“Aliena, Vater, es ist alles gut”, sagte Warlock. “Und eine lange Geschichte”, fügte Morgan hinzu und stellte eine seiner besten Flaschen auf den Tisch “Nun lasst uns miteinander anstoßen”, sagte er. “Und Frieden schließen”, fügte Aliena hinzu.
Jan verdrehte die Augen und ging wieder an Deck. Er hatte erstmal genug von schönen Geschichten.
Morgan stellte die Flasche ab und folgte Jan hinauf aufs Deck. Als er ihn eingeholt hatte, ergriff er ihn an den Schultern und drehte ihn etwas unsanft zu sich. “Junge, wir fühlen alle mit dir mit und es tut uns leid. Doch lass es jetzt gut sein. Wir leben, im hier und jetzt und das wollen wir feiern, wir alle gemeinsam. Komm also wieder mit nach unten. Du bist jetzt ein Teil unserer Familie”. Jan schaute den Kapitän verwundert an. “Das ist ein Befehl”, sagte Morgan und ging wieder nach unten.
Inzwischen war Francis wach geworden. Noch etwas schlaftrunken tastete er neben sich, aber Charlotte war nicht da.
Stimmengewirr und Gelächter aus Morgans Kabine verjagte die letzten Spinnweben. Rasch stand er auf und verließ nach kurzer Morgentoilette seine Kabine.
Eine der Stimmen konnte er nicht sofort zuordnen, obwohl sie ihm bekannt vorkam.
Er öffnete die Tür und hielt sie für Jan auf, der beladen mit Teepott und einem Teller Gebäck gerade aus der Kombüse kam.
“Francis!, Jan!” Charlotte stellte ihr Glas ab, nahm sich ein Stück Gebäck von Jans Teller, streichelte über seinen Arm “Schön das du wieder da bist”, sagte sie, dann nahm Francis an die Hand, zog ihn mit sich und sagte lachend “Papa, darf ich dir vorstellen. Lord Francis Fulton.” “Thomas?”, rief Francis erstaunt. Thomas lachte und klatschte vor Freude in die Hände, “Meine Charlotte und der junge Lord. Ich habe es gewußt, ich habe es immer schon gewusst”, rief er und nahm Francis in die Arme.
Jans Gebäck war schnell aufgebraucht. "Kinder, lasst uns zum Riddler´s gehen, schlug Morgan vor “Mein Magen knurrt, ich habe seit Tagen nicht mehr richtig gegessen und mir ist nach einem herzhaften Frühstück”.
Kapitel 51
Um diese Tageszeit war im Riddler’s normalerweise wenig los. Mozy stand im Keller und füllte einen Krug Wein ab. Plötzlich hörte er laute Stimmen und Gelächter. Er verschloss das Fass und stieg die Kellertreppe hoch. “Wer mag das wohl sein?” brummte er vor sich hin. Oben angekommen verfehlte er die oberste Stufe. Er wäre womöglich der Länge nach hingeschlagen, wenn Warlock und Antoine ihn nicht aufgefangen hätten. Warlock rettete den Krug und Antoine richtete ihn auf. “Attention monsieur!”, sagte er. Mozy sah sich erschrocken um. Doch als er sah, wer da alles vor ihm stand, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. “Frau, komm schnell. Du glaubst nicht, wer alles hier ist!”, rief er aufgeregt.
Emma war schon seit einer Stunde in der Küche und bereitete die Frühstücksgerichte vor: Porridge mit getrockneten Früchten und Nüssen, Eier mit Tomaten, Pilzen, Kippers und Hashbrowns, French Toast mit Erdbeeren, Pancakes mit Sirup und die Tagessuppe. Zusammen mit ihren zwei Küchengehilfinnen maß sie Zutaten ab, schnippelte Gemüse, hackte Früchte und Nüsse.
Zwischendurch gab es immer wieder einen großen Schluck aus ihrer Mug, starker schwarzer Assam mit einem Schuss Milch und einem Klümpchen Kandis. Und die Mundwerke gingen fast so schnell und geübt, wie die Messer der drei Frauen.
Sie hatte die Stimmen wohl gehört, aber Mozy war ja vorne und konnte die frühen Gäste in Empfang nehmen. Eigentlich hatten sie noch gar nicht geöffnet, das Schild im Fenster sagte ‘Closed’, aber die Tür stand immer offen. Daher kamen manchmal trotzdem Gäste herein.
Sie wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und ging durch den langen Flur nach vorne in den Schankraum.
Als sie am großen Spiegel vorbeikam, steckte sie noch schnell ein paar gelöste Haarsträhnen wieder fest, setzte ihr bestes Wirtinnenlächeln auf und schritt forsch in den großen und trotzdem gemütlichen Raum.
“Emma! Wir sind wieder da!”, rief eine junge Frau quer durch das Zimmer. “Und schau mal, wen wir alles mitgebracht haben!”
Emma kniff die Augen zusammen und blinzelte. Im Flur war es dämmerig, hier im Schankraum hatte Mozy alle Fenster zum Lüften aufgerissen. Die Sonne kam gerade erst aus dem Meer empor und tauchte alles in helles rosiges Licht, das geradewegs bis auf die Flaschen und Gläser hinter der Bar fiel.
“Charlotte? Und Warlock und Morgan! Wisst ihr, dass Thomas hier abgestiegen ist? Lord Fulton, ich freue mich, Sie zu sehen. Und Antoine!”, sprudelte sie fast ohne Punkt und Komma hervor.
Dann fiel ihr Blick auf die beiden jungen Frauen, die sich am Rand der Gruppe aufhielten und alle lachend und mit leuchtenden Augen beobachteten. Ihre Hand wanderte unwillkürlich in die Schürzentasche, in die sie vorhin das Küchenmesser gesteckt hatte. Geraldine, die Hure Don Pedros, stand da Arm in Arm mit einer Frau, die Don Pedro wie aus dem Gesicht geschnitten war. Zumindest, als er noch jung und gut aussehend gewesen war. Das musste seine Tochter sein. Was taten diese beiden hier, zusammen mit Charlotte, ihrer Familie und ihren Freunden?
Bevor sie noch etwas sagen konnte, hatten Warlock und Antoine je eine der Frauen umfasst und zogen sie mit sich, direkt auf sie zu. Erschrocken wich sie einen Schritt zurück.
“Emma, dürfen wir Dir vorstellen: Aliena de Herrera und Geraldine, die Du ja schon kennst. Antoine und ich haben …” Die beiden machten tatsächlich einen kleinen Knicks. Emma nickte verwirrt. “… in dieser wilden Geschichte auch unser Glück gefunden, stell Dir vor!”, fuhr Warlock fort.
Erstaunt registrierte sie, wie vertrauensvoll, ja, verliebt, die beiden Paare sich anblickten.
Kapitel 52
In Funchal regnete es. Schon seit Tagen kam mehr Wasser vom Himmel, als in den Monaten zuvor zusammen.
Die kleine Werft direkt neben der Garnison hatte kein Dach. Timothy Northwny hatte sich unter eine kleinen Überhang gestellt und betrachtete erfreut den Fortschritt der Arbeiten an der Brigg Enterprise, seinem ganzen Stolz, seiner Neuerwerbung. Vorgestern waren einige weitere Zimmerleute aufgetaucht, sie kämen auf Geheiß des Konsuls, hatten sie gesagt, und sich sofort in die Arbeit gestürzt.
Das Schiff hatte er günstig kaufen können und ein Termin in der Werft war auch frei gewesen. Dieses Wetter war nicht hilfreich. Alles tropfte, die Planken waren rutschig, es roch etwas modrig. Aber die Zimmerer wussten sich zu helfen. Sie hatten einige der größeren Segel als Regenschutz aufgespannt und kleine Kanonenöfchen in die Kabinen gestellt, um die Feuchtigkeit zu bekämpfen. In den Geruch nach Verfall mischte sich der kräftige Duft frischen Holzes.
Die Arbeiten gingen gut voran. Ein paar Tage würde es aber noch dauern, bis die Enterprise wieder seetüchtig sein würde. Vor allem am Heck mussten die Männer nochmal ran, die Aufhängung für das Ruder und der Ruderschaft hatten unter der langen Dümpelei im Hafen gelitten. Irgendwann musste auch eine Kollision mit einem anderen Schiff stattgefunden haben, davon zeugten tiefe Riefen und Splitterspuren.
Er wandte sich ab und ging wieder in die Garnison, letzte Schreibarbeiten warteten.
Er hängte seinen Mackintosh an den Haken in seinem Kontor und fing an, die Papiere zu ordnen.
Hufgeklapper und das Knirschen von Kutschenrädern auf dem Kopfsteinpflaster im Garnisonshof ließen ihn aus dem Fenster sehen. Der Konsul!
Was führte den denn bei diesem Wetter in die Stadt?
“Northwny, gut, dass ich Sie antreffe. Ich komme soeben vom Hafen, die Trafalgar ist gerade eingelaufen.” Er schnaufte und ließ sich in den Stuhl gegenüber dem Schreibtisch fallen. Northwny stellte zwei Gläser und eine Flasche Port auf den Tisch und schenkte ein.
“Gibt es Neuigkeiten aus London?”, fragte er neugierig. Der Konsul zog ein Couvert heraus und gab es ihm.
Northwny las den Brief. Der Konsul war indessen mit anderen Gedanken beschäftigt. Henry hatte sich vor dem Treffen mit Northwny und Murtagh in seinem geheimen Arbeitszimmer auf das bevorstehende Ereignis vorbereitet. Es waren beinahe 10 Jahre vergangen, als er mit mehreren hundert Liter Fässern seines besten Weines die Northumberland betrat und der “Majestät” auf der Reise nach St.Helena seine Aufwartung machte. Der ins Exil ziehende französische Kaiser zeigte sich großzügig und zahlte in Goldmünzen. Seither machte sich jedes Jahr ein Schiff mit der köstlichen Fracht auf den Weg und kehrte einige Monate später mit einer großzügigen Spende wieder zurück. Der von Krankheit geplagte Kaiser im Exil dankte ihm für seine Dienste und vertraute ihm ein Dokument an, das ihm auf seinen unzähligen Reisen in die Hände fiel. Es waren alte Aufzeichnungen eines Mannes namens Edward Davis, der seinerzeit eine spanische Schatzflotte überfallen und das Gold auf den Kokosinseln versteckt hatte. Neben den Tagebüchern lag umfangreiches Kartenmaterial bei, das zum Teil stark vergilbt und kaum noch zu erkennen war. Es musste sich um einen Schatz ungeahnten Ausmasses handeln. Er hatte Northwny und Murtagh damit beauftragt, diesen Schatz für ihn zu finden. Henry schreckte aus seinen Gedanken auf. Der Brief des Königs. Die Entlassungspapiere würden Northwny in Aufregung versetzen. Umso größer musste die Freude über das sein, was er ihm nun auf den Gabentisch legen würde.
Der Konsul lehnte sich jetzt zurück und beobachtete seinen jungen Kommandanten genau.
Northwny wurde blass. Unehrenhafte Entlassung, wegen Misserfolges der Mission? Ungläubig starrte er auf das Siegel des Königs: kein Zweifel, das war echt. Unehrenhafte Entlassung. Das Blut rauschte in seinen Ohren, die krakeligen Zeilen verschwammen vor seinen Augen. Erregt sprang er auf und lief mit hektischen Schritten hin und her. Der Konsul hob beschwichtigend die Hand.
“Das kam nicht unerwartet. Der König ist bekannt dafür”, sagte er in beruhigendem Tonfall. “Aber wir hatten ja schon Pläne angedacht. Haben Sie sich entschieden?”
Northwny zuckte mit den Schultern “Meinen sie den Schatz? Was kann das schon sein. Ich habe jetzt wirklich andere Sorgen, als ihre Hirngespinste.” Der Konsul lachte auf, entnahm das Tagebuch und die Karten aus dem Beutel und legte sie auf den Tisch. “Wir reden hier von einem Schatz von mehreren Millionen Pfund, mein Freund”.