Seitenwind Woche 1: Brötchen mit Soße für 60 Pfennig

Ach man…ich hab „Kindheit“ in der Anforderung übersehen…sorry

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Oh Gott Bambi :sob:
Toll geschrieben, und so oder so ähnlich oft von Freunden und Bekannten gehört :smiling_face_with_tear:

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Reisfleisch

Zwischen drei und vier Jahren entwickeln Kinder erste Vorstellungen von Zeit und Raum. Mit fünf wächst das Verständnis für Zahlen und Mengenbegriffe, erst dann entwickelt sich ein klareres Zeitgefühl. Ich war Frühentwickler. Meine Oma förderte mich. Mit ihren Kochgewohnheiten. Jeden Montag, Dienstag, Mittwoch und Donnerstag stand sie um Punkt elf Uhr in der Küche, um Kartoffeln, Lauch, Kohlrabi, Zucchini und anderes jahreszeitenbedingtes Grünzeug zu einer Gemüsesuppe zu verarbeiten. Ich saß an einer Karotte nagend neben ihr auf der Küchenkredenz und schaute ihr dabei zu. Die Kirchenglocken läuteten zwölf Uhr, als wir bei Tisch saßen, und unsere Suppe löffelten. Ich mochte die Kartoffeln und Karotten. Sie waren süß und zergingen auf der Zunge. Al dente war anders. Den Kohlrabi, welchen ich nicht unbedingt für eine Gaumenfreude hielt, schluckte ich als Ganzes runter. Der war immer etwas härter und seinen Geschmack lernte ich über die Jahre nie zu schätzen. Da das Gemüse in kleine, gleichförmige Würfel geschnitten war, kam es anfangs ab und an zu Verwechslungen. Doch die Kontinuität schulte mein Auge, und bald konnte ich Kohlrabi und Kartoffelstücke gut voneinander unterscheiden. Zucchini war mir egal. Der war ich neutral gegenüber eingestellt. Der Lauch hingegen, der legte sich zuerst um den Löffel wie Algen sich um die Beine im See schlingen. Im Mund um die Zunge und die Zähne. Da hieß es schnell und gekonnt schlucken.

Wenn Oma früher als die restlichen Tage in der Küche war, und ich keine Lust hatte, mich in diesem Raum aufzuhalten, dann war Freitag. Am fünften Tag der Woche wurde aufgekocht. Da gab es Fleisch. Reisfleisch, um genau zu sein. Vom Rind. Damit das Menscherl auch groß und stark wird. Reis und Rindfleisch schmeckten mir. Leider nicht in dieser Kombination. Und Konsistenz. Der Geruch, der mir beim Anschwitzen der Zwiebel in die Nase stieg, erinnerte mich an die sonntäglichen Ausflüge auf den Fußballplatz. Die Umkleide, um genau zu sein. Nach Schlusspfiff. Der Anblick des rohen Fleisches bereitete mir Unbehagen. Dasselbe Gefühl wiederholte sich später. Gekochte Version. Da stand es vor mir. Das Finale einer kulinarischen Woche mit und bei Oma. Reisfleisch. Mein Endgegner.

Trockener Reis mit zähen Fleischklumpen. Thymian. Harte Zwiebelstücke, die sich hinterhältig im paprikaroten Reis verstecken. Die Mission startet. Ich durchkämme mein Gericht mit der Gabel. Jedes noch so kleine Stück muss gefunden und eliminiert werden. Da heißt es keinen Fehler machen. Und Zeit gewinnen. „Das Reisfleisch wird nicht besser, wenn es kalt ist“, höre ich Oma sagen. Leider hat sie damit recht. Bei der ersten Gabel wird mir klar, mit Strategie schnell runter wird es nichts. Das Fleisch ist hart und verändert selbst bei langem Kauen kaum seine Form. Der körnige Reis macht das Ganze nicht einfacher. Glücklicherweise begleitet ein Glas hausgemachter Hollersaftsirup mit Leitungswasser das Mittagessen. Um das Reisfleisch, ohne gröbere Unfälle, runter zu befördern. Derselbe wurde mir bei speziellen Anlässen mit Mineralwasser aufgespritzt als Sprite verkauft. Aber das ist eine andere Geschichte.

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Bei der Aufgabe dachte ich gleich an eine Kolumne, also habe ich eine geschrieben.

Japanisch Essen in Kanada

Folgende Szene: Kanadaurlaub, ohne geplantes Ziel durch Vancouver gelaufen, letzter Abend vor dem Rückflug.

Was also tun?, fragt sich der hungrige Tourist. Gehe ich auf Nummer sicher und fahre zurück zum Hotel, wo ich schon Restaurants kenne, oder suche ich mir hier etwas? Keine große Frage. Ich habe jetzt Hunger. Ich will jetzt essen. Also weiter umherirren, bis das Schicksal es gut mit mir meint. Eine Pizzabude… nein, keine Sitzplätze. Der letzte Abend soll schon nett sein. Ein Inder, aber da sitzt kaum jemand drin. Kein gutes Zeichen, also weiter.

Ah, japanisch. Vancouver hat viele tolle japanische Restaurants. Ein kurzer Blick durchs Fenster zeigt einen anständigen Besucherpegel. Hoffentlich nicht zu gut, mault der Pessimist im Hinterkopf, ich will nicht warten, bis was frei wird. Aber manchmal hat man Glück und die freundliche Nachfrage im Inneren beschert mir einen Platz am Tresen mit Blick in die offene Küche. Tische sind keine mehr frei. Die Karte ist umfangreich und ich einige mich schließlich auf einen Oyakodon. Eine Schale Reis mit Zwiebeln, Hühnerfleisch und gestocktem Ei obendrauf. Klingt simpel, ist aber, wenn gut zubereitet, lecker und vor allem sättigend. Außerdem habe ich seit Jahren keinen mehr gegessen und bin entsprechend glücklich, ausgerechnet hier so ein Angebot zu finden. Der Name setzt sich aus oya, ko und don zusammen und bedeutet in der Reihenfolge Eltern, Kinder und Essensschale. Hühnerfleisch und Eier, Eltern und Kinder. Ich mag den Humor.

Okonomiyaki heißt übrigens grob übersetzt „grill doch was du gerne magst“. Trotz des Namens ist es immer eine Art gefüllter Pfannkuchen, wenn auch mit unterschiedlicher Füllung, aber Weißkohl ist jedes Mal dabei. Warum geht mir das gerade durch den Kopf? Ah ja, das Essen ist angekommen und mir fallen gleich die gebratenen Weißkohlstücke auf, die sich zwischen den üblichen Zutaten tummeln. Dazu etwas dunkle Soße obendrauf und das für Okonomiyaki charakteristische Gittermuster aus japanischer Mayonnaise.
Aber ich habe Oyakodon bestellt. Was ist das hier? Ei und Huhn sind vorhanden und zweifellos in einer Schale. Oya, ko und don stehen dampfend vor mir auf der schmalen Tischplatte. Aus der Küche höre ich gelegentlich japanische Wortfetzen, also ist nicht alles falsch.
Außerdem riecht es super. Würzig und ein bisschen süß. „Anders heißt nicht gleich schlechter“, sagt der Optimist in meinem Kopf und lässt mir vorsorglich das Wasser im Mund zusammenlaufen. Na gut, ich gebe nach. Drei, zwei, Risiko. Stäbchen in die Hand und auf in den Kampf!

Die dünne Soßenschicht schmeckt wirklich wie bei Okonomiyaki. Hat sich die japanische Küche in den Jahren meiner Abstinenz gewandelt, oder ist das eine lokale Spezialität? Heißt es auch dann noch Fusion-Küche, wenn beide Gerichte aus demselben Land stammen? Fragen über Fragen, aber ein Grummeln aus der Tiefe meines Körpers sagt, dass ich ein dringenderes Anliegen habe. Also arbeite ich mich nach unten vor. So eine Schale ist hoch und will schichtenweise durchprobiert sein. Fleisch, Zwiebeln und Ei schmecken, wie man es erwarten würde, und harmonieren hervorragend mit Kohl und Soße. Der Optimist in meinem Kopf triumphiert: „Hab‘ ich doch gesagt“. Weil es lecker ist und ich gute Laune habe, ignoriere ich den nervigen Besserwisser.
Bleibt noch der Reis untendrunter, also schiebe ich die obere Schicht zur Seite… huch?

Darunter findet sich eine überraschende Schicht aus dunklen Glasnudeln. Japan hat viele Nudelgerichte, aber Glasnudeln sind eher selten und weder in Oyakodon noch in Okonomiyaki habe ich je welche gesehen. Außerdem sind sie dunkel, auch das kenne ich nicht. „Anders ist nicht unbedingt…“ Ja, ja, ich weiß. Erstmal probieren.

Wow! Umami pur! Nicht zufällig ist die fünfte Geschmacksrichtung nach dem japanischen Wort umai, übersetzt am besten mit lecker, benannt. Der Geschmack, der an Fleischextrakt erinnert, ist so deutlich in den Nudeln konzentriert, das die untere Schicht aus Reis keine weitere Würze mehr benötigt, sondern eher als angenehme Verdünnung der Geschmacksnervenüberlastung herhält. Sagenhaft.
Wie inzwischen durch die gesammelten Erfahrungen erwartet, mischen sich die Einzelkomponenten des Gerichts bei gemeinsamem Verzehr in perfekter Balance. Zwiebeln und Kohl liefern Widerstand beim Kauen und bringen genug Frische mit, um mich vor dem drohenden Untergang in Würzigkeit zu bewahren. Das Ei ist fluffig und das Fleisch fest, ohne zäh zu sein. Mit der Reismenge steuere ich die Stärke des Gesamtkunstwerks. Es dauert nicht lange, bis das letzte Reiskorn in meinem Mund verschwindet.

Leider traue ich mich nicht, die hektisch arbeitende Küchenmannschaft zu unterbrechen, um nach dem Gericht zu fragen, und die Bedienung ist nur eine studentische Aushilfe, die im Stress nicht einmal mein Anliegen zu verstehen scheint, also gehe ich, ohne herauszufinden, ob ich eine lokale Erfindung genießen durfte.
Heute bereue ich das.

Daher mein Appell an die wunderbare Leserschaft: Sollte es Ihnen eines Tages ähnlich ergehe, fragen sie bitte nach. Reisen Sie nicht nur voller schöner Erinnerungen zurück, sondern nehmen Sie das Wissen mit, ob es eine Chance auf Wiederholung gibt. Und ganz eigennützig zum Schluss: Falls Sie diese Variante des Oyakodon kennen, schicken Sie bitte einen Leserbrief.

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Wie im Rausch durchgelesen :joy: War richtig spannend, obwohl es nur um eine Torte ging. Schön beschrieben: erst die himmlische Torte und dann der Wandel durch den Überdruss …klotzig, pampig, matschig. :nauseated_face:

Wie können wir den Ablauf der Saison noch besser machen? Stimmt ab, wie wir die Saison für die folgenden Wochen anpassen sollten:

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Tante Meta und Onkel Martin waren geizig. Das sagten alle. Aber Onkel und Tanten kann man sich nicht aussuchen. Vor allem, wenn sie immer dabei sind. Und Tante Meta und Onkel Martin waren immer dabei. Wenn wir Oma besuchen fuhren, quetschten wir Kinder uns ins Auto. Onkel Martin saß vorne neben Vati, und einer von uns musste bei ihm auf dem Schoß sitzen. Das war sehr unangenehm.

Sie lebten in einer winzigen Einzimmerwohnung ohne Bad und Toilette. Dafür hatten sie einen Schlüssel von den Nachbarn. Der hing an einem Haken neben der Tür. Und wenn wir zu Besuch bei Tante Meta und Onkel Martin waren und mal mussten, nahmen wir den Schlüssel und gingen bei den Kowalskis aufs Klo.

Als ich noch nicht in die Schule ging, brachte Mutti mich oft bei den beiden unter. Da blieb ich dann zwei, drei Tage und schlief auf dem Sofa in der Küche. Morgens machte die Tante mit Klappstullen mit Margarine und einer hauchdünnen Schicht Vierfruchtmarmelade. Dann gingen wir auf den Balkon, von dem aus man auf eine Werkstatt im Hinterhof sehen konnte, und machten zusammen mit den Arbeitern Frühstückspause. Ich winkte den Männern zu, die draußen auf Reifenstapeln saßen und ihre Brote aßen.

„Heute mach ich dir was Besonders zu Mittag,“ sagte Tante Meta beinahe jeden Tag. Und ich wusste, was kommen würde. Schokoladensuppe nannte sie eine ihrer Spezialitäten. Dabei rührte sie Puddingpulver mit heißem Wasser an. So konnte sie aus einem Tütchen eine Menge Suppe machen. Und weil Sahne viel zu teuer war, setzte sie als Krönung Tupfen von steif geschlagenem Eiweiß oben auf.

Schlimm war ihre Sauerampfersuppe, von der sie immer erzählte, das sei in Ostpreußen ihre Lieblingsspeise gewesen. Später fand ich heraus, dass sie auch bei diesem Gericht viel Geld sparte, weil sie den Sauerampfer im Park um die Ecke selbst pflückte.

Da war ich doch lieber bei Onkel Erhard und Tante Grete, die ebenfalls nicht weit entfernt wohnten. Denn Tante Grete war eine gelernte Köchin. Onkel Erhard besaß den ersten Fernseher im gesamten Familien- und Freundeskreis der Eltern. Manchmal gingen mein Bruder und ich nachmittags hin, um Lassie zu gucken oder Sport, Spiel, Spannung.

Dann bereitete Tante Grete uns jedes Mal einen Imbiss zu. Hühnchensalat mit Mandarinen und einer von ihr selbst angerührten Majonäse auf Toast gab es. Oder kleine Frikadellen mit Kartoffelsalat. Panierte Schnitzel. Nudelaufläufe. Vanillepudding, für den sie keine Pulvertüchen brauchte.

Jeder Tag bei Onkel Erhard und Tante Grete war ein Fest. Auch, weil Mutti keine gute Köchin war. Sie hatte es nie gelernt. Und weil man gute Butter nur an Festtagen verwendete, briet sie grundsätzlich alles in Margarine an. Und neigte dazu, die Zwiebeln darin zu kleinen schwarzen Krümeln zu verbrennen. Suppen entstanden immer auf der Basis aufgelöster Brühwürfel. Und wenn ich an ihren gekochten Fisch denke, der in einer schleimigen, weißen Soße schwamm, wird mir heute noch übel.

Später lernte ich das Kochen von meiner Schwägerin Christa, die eine ebenso begnadete Köchin war wie Tante Grete. Allein schon ihre Spiegeleier. Die kochte sie ganz sanft in einem See geschmolzener Butter. Sie benutzte Gewürze, von denen ich zuhause nie gehört hatte.

Dann übernahmen Christa und ihr Mann Jupp ein Hotel mit angeschlossenem Restaurant drüben im Bergischen. Wir verbrachten beinahe jedes Wochenende dort, und ich stellte mich gern als Küchenhilfe zur Verfügung. Von Christa habe ich den Umgang mit einem Kochmesser gelernt, wie man es anfasst und wie man damit schneidet. Sie brachte mir bei, wie man selbst Brühe und Fond zieht und was der Unterschied zwischen Braten, Schmoren und Kochen ist.

Einige Jahre später erkrankte Mutti an Krebs. Da war sie schon Witwe und lebte allein. In ihrem letzten Lebensjahr, sie war geschwächt durch die Chemotherapie, kümmerte ich mich täglich um sie und kochte ihr jeden Tag eine Mahlzeit. Ich weiß nicht genau, ob ich es absichtlich tat, aber ich entschied mich durchweg für Gerichte, die sie uns als Kinder vorgesetzt hatte. Und hatte den Ehrgeiz, das Essen richtig zu kochen und mit besten Zutaten. Heute denke ich manchmal, ich habe mich so an ihr für die fürchterlichen Mahlzeiten in meiner Kindheit gerächt.

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Das ist aber hübsch geschrieben :heart_eyes:

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Pausenbrot deluxe!

Montag

Rainer spuckt während Frau Dresen an der Tafel steht kleine Kugeln in meine Richtung. Eine trifft mich auf der Backe, ich versuche ihn zu ignorieren. In der Mittagspause öffne ich meine Box mit Pausenbroten. Mama hat mir wieder ein Salamibrot gemacht. Zu viel Butter unter der einen Scheibe. Zwei Bissen und ich lege das Brot zurück. Anton kommt und will mit mir seine Banane tauschen. Ich zeige ihm das Brot. Salami mag er, doch als er in das angefangene Stück beißt, verzieht er den Mund.

Dienstag

Mama ist auf einer Geschäftsreise, also kümmert sich Papa um unsere Versorgung. Als er Julius und mich zur Schule schickt, lächelt er, doch ich sehe die Schweißperlen auf seiner Stirn. Anton zeigt mir in der Pause seine neuen Tauschkarten. Während ich seine neuen Errungenschaften betrachte, öffne ich meine Brotdose, gut gefüllt. Kleine Tomaten, ein paar Apfelschnitze und zwei Pausenbrote. Salat und Gurke auf Salami und einer Art Remoulade zwischen zwei Brothälften. Ich hebe meinen Mittagssnack heraus und meine Hand kann das Brot kaum fassen. Anton lechzt. Er bietet mir eine seiner neuen Karten an im Gegenzug für die zweite Hälfte. Zwei Karten nehme ich mit nach Hause.

Mittwoch

„Wie lange ist Mama noch weg?“, frage ich Papa beim Frühstück.
„Noch die ganze Woche“, seufzt er.
Nach dem Englisch-Test schlurfe ich in eine Ecke auf dem Pausenhof. Anton strahlt, er war schon immer besser in Sprachen. Doch seine Freude hat einen anderen Grund, er fordert mich auf meine Brotbox zu öffnen. Babs gesellt sich zu uns. Ein Weberli in der Hand schaut sie mir dabei zu, wie ich die Box öffne. Birnenspalten, Gurkenscheiben, kleine Käsewürfel. Und wieder zwei Brothälften, in denen mehr zu stecken scheint, wie am Vortag. Röstzwiebeln kullern über Salatblätter aus den Brothälften als Babs und Anton in die beiden Pausensnacks beißen. Drei Sammelkarten und ein Weberli nehme ich aus der Pause mit.

Donnerstag

Papa hat sich selbst übertroffen. Langsam schlendere ich in der großen Pause über den Hof. Ich sehe Anton und Babs aus dem Augenwinkel. Um sie herum weitere Mitschüler. Zusammen kommen sie bei mir an und ich sehe in ihren Händen Sammelkarten, Riegel und sogar ein paar Münzen. Vorsichtig hebe ich die graue Plastikbox aus meinem Ranzen und stelle sie behutsam auf meinen Knien ab. Ein Ring hat sich um mich gebildet. Ich hebe den Deckel an und enthülle das Geheimnis. Ein Laugenbaguette, in dem Salat, Tomatenscheiben, eingelegte Gurken den Grund für unterschiedliche Sorten Käse und Salami bilden. Sehe ich Mozarella-Scheiben? Eine fruchtige, gelbliche Soße dickflüssig und sämig verbindet die beiden Hälften. Ich ziehe ein Hälfte heraus und mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Doch Anton hat bereits seine Hand gehoben und hält mir ein unverschlossenes Päckchen Sammelkarten hin. Eine kleine verbliebene Cocktailtomate stopfe ich mir rein, kurz bevor der Gong ertönt. Neben neuen Sammelkarten und einem Date mit Inga, nehme ich Hunger mit aus der Pause.

Freitag

Mama begrüßt mich am Frühstückstisch.
„Du bist schon wieder da.“
„Da freut sich aber jemand richtig mich wieder zu sehen. Ich hab dich auch vermisst.“
Papa sieht erleichtert aus und nippt an seinem Kaffee.
„Was wünscht du dir denn heute für dein Schulbrot?“
„Salami, aber nicht so viel Butter.“

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Leichte Kost

Ich hatte heute nach Schulschluss nicht herumgetrödelt, sondern war auf direktem Weg nach Hause gegangen. Mein Schulbrot hatte ich schon während der großen Pause gegessen und nichts übriggelassen. Und nun schob ich richtig Kohldampf.

Was würde Mutter gekocht haben? Ich hoffte auf etwas Deftiges, um das Loch in meinem Magen zu füllen.

Die Haustür stand, wie meist, offen und ich ging die Flurtreppe bis in den dritten Stock hinauf, wo sich unsere Wohnung befand. Ich war voll Vorfreude auf das Mittagessen. Im Flur roch es nur nach Bohnerwachs und nicht etwa nach einem köstlichen Mahl. Das ließ meine gespannte Erwartung schrumpfen. Ich klingelte und nach wenigen Augenblicken öffnete meine Mutter die Tür.

Sie trug ihre beste Kleidung, das hieß, dass sie in der Innenstadt gewesen war. Sie hielt mir eine hellblaue Bluse hin. »Ich habe mir mal eine »Kleinigkeit« gegönnt. Wie gefällt dir die? Schön, nicht? Aber sag deinem Vater nichts.«

Sie hatte also wieder etwas von ihrem Haushaltsgeld abgezweigt und sich diese Bluse gekauft. Das tat sie ab und zu. Mein Vater war ziemlich knausrig.

Mich interessierte das Kleidungsstück nicht sehr. »Was gibt es zu essen?«, fragte ich.

»Ach, heute gibt es was ‚Leichtes‘«, antwortete meine Mutter. Da wusste ich, was die Uhr geschlagen hatte. Etwas Leichtes war ein Fruchtjoghurt, dazu ein Brötchen. Nicht das mir das nicht geschmeckt hätte. Ich mochte Fruchtjoghurt und liebte Brötchen, das war aber was mit wenig Substanz. Das würde das Loch in meinem Magen nicht füllen. Aber eigentlich war das nicht wirklich schlimm. Meine Mutter musste am Nachmittag zur Arbeit. Sie war Essensausgeberin in der Hochschulmensa unseres Heimatortes. Bis mein Vater abends von der Arbeit kam, verbrachte ich die Nachmittage allein zu Hause. In dieser Zeit war ich mein eigener Herr. Ich würde in den Lebensmittelladen zwei Straßen weiter gehen und mir drei Schokokussbrötchen holen. Meine Eltern ließen in dem Laden anschreiben und zahlten das Eingekaufte am Ende des Monats. Der Inhaber kannte mich und würde die Brötchen im »Büchlein« notieren. Es war nicht das erste Mal, dass ich das tat. Immer wenn meine Mutter sich eine »Kleinigkeit« gönnte und es demzufolge etwas »Leichtes« zum Essen gab, hatte ich mir in dem Laden auch eine »Kleinigkeit« geholt. Meine Mutter war somit nicht die Einzige in unserer Familie, die Geheimnisse hatte. Aufgeflogen waren Mutter und ich glücklicherweise bisher noch nicht.

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Die Banane nicht braun, der Apfel nicht grün.
Die Haferflocken nicht zart, sondern kernig.
Kernig wie die Hände meiner Oma, die in ihrer Kittelschürze immer aussah, als wäre sie direkt einem Katalog für Kinderwohlfühldinge entsprungen.
„Soll ich deinen Lieblingsteller nehmen, den mit Hänsel und Gretel darauf?“
Ja, Oma, das sollst du, auch wenn mich der Schneewittchenteller reizt.
Aber der gehört meiner Schwester. Und die ist älter als ich.
Und stärker.
Zum Glück ist sie noch in der Schule, so habe ich meine Oma ganz für mich allein.
Und obendrein mein Lieblingsessen.
„Magst du Honig oder Zucker?“
Den weißen Zucker, den ungesunden, und nicht zu wenig davon.
Die Milch frisch vom Bauern, lauwarm und fettig.
Jetzt die Banane mit einer Gabel zerquetschen, den ungeschälten Apfel darüber reiben und die Haferflocken mit Hilfe der Milch untermischen. Natürlich den Zucker nicht vergessen. Fertig.
„Lass es dir schmecken, mein Schatz!“
Das tue ich, Oma!
Auch ein halbes Jahrhundert später noch.
Allerdings sind meine Bananen heute bio. Ebenso die Äpfel und die Haferflocken.
Frische Milch vom Bauern gibt es bei mir nicht mehr, geschweige denn den Industriezucker.
Aber auch deine Hände gibt es nicht mehr, geliebte Oma, die immer so lustvoll unter der Kittelschürze hervorschauten, als könnten sie zaubern.
Als zauberten sie.
Bis heute.
Mein Lächeln.

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DARMLIEBELUNG

Es war mehr der Marsch zum Imbiss, der die Verdauung anregte. Bereits als Kind – kurzbeinig, Vokuhila-Frisur, flinke Füße – hab ich Strecke gemacht. Vorlaufen, zurücklaufen, immer mehr Kilometer als nötig. Mittlerweile springe ich nicht höher als die Latte liegt.

Der Marsch zur Imbissbude auf Rädern war das Herzstück des Besuchs von meinen Großeltern, die aus dem Pott regelmäßig angereist kamen.
Mein diabeteskranker Oppa schlemmte zwar kontrolliert, aber so wie er das Zigarettchen immer noch heimlich in der Garage rauchte, so lies er sich die Currywurst in Hamburg-Wandsbek auch nicht nehmen. Er tarnte sein Vorhaben den Blutzucker in die Höhe zu pitschen als Ausflug mit seiner Enkelin, der eh immer zu schnell langweilig wurde.

Ich war seine Garage. Er war mein Dinner-Date.

„Eine Currywurst und vier kleine“, hörte ich meinen Oppa die Bestellung aufgeben. Auf Kinnhöhe Wellblech und auf meiner Augenhöhe die senfverschmierte und fettgegerbte Ablage, auf der Innenstadtflaneure ihre Pappteller zum Bezahlen seit Jahrzehnten zwischenlagerten.

Zwei Psychonanalysen später weiß ich, was mir daran so gut geschmeckt hat: Wir haben beide zwar das selbe verzehrt, nur war mein Gericht kindgerecht zubereitet. Er pickte sich mit dem farbigen Plastikzweizack die einzelnen Scheiben auf der oberen Etage aus der Currysauce und ich nahm ein Würstchen nach dem anderen auf der unteren Etage des Stehtisches in die Hand.
Ein Stehstisch für Generationen. Höhenunterschied auf Augenhöhe.

Um uns herum Kaufhausstimmung, ein vor und zurück juckelnder Gaul, der von Kindern für 50 Pfennig beritten wurde, Imbissdampf und in mir drin nichts geringeres als Seligkeit, die nach Curryketchup schmeckte.

Selbst der angesabberte Finger meiner Mutter, die unsanft Ketchupreste aus den Mundwinkeln rubbelte, nachdem der Ausflug wieder zu Hause endete, machte nichts aus.
Bevor die Liebe durch den Magen geht, wurde sie also in einen Darm gepresst. Jetzt wird mir einiges klar.

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Mamas Hackbraten

In den Sommer- und Weihnachtsferien durften wir für eine Woche zu unseren Eltern nach Berlin fahren. Einfach mal raus aus dem Kinderheim.
Diese beiden Wochen waren ausnahmslos die besten des ganzen Jahres. Endlich Mama, Papa und unseren kleinen Bruder wiedersehen und eine schöne Zeit miteinander haben. Und immer gab es an einem dieser Tage Mamas Hackbraten.
Keiner wusste genau, wie sie ihn gemacht hat, es war ihr Geheimnis. Wir wussten nur, alle liebten ihren Hackbraten. Sie war darauf sehr stolz.
An solchen Tagen, wenn wir sie gefragt haben „Mama wat jibts heute zum Mittag?“
Strahlte sie uns stolz an: „Heute jibts Hackbraten.“
Wir vertrieben uns die Zeit in unserem Zimmer mit spielen und rumalbern, dabei hatten wir eine Menge Spaß.
Der Geruch breitete sich in der ganzen Wohnung aus. Er lässt sich einfach nicht in Worte fassen, es roch einfach nach „Mamas Hackbraten“. Wir konnten kaum abwarten, bis Mama rief: „Essen iss fertig. Kommt ihr?“ Als hätten wir in den Startlöchern gesessen, sind wir zu dritt aus dem Zimmer gestürmt. Wir brauchten auch nicht helfen, den Tisch vorzubereiten. Das hat Mama immer gemacht. Ich glaube, ihre größte Freude war, uns dabei zuzusehen, wie wir ihren Hackbraten mit Kartoffeln und Rotkohl genossen. Manchmal gab es auch Klöße dazu. Beides war sooo lecker.
Leider wird dieser Hackbraten nur noch Erinnerung sein, aber dafür eine wirklich schöne. Eine Erinnerung, die lebendig wird, wenn ich nur das Wort Hackbraten höre. Dann sehe ich Mama bildlich vor mir, höre ihre Stimme mitsamt Berliner Dialekt, wenn sie verkündet, dass es Hackbraten jibt, wie sie mit wippenden Schritten in die Küche geht, um zu kochen. Dann muss ich schmunzeln.
Und man sagt ja: „In der Erinnerung leben die Menschen weiter, die wir lieben.“

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Ich habe schon in vielen Hotels überall auf diesem Globus mehr oder weniger gut genächtigt. Was solls, wichtig ist das Frühstück!
Nach nur etwas mehr als drei Stunden Schlaf hatte mich ein Gewitter, das mit einer so immensen Wucht über der Stadt niederging, dazu gezwungen meine Schlafbemühungen aufzugeben. Das Bett war sowieso zu weich und der Lattenrost, den ich unter der dünnen Matratze durch spürte knarzte bei der kleinsten Bewegung. Mühsam drehte ich mich also auf die Seite und setzte meine Füße auf den angenehm kühlen Steinboden vor dem Bett. Nachdem sich der Drehschwindel, der wohl meinem chronisch zu niedrigen Blutdruck geschuldet ist, gelegt hatte, richtete ich meine gesamten, stattlichen einmeterfünfundsechzig zu voller Höhe auf und blickte mich um. Schräg gegenüber dem Bett war eine Tür und genau auf die zielte mein Begehren ab und auch die Hoffnung, dort die Erschöpfung und Müdigkeit mittels einer möglichst kalten Dusche aus dem geplagten Körper zu treiben.
Ich hätte doch besser die Glastür etwas weiter rechts geöffnet und mich in den Gewitterregen gestellt, denn das, was sich hier ganz großspurig „Ganzkörperdusche“ nannte war ein armseliges Getropfe, von dem man nicht richtig nass werden konnte.
Eine halbe Stunde später betrat ich, aus dem Lift kommend, die Lobby und orientierte mich durch einen Rundumblick an den dezenten Hinweisschildchen an den Wänden Richtung Speisesaal, wo es angeblich ein Frühstücksbuffet geben sollte. Es war überraschend still in dem langgestreckten, hellen Saal, der zu einer Seite - zu einem gepflegten Park hin - durch eine Fensterfront begrenzt war und dessen anderen drei Wände, unterbrochen von einigen verschlossenen Türen, von einem Buffet beherrscht wurden, deren schiere Ausmaße ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausmalen hätte können. In der Mitte des Raumes standen mit diskreten Abständen ungefähr fünfzig Tische, mal für zwei, mal auch für mehr Personen eingedeckt. Ich bewegte mich fast ein wenig eingeschüchtert ob der gigantischen Ausmaße, vorsichtig meinen Trolley hinter mir herziehend, auf den am nächsten freien dem Ausgang am nähesten stehenden Tisch zu, immer bedacht, nur nicht großartig aufzufallen und nach dem Frühstück schnell und wieder verschwinden zu können. Von der Seite kam ein Kellner in einem weinroten Sakko auf mich zu und bat mich um die Zimmernummer. Ich hatte den Mann beim Eintreten nicht bemerkt und erschrak leicht, zuckte ein bisschen zusammen, was diesen aber vollkommen ungerührt mit ausdruckslosem Gesicht auf Antwort wartend, verharren ließ. Ich erfuhr, dass mir mit Übereinstimmung zu meiner Zimmernummer ein bestimmter Tisch zugewiesen sei und so blieb mir nichts anderes übrig, als dem Livrierten zu folgen. Der Tisch, zu dem er mich führte, war etwas am Rande, aber dadurch nahe an dem dreiviertel der Wände einrahmenden Buffettische. Gut, nahe an der Quelle ist nie ganz schlecht, dachte ich und bedankte mich höflich.
Nachdem ich meinen Trolley neben einen Stuhl gestellt und meinen Mantel über dessen Lehne gehängt hatte, machte ich mich auf Erkundungstour den Wänden entlang um in Erfahrung zu bringen, was mich hier und jetzt für eine miserable Nacht entschädigen könnte. Schnell stellte ich fest, dass die Auswahl doch nicht so überwältigend riesig war, wie es auf den ersten Blick schien, denn das Angebot erstreckte sich nur über vier Buffettische und wiederholte sich dann immer wieder. Die Idee dahinter war, dass die Gäste nicht alle an derselben Stelle anstanden und dass die Wege zu den einzelnen Tischen dadurch kürzer wurden. Es gab aber eine stattliche Auswahl an verschiedenen Brotsorten und Gebäck, wie man es nur in Italien findet, dazu Wurst und Käse, sicher zehn verschiedene Konfitüren und allerlei, für fast jeden Geschmack passende Müsli und Körnerkreationen. Auch an frischem Obst wurde nicht gespart. Das Highlight für mich aber war der Kaffee. Da stand doch wirklich in der Mitte des Saales eine wuchtige, richtig alt-aussehende italienische Kaffeemaschine samt Barista, der je nach Wunsch des Gastes, jegliche Kaffeevariation aus acht verschiedenen, frisch gerösteten Bohnensorten, Fauchen und Dampf herstellen konnte. Mein Tag war also gerettet – wenigstens vernünftigen Kaffee gab es hier. Ich belegte einen Teller mit ein paar Wurst- und Käsescheiben, nahm mir ein Körbchen mit Vollkornbrot und brachte dies schon mal zu meinem Platz, dann begab ich mich zu der Kaffeemaschine. Der etwas ältere Herr, der das Ungetüm bediente, verneigte sich leicht und lächelte mich an. Er wünschte mir einen guten Morgen und fragte, woher ich komme. Mit meiner Antwort, von überall auf dieser schönen Welt, konnte er nicht viel anfangen. Er wollte ja nur ergründen, welcherart Kaffee ich wohl bevorzuge, aber daraus ergab sich eine interessante Unterhaltung. So erfuhr ich, dass dieser eher unscheinbare Mann schon seit seiner frühen Jugendzeit immer mit Kaffee zu tun hatte. Seine Eltern hatten eine Kaffeerösterei in einer kleinen Stadt in Süditalien, wo er nach seinem Schulabschluss zu arbeiten begonnen hatte und da von der Pike an alles über diese belebenden Beeren lernte. Er zog dann mit knapp zwanzig Jahren nach Rom, um dort in einem Café zu lernen. Dort machte er auch die Bekanntschaft mit einem gewissen Signore Rancilio, der aus Milano (er sprach das so schön uritalienisch aus, nicht dieses eingedeutschte Mailand) in die Hauptstadt gekommen war, um da seine Kaffeemaschinen zu verkaufen. Sein Chef kam damals mit diesem Signore Rancilio ins Geschäft und kaufte ihm seine erste richtig große, originale Maschine ab. Als die Maschine geliefert wurde, war in dem Service auch inbegriffen, dass die Mitarbeiter eine genaue Einschulung erhielten. Signore Rancilio tauchte von da an immer mal wieder in dem Lokal auf und so entwickelte sich eine bis heute anhaltende Freundschaft. Aus dem Café von damals wurde dieses Hotel. Die Maschine, die hier im Hotel für die Gäste alle nur erdenklichen Kaffeegenüsse produzierte, war immer noch diese erste Maschine von damals, ja und der junge Mann von damals ist inzwischen der Besitzer diese Hotels mit Frühstück.

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Ich erinnere mich noch genau an Omas “Nudeln mit Schnee”.

Du weißt nicht, was das ist? Nun, dann folge mir in meinen Kopf, sieh dir meine Erinnerung an und erlebe mit, warum dieses Gericht für mich so besonders ist. Es sind nicht die vergleichsweise einfachen Zutaten, sondern meine Oma, die dieses Essen so einzigartig gemacht hat.

Als ich nach der Schule bei Oma ankomme, rieche ich es schon. Diese spezielle Mischung aus Nudeln und Käse, die wohl jedem das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Oma steht im Türrahmen und lächelt mich an: “Da bist du ja. Weißt du, was es heute zu essen gibt?”

Ich will mir nicht anmerken lassen, dass ich es bereits weiß, denn ich sehe die Freude in ihrem Gesicht, wenn sie mir eröffnet, dass es heute mein Lieblingsgericht gibt. Die Vorfreude darauf, dass ich juchzend in die Küche renne, mich schon mal an den Küchentisch setze und es kaum erwarten kann, dass es endlich los geht.

“Heute gibt es Nudeln mit Schnee!” sagt sie und lächelt verschmitzt. Erwartungsgemäß juble ich und renne los in Richtung Küche. Es ist unser Ritual, das sich im Laufe der Zeit entwickelt hat. Oma kommt mir hinterher und nimmt sich die feine Reibe um den Emmentaler weiter zu reiben. Ich liebe es, ihr dabei zuzusehen. Sie sieht so zufrieden aus und ich bin mir jetzt noch sicher, dass nicht nur Nudeln und Käse, sondern auch eine große Portion Oma-Liebe in meinem Lieblingsgericht enthalten sind.

Als die Nudeln fertig sind, nimmt sie das große Metallsieb und schüttet das Wasser ab. Jetzt kommt der große Moment! Sie häuft einige Löffel Nudeln auf meinen tiefen Teller und gibt den in winzig kleine Stückchen gehobelten Käse über die Nudeln. Käse, der aussieht wie Schnee. Der Käse verläuft sofort und zieht köstliche Fäden. Ich kann es kaum erwarten, den ersten Bissen zu nehmen und schließe genießerisch die Augen. Was für eine Party meine Geschmacksnerven gerade feiern, kannst du dir bestimmt vorstellen. Der Kontrast zwischen dem milden Geschmack der Nudeln und dem fein-herben Geschmack des Käses ergibt für mich das perfekte Essen.

Leider ist es mir niemals gelungen, “Nudeln mit Schnee” nachzukochen, obwohl es nur aus Makkaroni, etwas Butter und fein geriebenem Emmentaler besteht. Ich weiß heute, dass in meinem Essen die Zutat Oma-Liebe fehlt. Also bleibt das Gericht, von dem ich nicht mal weiß, ob Oma es sich ausgedacht hat oder ob es noch andere Menschen gibt, die es kennen, bei mir in ebenso liebevoller Erinnerung wie meine leider schon verstorbene Oma.

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Hallo,
vermutlich bin ich zu alt und zu blöd für diesen ganzen online Kram. Schreibe seit mehreren Jahren mit Papyrus und könnte auch etwas zum Thema: „Brötchen mit Soße“ schreiben, finde aber nix, wo ich meinen Text eingeben könnte. Eingeloggt bin ich. Trotzdem ratlos. Oder wäre das hier der richtige Ort?
Rüdiger Paulsen

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Mein Bruder grinst mich über den Tisch an. Ein hämisches Grinsen. An einem winzigen Mittagstisch, in einer kleinen, stinkenden Küche. Ich rieche, mein Meist-Hass-Essen wird zubereitet.
In geölter Pfanne pufft und zischt und dampft eine ganze, wässrige Tomate.
Zerstossen, mit Haut und Allem! Bedeckt mit einem aufgeschlagenen Ei. Dann das Ganze verquirrlt mit dem Schaumbesen. Zu einer rot-gelb-weiss marmorierten Masse, durchbrochen von zäher Haut. Mit Salz und Pfeffer beworfen.
Es stockt, wird fest. Nochmals gedreht und nochmals vermischt. Mit energischem Stossen, Drücken hälftig geteilt und je auf einen Teller. Die Teller dann mit Schwung vor unsere Nasen.
Ich atme durch den Mund. Stochere angewidert nur so im Essen herum.
«Mami, Christian stochert nur so im Essen herum.»
Vom Herd ein Schnaufen. Meine Bitte nach Alternativen vorweg nehmend, aber trotzdem an niemanden direkt gerichtet – oder, an alle Kinder dieser Welt… ausser Afrika:
»Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt.» Kurze Pause. «Ihr habt es gut, die Kinder in Afrika müssen hungern.»
Ich zwacke ein winziges Stück ganz am Rand ab, schiebe es auf die Gabel, zu meinem Mund.
Richtiges Essen gibt es erst wieder, wenn Paps zurück ist. Im grossen Esszimmer. Am grossen Tisch. Mit grossem Abstand zu meinem Bruder.
Noch viermal schlafen.

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Hallo Rüdiger! Du hast eigentlich alles richtig gemacht. Genau so, wie du deine Frage in diesen Thread gepostet hast – mit dem blauen „Antworten“-Button ganz unten, nehme ich an – reichst du auch deinen Text ein.

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Ein licht- und forenscheuer Neuling traut sich:

Schlüsselreiz

Winter 1963/64. Die DDR hat beide Altchen weit über die menschenverachtende Grenze in den Westen gespuckt. Zu alt, um noch nützlich zu sein, dürfen sie sich endlich legal mit der Familie des Sohnes, die acht Jahre zuvor schon „rüber jemacht“ hat, unter einem Dach wiedervereinen.

Die Enkelin ist neun Jahre alt und freut sich wie Bolle über die Familienvergrößerung, auch wenn diese fünfundsechzig Jahre älter ist, als die, die sie sich eigentlich als Geschwisterchen gewünscht hätte. Sie nimmt, was sie kriegen kann, um einen Fluchtpunkt im Haus zu haben, wenn sich mal wieder ein elterliches Donnerwetter drohend zusammenbraut und sich mit Hagel, Sturmböen und Blitzen über ihr entlädt.
Die kleine Omi, das Enkelmädchen überragt sie schon einige Zentimeter, und der Opa haben das Gros ihres Hab und Guts im Osten zurückgelassen. Eine Entscheidung, in die sich fügten, weil ihr Leben sie auf harten Verzicht trainiert hat. Zwei widerwärtige, entbehrungsreiche Weltkriege, im ersten verlor der Großvater seinen linken Arm und seine Gesundheit, dann der frühe Verlust eines Kindes, der schmerzliche Verlust des engen Kontaktes mit der Familie, die in den Westen geflohen war und schlussendlich ihr Häuschen mit Nutzgarten im südöstlichen Brandenburg, aus dem sie nur wenige Habseligkeiten mitbrachten.
Aber sie sind zufrieden. Der Opa puttelt im neuen Garten, obwohl der Rasen und die Beete eher dekorativer Natur sind und er Obst und Gemüse wichtiger findet, und zweimal am Tag läuft er kilometerweit über die Dörfer der Umgebung und kennt bald jeden Bauern persönlich. Er war selbst in der Landwirtschaft tätig, und allein draußen sein zu können, reicht zur vollkommenen Seligkeit. Regnet es zu heftig, um spazieren zu gehen, jampelt er unruhig durchs Haus und nervt seine „Kleene“. Sie teilt seinen Unternehmungsdrang nicht und kapituliert, denn sie hat einen hinderlichen Vogel, einen Grauen Star, und weil sie nach der ersten, eine zweite OP für sich nicht mehr lohnend erachtet, war sie nahezu blind. Trotzdem kocht das kleine Energiepaket regelmäßig wie ein Uhrwerk für sich und ihren „Papa“. Mit preußischer Pünktlichkeit stehen um neun Uhr der Muckefuck und die Margarinestulle, um zwölf Uhr das einfache Mittagessen, am Nachmittag noch einmal Muckefuck und ein gerecht geteiltes Hefestück und am Abend eine Scheibe Brot, nicht selten nur mit Butter und Zucker darauf, auf dem Tisch. Alles gute Zureden, sie könnten es sich von ihren Renten doch wesentlich komfortabler machen, abwechslungsreicher essen, helfen nicht, und die „Kleene“ schickt ihren „Papa“ von Pontius zu Pilatus, um die einfache Marmelade noch einen Pfennig günstiger zu ergattern.

Das Enkelmädchen sitzt gerne bei den Großeltern im Wohnzimmer, schaut später heimlich und im Schlafanzug „Raumpatrouille“ zwischen Tür und Angel, damit sie von den Eltern nicht erwischt wird. Kein Film für Kinder und zu spät! Die Großeltern halten dicht, verfüttern weiße und rosafarbene Schokolinsen und kringeln sich vor Lachen. Und oft, wenn es Stuckkartoffeln mit dicker Milch gibt, lädt sich die Enkelin selbst zum Essen ein. Sie weiß es schon Tage vorher, denn dann geht sie mit der Milchkanne zum Bauern und holt die euterfrische Milch dafür, denn nur so gelingt die Dickmilch. Die mit einem Tuch abgedeckte Milchschüssel darf in Ruhe über Tage stocksauer werden. Dazu gibt es gestampfte Kartoffeln mit untergehobenem, ausgelassenem Speck und kurz darauf schließen die heißen Erdäpfel zusammen mit der kühlen Dickmilch einen himmlischen Bund, so wie es bloß einfachen Gerichten gelingt.

Man muss richtig hungrig oder noch ein Kind sein, dann genießt man jeden einzelnen, der wenigen Bestandteile einer bescheidenen Gaumenfreude, und man erinnert sich, inzwischen genauso alt wie die „Kleene“, wehmütig daran. Eine Geschmackserinnerung wird zum Schlüssel für das Tor zur Vergangenheit. Es gibt so viele Schlüssel …

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Ich habe vor einiger Zeit unsere Familiengeschichte mit Fotos, Stammbaum und Erinnerungen geschrieben. Dazu gehören auch einige Anekdoten rund ums Essen mit den Rezepten dazu. Einen Auszug möchte ich mit euch teilen:

Der Wald überm Weg war ein wunderbarer Spielplatz. Schließlich waren Hof und Garten dem
Federvieh vorbehalten. Auf dem Feld sah uns Opa Werner auch nicht so gern, außer er schickte
uns los, um Kartoffelkäfer von den Blättern zu sammeln. Wenn wir im Mais verstecken spielen
wollten, durften wir uns lieber nicht erwischen lassen.
Der Gemüsegarten war Opa Werners Heiligtum. Schnurgerade zog er im Frühjahr die Reihen,
um Beete mit Erdbeeren und Gemüse anzulegen.
Oma erzählte oft, dass sie mit Opa eine gute Ehe führte und sie so gut wie nie gestritten haben.
Nur ein einziges Mal ist Opa ein „Du Trampel!“ rausgerutscht, weil Oma beim Anlegen der Erdbeerbeete
ein klein wenig neben den Pfad und auf das Beet getreten war.
Mit uns Kindern hat er aber nicht geschimpft, noch nicht einmal, als Moni im Frühjahr alle Krokusse
pflückte und sie freudestrahlend Oma schenkte.
Im Gegenteil, er versuchte, uns jeden Wunsch zu erfüllen. Deshalb baute er auch eine Schaukel
überm Weg.
Und wenn wir im Wald oder auch auf einem Baum unsere Buden bauten, schaute er, dass uns
nichts passiert. An der Eiche sägte er sogar die Äste zurecht, damit wir besser Klettern konnten.
Mickeins jüngste Enkeltochter Simone gesellte sich bald zu uns und wurde uns eine liebe
Freundin. Gemeinsam stellten wir so einiges an, aber genau genommen, nichts Schlimmes.
Unsere ersten Gartenfeste feierten wir gemeinsam auf dem Spielplatz unterm Fliedergebüsch.
Schnell war eine Bühne gebaut, Lampions und Lichterketten aufgehängt.
Mickeins Hofhund Molly musste ein paar Kunststückchen aufführen, wir sangen (mehr schlecht
als recht) und sagten Gedichte auf. Unser geneigtes Publikum applaudierte begeistert.
Zu einem Fest gehörten natürlich auch Kaffee und Kuchen. Die Omas Martha und Bertel sorgten schon dafür, dass alle satt wurden.
Später öffnete die „Bar“ und wir Mädels bewirteten unsere Gartenfestgäste mit selbst zusammen gerührtem Eierlikör und anderen mehr oder weniger genießbaren Getränken.

Simone gehörte genauso zur Familie wie wir bei Mickeins ein- und ausgingen. Auch wenn es
um’s Essen ging, wurde kein Unterschied gemacht.
So kam es, dass es einmal eine regelrechte Hefeklöße-Orgie gab. Oma Martha und Tante
Friedel, die gerade zu Besuch war, standen in der Küche, kneteten den Hefeteig, stachen die
Klöße aus und ließen sie auf mehreren Töpfen im Wasserdampf auseinander gehen. Wir Kinder
standen schon Schlange, um mit der nächsten Ladung Hefeklöße samt Blaubeerkompott
auf dem Teller nach draußen zu verschwinden. Oma und Tante Friedel kamen kaum hinterher,
neue Hefeklöße fertigzubekommen. Obwohl sie reichlich Teig angesetzt hatten, neigte er sich
bald dem Ende zu und die beiden hatten noch nicht ein Fitzelchen davon abbekommen.
„Ich werde mal schon Kartoffeln holen!“, beschloss Tante Friedel und sorgte dafür, dass auch
alle Großen ein Mittagessen bekamen, weil - die Hefeklöße hatten die fünf Mädels allein verputzt!

So, die nächsten Hefeklöße macht ihr euch allein!

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