“Was macht ihr da?”, fragte Christian. Dann erkannte er Geraldine und erstarrte. Er hatte nicht damit gerechnet, sie je wieder zu sehen. Obwohl sie ihn enttäuscht hatte und er wütend auf sie war, wollte er sie nicht diesem schmierigen Sandro überlassen. Er zerrte die beiden von ihr weg und rief: “Wenn das Don Pedro erfährt, lässt er euch kielholen. Also macht, dass ihr weiterkommt.” Maulend verzogen sie sich, denn sie trauten dem Neuen nicht über den Weg, der gestern hier angeheuert hatte.
Geraldine traute ihren Augen nicht. Wie kam der denn hierher? Ihr Herz klopfte bis zum Hals und sie fragte sich, was jetzt kam. Christian sah sie mit undurchdringlicher Miene an. Dann packte er sie und stieß sie in Don Pedro’s Kajüte. “Mit dir rechne ich noch ab”, stieß er hervor. Dann warf er die Tür zu und schloß ab.
Geraldine lauscht noch einige Minuten an der Tür, aber nichts rührte sich draußen. Sie sah sich um, das musste die Kapitänskajüte sein. Ein großer Kartentisch in der Mitte, Koje mit feinem Leinenbettzeug auf der rechten Seite, links ein kardanisch aufgehängter Tisch mit einer Bank und zwei bequemen Lehnstühlen. Direkt hinter dem Kartentisch eine breite, gebogene Fensterfront.
Nachdem der Smutje Geraldine eingesperrt hatte, begab er sich in aller Ruhe nach oben und fand die beiden Schurken an achtern des Schiffes und er zückte sogleich den Dolch aus seinem Gürtel und innerhalb weniger Augenblicke waren die beiden mit durchtrennter Kehle über Bord gegangen. Christian atmete auf. Seine Suche nach dem Gold hatte ihn über einen sehr langen Weg bis zu letzt von der Lale Anderson hierher geführt, er war kur vor dem Ziel.
Jetzt durfte sie keine Zeit mehr verlieren. Christian würde sicher gleich wiederkommen, und dann wollte sie lieber nicht mehr hier sein. Sie entledigte sich ihres Kleides und stand in Chemise und den langen Unterröcken da. Die mussten auch weg, in denen konnte sie nicht schwimmen. Gut, dass sie heute morgen noch die Pumphosen aus dem leichten Leinen mit den hübschen Rüschen angezogen hatte. Sie zerrte eines der Fenster auf und schwang sich auf den Sims. Tief unter ihr wogte das Wasser. Oh Warlock, wenn ich dich in die Finger kriege, dachte sie, hielt sich die Nase zu und sprang in die Tiefe.
Warlock, Antoine und Angelo hatten die Bucht und Don Pedro´s Patache keine Sekunde aus den Augen gelassen, während sie abwechselnd durch das Fernroh blickten.
Als Antoine wieder einmal da Fernrohr ansetzte, zuckte er zusammen und murmelte aufgeregt Unverständliches in seiner Muttersprache. Die beiden anderen schauten überrascht zu ihm und als er immer unruhiger wurde, stieß ihm Warlock in die Seite.
„Was ist los, was siehst du?“, raunte er ihm zu.
„Oh merde. Isch glaube Geraldine ist gerade von Bord gesprungen. Isch kann sie nicht genau ausmachen, sie verschwindet immer wieder inter die verdammte Dünung.“
„Gib mal her,“ sagte Warlock und riss ihm das Fernrohr aus den Händen.
„Was machen wir jetzt?“, fragte Antoine in hellem Aufruhr. „Wir müssen sie retten!“
Warlock hatte die Situation erfasst. Er nahm das Fernrohr herunter. „Wir müssen uns beeilen, kommt schnell!“
Sie rannten los, die Strandböschung hinab, durch distelübersätes Gelände, immer weiter am Wasser entlang in Richtung der Patache. Viel Zeit blieb ihnen nicht.
Kapitel 17
Skully trat zu Kapitän Morgan. Die Dämmerung hatte eingesetzt und die Männer standen an Deck bereit ihrem Käpt’n zu zuhören.
Bevor Morgan seine kleine Ansprache halten konnte, bat Skully ihn um Aufmerksamkeit.
„Der Smutje ist verschwunden. Seit heute morgen will ihn niemand mehr gesehen haben. Ich konnte bis jetzt nichts herausfinden, Käpt’n.“, berichtete Skully und setzte hinzu: „Ich habe den Männern heute nur Zwieback und Bier geben können. Der Kerl ist wie vom Erdboden verschluckt. Verdammt, das macht alles nur noch schwieriger!“
„Beruhige dich, Skully. Lass mich kurz zu den Männern sprechen und danach werden wir uns darum kümmern sie gut zu versorgen. Ich gehe der Sache mit Christian nach.“, Morgan schlug dem Steuermann jovial auf die Schulter und drehte sich zu den Männern um.
Die Männer akzeptierten Morgans einfühlsamen Aufruf, der Sache treu zu bleiben und weiter gewissenhaft den Dienst zu versehen. In Anbetracht der gesamten Situation, der noch vor der Küste ankernden Fregatten der Briten, welche ein Fortkommen aus dem Hafen unmöglich machten und wegen der Geschäfte, die ihr Kapitän – auch in ihrem Sinne – hier in der Hafenstadt noch abschließen musste, war kein Murren seitens der Seemänner zu hören. Die Flut in der Heimat war für viele der Männer natürlich ein Problem und so äußerten sie auch ihre Sorge nicht mehr rechtzeitig nach Hause zu kommen, um ihren Familien irgendwie Hilfe zu leisten. Morgan erklärte ihnen mit ruhigen Worten, dass der Bote mit ihren Briefen unterwegs war, einen anderen Hafen auf der Insel nutzen würde, um eine Passage zu bekommen den Briten zu entgehen. Geschickt machte er ihnen die Aussicht auf eine Verdoppelung der Heuer mit der Möglichkeit nach ihrer Rückkehr so den Familien besser über die Runden helfen zu können schmackhaft.
Die Mannschaft war vorerst beruhigt. Dazu trug auch bei, dass Morgan ihnen Verpflegung auf seine Kosten aus dem Gasthof versprach und sogleich ein paar Mann für die Besorgung abkommandierte. Anschließend überließ er Skully wieder die Befehlsgewalt und machte sich auf Francis zu suchen. Er musste mit ihm reden, denn die Sache mit dem Smutje war recht eigenartig. Außerdem waren Warlock und die anderen schon eine ganze Weile weg und er wollte wissen, ob es von den dreien irgendwelche Neuigkeiten gab.
“Dieses miese Luder, dreckige Dirne” schrie Christian den Hauptmast an. Er hatte sich schon so gefreut sie sich nochmal so richtig vorzunehmen, bevor er ihr langsam die Gurgel durchschneiden würde.
Es half nichts, er musste ihr hinterher. Die Wut, die ihn führte, war zu groß, er wollte es ihr heimzahlen, komme was da wolle. Das Geraldine schon die Hälfte der Strecke bis zum Strand geschafft hatte, wurde ihm allerdings erst bewusst, als er von der Reling absprang und die Dünung den Blick auf ihre Position frei gab. Und nicht nur das. Sobald er im Wasser landete und die ersten Schwimmstöße vom Schiff wegmachte, zog ihn schon die Strömung mit. Unaufhaltsam Richtung Ufer.
Das war an und für sich sehr hilfreich, wenn er nicht auf dem nächsten Wellenkamm die Männer am Ufer erkannt hätte, die zielstrebig auf Geraldine zu liefen.
Ganz und gar nicht hilfreich waren für Christian die neben ihm treibenden Leichen, die eine Weile um das halbe Schiff herumgetrieben und nun von der Strömung erfasst ebenfalls mitgerissen wurden. Er sah sich um. Aus der Entfernung konnte er mindestens ein Dutzend hakenförmiger Schwanzflossen ausmachen und innerhalb weniger Augenblicke war er umkreist von einer kleinen Gruppe Haie. Sie zogen ihre Kreise immer enger. Er geriet in Panik, versuchte umzukehren. Die Patache lag ebenso unerreichbar weit entfernt wie der Strand, den Geraldine in jenem Moment erreichte als er jäh von einer Flosse gestreift wurde. Er schlug um sich, geriet unter Wasser, verlor die Orientierung. War nun der Augenblick gekommen, vor dem er sich immer gefürchtet hatte, wenn alle seine Gräueltaten gesühnt werden würden? Er begann zu phantasieren, dachte an das Gold, sah es greifbar vor sich, sah sich an der Seite von Don Pedro, in Ruhm und Ehre. Damals nach dem Überfall als er den Begleiter des Jungen im Blutrausch kaltblütig niederstach hatte er seine große Chance, das Gold zu finden vertan. Der Angriff des Sandtigerhai kam schnell und tödlich. Der Smutje mit den außergewöhnlich guten Kochkünsten wurde nun selbst zu einem köstlichen Mahl. Die aufgewühlte Gischt verströmte eine feine Blutspur und erschien im Abendrot wie ein Lavastrom auf dem verschneiten Vesuv.
Während Christian mit dem Tode rang, hatte Warlock Mühe Geraldine aus dem Wasser zu ziehen. Als erster der drei war er ins Wasser gerannt und ihr entgegen geschwommen. Gerade noch rechtzeitig konnte er sie erreichen, um sie vor dem Ertrinken zu retten. Es war ein Wunder, dass sie es überhaupt bis in die Nähe des Ufers geschafft hatte, ohne vorher für immer in der Flut unterzugehen.
So schwach Geraldine auch war, als sie wahrnahm wer sie da aus dem Wasser zog reagierte sie prompt. „Du gemeines Schwein!“, schimpfte sie, Wasser spuckend, und Warlock spürte im gleichen Moment ihre Hand im Gesicht.
Antoine, überglücklich seine Femme fatale in Sicherheit zu sehen, lief lachend auf die beiden zu. „Verdient ist verdient,“ grinste er in Warlocks Richtung und nahm die Frau seines Herzens fest in seine Arme.
Warlock schüttelte nur den Kopf ob dieser kindischen Verliebtheit und nahm dankend den Wasserschlauch entgegen, den ihm Angelo reichte, um gierig zu trinken, und sich dabei zu verschlucken.
Seine Suche nach Francis führte Morgan vom Hafen zu den Lagerhallen, von dort zur Pulverkammer an den Wehranlagen, nirgends war der Mann, der seiner Enkelin den Hof machte zu finden. Er fragte ein paar Dockarbeiter, die aber allesamt nicht wussten, wo der Lord sich befand.
Die letzte Vermutung führte ihn unweigerlich zum Riddlers Inn, die Schenke, die für ihre Schicksalsgemeinschaft unweigerlich zum Hauptquartier geworden war.
Auf dem Weg dorthin sah Morgan von weitem wie Charlotte mit gerafften Röcken und schnellem Schritt die Gasse Richtung Hafen einschlug.
„Charlotte, mein Kind, warte auf mich!“, rief er, „Bitte.“
Charlotte bemerkte ihn und blieb stehen. Als Morgan zu ihr aufgeschlossen hatte, sah er, dass seine Enkelin aufgeregt war, Sorgenfalten umrahmten Mundwinkel und Augen.
„Ich habe dich gesucht, Großvater. Mir wird die ganze Angelegenheit mit euch allen langsam unheimlich. Ich muss es wirklich sagen. Bevor du und Warlock hier auftauchtet, war mein Leben eines Schönes. Jetzt herrscht nur noch Unruhe und ich erkenne meinen geliebten Francis nicht mehr wieder.“, sie ließ die gerefften Röcke fallen, atmete aus und wollte weiter reden, als Morgan sie einfach in die Arme schloss.
„Mein Kind, ich weiß, dies sind ungewöhnliche Umstände, aber lass dir von einem alten Mann sagen – du wirst sie überstehen, hab Vertrauen. Hab Vertrauen in mich, in Francis … … und auch in Warlock, ich bitte dich.“
„Dann verrate mir, warum Francis nun im Riddlers sitzt und mit einem Lieutenant der britischen Marine disputiert. Beide sehen so aus, als ob sie sich im nächsten Augenblick an die Gurgel springen wollen!“
Morgan horchte auf, hielt sie mit gestreckten Armen noch immer vor sich und sah dann aus den Augenwinkeln an der Seitengasse neben dem Riddlers eine Person im Schatten der Mauer stehen. Don Pedro persönlich stand dort und machte den Eindruck, als sei er auf der Suche nach irgendetwas.
Er schob seine Enkelin hinter einen Stapel Fässer. “Was ist denn?”, fragte Charlotte ungeduldig. Ihr Großvater legte einen Finger über seine Lippen und sagte dann leise: “Das gehört alles zu unserem Plan.”
Morgan lief rasch zur hinteren Tür des Riddler’s, um ungesehen in den Schankraum zu gelangen. Hier steckte er dem Wirt einen kleinen Zettel zu, der der unauffällig an Francis übergeben sollte, wenn er die nächste Bestellung brachte. Es standen nur drei Worte darauf. “Don Pedro lauscht!”