So habe ich es auch gemacht. Keins der vorgefertigten, die ich in Augenschein nehmen konnte, entsprach meinen Vorstellungen. Es kostet freilich einen Haufen Geld, sich eins anfertigen zu lassen, aber aus meiner Sicht ist es eine durchaus lohnende Ausgabe … – Andere Menschen kaufen irre teure Autos oder lassen ihren Wohnungen/Häusern Zigtausende Euro teure Küchen implantieren … et cetera et cetera …, da nimmt sich so ein Stehpult, selbst wenn es spezialgefertigt ist, gleich wieder ziemlich normal aus.
Meines Erachtens resultieren entsprechende Entscheidungen aus dem Stellenwert, dem bestimmte lebensweltliche Tätigkeiten in der Praxis zukommen: Mir reicht mein knapp zwanzig Jahre alter, aber absolut zuverlässiger Volvo, wenn ich von Ort A nach Ort B muß, ohne auf andere Fortbewegungsmittel als das Automobil setzen zu können (ich fahre nicht gern Auto) – woraus resultiert, daß ich für mir wichtigere, ja, gewissermaßen substantiellere Dinge, mit den dergestalt eingesparten Mitteln anschaffen und somit meiner Lebensform ihr gedeihliche Accessoires zuführen kann.
Lesen und Schreiben als wichtige, ja, vielleicht irreduzible Bestandteile einer Lebensform zu betrachten, mag für viele Menschen verwunderlich klingen; und vielleicht insbesondere, wenn diese Präferenzen sich auch in materialen Konstellationen niederschlagen, egal, ob es die Einrichtung des oder der Arbeits- und/oder Kontemplationsbereichs/e betrifft oder die Gewichtung der Mittelverwendung oder noch so manch anderes. – Ich habe mich jedenfalls inzwischen daran gewöhnt, daß bei manchen Besuchern unserer Prospero-Miranda-Höhle (meine Tochter und ich haben eine gute Freundin, die unsere Behausung hintersinnig lächelnd so zu nennen beliebt) deren Ambiente ziemliches, manchmal mindestens anfangs leicht befremdetes Erstaunen auslöst – bemerkenswerterweise aber genau dann, wenn eher wenig Lese-Schreibe-Präferenzen bei ihnen vorliegen, derweil andere, die solche Leidenschaften auch pflegen, davon oft angetan sind, auch wenn es bei ihnen zuhause nicht notwendig so aussehen muß wie bei uns.
Warum es bei meiner Tochter, die übrigens auch ein eigenes Stehpult hat, und mir so aussieht – an mancherlei Stelle eher einer Bibliothek oder einem Scriptorium ähnlich --, hat nicht unmaßgeblich damit zu schaffen, daß wir beide eben ausgesprochen gern lesen bzw. schreiben (nebst gewissen Verpflichtungen, die uns das auch auferlegen) und uns das private Umfeld peu à peu diesen Leidenschaften gemäß hergerichtet haben, daneben auch noch mit Stellen zum Malen/Zeichnen und Musikmachen (meine Tochter lernt Cello) bzw. -hören. Einen entsprechenden Plan hat es jedenfalls nie gegeben: die Dinge haben sich einfach so entwickelt …
Manchmal scheint’s mir, als ließe sich dieses Verfahren – der Herstellung eines Lebensmittelpunktes, orientiert am subjektiv Maßgebenden statt an „allgemein gültigen“, jedenfalls weit geteilten Standards – auch auf die Art meines Schreibens übertragen: Es gibt meistens einen konkreten Anlaß, bei dem mir irgendeine Situation vorschwebt, die ich beschreiben möchte (dazu „zwingt“ mich dann i.d.R. irgendetwas, das ich nicht zu benennen vermag): So war es bspw. mit dem doch … ähm … ziemlich umfangreichen philosophischen Kriminalroman, der seit Jahren (mehr oder weniger „fertig“) in der Schublade vor sich hinmeuchelt: Mir war danach gewesen, eines Mannes Situation zu beschreiben, der entweder unter Insomnie leidet oder am Morgen aus bleischweren Albträumen erwacht und zunächst nicht weiß, „was mit ihm los ist“. – Ich wußte es auch nicht … Mir stand nur so eine Art „existentielle Befindlichkeit“ vor Augen, die ich gern beschreiben wollte. Genauer gesagt war es ein inneres Bild, das mich animierte, es in Schrift zu gießen: Ich stellte mir dabei vor, wie der Kopf dieses Mannes in einer gigantischen Glocke steckte, deren Klöppel mit zunehmender power gegen die bronzenen Wände stieß … – Nach mehreren Jahren war daraus ein etwa vierzehnhundert Seiten umfassender Krimi geworden, den ich daraufhin noch kürzend unter die Tausendermarke drückte und dann wegschloß.
So ist es fast immer, wenn ich ein lit. Projekt angehe. Es entsteht aus einer singulären, keinen weiteren narrativen Rahmen umfassenden Situation. Sobald sie ein wenig um- oder ausgeschrieben ist, ergeben sich aus den dabei erzeugten Tropen und Sentenzen neue Assoziationen, die dann auch zur Niederschrift kommen, bis allmählich eine Art „Netz“ entsteht, dessen Fäden diverse Stories implizieren oder wenigstens zu implizieren scheinen. Davon „ziehe“ ich dann ein paar und erzeuge eine Textur mit ihnen. Gegebenenfalls lassen sich daran Muster erkennen, die auf einem Plan beruhen mögen. Wobei es mich wenig interessiert, wer oder was diesen Plan entworfen hat. Mich dünkt jedenfalls nicht, daß ich – in der mir stets einigermaßen ominös erscheinenden – Autorrolle dafür allein verantwortlich bin. Mir will es vielmehr scheinen, als sei so ein Autor-Bewußtsein eher etwas wie ein Kondensationspunkt von allerlei semantischen Wolken, die es durchstreifen; und was dabei als schriftlicher „Regen“ darin niedergeht, ist letztlich der je erzeugte Text. Aber dem haftet – das möchte ich mit diesem Bild vermitteln – immer etwas Kontingentes an, niemals herrscht da Notwendigkeit. Oder anders ausgedrückt: Jeder Satz, jede Wendung, jede Metapher hätte immer auch ganz anders zu stehen kommen können. Daß sie gerade so und so zu stehen kam, kann nicht wiederum – gewissermaßen dem „Tröpfeln des semantischen Regens“ vorgreifend – geplant werden, weil die „Logik der Schrift“ – das unablässige Sprechen der Texte miteinander im Autorenbewußtsein (das ja u.a. von Lektüren geprägt ist) – einer unvordenklichen Signifikation folgt, bei welcher die Signifikanten wie junger Schnee auf winterliche Felder ins Bewußtsein rieseln, ohne doch schon mit Sigifikaten behaftet zu sein. Sie bilden sich je erst im Moment des Willens zur Niederschrift – und welchen Gesetzen sie dabei folgen, weiß (bekanntlich) kein Mensch, woraus ja übrigens erhellt, warum es niemals, wirklich nie, genau eine gültige Interpretation eines literarischen Textes geben kann. Es gibt immer mehrere, letzten Ende potentiell infinit viele. Und auch kein Autor darf sich einbilden, er habe – qua Intention – die letzthin gültige immer schon gepachtet. Hat er nicht, weil nämlich die Signifikation der Intention selbst auf unendlich viele Varianten hinausläuft!
Vielleicht wird aus dieser Darstellung klar, warum es in der „Prospero-Miranda-Höhle“ nicht einen Ort des Schreibens geben kann, sondern deren mehrere; und warum es da auch nicht einen Modus der Notation gibt, stattdessen ebenfalls diverse: Mal am Schreibtisch per Compi und mal per Hand – gelegentlich auch mithilfe des Mikrophons --, mal am Pult, mal am kleinen Tischlein dort oder da, gelegentlich auch auf’m Klo …
Es ließe sich niemals analysieren, warum genau diese Sequenz da, unter diesen Bedingungen, und eine andere unter jenen zustandekam. Fest steht für mich nur, daß es die Differenz gibt (womöglich mit Weitung auf Derridas différance) und daß sie maßgebend für meine Art zu schreiben … und auch zu lesen … letzten Endes v.a. aber zu leben ist.
Viele Grüße von Palinurus