“Hey, du bist ja schon wieder so stürmisch unterwegs! Guten Morgen, Jan!”, rief sie ihm fröhlich zu, die Arme voller Tischwäsche. Jan strahlte sie an.
“Guten Morgen, Dorotea! Ich komme gleich wieder!” Zum Glück war es nicht weit zu den Örtlichkeiten, die Sonne schien, aber es war nicht zu warm.
Kaum war er wieder zurück, schickte sie ihn erst mal in die Küche für einen Becher Tee und eine Zimtschnecke, die von gestern noch übrig waren. Die Köchin hatte sie auf dem Herd warm gestellt und lachte gutmütig, als er nach einer Zweiten griff. Aber dann bekam er einen Besen in die Hand gedrückt und half Dorotea beim Aufräumen und Saubermachen im Gastraum.
Francis und Charlotte waren am frühen Morgen zu Francis Anwesen aufgebrochen. Die beiden wurden von den Angestellten aufs herzlichste begrüßt. Francis begab sich zum Stall um nach den Pferden zu sehen während Charlotte ein Bad nahm. Sie genoss den Duft der Lavendelblütenseife und sie spürte seit Wochen endlich wieder festen Boden unter sich.
An der Tür Tür zum Badezimmer klopfte es an, Magdalena trat ein und wärmte die Wanne mit einem Eimer heißen Wasser nach. Charlotte bedankte sich. Magdalena lächelte, “Charlotte, ich freue mich so sehr für sie und Francis”. Die Nachricht, der bevorstehenden Hochzeit hatte sich schnell verbreitet. Magdalena griff in ihre Schürze und nahm einen Schwamm heraus. “Den hat mein Sohn vor einem Jahr vor der Küste von Rhodos gepflückt”, sie streckte ihren Arm aus “Es ist einer der feinsten Schwämme, die er jemals gefunden hat”, sagte sie stolz und überreichte Charlotte den Schwamm. Charlotte war sichtlich gerührt, befühlte den feinen Schwamm, und tauchte ihn ins Wasser ein “Magdalena, ich danke ihnen, von Herzen”.
Charlotte und Francis hatten in den vergangenen Tagen viel über ihre Hochzeit nachgedacht, beide gemeinsam und auch jeder für sich. Charlotte hatte sich Zeit ihres Lebens und bis vor wenigen Wochen noch eine kirchliche Hochzeit vorgestellt. Doch das hatte sich geändert. Nun stand für sie fest, das sie sich auf einem Schiff mit Francis verheiraten würde, auf der Lale Andersen, dem Schiff das sie über alle Höhen und Tiefen, über die guten und die schlechten Zeiten begleitetete und heil und sicher zurück zu ihrem Heimathafen gebracht hatte. Auf diesem Schiff würde sie mit Francis den gemeinsamen Bund des Lebens beschließen.
Magdalena trat wieder ins Zimmer. “Ihre Truhe vom Schiff ist angekommen, Mylady. Ich habe sie in ihr Ankleidezimmer bringen lassen.” “Danke, Magdalena”, sagte Charlotte und stieg aus dem Wasser. Sie trocknete sich ab, hüllte sich in einen leichten Morgenmantel und setzte sich an den Frisiertisch.
“Sie müssen stillhalten, Mylady”, ermahnte Magdalena Charlotte schon zum dritten Mal. Sie bürstete Charlotte, steckte ihre Haare auf und befestigte einen Blumenkranz darauf. In die Vorfreude auf ihre Hochzeit mit Francis mischte sich ein wenig Nervosität und sie rutschte ein weiteres Mal auf dem Stuhl vor dem Frisertisch herum. “Sehr schön”, sagte Magdalena, als sie fertig war und gab den Blick zum Spiegel frei. Charlotte lächelte ihrem Spiegelbild zu und stand auf.
Sie bat Magdalena das Hochzeitskleid aus der Truhe zu holen, und ihr beim Ankleiden zu helfen. Charlotte hatte das Kleid heimlich in Funchal gekauft. Es war schlicht, aber elegant. Und es wurde ohne Korsett getragen. Das war Charlotte wichtig. Sie hatte sich geschworen, nie wieder eines zu tragen. Sie wollte sich von diesen Zwängen befreien und ein unkonventionelles Leben mit Francis führen. “Wie wunderschön, Mylady”, rief Magdalena. Charlotte strich das traumhafte Kleid glatt. Es war hellgrün und weiß, besaß leicht ausgestellte Trompenärmel und hatte eine kleine Schleppe. Der Brokathalsausschnitt war mit Perlen und Stickereien verziert. Die Schnürung im Rücken brachte ihre Figur perfekt zur Geltung und der Taillengürtel betonte ihre schmale Hüfte.
“Lord Fulton werden die Augen aus dem Kopf fallen, Mylady”, sagte Magdalena anerkennend.
Zur gleichen Zeit half Antoine Francis beim Ankleiden. “Non, non, non”, rief Antoine ein weiteres Mal. “Nicht diesen Cut, mon ami. Nimm lieber den grünen. Der steht dir viel besser.” Francis stöhnte genervt auf. “Oui, c’est parfait!” gab sich Antoine zufrieden und geleitete Francis zum Schiff. Erst dort würde Francis auf Charlotte treffen.
Kapitel 53
„Aufstehen! Du versoffener Schotte!“, rief Timothy, während er genüsslich einen Eimer Wasser über Murtagh´s Kopf ausleerte.
McKinnley schreckte aus seinem Schlaf und ruderte unbeholfen mit seinen Armen herum, um die Ursache für die feuchte Störung zu verjagen.
„Verdammt, was soll das? Wer zum Teufel …“, aber mit dem Sprechen lief ihm unkontrolliert das Wasser in den Mund, was einen Hustenanfall zur Folge hatte.
Während er sich noch röchelnd das Gesicht frei wischte, kam er schon schaukelnd vor Tim zu stehen. Wütend gestikulierend und damit aus dem Gleichgewicht gerissen, fiel Murtagh allerdings gleich wieder rücklings auf das Bett.
Timothy hielt sich den Bauch vor Lachen, nahm Platz und griff zu der Whiskyflasche die neben dem Bett stand. Er schwenkte sie Murtagh vor der Nase herum, der dies mit einem Würgen quittierte und sich blitzartig über den Nachttopf erbrach.
„Na das war ja wohl genug Whisky für den Rest des Jahres, mein Lieber.“, meinte Tim und hielt seinen Freund an den Schultern fest. Der Brechreiz kam noch mehrere qualvolle Male, bis Murtagh nur noch bittere Galle spukte.
„Lass mich in Ruhe, Northwny. Bin gerade nicht in Stimmung mit dir zu plauschen.“, lallte er stöhnend.
„Das könnte dir so passen. Saufen wie ein Großer und dann jammern wie ein kleiner Junge. Mach dich frisch und zieh dir saubere Sachen an. Wir gehen von Bord und schauen, dass wir was zu frühstücken bekommen. Hast es ja wohl nötig.“
Bei der Erwähnung von Frühstück begann Murtagh wieder zu würgen und ein letzter sauer stinkender Schwall entlud sich aus seinem Gesicht.
„Gib mir ein paar Augenblicke Zeit, du Schinder. Muss mich erst sammeln.“
„Ich erwarte dich in einer halben Stunde an Deck. Wenn du nicht kommst, lass ich dich über Bord werfen. Was meinst du, wie schnell du da frisch wirst?“, Northwny klaubte frische Kleidung aus Murtaghs Truhe und warf sie ihm rüber. Dann verließ er noch immer grinsend die Kajüte.
Schwerfällig erhob sich Murtagh von seinem Lager. Er zog sich das besudelte Hemd über den Kopf und schlüpfte aus der schmutzigen Hose. Einigermaßen annehmbar betrat er eine halbe Stunde später das Deck. Die frische Luft tat gut und vertrieb die Übelkeit etwas. Timothy befand sich im Gespräch mit dem Bootbauer. Ach ja, fiel es Murtagh wieder ein, heute würden sie mit den Reparaturarbeiten beginnen. Murtagh blickte zur Insel und gewahrte eine geschmückte Kutsche im Hafen. Beim Gedanken daran, dass Charlotte heute Francis Frau wurde, verdüsterte sich sein Miene noch mehr.
Morgan war auch längst wach und mit Jan auf die Lale Andersen zurückgekehrt. Die neuen Pläne von Charlotte und Francis, heute an Bord der Lale und nicht in der Kirche zu heiraten, hatten ihn ziemlich unvorbereitet getroffen. Natürlich hatte er eine Bibel an Bord, und die Lale fuhr unter maltesischer Flagge. Nervös fuhr er sich durch die Haare und seinen Bart.
“Skully, Davy! Kommt mal her, wir haben eine Herausforderung vor uns. Charlotte und Francis wollen hier, an Bord, heiraten, schon heute!”, erläuterte er. Die beiden nickten begeistert.
“Das ist doch eine sehr schöne Sache, Käpt’n. Lass uns mal machen, da helfen bestimmt alle mit”, meinte Skully und Davy nickte eifrig.
“Ja, da haben wir doch endlich mal Verwendung für diese lange Leine mit den bunten Wimpeln dran, die flaggen wir über die Toppen, das sieht festlich aus”, ergänzte er. “Wenn ich jetzt noch wüsste, wo das Ding gestaut ist … ach ja, wir hatten es ins Flaggenschapp gesteckt. Da passt es ja auch hin!”
Erleichtert sah Morgan den beiden hinterher, bei Skully und Davy waren die Vorbereitungen in besten Händen. Jetzt musste er nur noch seine eigene Uniform, bzw. was er so bezeichnete, ausbürsten. Dann legte er das Logbuch, die Bibel und ein Taschentuch bereit.
An Deck erklangen lautstarke Befehle und ein geschäftiges Treiben begann, durchsetzt mit viel Gelächter. Eimer um Eimer holten die Männer Wasser über, und schrubbten das Deck, bis es nur so glänzte.
Jan, Peter und zwei weitere Matrosen hatten sich mit Messingputzzeug bewaffnet und gingen nochmal über alle glänzenden Beschläge. Jetzt zahlte sich aus, dass die Lale immer gut in Schuss gehalten wurde. Morgan duldete keine Schludereien und so waren sie schnell damit fertig.
Davy hatte ein großes Paket aus dem Flaggenschapp geholt.
“Jan, du kletterst erstmal auf das Bugspriet und machst das eine Ende der Leine vorne fest. Dann muss einer auf den Fockmast und einer auf den Großmast. Am Heck machen wir sie am Flaggenstock fest.”
Jan nahm ein Ende der Wimpelleine und wickelte sie um einen Arm. Behände kletterte er auf das Bugspriet.
Harry und Henry waren geschickt im Rigg unterwegs. Mit traumwandlerischer Sicherheit enterten sie die Wanten auf. Die Wimpelleine war in große Schlingen aufgeschossen, die Harry beim Klettern eine nach der anderen ausließ, bis er am Fockmasttop angekommen war und sie dort befestigen konnte. Geschickt warf er sie dann Henry zu, der inzwischen im Krähennest angekommen war.
Vom Krähennest bis zum Flaggenstock war die letzte Etappe schnell überbrückt und die bunten Wimpel flatterten munter im leichten Wind.
Kapitel 54
Auf der Lale angekommen, begaben sich Aliena und Geraldine fröhlich lachend in ihre Kajüten. Beide hatten sich auf Medeira für diesen besonderen Tag ein Kleid schneidern lassen und verabredeten sich nun in Geraldines Kajüte zur Anprobe. Geraldine nahm ihr Kleid und legte es auf das schmale Bett. Dann kramte sie in ihren Sachen und zog die Karte mit dem Bild ihrer Schwester heraus. Kurz nach Laura´s Entführung hatte Miguel es für sie gezeichnet. Sie betrachtet lange das Bild. Es waren nun beinahe schon vier Jahre vergangen. Auf der Rückseite hatte Miguel ihr eine Karte gezeichnet, mit einer Wegbeschreibung zu Don Pedro´s Anwesen und Miguel´s Empfehlung. Geraldine schüttelte den Kopf. Wie konnte sie damals nur so dumm sein, diesem Schurken zu vertrauen. Tränen liefen ihr über die Wangen. Aliena klopfte und trat ein. “Du bist ja noch gar nicht angezogen”, sagte sie verwundert. Geraldine schaute auf. “Aliena”, sagte sie “Wir müssen reden”. Aliena wusste um Laura´s Schicksal. Geraldine berichtete über ihr Erlebnis mit Murtagh im Riddler´s. “Ich muss mit Northwny reden”, sagte sie. “Hast du schon mit Antoine darüber gesprochen”, fragte Aliena. “Noch nicht”, Geraldine griff nach einem Taschentuch und schnäuzte sich “Es waren alle wieder so guter Laune und ich wollte die Stimmung nicht verderben”, sagte sie und seufzte. “Wir machen das gemeinsam”, sagte Aliena. “Das ist lieb”, Geraldine stand auf, steckte die Karte ein, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, dann umarmten sich die beiden. Sie gingen nach oben. Charlotte, Antoine und die anderen waren viel zu sehr beschäftigt um Notiz von ihnen zu nehmen. So machten sie sich unbemerkt von allen auf den Weg zur Enterprise.
Geraldine war heilfroh, Aliena an ihrer Seite zu haben. Als sie die Enterprise erreichten, hatte Aliena Mühe, ihre Stimme entgegen dem Hämmern und Sägen der Zimmerleute zu erheben, die eifrig damit beschäftigt waren, Northwny´s Schiff wieder flott zu machen. “Wir wünschen, Mr. Northwny zu sprechen”, rief Aliena einem der Wachen zu. Aliena vermied es, wie gewohnt die Arme vor der Brust zu verschränken. Sie machte den Rücken gerade und erhob mit offenem Blick den Kopf.