Hallo Suse,
bzgl. eines unterstellten Unterschiedes zwischen Reinkarnation und Unsterblichkeit merkst du an:
Die Frage aller Fragen in diesem Komplex ist freilich: Was soll es denn eigentlich genauers heißen, daß “ich sterbe” … und dann (angeblich) “wiederkomme”? – Da es sich um eine anthropologische Grundfrage handelt, ist es nicht verwunderlich, daß Antworten darauf praktisch die ganze Menschheitsgeschichte durchziehen – also mindestens seit dem Paläolithikum --; und genausowenig muß es verwundern, wenn diese Fragen v.a. in religiösen Kontexten akut werden (später dann auch in philosophischen) und v.a. dort diverse Antworten darauf erteilt wurden und werden.
Ich werde dazu ganz kurz eine grundsätzliche Überlegung voranstellen: Wenn es heißt, jemand sei tot (i.S. von “‘gestorben’ bis zum Ende”) und dann habe diese Person [sic] sich entweder reinkarniert oder sei in Gestalt ihrer unsterblichen Seele “in den Himmel” oder “in die Hölle” – bzw. umwillen einer “Seelenreinigung” erst noch in ein Zwischenreich wie das Purgatorium (vor dem Himmel) gekommen --, so setzten all diese Beschreibungen eines voraus, und zwar (logisch) zwingend: Irgendetwas an diesem Person-Sein muß trotz des Überschreitens der Todesschwelle ident geblieben sein! Denn wäre dem nicht so, ergäbe es keinen Sinn zu sagen (etwa für den Fall der Reinkarnation): “Ich bin wiedergekommen” bzw. “ich – etwa in Form meiner Seele – bin jetzt im Himmel” und vulgo unsterblich.
Es scheint klar, daß der identische Kern im ‘Ich’ liegt (bzw. in dem, worauf die grammatischen Dritte-Person-Formen weisen, sofern bei solchen Themata von jemand anderem als uns selbst die Rede ist). Und es ist weiters klar, daß damit etwas vom Körper Unabhängiges gemeint sein muß, denn der Todesbefund, der ja die Rede von ‘Reinkarnation’ bzw. ‘Unsterblichkeit’ überhaupt erst sinnvoll macht, kann sich in beiden Fällen ja nur auf den Körper beziehen (stürbe “das andere” mit, wäre solche Rede ja ersichtlich vollkommen absurd und hohl!). – Daraus folgt einerseits, daß der Mensch eine konsistente körperliche Unsterblichkeit nicht denken kann (das zeigen auch Vampir-, Wiedergänger- und andere Konstrukte solcher Couleur: Irgendeine Möglichkeit, sie zu töten oder daß sie sterben, gibt es immer [die christliche theologische [I]Konstruktion der vorgeblichen “leiblichen Auferstehung” im Paradies blende ich hier bewußt aus])! – Und andererseits kann daraus etwas abgeleitet werden, was für die Threadfrage wichtig ist: Einen grundlegenden, alles trennenden Unterschied zwischen Reinkarnation (R) und Unsterblichkeit (U) kann es ergo nicht geben, sondern man kann höchstens fragen, ob die R überhaupt ein akzeptables Konzept wäre, wenn es die U nicht gäbe …
Das will sagen: Ich kann zwar die U konsistent ohne R denken (nämlich dann, wenn ich “rein Unkörperliches” – wie etwa die Seele – für unsterblich halte), aber es wäre absurd zu unterstellen, es gäbe R, wenn es keine U gäbe. Das folgt aus obiger Vorüberlegung: Man kann nicht von sich selbst oder jemand anderem sagen, sich [sic] reinkarniert zu haben, wenn nichts am Vor- und am Nach-R-Zustand identisch ist (Gleichheit reicht hier nicht!, es muß tatsächlich “irgendetwas daran” ident [geblieben] sein). Das wäre (sprach-)logischer Unsinn, ganz abgesehen vom Funktionieren des sog. “gesunden Menschenverstandes” …
Es ist also so: Der Unterschied zwischen U und R besteht letztlich nur darin, daß man eine U ohne R denken kann, ohne der Unlogik zu frönen, was aber vice versa nicht funktioniert! Eine R ohne unterstellte U ist etwas konsistent Nicht-Denkbares, ein unlogischer Quadratquark, schlichtes Sprachbrei-Breittreten!
Ich erwähne das extra, weil es bspw. einige hinduistische u.a. R-Konzepte gibt, die ein vorgebliches “Verlieren des Ichs” beim Re-Inkarnationsprozeß postulieren; und es gibt westliche esoterische Adepten solcher merkwürdigen Vorstellungen, die nicht für einen Groschen zu denken vermögen und solchen Unfug wiederkäuen, ohne zu merken, daß das so natürlich nicht geht und sie sich dabei zum Obst machen …
Wer wieder[sic]geboren wird, hat folglich “etwas mitgenommen” aus dem vorherigen Leben; und da es nicht das Körperliche ist (solche Lehren sind mir jedenfalls nicht bekannt), muß es etwas vom Bewußtsein, vom Geist, von der Psyche sein, das bereits vorher (mit dem inzwischen abgestorbenen Körper) instantiiert gewesen ist. Das in irgendeiner Weise mit Ich-Funktionen zu identifizieren (es müssen keinesfalls alle vorher gegebenen sein [vgl. dazu etwa diverse buddhistische Lehren]), mindestens aber mit solchen des Selbst(-Bewußtseins) – die beiden gehen nicht ineinander auf, auch wenn der Alltagssprech das suggeriert! --, ist naheliegend.
Fazit (1): ‘Sterben’ bzw. ‘tot sein’ bedeutet im Dunstkreis von U- und R-Lehren das Sich-Auflösen … ähm … “Verschwinden” von Körperlichkeit bei Erhalt irgendwelcher psychischen Instantiierungen, nenne man sie nun ‘Seele’, ‘Bewußtsein’, ‘Geist’ oder wie auch immer. – Im “reinen” U-Modus bleiben diese – potentiell ewig – erhalten, wobei im Christentum auch ein “neuer Leib” instantiiert werde (und bedingt in einigen altorientalischen u.a. Religionen ev. sogar der “alte Körper” – verjüngt oder ähnlich – erhalten bliebe). Im R-Modus bleibt die psychische Komponente, wenigstens tlw., auch erhalten (das ist der “U-Anteil” daran), während sie aber im Unterschied zur “reinen U” dann einem irdisch neu inkarnierten Körper implantiert wird.
Aus anthropologischer und auch religionswiss. Sicht ist das insofern hochinteressant, als sich an diversen archäologischen, ikonologischen und hermeneutischen Erkenntnissen in diesem Feld zeigt, daß der U-Glaube primär wohl aus dem Unvermögen des frühen Menschen (mindestens bis zum Cro-Magnon) resultiert, sich überhaupt konsistent entwickeln (also “vorstellen”) zu können, was es mit dem – ja auch für uns immer noch kaum begreiflichen – Phänomen des Todes auf sich hat.
Max Raphael etwa hat daraufhin etliche franko-kantabrische Höhlenbild-Ensembles abgeklopft und sie mit späteren mythologischen und ethnologischen Befunden verglichen. Mit dem Ergebnis (in Einzelheiten sind seine Theorien darüber manchmal sehr abenteuerlich, aber der Gesamtbefund ist durchaus bedenkenswert), daß die allersten religiösen Regungen des Menschen wohl v.a. um dieses Problem kreisten und eine erste Lösung darin fanden, daß der paläolithische Mensch den Tod schlicht ignorierte und real verstorbene Familien- und Clanangehörige – auf anderer Ebene übrigens genauso die als Jagdbeute getöteten Tiere (vgl. dazu jetzt auch R. Calassos grandiosen Essay Der Himmlische Jäger) – als immer wieder reinkarniert imaginierte (etwa in deren Enkeln).
Kurz: Der Tod existierte in dieser Welt de facto nicht! Das Phänomen des Gestorbenseins wurde als “Zustandsänderung” interpretiert, und zwar in der Weise, daß sich der alte oder kranke oder verwundete Körper eines plötzlich Toten in einem neuen Familien- oder Clanmitglied … inkarnierte.
Raphael gibt Indizien an – in Höhlenbildprogrammen und mythologischen resp. ethnologischen Fakten konserviert --, die die entsprechenden Riten und Kulte widerspiegeln sollen, mit deren Hilfe diese Reinkarnationen angeblich bewerkstelligt wurden. Er unterstellt dabei sogar einen rituellen Koitus mit den Toten, wofür es auch etliche Hinweise gibt.
Auf andere Weise, aber auch nicht ganz unplausibel, kam schon Karl Meuli bei seinen Untersuchungen archaischer und griechischer Opferbräuche zu ähnlichen Ergebnissen (Raphael bezieht sie in seine Überlegungen auch ein). Dabei geht es v.a. um die vieldiskutierten Knochenopfer. – Auf der ganzen Welt wird beobachtet, daß archaische Gesellschaften oft bemüht sind, das Skelett von Beutetieren integer zu halten und nur das Fleisch zu verzehren (man denke hier auch an die berühmte Opferstiftung von Mekone, wie sie Hesiod zwischen Prometheus und Zeus beschreibt). Der Grund: Nur ein integres Knochengefüge garantiert die Wiedergeburt! Wer dagegen verstößt, wird hart bestraft (die mythologische Liste solcher Fälle ist lang und lehrreich!). Das heißt: die archaische Vorstellung war, daß das Fleisch eines toten Körpers ersetzbar war, nicht jedoch das Knochengefüge. – Noch der christliche und auch jüdische sowie islamische Furor gegen Brandbestattungen lassen Reste dieses äußerst archaischen Glaubens erkennen. Und man sieht daran, daß das R-Schema Entwicklungen durchlaufen hat, während die Vorstellungen von der U seit dem Paläolothikum quasi konstant sind …
Fazit (2): Nimmt man diese historische Perspektive ein, ergibt sich ein tlw. vielleicht etwas erstaunliches Bild: Denn dann muß konstatiert werden, daß der oben erhobene dualistische Befund – körperlicher Tod vs. “geistiges Weiterleben” – ein Ergebnis von Entwicklung und nichts “Anfängliches” ist. Das resultiert aus den unterstellten paläolith. Anfängen: Wenn daran etwas wahr ist, hatte der archaische Mensch nämlich ein durchaus massiver “materielles (Welt-)Verständnis” als modernere Kulturformen (abgesehen von der monumentalen Idiotie des rezenten “weltanschaulich”/ideologisch motivierten Empiriefetischismus). Sonst wäre schwerlich erklärbar, warum die ursprünglichen R-Konzepte dem Körperlichen einen irreduziblen Anteil zumaßen (Skelett) und es damit dem “Geistigen” quasi gleichstellten. Insgesamt spricht das vielleicht für eine eher holistische Insichtnahme des Menschlichen, etwa beim Cro-Magnon, was man auf bestimmte Weise beinahe schon … ähm … humaner nennen könnte als die später installierten, teils kruden und widerlogischen Dualismen.