Seitenwind Woche 1: Brötchen mit Soße für 60 Pfennig

Ein besonderes Körnchen

Tief sitzen meine Erinnerungen an die wenigen glücklichen Kindertage. Fest verschnürt in einem kleinen Säckchen stupsen sie sich wie winzige Sandkörnchen an, wenn meine Gedanken sie sacht streifen. Kichern still vor sich hin, als ob sie dieses Versteckspiel liebten. Nichtsahnend, dass sie im Grunde wohl behütet und gehütet sind.
Ein winziges Körnchen, frecher und wagemutiger als die anderen, schiebt sich immer wieder durch die winzige Öffnung. Zumeist an Sonntagen. An diesen tristen, wenn sich meine Mundwinkel der Schwerkraft willenlos hingeben. Dann stupst dieser kleine Freund meine Geruchsknospen an, kitzelt das Näschen und erinnert mich an etwas Besonderes, etwas, was mein kleines Herz zum Flattern brachte, in meinem Bauch die Schmetterlinge zum Kitzeln veranlasste und meine Nasenflügel freudig erbeben ließ. Hefe und Mehl, Milch und Ei und ein fruchtiges Holunderbeeren-Aroma.
Im Herbst, wenns draußen kälter, die Blätter bunter und die Erkältungen häufiger wurden, zauberte meine Oma, oftmals nur für mich, und das war das eigentlich Besondere, selbstgemachte Hefeklöße mit herrlicher, frisch gekochter Holunderbeeren-Suppe. Kugelrund, als sei ich selbst eine Beere, habe ich mich gefuttert. Und war einfach nur glücklich.
Ich weiß nicht, wann diese Tage endeten, doch irgendwann kochte sie keine mehr. Oder wir waren nicht mehr dort, wenn es welche gab. Irgendwann hatte sie das letzte Mal welche für mich gemacht, ohne, dass ich es wusste.
Als ich ausgezogen war und meinen eigenen Haushalt hatte, probierte ich die Fertigprodukte, versuchte mich sogar daran, selber welche herzustellen. Doch keine waren so, wie die von meiner Oma. Werden es auch nie sein.
Und dieses kleine Körnchen erinnert mich daran. Dass es diese Tage gegeben hat. Tage, an denen etwas nur für mich gemacht wurde. Tage, an denen ich mich besonders gefühlt habe. Der mich zugleich mahnt, dass es nun meine Aufgabe ist, dieses Gefühl weiterzugeben. Mich darauf aufmerksam macht, mir immer wieder bewusst Zeit zu nehmen und etwas Besonderes zu machen. Nun für mein Kind. Und irgendwann vielleicht auch für mein Enkelkind.
©N. L. Berg

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@NL-Berg Was für eine wunderbare und berührende Geschichte. Ich hatte tatsächlich Tränen in den Augen. Danke dir für diesen zauberhaften Beitrag!

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Omas Dampfnudeln

Draußen tanzen dicke Schneeflocken im leichten Winterwind. Während die Nacht in eisige Temperaturen fällt, ist es in der Wohnung kuschelig warm. Die ganze Familie hat sich um den großen Esstisch versammelt. Die Erwachsenen unterhalten sich über Themen, die mich überhaupt nicht interessieren. Arbeit, Kultur, Politik … Laaangweilig.
Ich hingegen zähle unruhig die Minuten, bis meine Oma aus der kleinen Küche kommt. In den Händen hält sie eine große Platte. Auf ihr lagen mehrere wohlgerundete, wunderbar aufgegangene Dampfnudeln. Der herrliche Duft dieser Mehlspeise wabert leicht und verführerisch zu mir herüber. Sinnlich kitzelt er in meiner Nase. Dabei fließt mir das Wasser im Mund zusammen.
Kaum hat meine Oma die Platte abgestellt, steckt auch schon meine Gabel in einem der fluffigen Dampfnudeln. Kurz darauf wird die köstliche Vanillesoße geholt. Schnell greife ich mir die Kanne und ertränke meine Dampfnudel in einem Wasserfall aus gelber Soße. Jedes Stück wird in der vollmundigen Vanillesoße geschwenkt, damit es sich richtig schön vollsaugen kann. Dann breitet sich in meinem Mund das wunderbare Aroma dieser köstlichen Mehlspeise aus. Der Teig ist hervorragend aufgegangen, weich und fluffig. Die Soße aus verdünntem Vanillepudding ein kulinarisches Kunstwerk. Mit geschlossenen Augen genieße ich jeden Bissen. Omas Dampfnudeln sind eben die besten!

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Eis wie Sahne

In Bremen gibt es eine Kirmes, fast so groß wie das Münchner Oktoberfest, den Bremer Freimarkt.
Tausende Lichter an Achterbahnen, Schießbuden und Imbissen. Musik von allen Seiten. „Und eine Runde machen wir noch, schneller, schneller, schneller“, schallt eine tiefe Stimme vom Musikexpress. Die Fahrenden kreischen, weil sie von den Fliehkräften nach außen gedrückt werden. Ihre Haare fliegen, Mägen drehen sich.
Mich interessiert das nicht. Ich habe nur eines im Sinn, etwas, das ich nur hier finde.
Der Geruch von Nackensteaks auf dem Schwenkgrill umweht die schlendernden Menschen. Aus einem Festzelt tönt eine Kapelle, am Riesenrad stehen Erwachsene mit leuchtenden Augen. Ein paar Schritte weiter gibt es Fischbrötchen. Am Autoscooter tummeln sich die Halbwüchsigen, seit Jahrzehnten ist das schon so. Kamelrennen, Frösche schlagen – keine Tierquälerei, alles aus Plastik. Schmalzkuchen, Bratwurst, Pizza, Zuckerwatte. Früher mit meiner Großmutter haben wir an jedem Stand gehalten, aber heutzutage kann man all diese Dinge in jeder beliebigen Stadt essen. Ich trinke ein Bier zu Jazzmusik, ziehe Lose, dann muss ich weiter.
Da ist er. Der Eisstand. Wie früher steht dort eine Schlange. Kinder mit Eltern, mit Großeltern, Erwachsene mit Partnern, mit Kindern oder allein.
Ich stelle mich geduldig an, denn ich habe Zeit. Ein ganzes Jahr habe ich gewartet. Dann bin ich an der Reihe. „Einmal Eis wie Sahne“. Die Verkäuferin nimmt eine Eiswaffel, füllt aber kein Eis hinein, sondern geht gleich zu dem großen Kessel, in dem die Sahne langsam geschlagen wird. Sie taucht einen Spatel ein und gibt einen großen Klecks Sahne in die Eiswaffel, streicht ihn so ab, dass die Sahne wie ein Hut auf der Eiswaffel thront.
„Streusel?“, fragt sie.
„Unbedingt. Schoko, bitte.“
Ich zahle und trete beiseite. Jetzt ist es soweit. Ich koste das kalte Sahneeis. Es ist weicher als eine Eiskugel, fester als Softeis, weniger süß, dafür sahnig. Das Eis schmilzt und die Schokostreusel knuspern auf der Zunge. Dieser Geschmack hat sich seit 45 Jahren nicht verändert – bilde ich mir zumindest ein. Ich fühle mich zurückversetzt in die 1970er Jahre, in denen ich mit meiner Großmutter und meiner kleinen Schwester jedes Jahr auf dem Freimarkt war. Es ist das beste Eis der Welt und wird es immer bleiben.

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Essen.

Was ist Essen? Muss es immer gesund sein?

Ich war nicht immer ein sehr einfaches Kind. Meist war ich super näschig und aß nicht alles, was auf den Tisch kam.
Wenn es mal wieder etwas gab, was ich nicht mochte, suchte ich mein Heil in den Schleckereien. Und ich fand alle Verstecke meiner Mutter, mochten sie auch noch so gut sein.
Die Gummibärchen, die Tafeln Schokolade mit den schmelzenden Oberflächen im Mund und den verboten guten Füllungen, mussten ein GPS eingebaut haben, dass ich untrüglich immer fand.
Die vielen Sorten, die es auf dem Markt gab, so viele waren immer im Haus. Ganz besonders liebte ich Marzipan mit der dunklen Schokolade. Ein Geschmackserlebnis pur, wenn man die harte Schale der Brauen Substanz mit den Zähnen knackte, damit einen die innere weiche, cremige Füllung willkommen hieß. Die mich mit seinem unglaublichen Mandelgeschmack lockte.

Auch ein ganz besonderer Hochgenuss der Synapse ist Pfefferminze. Es gab da auch immer diese Tafeln aus Zuckerfondant in Weiß und schweinchenrosa. Sobald man die Folie aufriss, strömte der unglaublich intensive Geruch von Pfefferminze in die Nase und ließ mir das Wasser im Munde zusammenlaufen. Der erste Beißversuche ging immer daneben, den die rechteckigen Tafeln waren steinhart und sie wurde nur allmählich in den Händen zahmer. Wenn es allerdings so weit war gab es kein Halten mehr. Das erste Stück verging förmlich auf der Zunge, den durch den heftigen Minzgeschmack sammelte sich das Wasser in der Mundhöhle und man ertrank beinahe an der eigenen Spucke. Aber die Euphorie über den frischen Pfefferminzgeschmack machte alles wett.

Viele Naschereien aus der Kindheit gibt es nicht mehr oder sucht sie meist vergebens. Tatsächlich erinnere ich mich noch an Apfelbonbons mit Likörfüllung. Mein Gott waren die lecker. Sie waren ein bisschen größer als eine herkömmliche Murmel, grasgrün und in durchsichtige Folie gewickelt. Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen.
Kennt die Bonbons noch jemand?
War ich vielleicht traurig, als sie einfach vom Erdboden verschwanden. Heutzutage kann man Apfelbonbons mit Brause im Eingeweide finden, wenn der Kern knackt, zieht es einem die Hose in den Hintern. Kein schöner Gedanke.

Zum Glück ernähre ich mich heutzutage mit vernünftigen Lebensmitteln und nicht nur mit Süßkram, manchmal frage ich mich wirklich, warum das so gewesen ist. Hat meine Mutter so schlecht gekocht? Autsch!

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Heimlicher Hunger

Abendessen. Die Mutter ruft.
Ich klappe mein Buch zu, Winnetous Abenteuer werde ich morgen weiterlesen. Wie heute mit einer Tafel Schokolade dazu. Wie heute werde ich am Mittag, nach dem Essen, wenn Mutter das Geschirr spült und ich noch ein paar Minuten zeit bis zum abtrocknen habe, in den Keller schleichen und mir Schokolade aus dem Topf nehmen. Dem großen Topf aus Metall, in dem die Süßigkeitenvorräte aufbewahrt werden. Kekse, Schokolade, Tüten mit Gummibärchen. Nicht eine Tafel oder zwei Tüten, sondern von allem – viele. Weil es die Schogetten im Angebot gab, oder die Butterkekse.
So viele kaufen die Eltern, dass meine täglichen Raubzüge unbemerkt bleiben. Oder unkommentiert.
Nach dem Abtrocknen und Erledigen der Hausaufgaben bleibt mir Zeit bis zum Abendessen.
Das Abendessen, das wird auch heute wieder bestehen aus Graubrot, Butter, und Aufschnitt, Fleischwurst, Sülze, Leberwurst und Schinken. Aus allem, was ich beim Metzger eingekauft habe, alles, was auf Mutters Einkaufsliste stand. Auch Käse gehört auf den abendlichen Esstisch, Frischkäse aus dem Kühlregal des Supermarktes und Gouda, mittelalt. Dazu wird es Gürkchen und Tomaten geben.
Ich bin so satt. Die Schokolade habe ich gelutscht, Stück für Stück, schmelzig und süßg. Dazu habe ich gelesen wie Old Shatterhand und Winnetou Blutsbrüder wurden. Nun ist mir schlecht. Aber das ist mein Geheimnis. Ich weiß nicht, ob die Schokolade mir geschmeckt hat. Ich weiß, dass das Buch mich in seinen Sog gezogen hat, weit weg war ich, im Wilden Westen. Beides ist untrennbar verbunden. Lesen von den Abenteuern Old Shatterhands und das gierige Verschlingen der Schokolade.
„Ich komme gleich“, rufe ich ins Erdgeschoss.
Satt von meinem heimlichen Mahl betrete ich das Esszimmer und nehme meinen Platz am Tisch ein. Der ist gedeckt und ich schiebe eine Scheibe Brot auf meinen Teller. Streiche Butter darauf, Leberwurst und Senf. So mag ich mein Brot. Die Fragen der Eltern nach dem Schultag beantworte ich mechanisch, so, wie ich die Gurke in Scheiben schneide und auf mein Brot lege. „In der Mathearbeit hatte ich eine eins.“
Algebra, darin sei er auch immer sehr gut gewesen, sagt mein Vater. Mutter erklärt, für eine solide Ausbildung brauche man keine eins in Mathematik.
Ich beiße in mein Brot, kaue und schlucke. Es tut weh, denn mein Magen ist schon voll. Meinen Stolz auf die Eins spüre ich nicht mehr. Ich schmecke die Schärfe des Senfes auf meinem Wurstbrot. Gleich mache ich mir noch eins.

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Eine sehr berührende Geschichte!

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Curry - das war in meiner Kindheit das Gericht, das unser Vater kochte. In einer tiefen Pfanne bereitete er diese gelbe Soße zu, in der Stückchen von hellem Hühnchenfleisch neben Bananenrädchen, Mandelkernen und Rosinen schwammen. Den Reis in unserem Teller formten wir zu einem Ring und die Soße kam in das Loch in der Mitte. Ich mochte das Essen, ich stellte mir vor, dass es so auch in Indien auf den Tisch kam. Mit den in der Soße dick und weich gewordenen Rosinen konnte ich mich allerdings nie anfreunden. Allein sie im Mund zerbeißen zu müssen, dieses Gefühl auf den Zähnen. Bei dem Gedanken schüttelte es mich immer. Und so gewöhnte ich mir an, die Rosinen unzerkaut hinunter zu schlucken. Ein Currygericht habe ich selbst auch einmal nach einer Kochbuchanleitung hingekriegt - es nannte sich Curry-Aprikosen-Huhn, und ich war ganz stolz drauf. Es war natürlich sehr gelb vom Curry und enthielt keine Rosinen. Dass die Inder das Curry so nicht essen, ist mir heute klar, auch ohne je in Indien gewesen zu sein. Die Erkenntnis bekam ich nicht zuletzt durch ein Essen auf der „kulinarischen Weltreise“ eines kleinen fränkischen Wirtshauses vor ein paar Jahren. Ich hatte mir ein Curry ausgesucht und erwartete tatsächlich etwas ähnliches wie das Gericht meines Vaters. Die Überraschung war groß, als die Bedienung mir einen Teller mit einem Berg von Fleisch servierte. Von Gelb keine Spur, aber zum Glück auch keine Rosinen.

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Waidmannsdank

„Hey Papa, alles in Ordnung?“ Langsam öffne ich die schwere alte Tür zum Bad meiner Großmutter. Drinnen steht mein Vater. Er hat ein Messer in der Hand. Sieht ziemlich fies und scharf aus. Seine Gesichtsfarbe gleicht dem nach unserer ersten (und einzigen) gemeinsamen Achterbahnfahrt. Will heißen, kreidebleich.

Ich betrete das Badezimmer und schließe langsam die Tür hinter mir. Erst jetzt scheint er zu realisieren das ich überhaupt anwesend. „Na Kumpel“ antwortet er mit leiser, ruhiger Stimme, „wie geht’s“?

„Ganz gut“ antworte ich. „Und selbst.“ Er leckt sich langsam über die Lippen. „Hach weißt du“ antwortet er, „gerade nicht so toll.“ Dann zeigt er mit dem Messer Richtung Tür. „Aber immer noch besser als dem.“

Erst jetzt bemerke ich, dass sich an der Rückseite der Tür etwas befindet. Und auf einmal wird mir auch der Grund für die schlechte Verfassung meines Vaters klar. An die Tür genagelt hängt ein Feldhase. Ein ziemlich großer Bursche. Glaube ich. Tatsächlich habe ich keine Ahnung, wie groß Feldhasen so werden, aber der hier wirkt ziemlich beachtlich.

Mir ist jetzt klar, was hier gleich passieren soll, und ehrlich gesagt kann ich es nicht glauben. Mein Vater soll diesem Tier das Fell abziehen? Mein Vater, der nach einem Wolkenbruch Regenwürmer im Garten sammelt und auf dem Kompost trägt (trägt, nicht wirft)? Mein Vater, der bei den OP Szenen in Emergency Room regelmäßig wegschauen muss?

Dieser Mann?

Zögerlich sage ich „ich wusste gar nicht, das du weißt wie man Hasen das Fell abzieht.“ Er schaut das Messer in seiner Hand an. „Eigentlich“ beginnt er „heißt das abbalgen. Jägersprache. Und ja, ich kann das. Dein Großvater hat es mir vor Ewigkeiten gezeigt. Ich hasse es nur.“

Einen Moment schweigen wir uns an. Dann erinnere ich mich an den Grund meiner Anwesenheit. „Oma lässt fragen wie lange es noch dauert. Die Soße ist quasi fertig. Fehlt nur noch das Fleisch.“

Papa starrt den Kadaver an. Er greift zu der Flasche Bier auf dem Waschbecken Rand und nimmt einen langen Schluck. Als er fertig ist meint er „sag es dauert noch etwa 15 Minuten.“

Ich nicke wortlos, öffne die Tür (nicht ohne einen letzten Blick zwischen Faszination und Ekel auf den Hasen zu werfen) und schließe sie hinter mir wieder. Als ich im Gang stehe, glaube ich, aus dem Bad Würgegeräusche zu hören. Könnte allerdings auch Einbildung sein.

Eine halbe Stunde später, meine Mutter und meine Oma werfen sich gegenseitig kleine Gemeinheiten zu während ich intensiv auf meinen Gameboy starre, kommt mein Vater in die Küche und legt den enthäuteten Hasen auf den Küchentisch. Ich überlege, ob ich ihn loben oder lieber ruhig sein soll. Meine Großmutter nimmt mir die Entscheidung ab. „Was hat denn das so lange gedauert?“ Keift sie ihn an. „Hier ist alles längst fertig, und du zauderst wegen dem Vieh herum. Dein Vater würde sich schämen wenn er das sehen müsste“. Einen Moment starrt Papa Oma wortlos an, dann schmeißt er das Messer in die Spüle, geht zum Kühlschrank, nimmt sich noch ein Bier und geht raus.

Eine Stunde später wird aufgetischt. Hase in Rotweinsoße mit Klößen. Die Soße schmeckt unglaublich bitter. Das liegt daran das, meine Oma Alkohol in der Küche für so selbstverständlich hält wie andere Leute Salz und Pfeffer. Den Rotwein kippt sie bei der Bratensoße immer ganz zum Schluss rein. Als meine Mama einmal nachfragt, warum sie das nicht vorher macht, um den Geschmack zu erhalten, schaut meine Oma sie an, als hätte sie gefragt ob es zum Nachtisch Sandkuchen gäbe. „Na damit der Alkohol nicht verkocht“ antwortete sie.

Das ist übrigens auch der Grund, warum ich immer einen Extranachtisch bekomme. Bei Kuchen aus dem Wodka oder Rum heraus tropft hat meine Mutter die Grenze gezogen.

Ich kaue lustlos vor mich hin, in der Hoffnung, der nicht leerer werdende Teller möge sich durch göttliche Intervention mit Pizza füllen. Plötzlich durchfährt ein stechender Schmerz wie ein Blitz meine Zähne. Oh Gott tut das weh! Was ist das? So schlimm war es nicht mal, als ich versucht habe, mit einem offenen Zahnhals einen Amerikaner zu essen.

Ich lasse einen Schreier fahren und halte meine Wange. Alle lassen das Besteck fallen und schauen mich mit aufgerissenen Augen an. Meine Mutter schaltet sofort auf Alarmbereitschaft und befiehlt ruhig, aber bestimmt „guck mich mal an. Wo tut es es weh? Was ist passiert?“

Plötzlich meine ich die Ursache gefunden zu haben. Ich halte ihn mit der Zunge fest während meine Finger, aufs schärfste darauf bedacht nicht mit dem verletzten Zahn in Kontakt zu kommen, versuchen das Objekt aus meiner Mundhöhle zu fischen. Oma ist das ganze Theater offensichtlich zuwider.

Ich bekomme den Übeltäter zu fassen und lasse ihn auf den Teller fallen. Eine kleine Metallkugel. Seltsam, denke ich mir. Wie kommt die ins Essen?

Meine Mutter fährt hoch „Eine Schrotkugel! Eine verdammte Schrotkugel! Mir reichts, das war das letzte mal das wir irgendwelchen im Wald geschossenen Mist gegessen haben! Was wenn die Wurzel abstirbt? So eine Scheiße!“

Meine Großmutter winkt ab. „Ach was. So was hatten wir früher andauernd. Der Junge stellt sich nur ein bisschen an. Gebt ihm einen Schnapps das er heute ruhig schläft, morgen könnt ihr dann zum Zahnarzt wenn ihr unbedingt wollt.“

Wortlos packt meine Mutter mich am Arm und zieht mich hinter sich her aus der Wohnung. Mein Vater verabschiedet sich schnell und folgt uns.

Ich hatte Recht, denke ich mir auf der Heimfahrt. Wer hat bei einer Pizza schon mal auf eine Schrotkugel gebissen?

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Mitten im Nirgendwo

Stille. Einzig das dumpfe Knirschen des frischen Schnees unter seinen Stiefeln ist zu hören und das schleifende Geräusch des alten Schlittens, den er hinter sich herzieht.
Sein Blick fällt auf den Horizont. Die Abendsonne verschwindet nach und nach hinter den weiß gepuderten Tannen und hinterlässt einen rötlichen Streifen. Es ist eisig. Er fühlt, wie die Kälte langsam durch den dicken Stoff seiner Kleidung kriecht. Seine Hände spürt er schon lange nicht mehr.
Schneller! Viel Zeit bleibt ihm nicht, wenn er die Hütte ohne Probleme erreichen will.
Und dann? Dann sitzt er wieder allein in der alten Holzhütte, wärmt sich die erfrorenen Hände am offenen Kamin und beobachtet die Elche durch beschlagene Fensterscheiben. Allein. Allein im Nirgendwo.
Er hebt den Kopf, als ihm der süßlich herbe Duft von frisch gebrühtem Kaffee in die Nase zieht und seine Gedanken plötzlich unkontrolliert in längst vergangene Zeiten schweifen lässt. Schöne, glückliche Zeiten…
Krach… Zisch…, die alte Kaffeemaschine spuckt glucksend die letzten Tropfen der dunkelbraunen Flüssigkeit in den Glasbehälter. Das Aroma des Kaffees vermischt sich mit dem Duft aufgeheizter Nachmittagsluft, die durch die offene Terrassentür in die Küche strömt. Eine betörende Komposition. So vertraut. So friedlich.
Er sieht die Zwillinge unbekümmert mit Sam, dem Nachbarshund, auf der Wiese herumtoben. Amanda sitzt noch am Frühstückstisch. Mit einem süßen Lächeln auf den Lippen greift sie nach der Tasse, die er ihr reicht. Genüsslich saugt sie das wohlige Aroma des Kaffees in sich auf, während der warme Dampf über ihr Gesicht strömt.
Was für schöne, glückliche Zeiten.
Sein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Er sieht die geliebten Gesichter noch immer vor sich. Amanda. Die Zwillinge. Und er hört ihr Lachen.
Es war genau vor einem Jahr, als ihn die Umstände zwangen, sich hier, mitten im Nirgendwo, zu verstecken. Wie ein gejagtes Tier. Ohne zu wissen, ob er sie jemals wiedersehen wird - seine Lieben.
Die Dämmerung setzt ein, als ein Licht durch die schneebepackten Bäume schimmert. Gleich darauf sind die Umrisse einer Hütte zu erkennen. Endlich! Erleichtert stapft er dem flackernden Schein entgegen.
Lachen. Er sieht auf. Doch da ist nichts. Wahrscheinlich spielt ihm seine Erinnerung einen Streich. Ganz sicher sogar. Genau wie der vermeintliche Kaffeegeruch.
Mit gesenktem Blick nähert er sich der dicken Holztür. Er greift gerade nach der Klinke, als plötzlich eine dunkle Gestalt hinter der Hütte hervortritt.
Für einen Moment bleibt sein Herz stehen. Sein Körper scheint ihm nicht mehr zu gehorchen. Wie versteinert steht er da, sieht, wie die Gestalt immer näher kommt. Es fühlt sich vertraut an. Und da ist er wieder, der Duft von frisch gebrühtem Kaffee, der Duft von Geborgenheit und Liebe.
„Amanda?“, flüstert er.
„Daddy…“, hallt es durch die Winternacht und zwei kleine Jungen springen hüpfend auf ihn zu. „Wir sind es, Daddy!“
Völlig überwältigt geht er auf die Knie, Tränen kullern über seine Wangen. Sein Herz zerspringt fast, als er die Jungen endlich wieder in seine Arme schließt. Schließlich erhellt das flackernde Licht der Hütte ein weiteres geliebtes Gesicht…

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So, noch mal hier. irgendwie ist mein Beitrag falsch gepostet worden:

"Wunderbar anders, mutig, nicht massentauglich. Muss man mehrmals lesen, um alles zu erfassen.

:heart_eyes_cat:
(Wobei ich das Eis dazu vermisse oder es ist mir entgangen oder es ist bewusst so gehalten oder ich hab’s falsch verstanden :sweat_smile:…)"

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Aufgewärmtes aus der Klapse

Meine Mutter kann nicht kochen. Echt nicht. Entweder schmeckt es nicht oder es ist nicht lecker. Na klar, wie soll es eine alleinerziehende Mutter ihren zwei Jungen auch recht machen? Gar nicht. Sie ist immer die Dumme. Dazu aber noch faul. Weil sie, statt selbst zu kochen, immer das übriggebliebene Mittagessen von ihrer Arbeit als Nachtwache mitbringt. Aus einer psychiatrischen Anstalt, wo die Patienten in der Küche mitarbeiten, wobei sie ihre Fäkalfinger am Gemüse reinigen und ihr Sabber in die Töpfe tropft. So war zumindest meine Vorstellung. Und das Essen? – ein Fraß sondergleichen! Die Küche des Klinikums muss sich außerhalb jeglicher kulinarischer Gesetzmäßigkeit gewähnt haben. Wir als Esser am Ende der Nahrungskette durften das Zeug dann zuhause durch die Mikrowelle jagen. Ein Wunder, dass wir dank der denaturierten Pampe nicht in einem Zwergenwuchs stecken geblieben sind. So stocherten wir uns lustlos durch die Speisen unserer Kindheit.
Bis zu diesem Abend. Es gab das übliche Knorpelfleisch mit halbrohen Kartoffeln, ertrunken in Jägersauce. Und in dieser Sauce schwammen sie: die Nacktschnecken. Eigentlich waren es irgendwelche Dosenpilze. Weich und zäh zugleich mit einem dunklen Rand, eben wie der Kriechfuß von Schnecken. Mit langen Zähnen zwang ich die ersten Happen hinunter. Meine Mutter blickte nur hin und wieder von ihrem Strickzeug auf. Die Nadeln gaben klappernd den Takt zur Nahrungsaufnahme vor. Nachdem der halbe Teller geschafft war, konnte ich nicht mehr. Fast unter Tränen beichtete ich ihr meine Not: Wie widerwärtig ich das Essen fand und wie aussichtslos es war, diese Mahlzeit aufzuessen. Statt einer Antwort pickte sie sich einen Pilz aus der Tunke und kaute das glitschige Biest zu Brei. „Aufessen!“, verlangte sie danach ohne geringstes Mitleid. Da nur noch Pilze übrig waren, musste sie wohl genau diese meinen. Also tat ich es ihr gleich und spießte tapfer ein weiteres Exemplar auf die Gabel und schob es in meinen Mund – und würgte prompt alles wieder hoch. Aus kindlichem Trotz, lang aufgestautem Protest und purem Ekel. Klack-klack-klack, machten ungerührt die Stricknadeln. Aber die Wut meiner Mutter war nicht zu übersehen. Hatte sie denn kein Einsehen? Nein, hatte sie nicht. Nur die wiederholte strenge Aufforderung: „Du sollst Aufessen!“ Wie bitte? Meine eigene Kotze? – niemals! Ich fror förmlich ein und ein Schwall verzweifelter Tränen strömte über mein Gesicht. Meine Mutter schwieg. So saßen wir minutenlang da und warteten beide auf den großen Knall. Der niemals kam. Plötzlich stand sie auf, räumte das Geschirr ab und schickte mich Zähneputzen. Und zwang mich danach nie wieder etwas zu essen, was ich nicht wollte. Ich glaube, an diesem Abend haben wir beide etwas gelernt. Danke Mutti, ich liebe dich!

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Frisch gebackenes Brot mit Griebenschmalz

Es war Winter 1958 und ich freute mich auf meinen 12. Geburtstag.
Wir lebten als Deutsche in Oberschlesien, das seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zu Polen gehörte.
In dieser Zeit spielte das Essen für uns eine große Rolle. In der Regel gab es zum Abendessen nur das übliche Einerlei, insbesondere Bratkartoffeln oder Brotsuppe. Es gab immer das zu essen, was Mutter zufällig auf dem Markt oder bei Sonderverkäufen der Gemüsebauern vom Lastwagen ergattern konnte. Für alles, was gesondert angeboten wurde, musste man Schlange stehen. Oftmals, ohne zu wissen, was vorn vom Lastwagen verkauft wurde. Das hört sich furchtbar an. War es aber nicht, es war der Alltag.
Deshalb wurde bei uns zu Hause niemals über das Essen gemeckert. Es war jeden Abend spannend, was auf den Tisch kam. Ich kann mich an keine einzige Beschwerde meines Vaters oder der Geschwister erinnern, weil es nicht geschmeckt hat. Es war immer super, immer ohne Wenn und Aber.
Wenn es Mutter irgendwie geschafft hat, an Weizen zu kommen, hat sie es mühsam mit einer Kaffeemühle zu Mehl gemahlen. Aus dem Mehl, dem zugehörigen Wasser und einer Portion Sauerteig hat sie einen Brotlaib geknetet, den ich zum Bäcker gebracht habe. Der Bäcker hat den Laib in seinem Ofen geschoben und ich habe gewartet, bis das Brot fertig gebacken war. Um eine knusprige Kruste zu bekommen, wurde es dann noch einmal für zehn Minuten in den Ofen geschoben.
Obwohl meine Freunde draußen Fußball spielten, habe ich gerne in der Backstube gewartet, bis das Brot perfekt gebacken war
Den herrlichen Duft, der sich beim Backen in der Backstube ausbreitete, kann ich nicht einmal ansatzweise beschreiben. Deshalb versuche ich es jetzt auch nicht. Ich sage einfach: Er war, ist und bleibt unbeschreiblich.
In meiner Vorstellung vermischte sich der Duft in der Backstube mit dem Geschmack von frischem Griebenschmalz, mit dem bei uns die Brotscheiben für das Abendessen bestrichen wurden. Ein bisschen Salz dazu gab es immer, Schnittlauch manchmal.
Genau solche Brote habe ich mir zum 12. Geburtstag gewünscht. Bis heute sind sie für mich das leckerste, was ich mir zum Abendbrot vorstellen kann.
Mir ist schon klar, dass ich solche Brote niemals mehr bekommen werde. Dazu müsste ich das Originalrezept der Brotmischung, den richtigen Backofen und die richtige Backdauer wissen. Auch den Griebenschmalz müsste ich ausfindig machen. Und vor allen Dingen müsste ich noch einmal meinen 12. Geburtstag feiern dürfen.

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Das Grießkoch
Ich bin sieben Jahre und Schulanfängerin. Freitags bringt mich Mama immer zur Turnstunde in den riesigen Turnsaal in der Stadt. Wenn ich danach zu Hause ankomme, ist es schon dunkel draußen und alle anderen haben längst zu Abend gegessen. Natürlich habe ich einen Bärenhunger vom vielen Purzelbaum- und Räderschlagen. Weil es schnell geht und ich es gerne mag, gibt es jeden Freitag nach dem Turnen Grießkoch für mich. Es sind die 70iger-Jahre und kein Mensch kümmert sich weiters darum, dass das eigentlich nur leere Kohlehydrate sind. Geschälter Weizen, mit reichlich Zucker und Milch, und gänzlich ohne Ballaststoffe. Es schmeckt und macht satt! Die Oma rührt mit einer gehörigen Portion Liebe in dem kleinen Topf auf dem Beistellherd. Der sorgt jetzt im Herbst dafür, dass es angenehm warm in Küche und angrenzendem Wohnzimmer ist. Man muss nur höllisch aufpassen, sich nicht im Vorübergehen am Ofenrohr zu verbrennen. Am Wochenende trocknen wir auf der warmen Herdplatte Schwammerl, die wir beim Spazieren gehen finden.
Hilda, die Schwester meiner Mama, reibt Kochschokolade auf ein weißes Backpapier. Sie macht das gerne, weil, wer diese Aufgabe übernimmt, dem gehört das letzte Stückchen Schokolade, das schon zu klein ist, um noch gerieben zu werden. Meine Mama leckt ihren Finger ab und tippt damit in den fluffigen Schokoberg. „Ich kombiniere: Dieser Berg ist ein Vulkan,“ sage ich mit der Stimme von Nick Knatterton und mache es ihr kichernd nach. „Diebe, Räuber!“, schreie ich, weil die zweite Schwester meiner Mama und ihr Bruder den kunstvoll geriebenen braunen Berg zu einem Hügelchen schrumpfen lassen. Hilda holt sich einen Kochlöffel und schlägt nach allen Fingern, die sich dem letzten Rest der mühselig geriebenen Erhebung nähern.
Ich klettere auf einen Stuhl und stelle das falsche Märchen-Teller zurück in den Schrank. Mit dem richtigen, ganz leicht an dem dunklen Fleck im grünen Emailrand erkennbaren Hänsel und Gretel Napf aus Blech setze ich mich zufrieden zurück auf die Bank und wippe erwartungsvoll auf den Fersen. Mein rechter Zeigefinger stupst die dunkle Stelle an und der Teller dreht sich wie ein Kreisel. Das ist wichtig und erleichtert das richtige Essen des Grießkochs.
Schnell stoppe ich den Teller. Oma hält den kleinen Topf mit einem alten, zerschnittenen Fetzen.
Erst Jahre später, wenn ich selbst in der Schule das Kochen lernen werde, erfahre ich, dass es auch so etwas wie Geschirrtücher gibt. Meine Oma ist jetzt 94 und verwendet noch immer die alten Fetzen, für die es eine unerschöpfliche Quelle in ihrem Schlafzimmerkasten zu geben scheint.
Der Grießbrei fließt dampfend in den Napf und verdeckt Hänsel, Gretel und die alte Hexe mit der schwarzen Katze auf der Schulter. Wie ein blendend weißer süßer Traum wartet die Speise darauf, mit den Schokoladenflocken bestreut zu werden. Zu viele haben davon genascht und nach dem halben Teller ist nichts mehr übrig, egal wie sehr Hilda am Backpapier klopft und schüttelt. Die dünne Schicht Schokolade beginnt mit dem heißen Brei zu verschmelzen. Ich bin unzufrieden und beschwere mich bei der Oma, dass der halbe Teller weiß bleibt. Sie nimmt den Knorr-Streuer aus dem Schrank, in dem für Notfälle wie diesen, der Zimtzucker aufbewahrt wird. Vorsichtig bestreut sie die leere Seite meines Breis und ich freue mich, wie sich der Zucker rasch verflüssigt. Jetzt kann es losgehen. Mit dem kleinen Löffel nehme ich die erste Portion Brei mit Schokolade. Dann stupse ich den Teller leicht an und stoppe ihn nach einer halben Umdrehung. Jetzt versuche ich einen Löffel Grießkoch mit Zimtzucker. Ich kann mich einfach nicht entscheiden, was besser schmeckt. Also stupse ich den Teller wieder an, um an der Schokoladenseite weiterzunaschen. Das ist die einzig vorstellbare Möglichkeit, wie man Grießkoch richtig löffelt. Von außen nach innen. Jedes Mal muss ich dabei an das Märchen mit dem Grießbrei denken, indem die Mutter den Zauberspruch vergisst und der Brei immer mehr und mehr wird. Bis er zuerst über den Topfrand hinausrinnt, dann die Küche ausfüllt, schließlich das ganze Haus und das arme, arme Kind muss sich durch den süßen Brei durchfuttern, um den Zauberspruch zu sagen, der den Brei stoppt. Satt lege ich, sobald Hänsel und Gretel und die Hexe erkennbar sind, den Löffel zur Seite und freue mich auf Nick Knatterton. Der gehört zu einem Freitag-Abend, wie das Grießkoch, kombiniere ich glückselig.

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Ich danke dir sehr, Gwendy - unendlich doll :orange_heart: :smiling_face_with_three_hearts:

Es ist tatsächlich richtig, dass da kein Eis ist, hihi. Die Fassbrause allein war schon immer so kalt, dass sie selbst fast als Eis durchgegangen wäre und einem jeden Millimeter im Körper eingefroren hat :'D

Aber allerhand schmelzendes Eis und klebrige Kinderhände gab es natürlich auch ûu

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Abendessen im Restaurant

Besteckgeklapper. Helles Klirren von Weingläsern, gedämpftes Licht, leise Stimmen.
Draußen schmeißt der Wind Regentropfen gegen die Fenster.
Meine Mutter drückt mir ein Tablett mit Gläsern und einer Weinflasche in die Hände. „Tisch 4“. Sie schaut mich dabei nicht einmal an.
Ich balanciere das Tablett zum Tisch. Das Gelächter verstummt, die beiden Frauen tupfen mit den Servietten über ihre Lippen.
Ich verteile die Gläser, schütte etwas Rotwein in das Glas, das vor dem Mann mit Halbglatze steht. Ich nehme an, dass er zahlen wird. Sein Bauch spannt das Hemd.
Er nimmt das Glas. „Eine so hübsche junge Dame im Service“, sagt er, schaut mich über den Rand des Glases an und nippt.
Ich versuche zu lächeln.
Er nickt.
Ich fülle die übrigen Gläser und gehe zurück in die Küche. Auf der Arbeitsplatte direkt neben der Tür steht mein Teller mit dem angebissenen Brot. Der Käse ist in der Wärme weich geworden, Fetttröpfchen glänzen auf der Oberfläche. Ich beiße hinein, lege den Rest zurück auf den Teller. Das Brot schmeckt nach irgendwas. Die Sprite ist schal geworden, ich schütte sie in die Spüle.
Andreas am Herd flucht und dreht das Gas zurück. Der bittere Gestank von verbranntem Fleisch breitet sich im Raum aus.
Ich stelle die Crème brulée für Tisch 6 auf ein Tablett und trage es aus der Küche.
Der Geschmack von irgendwas ist noch in meinem Mund.
Abendessen im Restaurant.

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Info: Ich plane gerade eine neuen Geschichte für den NaNoWriMo und dachte, ich nutze gleich die Gelegenheit, um die Charaktere mal auszutesten. Viel Spaß beim Lesen!

Verführerische Düfte lockten die kleine Svana auf die efeubewachsene Hütte im Wald zu. Die Leute im Dorf erzählten sich gerne, dass hier eine Hexe wohne. Eine die Kinder fraß, um genau zu sein.
Svana entfleuchte ein helles Kichern. Ihre Freundin Astrid war doch keine Hexe. Sie kannte sich mit Kräutern aus und hatte schon die eine oder andere Krankheit auf geradezu wundersame Weise geheilt. Aber das machte sie noch lange nicht zu einer Hexe. Astrid pflegte zu sagen, dass die Leute Dinge, die sie sich nicht zu erklären wussten, gerne auf Übernatürliches schoben.
Ihr Magen grummelte und sie beschleunigte ihre Schritte. Ihre nackten Füße trugen sie rasch über den weichen Waldboden. Der Weg war an manchen Stellen kaum zu erkennen, da ihn außer Svana und Astrid selten jemand benutzte. Ihre Seiten begannen zu stechen, doch da hatte sie schon das hölzerne Gartentor erreicht. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und schob den Riegel auf, der innen angebracht war.
Schnell schlüpfte sie hinein und schloss das Tor hinter sich, damit Wynn keine Gelegenheit hatte, sich davonzumachen. Das neugierige Rehkitz hatte sie mit seinen großen Ohren natürlich schon von Weitem entdeckt. Astrid hatte das verletzte Tier vor ein paar Tagen im Wald entdeckt. Sein rechtes Vorderbein war noch mit einem Stoffstreifen umwickelt, aber er stakste bereits durch den Garten. Svana streichelte ihm rasch über den Kopf und ging auf die Tür zu.
Sie klopfte, wartete jedoch nicht auf eine Antwort. Svana wusste, dass sie jederzeit bei Astrid willkommen war. Außerdem wurde sie erwartet.
„Wie das duftet!“, rief sie ihrer Freundin entgegen.
Diese stand mit dem Rücken zu ihr am Herd und rührte in einem Topf. „Hast du auch mitgebracht, was ich dir aufgetragen habe?“, fragte Astrid.
„Selbstverständlich“, antwortete das Mädchen. Sie griff in die Tasche ihres Rocks und holte ein Gewürzsäckchen heraus. „Der Händler hatte leider nicht mehr. Er sagt, dass die Nachlieferung noch nicht da ist.“
„Das macht doch nichts.“ Astrid drehte sich um und wischte sich die Hände an ihrer Leinenschürze ab. Sie hatte ihr langes braunes Haar geflochten und zu einem Knoten hochgesteckt. So störte es sie nicht beim Kochen.
Svana verstand nicht, wie sie die Dorfbewohner als Hexe bezeichnen konnte. Sie war etwa so alt wie ihre Mutter und keine buckelige Greisin mit Warzen auf der Nase, wie sie sich die Hexen aus den Märchen vorstellte. Allerdings trug sie immerzu eine runde Brille, was Svana nur von den älteren Dorfbewohnern kannte. Astrid hatte ihr erklärt, dass das vom vielen Lesen bei Kerzenschein kam.
„Hat er dir Wechselgeld zurückgegeben?“, wollte Astrid wissen.
„Nein“, flunkerte Svana und schüttelte wild den Kopf. In ihrer Rocktasche klimperte es verräterisch.
„So so“, schmunzelte Astrid. „Wie schade. Ich wollte dir eigentlich sagen, dass du dir das Wechselgeld behalten kannst, weil du das so brav für mich erledigt hast.“
Svana kicherte und drückte ihrer Freundin das Säckchen in die Hand.
Astrid öffnete es und nahm eine Prise braunen Pulvers heraus, welches sie in ihren Kochtopf streute. Der herrliche Duft wurde dadurch noch intensiver. „Zimt ist genau das, was mir noch gefehlt hat.“
Dem Mädchen lief das Wasser im Mund zusammen. „Ich hole die Schüsseln!“, rief sie und schnappte sich einen Hocker. Sie stellte ihn an ein Regal und kletterte flink hinauf.
„Vorsicht!“, mahnte Astrid sie, während sie weiter umrührte.
Svana griff sich vorsichtig die beiden Schüsseln und kam wieder herunter. Astrid hatte auch anderes, schöneres Geschirr, das nicht so hoch oben versteckt war, aber Svana bevorzugte die unebenen Tonschüsseln. Sie sahen aus, als hätte sie jemand mit verbundenen Augen gefertigt, doch Svana fand, dass alles besser schmeckte, das sie daraus aß.
Sie stellte die Schüsseln auf den Tisch und holte zwei Löffel aus einer Lade. In Astrids Küche kannte sie sich beinahe so gut aus wie in der ihrer Mutter.
In der Hütte gab es kaum einen freien Flecken. Überall standen Pflanztöpfe und Gläser mit Samen und getrockneten Früchten herum. Von der Decke hingen große Büschel aus Kräutern und Wildblumen. Das meiste davon baute Astrid im Garten hinter der Hütte an. Was es dort nicht gab, sammelte sie im Wald. Manchmal durfte Svana sie dabei begleiten und Astrid erklärte ihr, wozu die wilden Kräuter gut waren. Das Mädchen liebte diese Ausflüge. Ständig gab es etwas Neues zu entdecken.
Svana schob den Hocker wieder zum Küchentisch und setzte sich darauf. „Wann ist das Essen fertig?“, fragte sie mit ungeduldig umherschwingenden Beinen.
„Einen Moment noch“, meinte Astrid lächelnd.
Die Frau war oft alleine und Svana spürte, wie sehr diese ihre Anwesenheit genoss. Deswegen besuchte sie ihre Freundin jeden Samstagvormittag, auch wenn ihre Mutter nicht davon begeistert war. Dabei sagte sie selbst, dass an den Gerüchten, Astrid sei eine Hexe, nichts dran war. Wann immer Svana nachfragte, was das Problem sei, meinte ihre Mutter, dass sie es nicht mochte, wenn ihr kleines Mädchen alleine durch den Wald lief. Man konnte nie wissen, wer oder was sich hinter dem nächsten Baum versteckte.
Endlich nahm Astrid den schweren Topf vom Herd und platzierte ihn vor Svana auf einem Holzbrett.
Svana stellte sich auf die Sitzfläche des Hockers und lugte hinein. Warmer Dampf kitzelte ihr über das Gesicht. Der Brei duftete himmlisch nach Zimt und anderen Gewürzen, die sie nicht benennen konnte.
„Ist da auch Honig drin?“, wollte das Mädchen wissen.
„Wäre es sonst dein Lieblingsbrei?“, entgegnete Astrid lächelnd. Sie nahm eine Kelle und schöpfte eine große Portion in eine der beiden Schüsseln.
Svana hätte am liebsten gleich drauf los gefuttert, aber dabei hätte sie sich nur die Zunge verbrannt. Eilig pustete sie auf den Brei.
„Vorsicht“, mahnte Astrid. „Oh, fast hätte ich es vergessen!“ Sie ging zu einem der vielen Regale, die sich an der Wand befanden. Von dort nahm sie ein Schüsselchen herunter und stellte es zwischen sich und Svana. „Die habe ich heute beim Spazierengehen gefunden.“
„Walderdbeeren!“, rief Svana erfreut. „Meine Lieblingsbeeren!“
„Wusste ich es doch“. Astrid zwinkerte ihr zu. „Nimm dir so viele, wie du willst.“
Das Mädchen zögerte nicht lange und nahm sich eine Hand voll heraus, die sie über ihre Portion streute. Sie entschied, dass dieser nun kühl genug sein musste.
Sie schob sich einen Löffel Brei in den Mund – und bereute es sofort.
„Heif, heif, heif!“, rief sie und fächelte sich Luft zu.
„Ich habe dich gewarnt“, tadelte Astrid sie.
Svana kaute mit offenem Mund und versuchte, den heißen Brei hinunterzuschlucken. Ihre Mutter hätte ihr für dieses unappetitliche Benehmen gerügt, Astrid lachte hingegen.
Das Brennen in ihrem Mund war es jedoch wert gewesen. Ein nahezu paradiesischer Geschmack explodierte auf ihrer Zunge. Das milde Aroma des Hafers vermischte sich mit der Süße des Honigs und den leicht säuerlichen Walderdbeeren.
„Warum wird der von Mama nie so gut?“, fragte sie ihre Freundin.
Astrid lehnte sich über den Tisch und flüsterte: „Das Geheimnis ist eine Prise Salz.“ Sie zwinkerte dem Mädchen verschwörerisch zu. „Aber sag deiner Mutter nichts davon. Das bleibt unser Geheimnis.“
„Versprochen!“

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Milch

Milch.
Trank der Götter. Weiß wie Schnee und an Köstlichkeit nicht zu überbieten. Nicht aufdrängend, ehr fein. Aber bestimmt.
Am liebsten kalt.
Lange hatte ich keine Milch gemocht. Ich misstraute ihr. Man konnte nicht hindurchschauen, und überhaupt, sie sprudelte nicht. Ich kannte sie nur mit Kakao. Also warum sollte man sie trinken.
Weiß.
Das war unnatürlich.
Warum, weiß ich nicht mehr. Aber ich hatte so einen Durst. Die metallene Kanne, außen rann das Kondenswasser hinunter. Ich beobachtete den Tropfen, wie er immer tiefer glitt. Er versprach wunderbare Erfrischung.
Mit beherztem Griff nahm ich die Kanne und schenkte mir ein. Ohne zu zögern, setzte ich die Tasse an die Lippen und trank.
Wie hatte ich jemals an Milch zweifeln können. Ich weiß es nicht. Ich verstehe es nicht.
Wenn die kühle Frische meine Lippen benetzt, kann ich nicht mehr stoppen, bis die Flasche geleert ist.
Nach einem Kinobesuch gingen wir in so ein In-Cafe. Schicki-Micki, aber etwas anders hatte gerade nicht offen. Ich bestellte ein Glas Milch. Der Barkeeper schaute mich eine geschlagene Minute entgeistert mit offenem Mund an, bis er sich hastig zu der Frage durchringen konnte: „Warm oder kalt?“
Kalt.
Als ob jemals irgendein anderes Getränk kalter Milch je den Rang ablaufen könnte. Unverstellbar.
Milch. Oh himmlische Milch.
Nie hast du mich enttäuscht. Immer warst du in meiner Nähe. Immer bist du in meiner Nähe.
Nur einmal.
Es gab eine neue Milch. Ich kannte sie noch nicht. Aber es war Milch. Milch ist immer gut. Milch ist toll.
Ich nahm einen tiefen Schluck.
Mein Gegenüber ging ins Bad, und wusch sich das Gesicht.
Meine Mutter würde nie wieder H-Milch kaufen.

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Tröste dich, mir geht es genau so!

Gelinge
Ich kam um halb zwei aus der Schule und hatte Hunger. Meine Mutter stellte mir mit einem hastigen Schwung den Suppenteller vor mir auf den Tisch. „Iß“, sagte sie und verschwand aus der Küche, es war Waschtag. Mein Blick wanderte angewidert auf den Inhalt des Suppentellers. In der halbfesten gräulichen Masse konnte man gräuliche Fleischstückchen mit Kartoffeln sehen. Es roch säuerlich. Stocksteif saß ich zurückgelehnt auf der Eckbank, damit der Geruch nicht direkt in meine Nase wehte. Mir wurde übel, es reichte aber nicht aus, um auf den Tellerinhalt zu kotzen.
Welche Mutter konnte ihr Kind nur so quälen?

Ich saß da und wartete auf das Ende der Marter und wäre mit einer schlichten Butterstulle schon überglücklich gewesen. Nach einer Weile steckte meine Mutter den Kopf durch die Küchentür: „Du stehst nicht eher auf, bis der Teller leer gegessen ist, die anderen haben das Gelinge auch gegessen!“ Lieber Gott, warum habe ich so eine abscheuliche Mutter? Sie kann doch so köstlich knusprige Pfannkuchen braten, leckere Pellkartoffeln mit Quark, sonntags Rinderrouladen mit Klöße und Rotkohl. Aber sowas?
Meine Augen starrten zur Decke…bloß nicht runtergucken. Ich hätte weglaufen, schreien oder den Inhalt des Tellers ins Klo befördern können. Das alles tat ich nicht, lieber saß ich, ohne mit der Wimper zu zucken, wortlos und stocksteif weiter auf der Eckbank vor diesem abscheulichen Suppenteller. Die Zeit verging, ich bemerkte es nicht, es war wohl eine Mischung aus Trotz, Resignation, Schockstarre und starkem Willen.

Gelinge hieß der Eintopf, Hauptbestandteile waren verschiedene kleingeschnittene Innereien wie löcherige Niere, elastische Tiermagenstücke, etwas Leber, einige Kartoffeln, Zwiebeln, saure Sahne und Kräuter, das alles mit Essig, Salz und Pfeffer abgeschmeckt.
Die Zeit verstrich, das Abendrot begann langsam durch das Küchenfenster zu schimmern.
Meine Mutter deckte den Tisch für das Abendessen, es gab frisches Kasseler Brot mit Butter, Käse, Tomaten und Wurst. Ich sagte kein Wort und aß davon. Die Folter hatte ein Ende.

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