Seitenwind_Perpektiven_Woche 1: Gäste im Geisterhaus_Karussell, Karussell

Karussell, Karussell, dreht sich so schnell

Vorbei an Dächern und Türmen,

die Straßen und Gassen verschmelzen zu Brei

aus Schreien und Pfiffen, aus Rufen und Kreischen,

bis plötzlich das Karussell die Raserei unterbricht,

und sich seinem Heim zuwendet

Das umgeben von Gesträuch und Birken,

sich auf die Seite dreht und…

Darf ich mich vorstellen? Ich bin das verlassene Haus am Ende des Rabenwegs und meine Wände atmen uralte Geschichten unzähliger Leben. Ich liebe diese dunklen Zeiten, in denen der Wind die letzten Blätter von den Ästen zupft und an meinen Fensterläden zerrt. Und ich habe viele Menschen kommen … aber keine mehr gehen sehen.<<

Ich werde alt und meine Gelenke müde.<<, seufzte die Tür und knarzte, vom Winterwind angefeuert, in den Angeln.

Red’ keinen Unsinn<<, klapperten die Fensterläden. >>Wir treiben jetzt schon solange unseren Schabernack mit allen Lebewesen, das darf dir doch mit deiner Routine nichts ausmachen. Selbst die neugierigen Mäuse…<<.

Ach, halt dich geschlossen, du hast ja keine Ahnung. ICH gehe immer auf und zu, bei Tag und bei Nacht. Und du? Maximal, wenn ein Eindringling an den Fensterknauf kommt, öffnen und schließen sich deine Läden.<

Ich achte eben auf mich und haushalte mit meinen Kräften, im Gegensatz zu dir.<<, blafften die Klappläden zurück.

Aber…<<

Jetzt seid mal beide ruhig.<<, mischte sich das Treppengeländer ein und lauschte angestrengt nach draußen. >>Ich höre Menschen reden.<<

Das wird wieder ein Vergnügen!<<, jauchzte die Treppe und rollte ihre Stufen rauf und runter.

Tatsächlich näherte sich eine Gruppe junger Leute dem Haus, durchschritten verwundert den Garten, dessen Obstbäume, Pflanzen, Büsche und Blumen üppig blühten, obwohl das neue Jahr soeben erst angefangen hatte. Die Silvesterparty hatte bis in den frühen Morgen gedauert, mit der Deutung von Bleigießfiguren geendet und die Gruppe hatte nach dem späten Frühstück gemeinsam angeregt, einen ebenso ausgiebigen Spaziergang zu machen. In kleinen Grüppchen unterhielten sie sich während des Gehens über mystische Begebenheiten aus der Vergangenheit und waren doch verblüfft, so etwas Wunderliches wie den Garten und das in die Jahre gekommene Haus selbst zu erblicken.

Hier war ich noch nie.<<, raunte eine junge Frau leise. >>Sind wir denn solange schon unterwegs?<<

3 Stunden sicherlich.<<, antwortete ihr einer aus der Gruppe und sah auf seine Uhr. >>Nicht mehr lange bis zum Sonnenuntergang.<<, stellte er fest.

Aber einmal ins Haus schauen, müsste noch drin sein, oder?<< Sie sah Beifall heischend in die Runde und erntete neugieriges Nicken.

Also dann los!<<

Die Tapetenfetzen drinnen flatterten vor Freude.

Sie kommen, sie kommen!<<

Erst Eintreten und rundgehen lassen!<<, ermahnten die Wände. Sie vollführten ein paar dynamische Yogaübungen und kamen beim Knarzen der Pforte wieder zur Ruhe. Danach Stille. Nur die schlurfenden Schritte der Menschen auf den ausgetretenen Holzdielen waren jetzt der einzige Laut, der zu vernehmen war, denn sie verstummten ebenfalls, allerdings eher ehrfürchtig. Ein Fenster wurde geöffnet, Läden aufgestoßen. Alle Menschenaugen blickten auf verschlissene Sitzmöbel, angestaubte Kommoden, schief hängende, vergilbte Gemälde.

Wie auf Kommando wandten sie sich nach dem Rundgang durch labyrinthartige Gänge und Räume der Treppe zu, probierten die Trittfestigkeit der Stufen aus. Dann gab es kein Halten mehr. Hinauf ging es in die oberen Gemächer.

Da gab das Haus das Zeichen und alles setzte sich in Bewegung, Skelettierte Hände bohrten sich durch Nischen in die Räume, griffen nach den Menschen, die an die Wände zurückgewichen waren als das Tohuwabohu begann; Augäpfel kullerten wie Murmeln über die auf und ab tanzenden Dielen und starrten in entsetzte Menschengesichter; Jahrhunderte alte Gebisse klapperten und flehten:

Erlöst uns, denn wir sind verflucht!<<

Die Lebenden Wesen stießen markerschütternde Schreie aus, gab es doch kein Entweichen, die Treppe existierte nicht mehr. Jemand rief: >>Ans Fenster, schnell! Raus hier!<< Einer nach dem anderen sprang aus dem einzigen Fenster, das sich öffnen ließ, weil es nur noch lose in den Angeln hing, in die Tiefe. Das baufällige Haus fluchte und winkte dem Baum der Raben zu.

Ich bin zu alt für solche Spielchen. Ich überlass das mal euch! Und dem Garten.<<

Also versammelte sich alle Flora unter dem offenen Fenster, versperrte so den Fluchtweg.

Es ist vorbei.<<, krächzten die Raben runter vom Baum. Mit Eis und Schnee beladen, auch Blitz und Donner im Gepäck, griff der Wind die Worte auf und pfiff ums Haus: >>Vorbei, vorbei, doch der immerwährende Reigen beginnt jetzt erst!<<

Ausgehungert öffneten alle Pflanzen weit ihre Blütenkelche und das alte Haus verbeugte sich tief und dankbar vor den Naturgewalten.

Karussell, Karussell dreht sich zu schnell,

abrupt die rasche Fahrt unter Geschrei

gestoppt, vorbei ist vorbei, ist vorbei, ist vorbei.

In den Erden des blühenden Gartens

beendet jede Pflanze ihren Anteil am Mahl

verdaut Verspeisung, frisst Knochen kahl.

Das Haus, frisch gestärkt, dreht sich zur Seite.

Ich bin das verlassene Haus am Ende des Rabenwegs.<<

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