Politische Korrektheit in historischen Romanen

In meinem Roman aus den 20ern kommen natürlich auch die Hakenkreuzler vor. der Begriff “Neger” war damals allgemein gebräuchlich und nicht abwertend gemeint. Das hat sich in der Zwischenzeit geändert. Darf ich in den Dialogen dieses N.-Wort gebrauchen? Habe ich mit einem Shitstorm zu rechnen? Aber einen rassistischen Hakenkreuzler aus den 20ern das Wort “Schwarzafrikaner” in den Mund zu legen, widerstrebt mir doch schon sehr.
Aber da inzwischen auch schon Kinderbücher wie Pippi Langstrumpf auf “politisch korrekt” umgeschrieben werden, hab ich entsprechende Bedenken.
Wie steht ihr dazu?

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Du schreibst einen Roman, der in den 20ern spielt - also müssen sich die Figuren auch entsprechend verhalten. Ansonsten nimmt Dir kein Mensch deine Geschichte ab! Das war halt damals leider der Sprachgebrauch. Der Klerus im historisch im Mittelalter angesiedelten Roman schimpft auch über die Ketzer, Sarazenen, Heiden, Juden, Muselmanen etc. und spricht nicht von Nichtgläubigen, Andersgläubigen oder Migranten!

Ich glaube, wenn es Dich beim Schreiben solcher Ausdrücke in Deinem Roman schüttelt, dann bist Du auf der richtigen Seite und hast dem Leser auch diesen Aspekt der damaligen Zeit eindrucksvoll wiedergegeben.

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Es ist auch noch ein Unterschied, ob du diese Worte jemandem in den Mund legst oder ob du sie als Erzähler im Text verwendest. Ersteres stellt kein Problem dar, wenn der Text drumherum nicht vermuten lässt, du gebrauchst derlei Bezeichnungen mit Wonne oder aus einer Weltanschauung heraus.

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Angeblich hat Presi Heinrich Lübke 1962 bei einem Staatsbesuch in Liberia (1962) seine Rede mit “Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger!” begonnen. Das war natürlich ein Haufen Sch…ss, aber es war die Zeit. Und wenn man alle polisch nicht korrekten Aussagen ändert, es ist rotzdem geschehen. Meiner Meinung nach ist diese Reaktion, im Nachhinein alles ändern zu wollen, völlig überzogen. Letztes Jahr hat sich eine Veganerin beschwert, dass die Spieluhr des Glockenturms “Fuchs, Du hast die Gans gestohlen” spielt. Das müsse man ändern.

Neger und Muselmane gehören halt einer anderen Sprache an, die es (Gott sei Dank) nicht gibt. Den Schwarzafrikaner in einer Geschichte aus den Zwanzigern nimmt Dir kein Schwein ab, da solltest Du wohl in diesem antiquierten Sprachgebrauch bleiben. In einem Roman, der im alten Agypten spielt sagt ja auch keiner “Goil, Alder!” oder “Voll krass!”.

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Ich hab in der Grundschule noch das Lied gelernt, in dem man keinen “Türkentrunk” (gemeint war Kaffee bzw. C a f f e e) trinken soll, denn “Bist doch kein Muselmann.” Wie gesagt, bin 1980 geboren und wir hatten einen (1!) Türken in der Klasse. Das fanden die Lehrerinnen damals ganz in Ordnung, meine Mutter nicht. Aber es gab keinen Shitstorm, denn es gab kein Internet.

Ich bin da bei Bloodhound. Mach die Figuren echt, historisch korrekt. Du kannst ja, wenn Du Dich dann besser fühlst, ein Nachwort aufnehmen und darin Deine Zweifel beim Schreiben offen legen und erklären, warum Du Dich wie entschieden hast. Und natürlich noch einmal Deine Meinung als Autor, die sich von denen der Bösewichter unterscheidet, unterstreichen.

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Diese verdammte Umschreiberei, damit einText auch ja politisch korrekt ist, finde ich eh total daneben. Geht schon etwas in Richtung von Orwells 1984.

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Es nimmt ( und nahm) schon manchmal seltsame Formen an. In der DDR wurde das Wort für den Christbaumengel offiziell auf “Jahresendfigur mit Flügeln” umgetauft. Genau betrachtet bedeutet das Wort Neger nichts weiter als schwarz, abgeleitet vom lateinischen niger. Heute sagen wir “die Schwarzen”. Hm. Erst in der Verballhornungsform Nigger (- um Gottes Willen!") wird eine miese, rassistische Form daraus.
Solche Verdrehungen und Veränderungen kommen immer wieder in der Geschichte der Sprache vor. Ursprüngliche Begriffe bekommen eine neue, manchmal beleidigende Bedeutung. Ganz harmlos: Das Wort Vielfrass beschreibt kein Tier mit immensem Hunger, sondern im Ursprung einen grossen Marder, im Schwedischen Fjellfras, was lediglich Felsenkatze bedeutet. Gültig ist - was mich betrifft - die Sprache der jeweiligen Zeit, in der der Roman spielt.
Ich schreibe auch gerade an einem Roman, in dem ein Rassist alle hasst, die Neger, die Molukken, die Kanaken und die Krummnasen. Dass ich mit der Meinung und Lebenseinstellung meiner Helden und Antihelden nicht konform gehe, müsste dem geneigten Leser eigentlich klar sein.
Ich bin ja auch kein psychisch kranker Mörder und bringe trotzdem Menschen um…

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politisch korrekt isses, wenn aus dem Negerkuss ein ‘Schaumgebäck mir Migrationshintergrund’ wird … :wink:

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Eine Ratte ist dann wohl ein Nager mit Kanalisationshintergrund … :smiley:

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Ja, es wird nicht einfacher. Political Correctness, AGG, #Me2
Versteht mich nicht falsch, aber früher hat man einfach gefragt wie es gemeint war. und nicht gleich die angebliche Hexe verbrannt.

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Ha ha ha.

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Da dir mein Beitrag nicht gefällt war das ein zynisches Lachen? Show don´t Tell please. Es gibt Hexen. Und Hexer. und mehr als uns allen lieb ist. Deswegen schrieb ich nicht falsch verstehen bitte. Ich wollte hier keinesfalls was runterspielen.

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Ne ne, alles gut mit deinem Post, aber ich dachte nur, dass du das nicht ernst meintest.

Denn früher ist ja genau das passiert.

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Glaub ich nicht, doch nicht NinaW…
Man sucht heute eben gerne Schuldige, Namen, Ämter, Positionen. Daran kann man etwas fest machen, wenn man mit dem Finger darauf zeigt. Siehe Marathon. Benennen sagt man dann wohl. Ich finde das überraschend kleinhirnig und erbsenzählerisch. Ich bin da völlig entspannt.

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Da es sich um einen historischen Roman aus den 20ern handelt, sollten deine Figuren so sprechen, wie damals gesprochen wurde. Alles andere wäre eine gekünstelte Soße. Dass aber der Begriff „Neger“ damals nicht abwertend gemeint war, kann ich nicht glauben angesichts des deutschen Kolonialreichs, das damals sein Ende fand. Sklaverei, Unterdrückung, Ausbeutung, … waren bis dahin (und darüber hinaus) in den Kolonien an der Tagesordnung.

Aber ein historischer Roman ist ja auch kein Kinderbuch. „Political Correctness“ in Kinderbüchern dagegen ist doch eine andere Nummer, denn „was Hänschen lernt, bekommt Hans schwer aus dem Kopf“ - … oder so.

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Politische Korrektheit ist in einem Roman in der Regel fehl am Platz und auch nicht nötig.

Der Autor ist weder der Erzähler, noch ist er eine seiner Figuren. Einem Schauspieler, der einen Kindermörder spielt, wirft man ja auch nicht vor, dass er im wahren Leben ein Mörder ist.

Es gibt haufenweise Thriller in denen am laufenden Band Menschen auf die abscheulichste Art und Weise ihr Leben verlieren. Die kann man mögen oder nicht. Aber auch, wenn man sie furchtbar findet, wird wohl kaum jemand glauben, der Autor wäre ein kranker Irrer. Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, das Stephen King in seinem Leben schon mal jemanden umgebracht hat.

Ich selber habe einen Roman geschrieben, in dem Deutschland den 2. Weltkrieg gewonnen hat. Das Buch spielt in den Achtzigerjahren. Eine meiner Hauptpersonen ist ein hoher SS-Offizier.

Der Roman hat bisher etwas über hundert Rezensionen. Darunter auch einige ziemlich schlechte. Aber niemand hat mir jemals vorgeworfen, ich wäre ein Nazi.

Wenn ich meine Charaktere politischkorrekt hätte sprechen lassen, wäre das völlig falsch gewesen, weil nicht authentisch.

Wenn man damit als Autor ein Problem hat, dann sollte man besser über etwas anderes schreiben. Ich zum Beispiel könnte nie aus der Sicht einer Figur schreiben, die Kinder misshandelt. Das bekomme ich psychologisch nicht hin, daher lasse ich es.

Man darf seine Leser nicht unterschätzen. Die wissen schon, dass eine Geschichte eine Geschichte ist.

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Zu diesem Thema habe ich eine kleine Anekdote: In meinem ‘Löwchen’ (mein Erstling) wird Seehundfell verkauft und gekauft. Meine damalige Lektorin -Germanistin, bekennende Veganerin und PETA Freundin - kritisierte, damit würde ich alle Tierfreunde gegen mich aufbringen. Sie hat mir wirklich sehr geholfen, aber da wusste ich, die Zusammenarbeit wird beendet.
Meiner Meinung nach haben historische Romane einen Lehrauftrag. Sie sollen nicht nur den geschichtlichen Rahmen erzählen, sondern auch das Lebensgefühl vermitteln (was natürlich nicht so leicht ist, da der Autor ja nicht dabei war). Lebensgefühl wird auch durch Sprache vermittelt. Diese ist lebendig und wird sich immer an ihre Zeit anpassen.
Als Leser bin ich immer etwas irritiert, wenn ich einen historischen Roman lese, der ‘spricht und denkt’ wie ich. Ich schreibe auch vom Jud. Handlungen, die ihnen unterstellt wurden, z.B. den Wucher, versuche ich, im Kontext zu erklären; andere, z.B. das Trinken von Christenkinderblut, bringe ich in eine gewisse Übertreibung. So denke ich, dass ein Leser es versteht.

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Das würde ich aber sehr vorsichtig dosieren. Ich habe einige Originaldokumente aus dem 18. Jahrhundert gelesen und ich glaube nicht, dass ein Leser einen ganzen Roman lesen möchte, der so verfasst wird. Man kann natürlich einzelne Vokabeln hier und da einstreuen, sollte aber auch darauf achten, dass das nicht zu viel wird und der Leser den Text beiseitelegt.

In Deinem Textbeispiel hast Du fast ausschließlich “tell” drin. Ich finde aber, dass ein Leser besonders dann in die Vergangenheit eintauchen kann, wenn man “show” verwendet, also wenn man nicht nur erzählt, sondern zeigt. Und dann ist das zeitgenössische Vokabular eher zweitrangig.

In diesem Beispiel wird das besonders deutlich. Sie ist getroffen und tief verletzt, ja, aber wie äußert sich das? Was für eine Szene läuft da ab? Wie kann ich als Leserin diese Betroffenheit nachempfinden? Wenn das kein Roman, sondern ein Film wäre: Wie würde die Schauspielerin, die Sigrud verkörpert, diese Betroffenheit spielen? Was genau würde sie tun? Auf diese Weise würdest Du den Leser viel stärker ansprechen, weil es eine emotionale Ansprache wäre. Und die wirkt viel stärker als das Vokabular.
Es gibt in Autorenkreisen auch die gegenteilige Meinung, nämlich die, dass man sich der Sprache der Zeit nicht anpassen braucht, weil die z.T. heute gar nicht mehr lesbar wäre. Wie weit willst Du das führen? Willst Du einen Roman aus der Antike auf Latein oder Griechisch schreiben?
Thomas Mann nutzt in den Buddenbrooks viele französische Ausdrücke, weil das damals so üblich war. Damals hat das auch jeder gebildete Leser verstanden (und nicht-gebildete Leser haben Thomas Mann wahrscheinlich eh nicht gelesen). Heute haben Leser meist viel bessere Englischkenntnisse (falls sie überhaupt noch Französisch verstehen). Da wäre es heute besser, einen Roman, der im 19. Jahrhundert spielt, nicht mit allzu vielen (oder besser gar keinen) französischen Ausdrücken zu würzen.
Wir wollen Lesern ja nicht zeigen, wie toll wir Autoren sind und was für seltene Wörter wir kennen (die der arme, dumme Leser leider nicht kennt), sondern wir wollen den Leser unterhalten. Er soll in die von uns geschaffene Welt eintauchen und alles um sich herum vergessen (seine Lieblingsserie bei Netflix eingeschlossen). Und mit jedem schwierigen Wort kann er aus dem Lesefluss gerissen werden.

Ich würde dazu raten, zeittypisches Vokabular nur dann einzusetzen, wenn es eine Möglichkeit gibt, das Wort im Verlauf der Handlung und im Einklang mit ihr zu erklären.
In der Mitte des 19. Jahrhundert war das Wort “Kotze” z.B. ein typisches Wort für Decke. Mein noch zu schreibender historischer Roman spielt um die Zeit im Wiener Krankenhaus. Wenn ich das Wort verwenden will, muss ich irgendwie erklären, was das heißt, aber nicht per Infodump, sondern auf natürliche Weise.
Ich könnte z.B. eine Schwesternschülerin aus dem Ausland einführen, die das Wort mit der Bezeichnung für Erbrochenes missversteht und dann könnte die Schwester Oberin sie aufklären. Und gleichzeitig den Leser.

LG

Pamina

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Keine Sorge. Soooo toll finde ich die Idee jetzt nicht, dass ich sie klauen möchte.

Hier bin ich gestolpert. Ist das eine Person? Dann ist der Strich dazwischen irreführend. Es müsste, wenn es sich um einen Doppelnamen handelt, ein Bindestrich sein. Du hast aber einen Gedankenstrich gesetzt.

Hier ist es richtig. Ein Bindestrich.

Schätze, hier fehlt ein a.

Das würde ich mal stark bezweifeln. Das beste Mittel ist immer die Recherche vor Ort. Deshalb bin ich auch mehrfach nach Wien gefahren, um in den Archiven und Bibliotheken der Stadt zu stöbern, die entsprechenden historischen Plätze aufzusuchen etc. In den gedruckten Medien, die ich z.B. im Stadtarchiv gefunden habe, sind Informationen enthalten, die man bei google niemals finden würde, z.B. Welches Format hat so ein Dokument? Wie riecht es? Wie ist das Papier beschaffen? etc.
Ich war ganz überrascht von der Größe eines bestimmten Buches, das in seiner digitalen Form, die ich über den Bibliothekskatalog abrufen konnte, sehr unscheinbar gewirkt hat. Als ich es dann in der Hand bzw. vor mir auf dem Tisch liegen hatte, war mir klar, dass man das früher nicht mal eben in die Tasche gesteckt hat.
Natürlich ist das Internet heutzutage eine große Hilfe bei der Recherche. Aber dass google das beste Mittel sein soll, kann ich nicht unterschreiben. Oder glaubst Du ich hätte bei google ein echtes Armutszeugnis aus dem Jahr 1848 finden können?

LG
Pamina

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Dann wirst Du dem Leser, wenn Du im Wienerischen bleibst, auch gleich noch erklären müssen was “speiben” heißt :):smiley:

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