beim Redigieren fällt mir auf, daß ich - so meine Befürchtung - in einer längeren Rückblende zu oft das Plusquamperfekt benutze. Zu oft deswegen, weil es den Lesefluß stören kann; viele (sogar Bücher lesende Menschen) kennen oder nutzen diese Zeitform nicht mehr oder falsch. Allerdings lege ich viel Wert auf eine korrekte Grammatik, also komme ich (bei einem im Präteritum geschriebenen Buch) um das Plusquamperfekt nicht herum.
Wie handhabt Ihr das? Gebt Ihr im Zweifel der Lesbarkeit auf Kosten der korrekten Grammatik den Vorzug, damit das Plusquamperfekt verschwindet? Nutzt Ihr es nur, wenn die zeitliche Abfolge eine Rolle spielt, und laßt es weg, wenn sie vernachlässigbar erscheint? Oder darf es durchaus mal vorkommen? Habt Ihr dafür eine Faustregel?
Hier ein paar Passagen aus dem Rückblendenkapitel:
“Mizú erwachte aus ihrer Trance. Ungläubig drehte sie den Umschlag hin und her. Sechzehn Jahre lang hatte sie ihren Großvater nicht gesehen. Vergessen hatte sie nie: nicht ihn, nicht den Wald auf dem Dachboden, nicht die brennende Blume. Doch sie war nur ein Kind gewesen, und je mehr Zeit verging, desto unwirklicher schien ihr, was sie an jenem Tag erlebt hatte. Mit dem Gefühl der Wirklichkeit verblaßte der Sinn für das, was sie verloren hatte. Jetzt füllten sich ihre Augen mit Tränen. Der Schmerz, den sie überwunden geglaubt hatte, kehrte mit aller Macht zurück und riß sie mit sich in die Vergangenheit.”
“Falls er noch lebte – damals war er weit über 60 gewesen, zählte jetzt also mehr als 80 Jahre.”
“Sogar sie selbst wußte inzwischen nicht mehr, ob sie sich auf ihre Erinnerung verlassen konnte. Mit ihren Eltern, den einzigen Menschen, die dabei gewesen waren, konnte sie nicht darüber sprechen: Unmißverständlich hatte ihre Mutter noch am selben Tag klargemacht, daß von ihrem Großvater nicht mehr die Rede sein würde.”
Stört Euch in diesen Sätzen die Nutzung des Plusquamperfekts? Würdet Ihr es (zumindest zum Teil) reduzieren? Oder kann es stehenbleiben? Freue mich auf Eure Meinungen.
Nach meiner Meinung sehr sauber erzählt, in der zeitlichen Darstellung präzise, was mir ungemein bei der Orientierung hilft und so meinen Lesefluss verbessert.
Ich muss allerdings hinzufügen, dass ich das aus dem Bauch heraus entscheide. Ich bin kein Schriftgelehrter und hatte keinen Duden auf den Knien liegen, als ich deine Zeilen gelesen habe. Insofern interessiert natürlich das Urteil der einschlägigen Fachleute …
Komplizierter wird es bestimmt, wenn nähere Umstände zu beachten sind, beispielsweise eine größere oder geringere Bildungsferne der Person, aus deren Perspektive berichtet wird. Oder aber Aspekte wie der Einfluss von Drogen, psychische Ausnamezustände, Erwachen aus dem Schlaf und natürlich direkte Rede.
Es ist sicher auch Geschmackssache, mich persönlich stört es überhaupt nicht, im Gegenteil, es passt zu deinem Schreibstil und unterstreicht hier sehr schön die Rückblenden.
Ich gestehe, dass ich die Zeitformen auch mal dem Lesefluss unterordne, also wenn sich das Perfekt besser anhört, bekommt das den Zuschlag.
Wenn die zeitliche Abfolge aber wirklich wichtig ist, achte ich drauf und verwende auch das Plusquamperfekt.
Oh, das erleichtert mich! Ihr seid Euch sogar alle einig, wie wunderbar! (Was selbstverständlich nicht heißt, daß Einwände nicht mehr angenommen werden!)
Dann kann es ja so bleiben, und ich muß mich nicht zwischen Grammatik und Lesefluß entscheiden - prima.
Die Rückblende in meinem Roman habe ich mit Plusquamperfekt “eingerahmt”.
Die ersten zwei, drei Sätze im Plusquamperfekt, um den Beginn einzuleiten. Dann weiter im Präteritum - wie im Haupttext - dann am Ende wieder zwei Sätze im Plusquamperfekt.
Im ersten Beispiel reißt es mich ein bisschen aus dem Lesefluss, weil zwei aufeinanderfolgende Sätze mit annähernd gleichem Rhythmus auf „hatte“ enden. Danach kommt noch (mit einem Satz Pause) ein drittes „hatte“, das im Einschub versteckt gar nicht so aufgefallen wäre, wenn mich die beiden Sätze davor nicht dafür sensibilisiert hätten (hoppla, da kommt auch eins von mir…). Kann man machen, mich würde es beim Editieren aber schon sehr stören: Was sie erlebt hatte, was sie verloren hatte, was sie überwunden geglaubt hatte … sie HAT es bestimmt nicht leicht gehabt.
Kann man aber mit anderen Hilfsverben auch problemlos umstellen.
Im zweiten Beispiel sehe ich eher ein formales Problem. Gedankenstriche im Text profitieren eher von sparsamer Verwendung, und in diesem Fall kann man den durchaus mit zwei schönen Einzelsätzen obsolet werden lassen. Die Zahlen sind dann wieder Geschmackssache … aber das war ja nicht deine Frage.
Allgemein gefasst spricht aber gar nichts gegen die Verwendung eines gesunden Maßes an Plusquamperfekt, da stimme ich mit allen anderen Vorrednern überein…
Mich reisst es eher raus, wenn jemand kein Plusquamperfekt verwendet, wo eines nötig wäre.
Freilich, es ist im Deutschen eine eher unschöne Konstruktion, und der Trick, längere Passagen nur mit ein, zwei Sätzen im Plusquamperfekt am Anfang und Ende “einzurahmen” und sich dazwischen ins Perfekt zu mogeln, deshalb ratsam. Aber wenn es nur um ein, zwei Absätze geht, ist das unnötig. Die Beispiele finde ich alle OK so.
In den zusammengesetzten Zeiten funktioniert Deutsch nun mal mit Hilfsverben.
Auch wenn es manchmal etwas sperrig aussieht/klingt, finde ich schon, dass man sie auch benutzen darf und soll. Plusquamperfekt hat seine Daseinsberechtigung.
Im Prinzip habe ich es ähnlich gemacht: Mizú blickt in den von mir genannten Sätzen im Plusquamperfekt zurück, anschließend folgt die eigentliche Rückblende kursiv abgehoben und im Präteritum - denn die ist tatsächlich etwas länger.
Da stehe ich jetzt auf dem Schlauch: Wenn ich die Verben behalten möchte, bildet sich das Plusquamperfekt hier mit hatte. Wie also meinst Du das Umstellen mit anderen Hilfsverben? Könntest Du das an einem der Sätze veranschaulichen? Wie gesagt, stehe gerade etwas auf dem Schlauch, aber wenn ich dadurch das eine oder andere “hatte” einsparen kann, dann freut mich das.
Oder schlicht mit einem Doppelpunkt. Du hast recht, der Gedankenstrich ist hier unnötig und schwächt dadurch andere. Danke für den Hinweis!
Ich mache es so: Ich setze den ersten Satz im Absatz ins Plusquamperfekt und fahre dann im Perfekt fort. Ist mittlerweile eine gängige Praktik. Als Leser “weiß” man dann, dass das Plusquamperfekt gemeint ist.
Ich vermute, dass du nach dem Plusquamperfekt nicht im Perfekt, sondern im Präteritum fortfährst, so wie es auch Pferdefrau oben schon vorgeschlagen hat. Perfekt würde das Problem der umständlichen Hilfsverbkonstruktionen ja nicht lösen.
Oder aber er hat keine Ahnung und verwechslet die beiden Begriffe sowieso immer. Aber was gemeint ist, ist trotzdem klar. Ich finde es aber sehr gut, hier solche Diskussionen führen zu können. Fragt man nämlich mal Blogger oder sprachwissenschaftliche Blogger nach solchen Details, kommt meist nichts zurück, ist mir schon mehrfach passiert.
Also da bin ich absolut d’accord mit dir! Zwar: Ich “bilde mir ein”, so ein klein bißchen den Durchblick zu haben, in der Praxis allerdings blicke ich manchmal – also bei etwas “waghalsigen” Konstruktionen – auch nicht mehr durch und bin dann froh, an einer Adresse nachfragen zu können, wo Leute zu finden sind, die Bescheid wissen.
Hier gibt’s solche Menschen. Und das ist sehr schön!
Vielen Dank für diesen Thread. Da mir dieses Konstrukt auch häufiger unterläuft (ein Kapitel fängt mitten in einer Handlung an und es muss gelegentlich durch die Vorvergangenheit ergänzt werden, was zwischen den Kapiteln passiert ist), rutsche ich auch häufiger mal ins Plusquamperfekt. Und irgendwann gehen einem dann die Hilfsverben aus (gibt’s eigentlich noch andere außer “war” und “hatte”?).
Der Hinweis mit der Einleitung im Plusquamperfekt und der Zurückmogelung ins Präteritum kommt daher gerade richtig.
Um aber trotzdem noch auf die Eingangsfrage zu antworten: für mich war die Anwendung in den Textbeispielen völlig in Ordnung. Lediglich im ersten Absatz hätte ich versucht, die zweiten beiden “hattes” durch eine Umstellung bzw. eine Substantivierung wegzurationalisieren.
Es gibt 3 Hilfsverben: sein, haben und werden. Die werden für die Konjugation in den zusammengesetzten Zeiten gebraucht.
Dazu gibt es noch Modalverben, die mit einem anderen Verb zusammen benutzt werden: können, dürfen, mögen, müssen, sollen und wollen - diese ändern den “Inhalt” des Vollverbs (sollen ist etwas anderes als wollen).
Das finde ich in den meisten Fällen nicht so hilfreich, führt schnell zu Nominalstil-Behördendeutsch (oder auch Marketing-Sprech) und nimmt die Bewegung aus den Sätzen. Show don’t Tell ist auch mühsamer - meine Meinung.
Sein und werden? Ist das nicht das gleiche Wort? Ich dachte immer, *werden *ist die Zukunft und *sein *die Gegenwart. Etwas ist und etwas wird und etwas war. Alles eine Wichse. Vielleicht. Oder ich bin noch nicht ganz nüchtern.