„Scully, nimm ein paar Männer und geh zum Haupttor. Macht euch bemerkbar und verschafft euch Zugang. Ihr helft der Mannschaft im Inneren.“, Morgan lud seine Muskete, während er die Befehle gab. Die Mannschaft tat es ihm gleich und war bereit.
„Ich werde mit den anderen Jungs das seitliche Tor angreifen“
Scully verstand sofort. Er winkte seine Leute heran. „Ay, Käptn´. Viel Glück für euch.“, er nickte Morgan zu. „Los kommt, Leute.“
Die Männer verschwanden eiligst Richtung Haupttor.
Morgan lief seinen Männern voran, dem Kampflärm am Seitentor entgegen.
„Gut, Männer. Lasst sie uns in die Zange nehmen!“, brüllte er.
“Hoffentlich ist Warlock und Aliena nichts geschehen”, sagte Charlotte und blickte angstvoll zur Insel hinüber. Nachdem Francis ihr einen flüchtigen Kuss gegeben hatte, um mit Antoine der Mannschaft zu folgen, war sie außer sich vor Sorge. Geraldine indes hieb mit der Faust auf die Reling. “Da steckt mit Sicherheit Giacomo dahinter, dieses Ekel”, murmelte sie mit grimmiger Miene. “Wer ist das?”, fragte Charlotte. “Er war Don Pedro’s Diener. Ein widerlicher, alter Trottel. Ich konnte ihn noch nie leiden. Ich hatte gehofft, er wäre tot. Wahrscheinlich hält er sich nur aus purer Bosheit am Leben”, antwortete Geraldine. Als sie Charlotte’s angstvollen Blick bemerkte, nahm sie sie in den Arm und drückte ihr einen Kuss aufs Haar. “Mach dir keine Sorgen. Ich bin sicher, Morgan und die anderen kommen ihnen noch rechtzeitig zur Hilfe”, versuchte Geraldine Charlotte zu beruhigen.
Morgan war fast am Seitentor angekommen, als er Aliena’s Stimme vernahm. “Mehr hast du nicht dabei, du dreckiger Hurensohn”, schrie sie. “Komm nur her Giacomo, wenn ich mit dir fertig bin, verfüttere ich dich an die Schweine”, rief sie weiter.
Morgan grinste. Hinter ihm lachte Antoine auf und meinte: “Sie kommt offenbar auch ohne uns klar, non?” Sie stürmten weiter. Am Tor angekommen, verpasste Morgan einem abgerissenen Halunken eins über den Schädel.
Skully und die anderen waren weiter zum Haupttor gelaufen.
“Wir kommen von der Lale Andersen!”, brüllte er. Im rechten Flügel des Tores öffnete sich ein schmaler Schlitz, dahinter war ein Auge zu erkennen.
“Ich kenne die, die sind in Ordnung, lasst sie rein!”, rief Leons Stimme von drinnen.
Die Barrikaden wurden schnell beiseite geräumt. Das Tor öffnete sich und Scully betrat mit seinen Männern den Innenhof.
“Gut, dass Ihr da seid!”, wurde er von Leon und James begrüßt. “Dieser Giacomo ist völlig verrückt geworden!”
Skully nickte nur und fragte nach Aliena und Warlock.
“Hierher”, rief Warlock, der sich gerade mit zwei Angreifern ein Duell lieferte. Scully sprang zu Warlock hinüber und zog seinen Degen “Wie ich sehe, erfreut ihr euch bester Gesundheit”. “Ich kann nicht klagen”, rief Warlock und wich einem Hieb seines Gegners aus. “Ihr hattet guten Wind”, rief Warlock zu Scully hinüber, der einen Hechtsprung zur Seite machte und seinen Gegner mit einem gezielten Hieb niederstreckte, “Wir sind geradewegs über die See geflogen”, lachte Scully.
Warlocks Gegner geriet ins Straucheln, stolperte und fiel rücklings auf den sandigen Boden “Ergibst du dich?”, Warlock trat an den Banditen heran und setzte ihm die Klinge an die Kehle. “Ich ergebe mich”, war die kleinlaute Antwort des Halunken, die im Lärm und Geschrei des Kampfes beinahe unterging.
Scully klopfte Warlock freundschaftlich auf die Schulter. “Schön dich zu sehen”.
Mit der Verstärkung konnten die Angreifer nun von allen Seiten bekämpft werden. Der bullige Anführer mit den öligen Haaren erkannte die ausweglose Lage und rief den kläglichen Rest seiner Mannschaft zum Rückzug. Giacomo protestierte. Er hatte es bis ins Innere des Anwesens geschafft. Er hatte eine Wache niedergestochen und versuchte über eine der provisorisch angebrachten Leitern einen Mauervorsprung zu erklimmen.
Im gleichen Augenblick, als er mit einem Fuß bereits auf der hohen Mauer stand und nach unten blickte, sah er Aliena. Giacomo erhob seinen Degen. Sie sahen sich in die Augen. Aliena packte die Leiter und kippte sie zur Seite. Giacomo trat ins Leere. Er verlor den Halt. Im Rausch der Droge erhob er seine Schwingen, fühlte sich wie ein Adler der durch die Lüfte schwebte, sich auf seine Beute stürzte. Er haftete sich an Alienas Blick, jeden Augenblick würde er sich auf sie stürzen, ihren Körper fassen, mit einem festen Griff und sich mit seiner Beute in den Fängen mit starken Flügelschlägen wieder in die Lüfte erheben. Dann schlug er auf den Boden auf und blieb regungslos liegen. Aliena beugte sich über den leblosen Körper. Giacomo war Tod. Er hatte sich beim Sturz das Genick gebrochen.
Der Innenhof des Anwesens glich einem Schlachtfeld. Es gab Verletzte und Tode. Die Wachen nahmen die überlebenden Gefangenen in Gewahrsam. Die Bediensteten und jeder der zur Verfügung stand versuchte nun das Feuer zu löschen, das sich über den Schuppen auf das Haupthaus ausgedehnt hatte. Einige wenige Banditen konnten entkommen. Morgans Männer hatten ein paar zurückgelassene Pferde eingefangen und machten sich auf die Verfolgung. Morgan und seine Familie versammelten sich am Haupttor. Bis auf ein paar Kratzern ging es allen gut.
Aliena sah auf das brennende Haus. Tränen rannen ihr über das Gesicht. Auf der Überfahrt hatte sie lange darüber nachgedacht, wie sie das Erbe ihres Vaters antreten sollte, sie konnte es sich kaum vorstellen mit Warlock hier zu leben, eine Zukunft aufzubauen, mit dieser Wahrheit über ihren Vater. Nun würde von Don Pedro´s Vermächtnis nichts weiter als ein Häufchen Asche übrig bleiben. Sie fühlte einen Schmerz und war sich nicht sicher, ob es ein Schmerz der Trauer oder der Erleichterung war.
Warlock nahm Alienas Hand. “Wir bauen es wieder auf. Das hier wird unser Zuhause, unsere Heimat sein”. Aliena drehte sich zu Warlock, nahm ihn in den Arm und küsste ihn “Ich liebe Dich”. “Und ich liebe Dich”.
Aber noch gab sie nicht auf, noch war nicht alles verloren. Sie blinzelte die Tränen weg und versuchte durch den Rauch zu erkennen, wie weit das Feuer übergegriffen hatte.
“Schnell, bildet eine Kette zum Brunnen! Noch brennt nur der Küchenanbau! Los, los, los, schnell!”, schrie sie aus vollem Hals und musste prompt husten.
Dann rannte sie los “Wir müssen eine Eimerkette bilden”, rief sie. Warlock sah zu den anderen, zuckte lächelnd mit den Schultern “Sie ist eben eine Kämpferin”. Dann schlossen sie sich Aliena an und versuchten zu retten, was noch zu retten war.
Einige Stunde später fanden sich alle wieder, erschöpft, mit rußgeschwärzten Gesichtern und Schwielen an den Händen. Schuppen und Scheune waren bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Das Haupthaus war bis auf wenige Schäden erhalten geblieben.
Morgan saß auf dem Boden, mit einem dünnen Aststück zeichnete er einen Grundriss in den Sand. Warlock schaute ihm fasziniert zu. “Opa, was machst Du?”, fragte er neugierig. “In jungen Jahren wollte ich Zimmermann werden. Das ist das Herrenzimmer”, antwortete Morgan und schaute lächelnd auf, “hier wirst du mich in Zukunft mit einem guten Gläschen Port empfangen”.
Kapitel 49
Ein ältester aus dem Dorf versprach Aliena, mit den ersten Aufräumarbeiten zu beginnen und die Bediensteten bis zu ihrer Rückkehr zu versorgen.