Cooper schaute sich in der Kajüte um. “Wenn sie den Boden nicht gewischt haben, Sir und wir keine Klabautermänner an Bord haben, vermute ich, das uns noch jemand behilflich war”.
“Nein Cooper, habe ich nicht.”
„Wir sollten dringend erfahren, wer das war. Ist´n ungutes Gefühl. Derjenige könnte uns auch erpressen.“, Cooper schaute unruhig zur Tür zurück.
„Kümmern sie sich bitte darum, Cooper. Finden sie raus, wer uns da hilft und was er damit bezweckt. Ich werde in der Zwischenzeit darüber nachdenken, wie wir weiter vorgehen.“
Das kam dem Matrosen recht.
„Ay, Mister Northwny. Ich mische mich unter die Mannschaft, werd´s rausfinden.“
Wenig später ging Cooper über das Deck. Er postierte sich am Großmast, nahm sich eines der herumliegenden Seile und wickelte es ordentlich auf. Die Männer verhielten sich wie sonst auch, niemand fiel ihm auf. Als er nach dem nächsten Seil griff, ging Brian Steward an ihm vorüber. Kurz trafen sich ihre Blicke. Während Cooper ihm zunickte, hatte Steward Schwierigkeiten ihm in die Augen zu schauen.
Cooper ließ das Seil fahren.
„Mister Steward, auf ein Wort!“
Er bat Brian nach unten und klopfte an die Kapitänskajüte. “Herein”, rief Timothy. Er sah nicht sofort auf, sondern schrieb noch den letzten Eintrag ins Logbuch zu Ende. Als er aufsah, war er überrascht, Brian Steward zu erblicken. Tim klappte das Buch zu, legte die Feder zur Seite und lehnte sich zurück. Die Spannung im Raum war mit Händen greifbar. Geraume Zeit sagte niemand etwas. Cooper gab Steward einen Stoss. Brian räusperte sich und sagte: “Nun ich, ich war nochmal unten Sir, während des Sturms, um mir meinen Mantel zu holen. Die Tür zu ihrer Kajüte war offen und der Tisch war umgefallen. Ich ging hinein, um die Seekarten aufzuheben und alles andere… - er hielt kurz inne - … und dann war mir klar, was vorgefallen war.”
Er verstummte. Northwny und Cooper starrten ihn schweigend an.
“Tja, dann müssen Sie mich wohl ab jetzt besser behandeln”, sagte er nonchalant mit einem näselnden Unterton. “Sir”, fügte er nach einer kleinen Pause noch hinzu.
Northwny sog zischend die Luft ein. Auch Cooper war von dieser neuen Wendung nicht sonderlich begeistert.
„Das was Mister Stewart passierte, kann jedem passieren.“, brummte er.
„Cooper! Reißen sie sich zusammen.“, erwiderte Northwny ungehalten. Brian hatte den Bogen zur Unzeit überspannt und nach Coopers Bemerkung konnte er das nicht einfach hinnehmen.
"Was Mister Cooper meint, Mister Stewart, ist Folgendes: Sie stehen jetzt an unserer Seite. Die Situation ist zu kompliziert, als das sich irgendjemand die kleinste Eskapade leisten könnte. Ist ihnen das klar?“
Brian nickte.
„Ich will von ihnen nie wieder auch nur den Ansatz einer Forderung hören. Wir arbeiten zusammen in dieser Lage. Alles Weitere bleibt wie gehabt. Ich habe das Kommando und ich werde weiterhin nicht zimperlich sein, sollten sie querschießen.
Wenn sie damit einverstanden sind, können wir jetzt das weitere Vorgehen besprechen. Irgendwelche Einwände?
„Nein, Sir“, antwortete Brian kleinlaut.
„Mister Cooper?“
„Ganz wie sie meinen, Lieutenant Northwny!“, vermeldete ein schmunzelnder Cooper.
„Gut. Als erstes möchte ich den Nachfolger von Mister Stewart sprechen. Brian, veranlassen sie das bitte. McKinnley soll morgen um zwei Uhr nachmittag von der Victorious zu einem Treffen übersetzen.“
„Ay, Sir! Wird erledigt.“, Brian salutierte.
„Das ist erstmal alles, Stewart. Sie dürfen gehen.“
Der Fähnrich salutierte erneut, drehte sich etwas zu zackig um und ging. Northwny starrte auf die geschlossene Kajütentür.
„Mister Cooper, ich wäre ihnen dankbar, wenn sie mit ihren Äußerungen etwas bedachter umgehen würden. Verstehen sie mich nicht falsch, meine ehrliche Meinung zu diesem Ensign Stewart geht über ihre Erwiderung vorhin hinaus. Nur nützt uns das erstmal nichts.“
„Schon recht, Sir. Beim nächsten Mal werde ich mich in der Gewalt haben.“, erwiderte Cooper.
„Wie gesagt, eigentlich haben sie mir aus dem Herzen gesprochen. Nun, wie machen wir weiter.“, Timothy brauchte eine Pause, mußte die nächsten Schritte überdenken. Eine Maßnahme dazu war das morgige Gespräch mit McKinnley. Er wußte das dieser Schotte selten einer Meinung mit seinem ehemaligen Vorgesetzten war. Wen wunderte es, Smarty Steward war wohl nirgends ein gemochter Zeitgenosse. Er musste das Gespräch abwarten, sehen was sich daraus ergab. Vielleicht ein weiterer Verbündeter? Timothy schaute Cooper an.
„Sir?“, fragte dieser.
Ein guter Mann, dachte Northwny.
„Cooper, wir reden morgen nach dem Treffen mit McKinnley. Ich muss wissen, wie dieser Mann mit seinem neuen Posten umzugehen gewillt ist. Sobald Mister McKinnley die Beagle verlassen hat, kommen sie bitte zu mir.“
Cooper nickte und machte Anstalten zu gehen. Schon in der Tür, drehte er sich noch mal um.
„Soll ich Brian Stewart im Auge behalten, Sir?“
Northwny blickte auf.
„Gute Idee, Cooper. Machen sie das. Aber bitte unauffällig!“
„Können sich auf mich verlassen, Sir!“, Cooper schloß die Tür hinter sich.
Kapitel 33
Im Hafen von Arrecife waren Aliena, Leon und El Torso gerade dabei, die Seeleute zu mustern. Aliena stemmte die Hände in die Hüften und schritt die Reihe der abgerissenen Männer entlang. El Torso und Leon grinsten sich an, wie Aliena die Männer generalstabsmäßig musterte. Dann nickte sie. Alles weitere überließ sie Leon und El Torso. Aliena begab sich in eine nahe Taverne und bestellte sich Wein. Sie öffnete ihren Fächer, um die heiße Luft zu vertreiben, und beobachtete die Männer die nacheinander an Bord gingen.
Um Proviant würde sie sich am frühen Morgen kümmern. Waffen und Munition und sonstige Ausrüstung würden sie weiter nördlich in Orzola beschaffen. Rafael hatte einen ihr bekannten Namen aufgeschrieben. Diego Ramirez. Aliena hatte schon mehrmals mit Diego Geschäfte gemacht. Bei diesem Mann war äußerstes Fingerspitzengefühl gefragt.
Don Pedro würden sie an Bord holen, sobald er wieder einigermaßen auf den Beinen war. Sie goss sich noch etwas Wein nach und dachte an die Unterhaltung mit Rafael. “Der Patrone wird alt und gebrechlich. Es ist an der Zeit für eine Nachfolge”, hatte er gesagt und Aliena dabei sehr ernst angeschaut. Sie hatte verstanden. Sie kannte Rafael und seine Idee. Die Zeiten hatten sich geändert. Der Patrone konnte mit dem schnellen Wandel nicht mehr mithalten. Die Piraterie sah bereits ihrem Ende entgegen. Einige europäische Nationen kämpften mit Unterstützung amerikanischer Flotten im Mittelmeer bereits erfolgreich gegen die Barbaresken. Don Pedro war durch und durch ein Schurke, er verdiente seinen Reichtum mit Raub, Unterdrückung und Ausbeutung und er war ganz gewiss kein guter Geschäftsmann und schon gar kein Visionär. Rafael hingegen hatte stets ein Auge auf die gegenwärtige Entwicklung der Welt und versuchte sich ein Bild von der Zukunft zu machen und seine Idee war es, weltweiten Handel zu betreiben. Er dachte an ein Netz von Handelspunkten, zwischen Afrika, Europa, Südamerika und Asien. Aliena gefiel diese Vision. Für diese Idee brauchten sie jedoch Kapital, viel Kapital. Für diese Idee brauchten sie einen neuen Anführer. Eine Anführerin. Aliena leerte ihr Glas und verließ die Taverne. Sie hatte eine Entscheidung getroffen. Zuerst würde sie den Namen des Schiffes ändern. Sie sah die Buchstaben vor sich. Aliena Herrera.
Aliena dachte an ihre kleine Schwester Aurelia, die vor vielen Jahren an einem Fieber gestorben war. Aurelia. Ja genau. So soll das Schiff heißen, dachte sie.
Sie lief die rauen Holzplanken hinauf und betrat das Schiff. „Leinen los und fertig machen zum auslaufen“, befahl sie. Leon salutierte grinsend. „Aye, aye, Kapitän“, sagte er. Lachend gab sie ihm einen Stoß und er beeilte sich, ihre Befehle auszuführen.
Aliena betrachtete sich jedoch nicht als Kapitän des Schiffes. Sie betrachtete sich eher als Schifferin. Rafael hatte ihr eine gute Mannschaft ausgesucht: Der 1. Offizier war gleichzeitig ihr Stellvertreter und gemeinsam mit dem 2. Offizier verantwortlich dafür, Schiff und Besatzung sicher an ihr Ziel zu bringen. Beide waren erfahrene Seeleute. Dann kam der Segelmeister, Steuermann, Smutje, Feuerwerker, Schiffsjungen und Seeleute aus unterschiedlichsten handwerklichen Berufen.
regeln gebrochen!
Nun, da das Schiff in See stach, sich die rauen Wogen glätteten, besann sie sich ihrer Vergangenheit und sie spürte einen Hauch von Sehnsucht in sich aufsteigen.
Ein stattlicher Mann trat auf Aliena zu. Ihr Blick verfing sich einen Moment zu lange auf seiner nackten, muskulösen Brust. Er verzog seine Lippen zu einem frechen Grinsen, als er es bemerkte. Aliena zwang sich, den Blick von dem attraktiven Kerl zu nehmen, und eine professionelle Miene aufzusetzen. “Und ihr seid”, fragte sie knapp.
“Mein Name ist James Mac Leod, Steuermann”, stellte sich der Fremde vor. “Ein Schotte?”, fragte sie überrascht. “Aye”, antwortete er. “Also schön, Mr. Mac Leod, dann last Kurs auf Orzola nehmen”, befahl sie. Aliena starrte hinter ihm her, nachdem er lächelnd salutiert hatte und schüttelte den Kopf.