich ihnen auch sagen können.
Es stand in meinem dicken Chemielexikon!

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