Hm, ja in dem Fall sind wir uns einig. Denn der erste Entwurf scheint ja selbst bei den ultra-hardcore-methodologischen Plottern immer Mist zu werden. Man muss irgendwie den Funken aufbringen, den mal fertigzustellen (oder überhaupt mal anzufangen). Da ist dieses Fertigschreiben, zu dem so ein bekannter Autor auffordert, wichtig. Danke dafür, übrigens.
Vielleicht könnte man den Eingesperrten zumindest eine Schreibmaschine geben. Ich glaube Tinte gefriert irgendwann und die Finger erst recht.
Eine Kerze? In der Zelle? Ich bitte dich! Da wird stilecht mit Fackellicht geschrieben und zwar flackerndem Fackellicht von einer Fackel außerhalb der Gitterstäbe.
Zu viel Licht verleitet nur dazu, zu viel über das Geschriebene nachzudenken, es zu korrigieren, kurzum, den inneren Lektor zu wecken. Der einen dann blockiert und dazu bringen will, von vorne abzufangen, was ganz anderes zu schreiben oder es überhaupt bleiben zu lassen.
Das ist der Titel meines bald erscheinenden Schreibratgebers über das Prokrastinieren. Den sollte man unbedingt gelesen haben, dann fängt man auch ganz sicher an!
Da ich im Dunkeln sitze und schreiben muss, habe ich die Zeit genutzt und dir einen Entwurf für das Vorwort vorbereitet. Natürlich musst du noch alles „schön“ schreiben und ein Haufen Wörter austauschen, die jemand wie ich dann später alle im Duden nachschlagen muss. Aber es ist immerhin ein Anfang … :
Ich bin ein durch und durch freundlicher Mensch. Aufgrund dieser mir anhaftenden und zeitweise lästig erscheinenden Freundlichkeit habe ich es mir zum Ziel gemacht, Ihnen bei Ihrem Schreibprojekt zu helfen. Auch wenn Sie, wie wir beide wissen, keiner Hilfe bedürfen. Schließlich verfügen Sie bereits über alle Informationen, die erforderlich sind, ein tiefsinniges, zu Ihren Lebzeiten wenig erfolgreiches Buch zu schreiben. Dennoch ist es für jede leidende Seele recht angenehm, von Zeit zu Zeit, eine Bestätigung ihres längst vorhandenen Wissens zu erhalten.
Lassen Sie sich gleich zu Beginn gesagt sein, die Fertigstellung einer rundum gelungenen Geschichte setzt im Wesentlichen nur eine einzige Eigenschaft voraus. Die Leidensfähigkeit des Schreibenden, der aller Mühen zu trotz, zu jeder Tages- und Nachtzeit die wenigen freien Minuten seines kläglichen und erbärmlichen Lebens nutzt, um seine noch kläglicheren und erbärmlicheren Gedanken niederzuschreiben. Sicherlich könnte man dieses unstillbare Verlangen nach einem andauernden Leidensprozess auch mit dem Vorhandensein von Disziplin beschreiben und bei dessen Abwesenheit den Schreibenden zu einem elenden Haufen Nichts stigmatisieren, einem Versager!
Wenn Sie zu jenen Versagern gehören und schon immer mehr bedauert als bewundert wurden, haben Sie jedoch im Grunde das nötige Rüstzeug immer zur Hand! Machen Sie sich einfach bewusst: Es ist unmöglich zu schreiben, wenn Sie als Versager niemals so richtig gelitten haben. Demnach ist es von unermesslichem Vorteil, wenn Sie bisher möglichst wenig positive Erfahrungen in Ihrem Leben sammeln konnten. Wenn Sie diesen Umstand der mangelnden positiven Erfahrungen bisher immer bedauert haben, werden Sie nunmehr feststellen, welch unglaubliches Glück Ihnen zuteilgeworden ist, ein solch unausgesprochenes Glück, das fröhlichen Menschen niemals zuteilwerden kann – eine beispiellose Privilegierung! Vorausgesetzt, Sie wollen tatsächlich etwas schreiben und nicht nur etwas schreiben, sondern tatsächlich etwas so hervorragendes schreiben, dass es hierfür keine Leserschaft geben wird. Nicht geben kann. Würde eine Leserschaft ein Verständnis für die von Ihnen geschriebenen Werke aufbringen, würde dies in aller Konsequenz bedeuten, dass Ihre Werke nicht gut genug sind. Sie eben nicht zu den Privilegierten gehören. Und wenn Sie ehrlich zu sich selbst sind, wollen Sie doch keine Leserschaft erreichen und zeitlebens auch kein Geld verdienen. Sie wollen leiden. Eine Vergütung dieses Leids würde dieses nur unnötig in Gefahr bringen – das wahre Übel allen Elends!
Schon Platon schrieb in „Politeia“ sinngemäß, dass die besseren Mediziner wären, welche selber schon krank waren und sich hineinfühlen können…
Hildtrud, das ist empathisch gemeint, falls es nicht so rüberkommt.
Übrigens dein Buch kann nur schlecht werden! Entweder dein Buch wird fertig, dann hast du den Sinn des Prokastinierens nicht erfasst oder dein Buch wird fertig!
Vielleicht solltest du einfach ein halbgares Manuskript in die weite Welt werfen. Ich würde dir auch die ersten 3 Sätze eines Vor- und 2 Sätze eines Nachwortes spenden. Aber aufwertenderweise würdest du einen ordensbandbehängten Laudator finden, der vielleicht noch 5 Halbsätze elaboriert und beisteuert …
Kaum ein halbgares Manuskript, je so hochgelobt auf den Markt gebracht worden wäre
Funfact: Im Oktober bin ich wegen Prokrastination mit meinem Manuskript ein großes Stück weitergekommen. Das Schreiben war der Vorwand, mit dem ich die Grundsteuererklärung und die Einkommensteuererklärung vor mir hergeschoben hatte.
Hallo @_Corinna ,
die Kunst des Prokastinierens liegt darin, nichts fertig zu machen. Also so bleibt zu hoffen, dass das Prokastinieren noch nicht gänzlich perfektioniert hast und wenigstens die Steuererklärungen fertigbekommst
Dass so viele Leute schreiben liegt daran, dass es noch nie zuvor so einfach war, etwas in die Welt zu entlassen. Und warum auch nicht. Ganz egal ob man sich oder anderen etwas beweisen will, ob man Geld damit verdienen will oder ganz einfach Spaß an der Freude hat.
Was gut oder schlecht ist entscheiden letztendlich die Leser m/w/d.
Ohja, schlecht wird es definitiv. Aber immerhin habe ich ja schon verschiedene Mitwirkende hier gefunden. Also wir sollten uns dann mal einen Plan machen. Ich muss nur erstmal die Wohnung putzen. Und Duschen, Essen machen, vielleicht die Einkommensteuererklärung oh, und dann gibt es da noch das eine oder andere Projekt, das ich mir mal anschauen wollte. Aber das geht ganz schnell, dann fang ich an! Ganz bestimmt!
@Pferdefrau Fairerweise muss man sagen, man kann es als Leser vorher in der Regel schlecht erahnen, ob man das Buch später mag.
Und Marketing spielt eine nicht unerhebliche Rolle, nicht nur darüber, wer liest, sondern vielleicht auch, wie er das Gelesene empfindet.
Ich finde nur, das sollte niemanden vom Schreiben abhalten. Genauso wenig wie eine unsensible Kritik.