Wenige Minuten später zog sich das Meer etwas zurück. Unheilvolle Stille lastete über dem freigelegten Sandstreifen. Dann kam das Wasser rauschend zurück, aber zum Glück nur mit einer halbmeterhohen Flutwelle, die hier, an der ansteigenden Küste, nicht weit vorankam.
Geraldine und Warlock wurden so unversehens auf den Strand gespült, nicht weit voneinander entfernt lagen sie da und rührten sich nicht.
Gerade als Lieutenant Timothy Northwny an Bord der HMS Beagle seinem Maat von der Grotte berichten wollte, erschüttert ein Erdbeben die Insel. Auf den Fregatten vor dem Hafen, war davon nichts zu spüren, jedoch hörte man auch hier das Bersten der Gesteine mit einem dumpfen Grollen. Staubwolken von zusammenbrechenden Flanken an der Küste stoben hier und da auf und schwängerten die Luft mit rotem Dunst, doch der Hafen an sich schien nicht betroffen. Northwny hatte vor Jahren einen Vulkanausbruch vor der Küste Indonesiens erlebt und wusste, was zu tun war. Er gab augenblicklich Befehl zum Auslaufen Richtung offenes Meer, die Verbindungsoffiziere gaben dies mit Flaggensignal an die beiden anderen Fregatten weiter.
Kurze Zeit später hatten die Schiffe sich gerade in den Wind gelegt, als sich auch schon das Wasser zurückzog. Diesen Schwung nutzen die Fregatten, um weiter Distanz zum Land aufzubauen.
Die Schiffe nahmen Kurs auf ihr neues Ziel, die Blaue Grotte.
Ein Teil der Besatzung der Lale Andersen befand sich noch immer auf der Suche nach Warlock und Geraldine. Die Pferde waren unruhig und als plötzlich die Erde bebte, hatten sie alle Mühe die Tiere unter Kontrolle zu halten. Als nach dem kurzen Beben alles wieder ruhig blieb, atmeten sie erleichtert auf und ritten weiter.
“Da, sehen sie Mr. Jones!”, rief Jan der holländische Schiffsjunge und deutete zum Strand, an dem Geraldine und Warlock leblos im Sand lagen. Sie ritten den sandigen Abhang hinab. Davy Jones sprang aus dem Sattel, zog sein Messer und schnitt Geraldine’s Corsage auf. Der alte Seemann hatte schon viele vor dem Ertrinken gerettet, doch als er versuchte ihr das Wasser herauszudrücken, kamen ihm Zweifel. “Ist sie tot?”, fragte Jan ängstlich. Davy brummte etwas unverständliches. In diesem Moment öffnete Warlock blinzelnd die Augen. “Helft ihnen auf und nichts wie weg hier”, sagte Davy. Das ließen sich die Männer nicht zweimal sagen.
Die Lale war bereit zum Ablegen. Morgan stand an der Reling, blickte zum Hafen, mit seinem Dreispitz in der Hand rieb er sich nervös den Kopf. Wo blieb nur Jones? Vielleicht hätte er ihm statt des Schiffsjungen einen erfahrenen Mann mitgeben sollen. Er hoffte, dass sein Enkel und Geraldine wohlauf waren, machte sich Sorgen um deren Verbleib. Immer wieder schaute er auch zum Horizont. Die britischen Fregatten entfernten sich stetig. Northwny hatte seefahrerisches Geschick bewiesen, als er den Rückgang des Meeres vor der Flut nutzte, um seine Schiffe zügig auf offene See zu bringen.
Skully kam vom Achterdeck auf ihn zu gerannt und zeigte aufgeregt zum Hafen. „Sie kommen! Ich kann sie sehen, dort hinten, Käpt´n!"
Morgan drehte sich wieder zum Hafen und blinzelte. Ja, da waren sie! Endlich.
„Alles klar! Vordere Leinen los! Sobald sie an Bord sind, löst ihr die Hinteren!“, er schaute zu den Seeleuten in der Takelage und rief, „Fangt schon an das Großsegel zu setzen, steifholen erst nach meinem Kommando. Und danach macht ihr euch gleich an die Fock, wir müssen schnellstmöglich in den Wind kommen.“
Jones hatte Warlocks Schulter wieder eingerenkt, wodurch er fast wieder ohnmächtig geworden wäre. Die malträtierte Schulter brannte wie Feuer, aber jetzt musste er zusehen, dass er hinter dem Schiffsjungen auf dem Pferd blieb. Mit aller Kraft klammerte er sich mit den Beinen und dem rechten Arm fest.
Jones hatte Geraldine vor sich auf den Widerrist des Gauls gehoben und da hing sie wie ein Mehlsack in seinen Armen. Bewusstlos, aber sie atmete noch,.
Als sie am Hafen auf die Straße zu den Anlegestellen zu ritten, erfasste Jones sofort das die Lale Andersen zum Ablegen bereit war.
„Beeil dich!“, rief er Jan zu und schlug seinem Pferd die Hacken in die Flanken. Der Gaul reagierte prompt, galoppierte mit lautem Wiehern weiter, in der Hoffnung seine Last bald loszuwerden.
An der Lale angekommen standen Morgan und Francis auch schon bereit, um den Geretteten auf das Schiff zu helfen. Noch während sie über Zugangsbrücke auf das Deck rannten, wurden die hinteren Leinen gelöst, die Lale verließ den Hafen.
Kapitel 21
“Und nu Kaptn?” Fragte Skully Morgan.
“Versorgt die Verletzten, Kanonen laden und dann di eWaffen an die Crew ausgeben, noch ist es nicht vorbei.” sagte Morgan grimmig.
Charlotte eilte herbei und Warlock sank in die Arme seiner Schwester. “Gott sei Dank!”, rief sie erleichtert auf und schenkte ihm ein Lächeln. Warlock drückte sie an sich und schluchzte. Als Charlotte’s Blick auf Geraldine fiel, die auf Jones’ Armen lag, erschrak sie. “Ist sie …”, fing sie an. Doch in diesem Moment erbrach Geraldine das Wasser. “Rasch, Mr. Jones, bringt sie in meine Kabine”, sagte Charlotte.
Bis auf zwei Mann, die zur Bewachung der Conquistador zurückgelassen wurden, war die gesamte Mannschaft Don Pedros unterwegs durch die felsige Küstenlandschaft nördlich der Grotte. Wieder hatten sie eine sichere Bucht zum Anlanden der Patache gefunden. Weit hinter sich hatte Pedro die britischen Fregatten ausgemacht und sofort befohlen ein Versteck für das Schiff zu suchen.
Der Weg über Land zur Grotte war zumeist durch scharfkantige Felsen vor Blicken geschützt und so fanden sie sich unbehelligt nach einer halben Stunde vor dem einzigen Landzugang der Höhle wieder.
Durch das Erdbeben waren viele Felsbrocken heruntergekommen und versperrten fast den Zugang.
Don Pedro hob warnend den Arm, denn er hatte Spuren bemerkt. Offenbar hatte sich schon jemand den Weg in die Grotte gebahnt. Vorsichtig ging er seitlich an den Grotteneingang heran, um einen Blick ins Innere werfen zu können. Aber er konnte nichts sehen, weil der Eingang direkt in einen Tunnel mündete, der einen Knick machte.
Jetzt wurden seine Männer unruhig. Er hatte ihnen Gold versprochen, viel Gold! Sie bedrängten ihn dermaßen, dass er ins Stolpern kam und der Länge nach in den Tunnel stürzte. Mühsam unterdrückter er einen Fluch und rappelte sich wieder hoch. Inzwischen waren die gierigen Halunken über ihn hinweg in die Grotte gestürmt, wo sie von den Soldaten des Königs nicht gerade auf die feine englische Art empfangen wurden.
Don Pedro ging langsam hinter ihnen her, er hatte sich bei dem Sturz das Knie verdreht. Gerade waren die Männer hinter der Tunnelbiegung verschwunden, setzte ohrenbetäubendes Geschrei ein, gefolgt von einer Salve Musketenschüsse und noch mehr Gebrüll der Getroffenen. In das lautstarke Tohuwabohu mischte sich ein ominöses Knacken und Knirschen.
Ein Nachbeben erschütterte die Insel.