Skully gewahrte eine Gestalt, die sich langsam und schleppend näherte.
Warlock und Aliena fuhren auseinander, als Skully mit ein paar Männern nach vorne eilte. “Was ist da los?”, fragte Warlock und lief mit Aliena an der Hand hinter den Männern her.
Skully kniff die Augen zusammen, aber er konnte nicht erkennen, wer das war.
“Warlock, Aliena”, rief er leise nach hinten, “da schleicht sich jemand an!”
In diesem Moment riss die Wolkendecke auf und der Mond tauchte den ganzen Hafen in silbernes Licht.
Die Gestalt auf dem Kai taumelte einen letzten Schritt, brach dann zusammen und rührte sich nicht mehr.
“Kommt. Sehen wir nach. Vielleicht braucht der Mann unsere Hilfe”, sagte Skully.
“Vielleicht nur ein Besoffener”, meinte Skully dann verächtlich, aber Aliena hatte den wirren Haarschopf ihres Vaters erkannt.
“Nein, das ist mein Vater! Das ist Don Pedro!”, rief sie aufgeregt.
Die Deckswache ließ die Gangway herunter. Aliena rannte als erste von Bord, Warlock und drei weitere Männer folgten ihr schnell, um für ihre Sicherheit zu sorgen.
Mit wenigen Schritten hatte sie die Gestalt am Boden erreicht.
“Vater, Vater”, rief sie aufgeregt. Don Pedro zuckte kaum merklich, als sie ihn umdrehte und in sein geschundenes Gesicht blickte. “Aliena? Bist du das?”, fragte er kaum hörbar.
“Es ist wirklich mein Vater! Warlock, hilfst du mir?”
Warlock kniete sich ebenfalls neben die Gestalt. Ungeachtet des strengen Gestanks, den er verströmte, richtete er ihn auf.
“Aliena, meine geliebte Tochter, was tust du hier?”, flüsterte er so leise, dass sie ihn kaum verstand. “Das sind doch meine Erzfeinde …”
“Ach, Vater. Ich habe hier meinen Seelenverwandten, meine Liebe gefunden. Da kann ich und will ich nichts gegen tun, das ist so wundervoll!”
Don Pedro erstarrte für einen Moment, dann brach seine ganze Wut in sich zusammen. Der tiefe Groll, den er so lange mit sich getragen hatte, floss aus ihm heraus wie eine Sturzflut. Seine Tochter, das letzte seiner Kinder, das ihm geblieben war, hatte es mit diesen wenigen Worten bewirkt, dass seine Rachegelüste, die ihn bis zuletzt aufrecht gehalten hatten, verflogen wie Rauch im Wind.
Als die Anspannung nachließ, zog sich der eiserne Ring um seine Brust noch enger zusammen. Das Atmen fiel ihm noch schwerer, seine Arme und Beine spürte er nicht mehr. Nur einmal kurz die Augen schließen, er fühlte einen kalten Hauch über sein Gesicht streichen.
“Aliena …”
Sein Gesicht war wie erstarrt, er konnte die Lippen nicht mehr bewegen. Das Ausatmen war eher ein Seufzer, dann lag er still.
“Vater? Vater!”, rief Aliena mit Panik in der Stimme. “Warlock, was ist mit ihm? Wir müssen ihm helfen!”
Er hielt den alten Mann immer noch aufrecht, aber der Körper hatte keinerlei Spannung mehr. Er fühlte nach einem Puls, konnte nichts mehr spüren. Don Pedro war tot.
Lange Zeit hockten sie einfach nur da, Aliena weinte still an der Schulter Warlocks, neben dem Kopf ihres Vaters den Warlock immer noch in den Armen hielt.“Hast Du es gesehen?” schluchzte sie. Sie richtete sich auf und wischte ihre TRänen mit dem Saum ihres Ärmels weg.
“Er hat mich angelächelt, so wie früher, als ich noch klein war.” Ihr Körper wurde erneut von einem Schluchzen erschüttert.
“Vater…”
Warlock sah sie liebevoll an und nickte. Er hatte nicht wirklich gesehen das Don Pedro gelächelt hatte, aber er wirkte im letzten Moment seines Lebens tatsächlich friedlicher. Unglaublich das gerade er, Don Pedro, der ihnen das Leben zur Hölle gemacht hatte im letzten Augenblick seines Daseins, vielleicht doch noch Frieden mit sich und der Welt geschlossen hatte. Fast tat es ihm leid das er nicht wirklich die Chance hatte sich noch mit Aliena auszusprechen.
“Jetzt reicht’s.” El Torso sprang wütend auf. Er, Leon und James hatten alles von dem Schuppen, in dem sie sich seit der Flucht versteckt hatten, beobachtet. Sie waren davon ausgegangen, dass ihr Patron es nicht geschaft hat. Weshalb sie sich nicht mehr nach ihm umgedreht hatten. James packte ihn am Arm. “Lass ihn. Wenn du jetzt raus gehst, schnappen sie dich.”
Leon saß betreten auf der Erde und wischte sich verstohlen eine Träne ab.
James fuhr fort: “Wir halten uns an unseren Plan, auf dem nächsten Schiff anzuheuern, dass von hier nach Europa fährt. Versuchen wir dort unser Glück.” El Torso setzte sich wieder und starrte finster vor sich hin.
“Ich will Rache!” grollte er finster.
„Lass uns lieber überlegen wie …“, doch weiter kam James nicht. El Torso richtete sich auf und schob James beiseite. Erschrocken blickte Leon hoch.
„Was hast du vor?“, fragte er den Freund noch, doch der war schon aus den Schuppen auf die Hafenstraße getreten.
James sprang hinterher, „Was soll das, willst du uns alle zurück in den Knast bringen?“
Er lief neben dem Riesen her und versuchte ihn mit beschwichtigenden Handbewegungen zum Umkehren zu bringen. Auch Leon ging den beiden hinterher.
„Lass mich in Ruhe. Du hast nicht so lang wie ich für die Herreras gearbeitet. Und Don Pedro nicht helfen kann, dann zumindest Aliena.“, El Torso blieb kurz stehen und blickte James unmissverständlich an.
„Wenn du mich aufhalten willst, fängst du dir eine ein. Also denk gut darüber nach, was du als Nächstes tust.“, drohte er.
James und Leon tauschten Blicke. Leon zuckte mit den Schultern. Dann riss James hilflos die Arme in die Höhe.
„Herrgott noch mal! Gut. Dann lasst uns eben gemeinsam ins Verderben rennen.“
So gingen sie unauffällig weiter zur Lale. Kurz bevor sie am Landungssteg ankamen, ergriff James ein letztes Mal das Wort.
„Aber lass mich reden, du dämlicher Kerl. Vielleicht haben wir so noch eine Chance, nicht gleich massakriert zu werden.“
An Bord der Lale wurde man schnell aufmerksam auf die drei unterschiedlichen Gestalten. Als sie sich auch anschickten, über den Landungssteg an Bord zu kommen, rief der Wachhabende sofort nach Skully und zog vorsichtshalber den Hahn seiner Pistole zurück.
Skully, noch grübelnd in die Seekarten vertieft, hörte den Lärm, der sich draußen breitmachte. Als Jan an die Tür klopfte fuhr herum.
„Ja, was ist denn jetzt schon wieder los?“
„Skully, du musst raus kommen! Schnell. Drei von Don Pedros Männern wollen an Bord kommen. Sie wollen mit Aliena sprechen.“
„Ich wusste, das diese Verbindung zwischen den beiden Turteltauben nur Ärger bringen kann.“
Er stürmte an Jan vorbei und kontrollierte im Gehen noch seine Waffe.
„Hol die Verliebten sofort an Deck! Ich will hier keinen Ärger an Bord. Sollen sie mit Aliena sprechen. Vielleicht läuft dann alles noch glimpflich ab. Und beeil dich, los!“
Jan nahm die Beine in die Hand und stürmte zu Warlocks Kabine.
Skully hörte ihn noch rufen. „Warlock, Warlock! Aliena! Ihr müsst sofort an Deck kommen.“