Der Boden unter Don Pedros Füßen schien zu schwanken, das bedrückende Gefühl der Hilflosigkeit nahm ihm den Atem, denn sobald er sich an einem Felsen festhalten wollte, war es ihm, als wenn dieser vor ihm zurückwich. Also ließ er sich auf den Hosenboden fallen, aber auch das verhalf ihm nicht zu einem sicheren Gefühl. Der Grund unter ihm gehorchte anderen Gesetzen und bekräftigte dies mit kreischendem Gebrüll von berstendem Gestein. Don Pedro schrie, schrie in Panik, sendete Stoßgebete an einen Gott, der bislang keinerlei Raum in seinem Leben eingenommen hatte, aber nun die scheinbar einzige Rettungsleine aus den Fängen seiner Furcht zu sein schien.
„Herr, hilf mir armen Sünder. Hilf deinem ergebenen Diener in der Not. Ich bereue all meine Sünden …“, er saß da und schluchzte zitternd vor sich hin. Tränen liefen an seinen Wangen herunter, hinterließen Spuren ihres Weges in der Staubschicht auf seinem Gesicht, als sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter legte.
„Haaah …“, zutiefst erschrocken fuhr Don Pedro zusammen, er konnte sich kaum kleiner machen. Doch die Hand hielt seine Schulter fest. Er riss sich panisch los und drehte sich um. Mit großen Augen starrte er die Person hinter sich an. „Du?“, fragte er ungläubig und bemerkte zugleich das die Erde wieder ruhig unter seinem Hintern den gewohnten Halt gab.
Perez, einer seiner Handlanger, stand vor ihm. Das Gesicht staubverschmiert mit unzähligen Schürfwunden übersäht.
„Herr, seid ihr wohl auf? Kommt, ich helfe euch.“, bot dieser an. Er machte Anstalten Don Pedro unter die Arme zu greifen, um ihn hochzuziehen.
„Lass das gefälligst, Du Bastard.“, schimpfte Don Pedro, der augenblicklich wieder Herr seiner Sinne wurde.
„Was fällt dir ein, Hand an mich zu legen?“, wetterte er und schaute zum Eingang der Grotte. Bis auf einen kleinen Durchgang war hier alles mit Felsgestein verschüttet, der ganze Bereich sah aus, als ob Titanen mit den Felsbrocken Ball gespielt hätten.
„Herr, ich wollte doch nur …“, stammelte Perez. „Halt´s Maul, du Nichtsnutz!“, unterbrach Don Pedro, „Wo sind die anderen? Wieso bist du allein. Hast wohl Muffensausen bekommen und die Mannschaft im Stich gelassen?“
Don Pedro erstarkte wieder zu voller Größe, überschaute die Situation und machte sich humpelnder weise auf den Rückweg zur Patache.
„Was stehst du da noch rum, wie ein Idiot?“, schrie er zurück.
Perez beeilte sich, hinter Don Pedro herzulaufen und schnatterte dabei aufgeregt wie eine Herde Gänse. “Die ganze Grotte ist eingestürzt, Herr. Alle sind darin begraben, auch die Soldaten und das Gold. Ich habe die Kisten gesehen, ja wirklich! Sie standen gleich hinter dem Tunnel an der Seite, aber wir konnten nicht an sie herankommen, weil die Soldaten sich davor postiert hatten. Und sie haben sofort auf uns geschossen! Ich hatte nur Glück, weil ich als Letzter ankam…” Er lief jetzt neben Don Pedro her und gestikulierte wild mit beiden Armen.
Don Pedro sah ihn nur verächtlich von der Seite an. “Halt die Klappe, du Feigling!”, schnauzte er ihn nochmal an. Perez zog den Kopf ein und schwieg. Das war ein sehr knappes Entkommen gewesen, aus der Grotte. Das würde er so schnell nicht vergessen, wie auf einmal die Tunneldecke in tausende scharfkantige Brocken zerbrach und auf ihn und seine Kameraden, die Soldaten und die Goldkisten herunterprasselte. Er hatte sich sofort umgedreht und hatte es gerade noch bis zum Ausgang geschafft.
Kapitel 22
Kapitän Morgan gab Kurs auf die andere Seite der Insel. Weit weg von der blauen Grotte. “Warum brechen wir nicht auf in Richtung Nordsee”, fragte Skully. Er war noch immer besorgt wegen der Sturmflut. Morgan legte eine Hand auf Skully’s Schulter. “Wir suchen erst einmal eine ruhige Bucht und warten, bis die Flotten des Königs aus dem Weg sind.”
Inzwischen hatte Charlotte Geraldine’s Wunden versorgt und sie so gut es ging gesäubert. Sie war noch immer bewußtlos und atmete flach. Antoine hatte es sich nicht nehmen lassen, sich zu ihr ans Bett zu setzen. Trotz der Schmerzen in seiner Brust. Der deutsche Schiffsarzt Dr. Koch, der ihn verbunden hatte, hatte gemeint, dass er sehr viel Glück gehabt hatte und die dicke Weste das Schlimmste verhinderte. Antoine nahm Geraldine’s Hand und küsste sie. Traurig blickte er sie an und hoffte, dass sie bald wieder zu sich kam.
Sein Blick wanderte zur Tätowierung an ihrem Hals. Es zog sich vom Nacken bis zum vorderen Schulterblatt. Er fühlte sich schläfrig, konnte den Blick jedoch nicht abwenden, je länger er darauf schaute, desto mehr verschwammen die Konturen des Blütenkelches, der Blütenblätter und Stengel und nahmen eine völlig andere Form an. Das Bild verschwamm regelrecht vor seinen Augen. Dann schrak er plötzlich auf und das Bild verschwand. Er starrte auf die Tätowierung der kunstvoll gestalteten Margerite und versuchte sich das Bild noch einmal vor Augen zu halten, ins Gedächtnis zu bringen. War er für einen kurzen Augenblick im Tagtraum eingeschlafen oder hatte er in der Zeichnung gerade etwas ganz anderes gesehen?
Geraldine war in eine tiefe Bewusstlosigkeit verfallen und wanderte zwischen Wirklichkeit und Traum. Sie sah lachende Gesichter, Kindheitserinnerungen, ihre kleine Schwester, sie lachten und sangen, spielten. Bis zu jenem Tag, als die fremden Reiter kamen und das kleine Dorf überfielen. Wer sich ihnen in den Weg stellte wurde auf der Stelle getötet. Seit diesem Tag, war nichts mehr so wie es war. Seit diesem Tag hatte sie ihre geliebte Schwester Laura nie wieder gesehen. Sie wurde verschleppt und wie ein Stück Vieh an einen Händler verkauft.
Von diesem Tag an begab sich Geraldine auf die Suche nach Laura und sie stand so kurz vor dem Ziel ihre Schwester wieder zu finden. Miguel hatte ihr die Karte gezeichnet, sie würde sie stets bei sich tragen. Laura. Dann erwachte sie aus ihrem Traum und spürte eine sie umschließende Hand. “Antoine, geliebter Antoine, sei bei mir, hilf mir”.
Kapitel 23
Fassungslosigkeit machte sich auf den Schiffen der Briten breit. Die Mannschaften auf den Fregatten mussten mit ansehen, wie das Nachbeben die Grotte in sich zusammen fallen ließ und ihre Freunde unter Massen von Felsgestein begraben wurden. Schüsse, die sie kurz zuvor gehört hatten, ließen sie vermuten, dass sie nicht die einzigen waren, die dort nach etwas suchten.
Lieutenant Northwny gab Befehle in rascher Reihenfolge. Der Kapitän der H.M.S. Trafalgar wurde mit der Suche nach Überlebenden betraut. Er und seine Mannschaft wurden mit weiterem schweren Gerät aus den Ladungen der H.M.S. Beagle und der H.M.S. Victorious versorgt, um diese Aufgabe bewältigen zu können.
Timothy war sich dessen bewusst, dass die Patache dieses Seeräubers Don Pedro ganz in der Nähe vor Anker liegen musste. Und das er oder seine Männer der Grund für die Schießerei kurz vor dem Beben gewesen sein mussten. So gab er augenblicklich den nächsten Befehl an die Victorious, seinem Schiff zu folgen und sich der Jagd nach Don Pedro anzuschließen.
Wenige Männer waren Don Pedro geblieben. Vor allem waren diese Männer unzufrieden mit der Situation, in der sie nun steckten. Sie konnten das Schiff mit einer Unterbesetzung steuern, das funktionierte, denn sie waren seit Jahren aufeinander eingespielt. Allerdings war es unmöglich einen Wachwechsel mit so wenigen Männern zu organisieren, weshalb sie so nicht mehr als ein paar Tage durchstehen würden.
Don Pedro kümmerte all dies wenig, er schrie seine Befehle. Wütender als es die Mannschaft ohnehin gewöhnt war, ließ er die Conquistador auslaufen.
Rache war das Einzige, was ihn leitete. Er wollte diese Hure und ihre Kumpanen tot sehen. Er würde sie finden.
Da ihm klar war, dass die Briten in der Bucht vor der Grotte ankerten, mussten sie so schnell wie möglich ihren sichtgeschützten Ankerplatz verlassen. Er wollte die Insel in entgegengesetzter Richtung umrunden. Verdeckt durch die Küstenlinie könnte er sich unbeobachtet von den Briten davonmachen und so unentdeckt die Verfolgung der Lale Andersen aufnehmen. Er war sicher, dass Morgan den Hafen verlassen und sich Richtung Norden bewegen würde. Denn auch Don Pedro wusste von der Sturmflut vor der Deutschen Bucht und konnte sich denken, dass die Mannschaft der Lale ihren Familien zu Hilfe eilen wollte. Da kam ihnen die Ladung Gold und die damit einhergehende immense Heuer sicher recht. Doch das würde er verhindern, dachte sich Don Pedro. Er würde den Kurs der Lale kreuzen, er würde ihnen alles nehmen, auch das Leben.
Zu der Zeit, als Don Pedro den Befehl zum auslaufen gab, ließ Morgan die Lale beidrehen. “Skully, wir gehen in dieser Bucht hier vor Anker”, sagte Morgan. Dann ging er unter Deck, um sich mit Francis zu besprechen.
Francis stand am Kartentisch und starrte gedankenverloren auf die ausgebreitete Übersichtskarte der Kanarischen Inseln. “Na, Mylord, was ist da so Interessantes zu sehen”, wollte Kapitän Morgan wissen. “Ich frage mich, was an der Grotte passiert ist. Müssen wir mit Don Pedro rechnen? Was haben die Briten vor? Bevor wir das nicht wissen, können wir nicht nach Norden aufbrechen, fürchte ich”, antwortete Francis sorgenvoll.
„Darüber, mein Junge, kannst du dir Gedanken machen, wenn du mir verraten hast, wie du an das Gold gekommen bist und wenn mir die Antwort gefallen sollte! Hast du dich nicht gewundert, dass dich noch niemand danach gefragt hat? Ich habe Warlock verboten, dich darauf anzusprechen, und das war nicht leicht durchzusetzen, glaube mir. Es wird Zeit, dass du reinen Tisch machst. Wenn dir wirklich was an Charlotte liegt, wirst du mir alles erzählen. Denn wenn nicht, werde ich zu verhindern wissen, dass du meine Enkelin ins Verderben stürzt und in deine Machenschaften mit hineinziehst.“, Kapitän Morgan nahm sich einen Stuhl und setzte sich ohne den Blick von Francis abzuwenden hin. „Fang endlich an!“