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Ich glaube, da triffst du den Nagel auf den Kopf. Einen Text hart zu kritisieren bringt eine gewisse Verantwortung mit sich. Nachdem man verstanden hat, was der Text will, muss man präzise benennen können, was ihn daran hindert und warum. Und das braucht Zeit. Trotzdem lassen es sich viele nicht nehmen, einen einzelnen Aspekt konstruktiv zu kritisieren oder den Autorinnen und Autoren, deren Werke sie toll finden, eine kleine Ermutigung dazulassen, was ich sehr sympathisch finde.
Ich glaube, das hängt mit der Form der Saison zusammen. Einen Text hart zu kritisieren bringt eine gewisse Verantwortung mit sich. Nachdem man verstanden hat, was der Text will, muss man präzise benennen können, was ihn daran hindert und warum. Und das braucht Zeit. Wenn du einen Text hast, der eine schonungslose Kritik vertragen könnte, stell ihn doch mal in den Schreibzirkel!
Das wäre natürlich sehr wünschenswert, also bissige Kritik im Sinne von ausführlich und begründet. Aber bei der Beitragsflut schlicht nicht zu schaffen.
Ich fand die Aufgabenstellung diese Woche formal eigentlich einfach und gleichzeitig sehr anspruchsvoll, weil sie
- das erzählformale Element „timing“ gefordert hat,
jedoch auch - dazu verführte, biografisches Erleben zu präsentieren, was allzu leicht persönliche Betroffenheit aktiviert. Gerade das führte wahrscheinlich zu sehr vielen erzählformal ähnlichen Beiträgen, so dass das Lesen mit jedem nächsten Beitrag nach vergleichbarem Muster (Opa/Oma/Onkel gestorben, heul) immer anstrengender und leicht déjà-vu-gelangweilt zu frustrieren begann.
Ich will damit keineswegs kritisieren, dass jeder einzelne solche Beitrag insbesondere für die Verfassenden selbst nicht berührend, bewegend, schlimmstenfalls tragisch und persönlich wertvoll ist.
Aber es ist eben ein Riesen-Unterschied, ob ich solch einen Beitrag (mit meinem Empfinden allein in meinem Kämmerlein oder für ebenfalls betroffene und damit berührte Angehörige) schreibe, oder ob ich als Lesender in solch einem Wettbewerb mit einer Flut ähnlicher Beiträge geradezu überschwemmt werde. Manchmal vergessen wir (ja, ich nehme mich da selbst nicht aus) beim Schreiben, uns hinreichend bewusst zu machen, ob wir uns durch das Schreiben selbst emotional erleichtern wollen, oder ob wir schreiben, um andere, insbesonders unbeteiligte, Lesende zu unterhalten, vielleicht sogar zu begeistern.
Ich kenne diesen Effekt aus Anthologien, wo manchmal die kompositorischen Aufgaben, die mit einer Herausgeberschaft verbunden sind, allzu leicht unterschätzt werden.
Obwohl ich diesen speziellen Aspekt auch bei meinem Beitrag nur sehr angedeutet einflocht (nicht einfach, vorauszusehen, was die anderen schreiben werden, mit der Angst im Nacken, nicht mehr gelesen zu werden, wenn ich zu spät „pouste“, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden) möchte ich mich gerade als Mit-Leser deshalb bei allen lich bedanken, die durch das Setzen humorvoller Aspekte in ihren Beiträgen Glanzlichter in diese Flut gesetzt haben, die mich immer wieder, wenn ich aufgeben wollte, am Weiterlesen hielten.
Gleichzeitig merke ich beim Durchlesen der Beiträge, wie viele Teilnehmende geradezu schlampig irgendwelche Fragmente bereits vorhandener Geschichten eingestellt habe, ohne sich die Mühe zu machen, ihre Beiträge - zum Beispiel durch drastisches Kürzen - in den Kontext dieses Wettbewerbs einzupassen. Wirkung, zumindest bei mir: Ich habe viele Beiträge nach dem zweiten Blick frustriert übersprungen, weil ich mich als (ok, ok, ja, ich lese anspruchsvoll, und ja, ich stehe dazu) Leser nicht respektvoll behandelt, sondern eher angeödet fühle.
Die manchmal ersatzweise vorangestellten oder angehängten „Entschuldigungen“ oder „Begründungen“ machten es in meinen Augen nicht besser, nur peinlicher.
Liebe @Elisabeth und Team, Danke für diese Aufgabe. Sie hat mir eine Menge bewusster gemacht, um das ich bisher schriftstellerisch eher intuitiv herumschlingerte.
Freut mich, dass dir das Thema gefallen hat. Ich habe es so gestellt, weil es mir auch viel gebracht hat.
Große, lebensverändernde Momente tendieren in der Literatur zum Tragischen. Vielleicht, weil Unglück unsere Aufmerksamkeit anzieht wie nichts anderes. Glückliche Wendungen kommen statistisch wahrscheinlich häufiger vor und werden gerade deshalb als „normaler“ empfunden, weswegen wir paradoxerweise das Gefühl bekommen, sie seien sehr selten. Rutger Bregmann hat diesem Phänomen ein ganzes Buch gewidmet, und es ist faszinierend.
Es kommt auch darauf an, was der einzelne Leser als Unterhaltung empfindet. Der eine wird bei Rosamunde Pilcher unterhalten, der nächste bei Stephen King, der nächste bei Eschbachs Raumschiffwelten und und und.
Liebe @Suse.
Das ist auch richtig!!
Gerade dieser Schreibwettbewerb (Danke, @Elisabeth) ist für mich bei jedem Beitrag auf’s neue ein Impuls, nicht mit dem Redakteurs- (was ist da alles form"falsch"?) sondern mit dem Lektorenblick (wo ist da Potenzial? - vielleicht sogar unter einem Haufen (noch?) nicht weggefegter Hobelspäne …). Doch darum ging es mir in der Reflektion meines Lese-Erlebnisses „Schreibwoche 5“ nicht.
Interessanterweise hast du drei Schriftstellende als Beispiel zitiert, die alle drei auch handwerklich nicht gerade zu den Schlusslichtern der Branche gehören. Nicht alle drei sind bei der hohen Literaturkritik gut angesehen - vor kurzem las ich sogar eine Kritik, in der zum Beispiel Joanne K. Rowling aufs Übelste beschimpft wurde, noch miserabler zu schreiben als Stephen King.
Aber ihr Basishandwerk, d.h. den Teil, der ein Buch über den Ladentisch hinweg transportiert, beherrsch(t)en alle drei exzellent. Der letzte in der Reihe veröffentlichte unter anderem schreibmethodische Grundgedanken, auf denen die Schreibsoftware Papyrus bis heute analytisch fußt.
Ich (ok, das ist jetzt ein „outing“) bin Stephen King handwerklich sehr verbunden, kann mich jedoch nur mit ganz wenigen seiner Werke inhaltlich anfreunden. Hingegen bin ich, sowohl erzählformal wie inhaltlich, leidenschaftlicher Fan des Gesamtwerks von Eugenie Marlitt, von vielen als Klischeehexe der Gartenlaubenzeit literaturpolitisch „verbrannt“, von der jedoch beispielsweise Mark Twain in seiner intelligenten und humoristischen Kritik der deutschen Sprache mit Hochachtung schrieb - und von der, vielleicht gerade wegen ihrer Sujets, und was sie damit - bezogen auf die damalige Geschlechterkultur - an Gedanken transportierte, sich (zumindest in meinen Augen) sogar heute noch manche moderne Feministin eine Scheibe abschneiden könnte. Und ich bin sicher, an der Länge meiner Sätze würde Mark Twain ebenfalls rummeckern.
Gestern hatte ich einen interessanten Mailchat mit einer anderen Teilnehmerin, die in einem verwandten Zusammenhang das Wort „Barrierefreiheit“ verwendete. Und so wie Daniel Pennac sich in seinem Buch „Comme un roman“ inspirierend revolutionär (und humorvoll) für die Rechte der Lesenden einsetzt, finde ich, dass wir nicht nur den Lesenden, sondern auch uns selbst keinen Gefallen tun, wenn wir unsere Gedanken (zum Beispiel, o persönlicher Graus, vom Mäuseklavier eines smartphones) ungefiltert absatzlos in das Beitragsfenster der nächsten Schreibwoche kippen, ähnlich einem Bewerbungsschreiben, das beim Eintüten versehentlich mit einer Ecke durch den Suppenteller rutschte und wir es dann nicht der Mühe wert fanden, es vor dem Absenden neu auszudrucken - weil der Inhalt ja für sich spricht.
Wenn wir unsere Gedanken runterschreiben, und sei es am Klo auf die Papierrolle, weil auch die Gedanken gerade so schön flutschen, und dann einen Tag liegenlasssen, und dann sauber abtippen, und dann nochmal drüberlesen, laut am besten, und dabei alles weghobeln, worüber die Zunge jetzt schon stolpert, und frühestens dann … werden es uns vielleicht immer noch nicht alle, aber deutlich mehr Lesende danken. Vielleicht sogar mit einem Klick auf’s Buch-Icon … weil sie motiviert waren, zumindest über den ersten Satz hinaus zu lesen, und dabei etwas fanden, das sie … .
Ich habe öfter das Gefühl, dass es mir bemerkenswert wenig hilft, wenn ich (im Einzelnen durchaus berechtigte) „Tipps“ bekomme, was ich bei diesem oder jenem Satz anders hätte machen können, mich jedoch plötzlich in einem schreibformalen Rechthaber:innenwettbewerb wiederfinde, bei dem das Pferd vom Schwanz aufgezäumt wird.
Ich fühle mich jedoch sehr unterstützt und motiviert, wenn mir Lesende sagen, was konkret sie beim Lesen(wollen) von einem meiner Werke am/beim Lesen hinderte … so dass ich darüber nachdenken kann, ob ich das ändern will, und dann wie. Das ist für mich (unter anderem) schriftstellerische Freiheit - Inspiration und Herausforderung.
Im schlimmsten Fall ist es ungefähr so, als würde ich Papyrus nutzen wollen, ohne verstanden zu haben, wobei und wohin mir diese Software beim Schreiben eigentlich helfen will. Womit wir wieder bei Eschbach wären. Danke, liebe @Suse, für diese Erinnerung.
Hallo @Elisabeth.
Danke für den Lesetipp. Ich bin gespannt, in welche Richtung Bregmanns Gedanken die von Hans Rosling ergänzen.
@Elisabeth Ich habe keine Probleme mit schonungsloser Kritik - und Beiträge von mir findest du in der fünften und sechsten Schreibwoche. Auf was du nicht eingegangen bist - ich halte auch ein aussergewöhnliches Lob für angebracht. Natürlich muss man Kritik und Lob begründen, das ist ja genau das, was vielen Kommentaren fehlt. Aber - wenn du zulässt, dass ellenlange Texte gepostet werden, die oft nur sehr schwer, wenn überhaupt, mit der Aufgabenstellung in Einklang zu bringen sind, gibt es auch keine sinnvollen Kommentare.
Es gibt für mich drei KO-Kriterien, ob ich einen Text überhaupt lese: Eine langweilige Überschrift, ein unstrukturierter, ellenlanger Beitrag, eine nicht erkennbare Darstellung der Aufgabe.
Das finde ich allerdings auch.
Soooo interessant ist das gar nicht. Die sind mir heute morgen als erstes eingefallen.
Ich mochte ihn mal. Finde ihn mittlerweile aber auch nicht mehr sonderlich gut.
Ich mag Harry Potter nicht. Beschimpfungen sind dennoch Fehl am Platze. Was mir nicht gefällt, lese ich eben nicht.
Ist mir bekannt. Seine Bücher gefallen mir bisher. Habe aber erst wenige von ihm gelesen. was mir bei ihm nicht so gefällt, sind die Enden. Wenn ich aber über 800 Seiten gut unterhalten werde, finde ich es nicht schlimm, wenn ich mir die letzten paar Seiten anders vorgestellt hätte.
Du hast vollkommen Recht. Auch Lob sollte idealerweise differenziert und spezifisch sein. Es ist immer gut zu wissen, was genau warum funktioniert. (Aber ich habe absolut nichts gegen ein schnelles Herz oder Buch oder „Gern gelesen!“, während ein unbegründetes „So ein kack Text, Frau D.!“ mich verärgern würde.)
Und genau da bin ich mir nicht sicher. Bei Kritik kommt es eben auch immer auf den Ton an.
Und ein „Verriss“ lädt eben auch schnell zu Hohn und Spott ein.
Darum mag ich diese Community - sie hebt sie ab von anderen Plattformen.
Ich habe das Gefühl, dass hier der Respekt vor der kreativen Arbeit im Vordergrund steht.
Vielleicht outet mich diese Ansicht. Vielleicht bin ich ein „Kuscheltier“.
Macht nix!
Damit kann ich leben! Und vielleicht, ja vielleiht sogar in der literarischen Welt - überleben.
Viele Grüße an @Yoro und @Buchstabierer
Beleidigende Kommentare wie „So ein kack Text, Frau D.!“ sollten natürlich an den Pranger gestellt werden. Ärgern muss man sich darüber trotzdem nicht. Man könnte darauf reagieren - etwa mit der Antwort: „Für deine Scheissbirne ist dieser Kacktext genau das Richtige“.
Genau das wäre eine Kriegserklärung, die dann ausartet. Eine derartige Reaktion wäre daher mehr als unangebracht.
Da bin ich ganz bei dir Pütchen.
Man weiß nie, wer sich hinter einem Mitglied/Text verbirgt. Sicher juckt es mich manchmal, wenn etwas offensichtlich unsortiert und voller Fehler geschrieben und gepostet ist. Aber: bevor ich jemanden abkanzele, weil er sich meiner Meinung nach nicht genug Mühe gegeben hat, stelle ich mir auch die andere Möglichkeit vor. Jemanden, der lange gebraucht hat um die Sprache soweit zu lernen und sich mit seinem ersten Text nach draußen wagt.
Lieber „verschwende“ ich einmal eine Aufmunterung, als dass ich ein zartes kreatives Pflänzchen zertrampele.
… das muss nicht zwangsläufig ausarten. Das kann auch heilsam sein. Aber wer permanent beleidigt(!) sollte ausgeschlossen werden, da bin ich bei dir. Ein solcher Teilnehmer ist ja kontraproduktiv.
Die Erfahrung lehrt etwas Anderes. Außerdem: Wie will ich Aggressivität stoppen, wenn ich selbst aggressiv werde?