Da wir uns in anderen Themen über Kritik sowie Qualität von Kritik unterhalten haben und thematisch mehr und mehr in Richtung Schreibregeln oder -ratgeber abgleiteten, erstelle ich hier ein neues Thema dazu.
Zum Einstieg werfe ich das berühmte show don’t tell ein, also zeigen statt erzählen/behaupten, was auch gern in der Stilanalyse des lieben Papyrus Autor aufploppt.
In Sol Steins bekanntem Ratgeber „Über das Schreiben“ (org. „Stein on writing“ 1995) wird das Thema u.a. aufgeriffen.
Er schreibt in Kapitel 12 sinngemäß, dass wir als Kinder Geschichten zunächst erzählend erfahren: beim Vorlesen, durch Erlebnisse, die andere erzählen, und Aufsätze, die wir in der Schule schreiben. Gleichzeitig sind Menschen vor allem visuelle Typen und durch das Fernsehen (heute auch Streaming) erfahren wir Geschichten vor allem durch die szenische Darstellung und bevorzugen das.
Die urspüngliche Erfahrung von Geschichten verknüpfen wir aber gern mit dem Erzählen, wenn wir anfangen als Autoren zu schreiben, und das passt dann nicht mit dem zusammen, wie wir Geschichten erfahren wollen. Erzählen (oder Behaupten) erzeugt keine Bilder.
Statt zu schreiben „Susi war eine neugierige Frau.“ zeigen wir lieber eine Szene, in der die Leser das sehen können. Ob das eine beschriebene Handlung ist oder ein Dialog, spielt dabei keine Rolle. Ihr Handeln zu beschreiben ist also nicht tell, wie manche annehmen, sondern show.
Die Leser sehen selbst (Bilder) und ziehen ihre Schlüsse. Und da wird es auch schon schwieriger, denn wie muss ich etwas darstellen, um den Lesern zu vermitteln, was ich vermitteln will?
Ähnlich mit Empfindungen:
„Sven hatte Angst.“ vs. „Svens Herz schlug schneller, seine Hände wurden feucht.“ „Sein Magen zog sich zusammen.“ „Er wich einen Schritt zurück.“
Aber auf Dauer kann das ganz schön nach hinten losgehen.
Problem 1: Alle paar Seiten wiederholen sich die mehr oder weniger gleichen körperlichen Reaktionen, und ich finde auch nicht, dass es spannend wäre, 50 Schattierungen von Angst identifizieren zu müssen beim Lesen. Also ergänzt man das Repertoire durch kleinere Handlungen, gemischt mit erlebter Rede. Aber um die erwünschte Wirkung zu erzielen, ist das schon anspruchsvoller, erfordert mehr Erfahrung.
Problem 2: Der Fokus. Alles und jeder wird gezeigt, für jede Nebenfigur ein show-Fass aufgemacht, egal wie relevant sie sind. Dadurch werden die Leser in die Irre geführt, denn je mehr Aufmerksamkeit man bestimmten Figuren oder Details widmet, umso wichtiger erscheinen sie den Leser. Hier muss man die Kunst der richtigen Hervorhebung lernen, auch das hat Anspruch.
Und Erzählen ist trotzdem Teil von Geschichten und hat seine Berechtigung. Ein schlichtes „Sie hatte Angst.“ kann seine ganz eigene Wirkung entfalten. Auch in größeren Umfängen, sofern man es denn beherrscht, eine wunderbare Erzählstimme errungen hat.
Show und tell gemischt:
„Er war ein erbarmungsloser Chef, der jedem kündigte, der nicht 50 Stunden in der Woche schuften wollte. Und ich hatte keinen Bock mehr darauf. Am Samstag warf ich meine Kündigung in den Postkasten, am Montag ließ ich mich krankschreiben.“
Hier liegt der Vorteil in der Kürze. Wenn der Chef und die Arbeit ansonsten keine Relevanz mehr haben, weder inhaltlich noch für die Charakterisierung, warum dann erst eine Szene aufbauen, in der gezeigt wird, wie erbarmungslos der Chef ist, wie er X und Y kündigt und wie der Protagonist das alles beobachtet und wir sehen, wie er die Lust verliert und abends nicht schlafen kann usw.?
Die Regel show don’t tell hat ihre Berechtigung, grunsätzlich für die Lesevorlieben, vor allem dann, wenn sich Anfänger und auch Fortgeschrittene an diesen orientieren wollen oder müssen. Deswegen lieber gleich mit visuellen show-Techniken beginnen, die Bilder und Gefühle erzeugen und an das Buch fesseln. So eine simple Grundorientierung hilft am Anfang, die benannten Probleme muss man dann aber selber erkennen, neue Wege lernen und das umsetzen.
Fragenauswahl an euch:
Wie haltet ihr es mit show don’t tell?
Verwendet ihr das bewusst oder aus dem Bauch heraus?
Habt ihr auch schon mal das Show vermasselt?
Hat euch jemand schon einmal show don’t tell an den Kopf geworfen (oder ihr euch selbst) und ihr euren Text verbessern wollen, ihn aber schlechter gemacht? Habt ihr das rückgängig gemacht oder eine „Höherentwicklung“, eine Mischform entwickelt?
Und vor allem: Was haltet ihr überhaupt von solchen Ratschlägen?
Wie geht ihr mit Infodumperei, Adjektivitis und Erklärbär-Syndrom um? Wie wägt ihr ab, was funktioniert und was nicht? Bauch, Kopf, Testleser, Lektorat?
Ich bin gespannt.