“Ich wüsste nur zu gern, ob Don Pedro fliehen konnte, oder ob er sich bereits in einem Massengrab befindet”, sagte Francis zu Antoine. “Wenn er es geschafft 'at, erfahren wir es sischer bald, mon ami.” Antoine lehnte mit verschränkten Armen an der Wand und sah Francis zu, der seinen Cut anzog und den Kragen richtete.
Seit dem Gefängnisaufstand herrschte hecktische Betriebsamsamkeit. Wie aufgeschreckte Hühner rannten die Briten und die Soldaten des Konsul’s umher, um nach den Flüchtenden zu suchen. Aufgrund der unsicheren Lage, hatte der Konsul Francis und Charlotte seine Equipage zur Verfügung gestellt. Jan klopfte an die Kajütentür. “Die Kutsche ist da, Mylord.”
An Deck trafen sie auf Geraldine und Charlotte. Francis blieb der Mund offen stehen, als er seine Verlobte erblickte. Sie trug ein tief ausgeschnittenes Kleid aus grüner Seide, dass ihr Dekollté zur Gegeltung brachte. Und mit den hochgesteckten Haaren, bot sie einen überaus eleganten Anblick. “Ah. Très chic”, rief Antoine und hauchte ihr einen Kuss auf die Hand. Francis klappte den Mund zu und bot Charlotte den Arm. “Ich glaube, ich brauche dir nicht zu sagen, wie wunderschön du aussiehst”, sagte Francis bewundernd. Lächelnd legte Charlotte ihre behandschuhte Hand auf seinen Arm, um sich zur Kutsche geleiten zu lassen.
Zur selben Zeit machten sich Timothy und Murtagh auf den Weg zum Empfang. Während der Übersetzung von der Beagle zum Kai, schimpfte Tim unentwegt vor sich hin. “Diese verblödeten Idioten schaffen es nicht einmal, ein Dutzend Gefangene im Zaum zu halten. Dieser Kommandant ist ein rechter Hanswurst, wie mir scheint.” Murtagh hörte nur mit halbem Ohr zu. Er sah sich schon mit einem Glas in der Hand mit den Damen flirten. Hörte die Musik, sah die glänzenden Kerzenleuchter vor sich und das köstliche Essen, dass es bestimmt geben würde. Und zum Teufel, wenn er es nicht schaffen würde, mit Charlotte zu tanzen. Seit er sie zum ersten Mal gesehen hatte, ging sie ihm nicht aus dem Kopf. Jedes mal, wenn er an sie dachte, beschleunigte sich sein Pulsschlag. Sicher, die Umstände, unter denen sie sich begegnet waren, waren nicht die Besten, denn Tim’s Gespräch mit ihr war äußerst unbefriedigend gewesen.
“Was ist, Murtagh, träumst du?”, fragte Tim. Er stand schon auf dem Kai und hielt ihm die Hand hin. Murtagh schlug in die Hand ein und ließ sich von seinem Freund an Land ziehen.
„Mr. Skully Sir“ der Matrose wirkte äußerst verlegen.
„Was gibt es denn Matrose?“
„Naja, Sir die Jungs und ich, naja nicht alle aber ein paar von uns, naja wissen sie…“
„Ne, weiß ich nich. Was denn Junge?“
Der Junge Matrose wurde puterrot und stotterte weiter. „Naja wissen sie noch dien Ansprache von Kaptain Morgan?
Das ist jetzt schon so lange her. Und nun liegen wir hier vor Anker und da ist heute dieser Schoner eingekommen. Der legt morgen Abend mit der Flut ab. Der fährt direkt nach Hamburg.“ stotterte er und knetete verlegen seine Mütze.
„Du willst mich also fragen ob ihr anheuern könnt?“
„Ich wollte das nich fragen nicht. Aber ich habe den kürzesten Strohhalm gezogen.“
Er wand sich unter dem prüfenden Blick von Skully.
Skulls schnaufte, das hatte gerade noch gefehlt. Er hatte auch schon an die Ansprache von Morgan denken müssen. Aber seine Loyalität galt Morgan. Einer musste das Schiff ja am laufen halten.
„Ich gebe euch morgen früh Bescheid. Wer will denn alles von Bord?“
Der Matrose zählte ihm die anderen auf. 8 Mann. Keine wichtigen Positionen aber auch kein Pappenstiel.
Er stapfte grummelnd fort.
„Jan“ brüllte er.
Die Equipage war sehr bequem und Charlotte kostete die Fahrt zum Anwesen des Konsuls in vollen Zügen aus. Sie zog einen Handschuh aus und fuhr genießerisch mit der Hand über die feinen Lederpolster. Die Federung war so weich, dass die Unebenheiten der Straße zur Quinta Jardim da Serra auf dem Hügel einfach geschluckt wurden. Francis lächelte nachsichtig und freute sich an ihrem offensichtlichen Vergnügen an der Fahrt.
Viel zu schnell waren sie auf der Quinta angekommen. Ein Lakai öffnete den Schlag, stellte eine Trittstufe hin und bot ihr den Arm, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. Sie dankte ihm, und da kam auch schon Francis, um sie ins Haus zu führen.
Das ganze Foyer war hell erleuchtet, mehrere Kronleuchter erstrahlten hell. Gläser klirrten leise, Musik erklang dezent aus einem Nebenraum und das Stimmengewirr der zahlreichen Gäste hatte bereits ein Volumen erreicht, dass man die eigene Stimme erheben musste, um sich verständlich zu machen. Die Garderobe der Damen leuchtete in allen Farben und der Schmuck funkelte mit den Kristalllüstern um die Wette.
Der Master of Ceremonies nickte Francis zu und stieß seinen Stab auf den Boden. “Lord Francis Fulton of Brighton, Sussex, und Lady Charlotte.”
Gemessenen Schrittes traten sie vor und wurden sogleich herzlich vom Konsul begrüßt.
“Lord Francis, Lady Charlotte, ich bin entzückt. Kommen Sie, hier entlang, ich stelle Sie gleich ein paar wichtigen Persönlichkeiten vor.” Schon hatte er sich wieder abgewendet, um die nächsten Gäste willkommen zu heißen.
Francis musste sich das zu offensichtliche Grinsen verkneifen, dieses Gehabe erinnerte er noch zu gut aus seiner Zeit in London.
Die meisten Gäste waren gutbetuchte Engländer, Weinhändler und einheimische junge Frauen. Francis flüsterte Charlotte ins Ohr “Es wird gemunkelt, das er auf dem Dach seines Hauses verschiedene Fahnen hisst, je nachdem, welche Geliebte er zu sich wünscht”.
Die Reihenfolge der gegenseitigen Vorstellungen und Begrüßungen verlief nach einem stillen, jedoch festen Ritual. Francis hielt nicht viel von dieser Etikette und zog sich mit Charlotte ein wenig aus der Menge zurück. Charlotte ging hinaus auf die Terrasse, während Francis zwei Gläser des vorzüglichen Weines zu ergattern versuchte, den der Konsul speziell für seine Gäste ausschenkte.
“Lady Charlotte, was für eine angenehme Überraschung. Sie sehen einfach bezaubernd aus”. Charlotte sah erstaunt auf den Offizier in seiner eindrucksvollen Uniform “Timothy Northwny”, sie streckte ihre Hand und der junge Offizier gab ihr mit einem höflichen Handkuss die Ehre.
“My Lady”, begann Northwny “ich entschuldige mich in aller Form für mein ungebührendes Auftreten, das ich ihnen auf der Lale entgegengebracht habe. Es lag nicht in meiner Absicht, sie auf irgendeine Weise einer Sache zu bezichtigen, geschweige denn sie auf irgendeine Weise in ihrer Person zu verletzen”. Charlotte winkte charmant lächelnd, doch innerlich beunruhigt ab. “Es ist schon wieder gut, Timothy”. Sie schaute sich um. “Was für eine wundervolle Aussicht?, nicht wahr?”, wo blieb nur Francis?
Northwny bewegte seine Hände, wie ein Dirigent zur Sinfonia concertante. “Was für eine wundervolle Melodie”, antwortete er.
Charlotte lauschte den beiden Violinen. Ihr Herz erfüllte sich plötzlich. Woher kannte sie nur diese Melodie? Es war wie ein Gefühl von Wärme, von Fürsorge. Es war wie ein Gefühl von Heimat, von Geborgenheit, Sicherheit. Sie sah sich in der Stube von Mozy und Emma sitzen. Es war Frühling, Mozy nahm seine Violine aus dem Koffer und erzählte von seiner Zeit aus Deutschland und Österreich, seiner Leidenschaft zur Musik und seinen Konzerten. “Charlotte?”. Francis, endlich, dachte Charlotte. Francis reichte Charlotte ein Glas, “Mit den besten Empfehlungen vom Konsul”, sagte er und küsste Charlotte auf die Wange.
„Guten Abend, Lieutenant Northwny. Danke, dass sie sich während meiner Abwesenheit um Miss Charlotte gekümmert haben.“ , Francis grinste Northwny breit an.
„Keine Ursache, Lord Fulton. Es war mir ein Vergnügen. Miss Charlotte.“, Timothy verbeugte sich, nickte Francis zu und machte auf dem Absatz kehrt.
Charlotte sah ihm hinterher. Francis nahm einen Schluck Wein und schaute über das Anwesen.
„Er ist eigentlich sehr höflich, wenn auch etwas aufdringlich.“, Charlotte drehte sich zu Francis, der sich nicht von dem Blick über den Garten abwendete.
„Sollte seine Aufdringlichkeit überhandnehmen, werde ich ihn in seine Schranken verweisen.“, knurrte er.
„Bist du etwa eifersüchtig?“
Francis blickte sie an. „Und wenn ich das wäre?“, er schmunzelte. Francis blickte ihr tief in die Augen und hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen. Charlotte erwiderte seinen Kuss heftiger, als er erwartet hätte und sank in seine Arme.
„Ach, Francis. Wenn wir doch alles hinter uns lassen könnten. Nur du und ich. Irgendwo allein, ohne all die Sorgen.“
„Das werden wir, mein Augenstern. Das werden wir. Hab noch etwas Geduld.“, flüsterte Francis und küsste sie erneut.
Eine Weile standen sie da und genossen träumerisch den Ausblick, jeder still für sich. Die Musik aus dem Tanzsaal schwoll an und Charlotte begann mit dem Takt zu wippen. Sie ergriff seine Hand.
“Ich möchte mit dir tanzen.”, hauchte sie.
Francis schaute sie nachdenklich an. Dann fing er etwas umständlich an, in seinen Taschen zu kramen. Charlotte sah interessiert zu und wunderte sich ob der noch fehlenden Antwort.
Francis´ Augen bekamen einen strahlenden Glanz, er schien fündig geworden zu sein.
Eine silberne Bernsteinkette lag in seiner Hand und mit rauher Stimme sagte er: “Ich möchte gern mit dir tanzen, aber zuerst habe ich noch eine Frage.”
Charlotte wurde ganz weich in den Knien, zitterte leicht, weshalb Francis nach ihrer Hand griff und langsam die Kette mit dem filigranen Silberanhänger in ihre Handfläche legte.
“Willst du meine Frau werden? Willst du mit mir in die Kolonien gehen und ein neues Leben anfangen? Ich weiß, die Kette ersetzt keinen Ring. Aber ich warte schon so lange darauf, sie dir zu schenken. Und bevor es wieder unmöglich wird, möchte ich es jetzt tun, denn ich …”
“Still, mein Lieber, sei still.”, unterbrach sie ihn und legte einen Finger auf seine zitternden Lippen.
“Ich will, Francis. Das wollte ich immer!”, sie hauchte ihm einen Kuss auf den Mund.
“Ich bin deine Frau und ich gehe mit dir nach Übersee.”
Sie schauten sich an. Ein Lächeln umspielte ihrer beider Lippen, die Augen strahlten.
Francis nahm sie erneut ihn den Arm. Endlich! Seine Charlotte.
“Lass uns tanzen, Augenstern. Lass uns den Beginn unseres neuen Lebens feiern!”, er nahm sie bei der Hand. Lachend schritten sie in den Saal, wo die Musik nun lauter spielte und sich die tanzende Menge zu den Klängen eines Walzers von Lanner ausgelassen wogte.
Kapitel 41
Don Pedro musste eine Pause einlegen und lehnte sich an eine Wand, die Beine drohten wieder jeden Moment nachzugeben. Langsam, ganz langsam kehrten einige Lebensgeister zurück.
Sein Schädel brummte noch immer, aber es war jetzt ein dumpfer Schmerz, den er ignorieren konnte.
Wieder drang Möwengeschrei an seine Ohren.
Weiter, er musste weiter.
Die engen Gassen der Altstadt schienen noch enger zu werden, sein Blick verengte sich tunnelartig.
Schon die langsame Geschwindigkeit brachte ihn außer Atem, und sein Brustkorb wollte sich gar nicht mehr beim Luftholen ausweiten. Ein eiserner Ring legte sich um seinen Körper.
Der Gedanke, im Hafen Aliena zu sehen, ließ ihn immer noch einen Schritt weiter gehen.
Endlich, die Gasse weitete sich und mündete auf die Hafenpromenade.
Nur noch ein paar Meter, ein paar Schritte!
Er wandte sich nach rechts, wo er im Schein der wenigen Lichter gerade noch drei Schiffe am Kai ausmachen konnte. Das erste kannte er nicht, das zweite war die Aurelia, auf deren Deck immer noch die Engländer Wache hielten.
Noch ein Stück weiter lag die Lale Andersen, das Schiff von Morgan Herold und Fulton, seinen Erzfeinden.
Die rasende Wut, die ihn die letzten Tage und Wochen beim Gedanken an die beiden immer wieder gepackt hatte, trieb ihn die letzten Schritte voran.
Die Gangway der Lale war hochgezogen, auch auf ihrem Deck patrouillierten Wachen. Auf dem Achterdeck nahm er zwei eng umschlungene Gestalten wahr. Aliena und dieser Warlock, Morgans Enkel?