Es klopfte an der Tür und Murtagh trat ein. Er nickte den Konsul kurz zu und wunderte sich über Timothy, der wütend und schimpfend durch das Zimmer schritt. Der Konsul winkte Murtagh zu sich und zeigte auf die vor ihm liegenden Papiere. Er trat an den Tisch heran und studierte die Dokumente. Northwny ging unterdessen immer noch schimpfend und fluchend auf und ab.
“Das ist ja, wo haben sie das her?, das ist doch nicht möglich?, Timothy!” sagte Murtagh staunend und winkte Northwny aufgeregt zu sich.
Northwny unterbrach seinen Wortschwall und sah zu Murtagh hinüber, der mit zitternden Händen da stand. “Edward Davis?”, Murtagh schaute den Konsul ungläubig an. “Sein Wort, seine Schrift, seine Karten, sein Schatz”, gab Henry zur Antwort und klatschte in die Hände.
“Das sind doch Märchen”, sagte Northwny und winkte ab. “Timothy!”, Murtagh blätterte aufgeregt in den Aufzeichnungen “Das ist kein Märchen, komm und schau dir das an”.
Northwny trat neben Murtagh an den Tisch und blätterte lustlos in den Papieren, entnahm eine Karte, nahm sich die nächste vor, dann entriss er Murtagh das Tagebuch aus den Händen und blätterte durch die Seiten. Er wurde blass. Dann schaute er hinüber zum Konsul. “Woher haben sie das?”. Der Konsul lehnte sich zurück “Von einem guten Freund. Und vertrauen sie mir. Die Dokumente sind echt. Oder denken sie, ich würde ihnen Märchen auftischen?”.
“Ach, ja. Commander McKinnley, ich habe hier auch ein Schreiben des Königs für Sie.”
Murtagh nahm den Umschlag entgegen und öffnete ihn. Nach den aufregenden Unterlagen, die der Konsul ihnen gerade gezeigt hatte, fiel es ihm schwer, den Inhalt zu erfassen. Unehrenhafte Entlassung, das war doch ein Witz? Aber ein Blick in Timothys finstere Miene und seine miese Laune belehrte ihn eines Besseren.
Damit hatte er nicht gerechnet. Auch wenn er den König als Schotte mehr verachtete als achtete - er war doch mit Leib und Seele bei der Royal Navy, und er liebte seine Victorious.
“Ich hatte bereits einige Zimmerleute angeheuert, ihr Schiff klar zu machen”, sagte der Konsul “Sie laufen heute noch aus”. dann stand er auf. “Northwny!”, sagte er mit ernster Mine “Ich verlasse mich auf sie”. Dann verließ er das Zimmer. Northwny und Murtagh schauten sich staunend an. Der Ärger über die Entlassung war nicht mehr wichtig. Sie hatten Feuer gefangen. In diesem Augenblick waren sie bereit für das Abenteuer. Sie würden sich noch heute auf den Weg machen, koste es was es wolle.
Northwny schlug die Hände über den Kopf “Murtagh, mein Freund. Ich kann dir nicht sagen, wieviel tausend Meilen wir zu segeln haben, mit dieser Nussschale. Kap Verde, St. Helena, Madagaskar. Es ist eine Weltreise”. “Eine Weltreise, die sich für uns lohnen wird”, entgegnete Murtagh und schenkte sich ein Glas ein.
Die Mannschaft war bereits aufgestellt, allesamt erfahrene Seeleute. Innerhalb weniger Stunden war das Schiff seetüchtig und mit dem nötigsten an Proviant ausgestattet. Sie mussten Afrika umsegeln. Am Golf von Guinea würden sie anlegen um frischen Proviant an Bord zu nehmen. Nortwhny war aufgeregt, als er den Befehl zum Ablegen gab. Immer schon hatte er von diesem Augenblick geträumt, von einer abenteuerlichen Reise um die Welt. In diesen Augenblicken wurden seine Träume Wirklichkeit und er konnte es kaum glauben.
Das schlechte Wetter über Madeira blieb ihnen während ihrer Fahrt erhalten. Die See war stürmisch und die Enterprise kämpfte sich schwerfällig durch die Wellen. Kap Verde blieb vorerst unerreichbar, bei dieser See. Tim machte sich Sorgen, ob die Enterprise wirklich ausreichend überholt war. Der Bootskörper ächzte gewaltig unter der Last, die er ertragen musste. Murtagh hingegen war frohen Mutes und genoss die wilde Fahrt. Dass sie nicht so vorankamen, wie sie es sich gewünscht hatten, schien ihn nicht zu kümmern. Nach 10 Stunden schweren Seegang, beruhigte sich das Wasser. Der Himmel öffnete sich hier und da, und auch die Planken der Enterprise schienen sich zu beruhigen.
Sie waren vom Kurs abgekommen und mussten nun gegensteuern. Timothy gab seinem Steuermann die Befehle.
„Jetzt kann es endlich weitergehen.“, sagte er müde, als Murtagh neben ihn trat.
Der legte seine Hand auf Northwnys Schulter.
„Am besten du gehst in deine Kajüte und legst dich ab. Du hast die ganze Fahrt bis hierher noch keine Pause gemacht.“, Murtagh schaute ihn an. „Du siehst müde aus. Hab ein wenig mehr Vertrauen in das Schiff und komm zur Ruhe, mein Freund.“
Timothy war übermüdet, kein Zweifel. Er schaute noch mal über den Horizont und drehte sich dann zu seinem Freund.
„Ja, du hast recht. Ich gehe unter Deck. Übernimm du das Kommando und wecke mich spätesten in drei Stunden.“
„Verlass dich auf mich und schlaf dich aus.“
Tim ging zum Aufgang, der unter Deck führte. Er erreichte die Stufen gerade, als ein starker Ruck, gefolgt von einem Zittern das gesamte Schiff durchfuhr.
Einige Seemänner schlugen lang hin. Diejenigen, die sich irgendwo festklammern konnten, hatten mehr Glück. Alle schauten überrascht auf. Auch Tim´s Müdigkeit war sofort verflogen.
Die Enterprise schlingerte etwas und wurde entgegen der Kursänderung wieder in ihre ursprüngliche Richtung getrieben.
„Was ist da los?“, brüllte Northwny dem Steuermann entgegen.
„Käptn´, es ist das Steuerruder! Es scheint gebrochen zu sein.“, wie zum Beweis riss der Mann das Steuer erst nach rechts, dann nach links. Ohne jegliche Mühe ließ es sich in beide Richtungen drehen. Kein Widerstand ließ auf seine Funktion schließen.
Murtagh kam zu Timothy gerannt.
„Verdammt, was war das?“
„So viel zu: Hab ein wenig mehr Vertrauen in das Schiff.“, sagte Tim wütend.
„Das Steuerruder ist hinüber. Ich wusste, dass da was nicht stimmt.“
Murtagh sah finster drein. Es blieb nur eine Möglichkeit, sie mussten den nächsten Hafen auf den Kanaren anlaufen. Vielleicht würde der Wind, der ihnen zuvor den Weg nach Kap Verde versperrte, reichen, um die Enterprise dorthin zu führen.
„Die Kanaren liegen nahe, wir müssen den Wind nutzen und dorthin zurück. In Santa Cruz können die Bootsbauer bestimmt helfen.“
„Das wird ein schwieriges Unterfangen. Ein Ersatzruder haben wir nicht, wir müssen improvisieren.“, sagte Tim und machte sich auf mit den Männern zu reden. Er musste herausfinden, wer von Ihnen als Zimmermann Erfahrungen hatte.
Ein Mann namens Cotton trat vor. “Es gibt Probleme mit der Steuerung. Könnten Sie sich das mal ansehen, Mr. Cotten?”, fragte Tim.
“Natürlich, Sir”, antwortete dieser und nahm sich der Sache an. Tim begab sich auf die Brücke und lief ungeduldig auf und ab. Murtagh gesellte sich zu ihm. “In letzter Zeit läuft aber auch gar nichts glatt”, meinte er übellaunig. Tim nickte nur. Nach ungefähr einer Stunde kam Mr. Cotton die Stufen zur Brücke hoch. “Da ist nichts zu machen. Tut mir leid, Sir”, sagte er und hob bedauernd die Schultern.
“Verdammt!”, fluchte Tim. Murtagh stieß die Luft aus und sagte: “Bis Santa Cruz ist es nicht mehr weit. Mit etwas Glück und gutem Wind können wir es schaffen.”
“Steuermann, welcher Kurs liegt an?” “190°, Käpt’n! Wind aus 10°!”
“Los. Mister Miller, Segel trimmen. Holt Fock und Vormars ein. Die Klüver müssen weg. Vorbramsegel, Besan und Besantop bleiben, die brauchen wir zum Steuern. Je zwei Mann an alle Schoten an Backbord und Steuerbord. Wir müssen Teneriffa erreichen. An der Nordspitze vorbei zu kommen, das wird knifflig, bei dem Wind. Wir dürfen nicht zu nahe unter Land kommen, da gibt es viele Felsen.”
Miller, der Bootsmann, wiederholte die Befehle lautstark zur Mannschaft, die sich sogleich an die Umsetzung machte.
Jetzt waren navigatorisches und seemännisches Wissen und Geschick gefragt. Und ein ordentliches Quäntchen Glück könnte auch nicht schaden.
Widerwillig nahm die Enterprise den neuen Kurs an. Der Steuermann, ein sehr erfahrener Navigator, Miller, Tim und Murtagh behielten Kompass, Wind und Segel unter scharfer Beobachtung. Zum Glück wehte der Wind jetzt beständig und nicht mehr so stürmisch aus Nord zu Nordnordost. Trotz der reduzierten Segelfläche machten sie noch gute sieben Knoten und kamen Teneriffa stetig näher.
Zwei Männer waren als Ausguck vorne an Backbord und Steuerbord aufgestellt.
“Felsen voraus!”, brüllte der Backbordausguck, “das muss Fuera sein, dahinter sehe ich die Anaga-Felsen!”
“Steuermann, klar zur Halse! Wir müssen von den Felsen gut freihalten, sonst drückt uns der Wind darauf!” “Aye!”
“Fiert auf die Steuerbord-Schoten!” “Aye!” Die Schoten rauschten auf und schlackerten im Wind.
“Holt dicht die Backbord-Schoten!” “Aye!” Mit allen Kräften zogen die Matrosen an den Schoten, um Besansegel, Besantop und Vortop auf die andere Seite zu ziehen, da sie ja keine Steuerung hatten.
“Ruuuund achtern! Achtung, Baum kommt über!” “Aye, Aye!”
“Neuer Kurs liegt an, 160°!”
Das Manöver schien ewig zu dauern. Der Wind drückte das Segel in den alten Bug und die Sekunden, die es brauchte bis der Scheitelpunkt erreicht war, zogen sich unerträglich in die Länge. So viel Zeit dafür zu verstreichen schien, so plötzlich änderte sich alles schlagartig. Als der Wind das Segel von der anderen Seite traf, schlug dieses so plötzlich auf den anderen Bug, dass alle umstehenden Seemänner intuitiv den Kopf einzogen. Natürlich kannte jeder der Männer dieses Manöver, sich zu ducken wäre nicht nötig gewesen, dafür lag das Segel viel zu hoch. Aber eine gesunde Vorsicht lag ihnen im Blut und folglich war diese schnelle Reaktion nur ein Beweis dafür, dass es gute Seeleute waren.
Eine halbe Stunde später sah man die Roques de Anaga nur vom Heck aus und das Schlimmste war überstanden. Die waghalsigen Manöver mit der neuen Mannschaft hatten Tim und Murtagh überzeugt, dass sie mit den Männern keinen Fehler gemacht hatten. Santa Cruz war nicht mehr weit entfernt und Tim dachte darüber nach, ob er sich bei Emma blicken lassen sollte. Er hatte das Gefühl, sich bei ihr verabschieden zu müssen. Bevor er der diesseitigen Welt den Rücken kehrte, wollte er sie unbedingt noch einmal sehen.
Es dämmerte bereits, als sie den Hafen von Santa Cruz erreichten. Der Wind hatte merklich nachgelassen und so gingen sie etwas weiter draußen vor Anker. Tim überlegte, ob er heute Abend noch übersetzen sollte, um dem Riddler’s einen Besuch abzustatten, entschied sich jedoch dagegen. Er war völlig erschöpft und auch die Mannschaft musste sich erst einmal erholen. Er aß mit Murtagh zusammen zu Abend und zog sich danach zurück. Morgen stand ihnen ein anstrengender Tag bevor. Es galt, jemanden zu finden, der das Schiff so schnell wie möglich reparieren konnte. Auf dem Weg zu seiner Kajüte konnte er kaum noch die Augen offen halten. In dem Moment, als er die Tür öffnete, kam Thomas Cooper auf ihn zu.